Friedrich Gulda - Begegnungen mit einem Aufmüpfigen


Friedrich Gulda war der bunte Vogel im Konzertbetrieb. Am 27. Jänner ist der Wiener Pianist 69jährig in Weissenbach an einem Herzinfarkt gestorben. Von Leopold Löwe.



Es war in den 70er Jahren. Friedrich Gulda spielte im Konzert – mit Ursula Anders am Schlagzeug – außer Klavier auch Blockflöte und Krummhorn. Wie viel daran war frei improvisiert? Ich setzte mich im anschließenden Gespräch gewaltig in die Nesseln mit meiner Hartnäckigkeit: „Aber Sie müssen doch ein Konzept haben …“

Dieses „Sie müssen doch“ brachte Gulda in Rage. Dieses „Sie müssen doch“ traf Österreichs größtes Nachkriegstalent unter den Pianisten am Nerv. Es war die denkbar unpassendste Frage an einen, der dem ritualisierten Konzert-Betrieb eine lange Nase zeigte, der einst den Frack mit dem Rollkragen-Pullover vertauschte, der im Jazz Befreiung suchte und fand – und Kulturkritiker als Klassiktrottel titulierte.

Am 16. Mai 1930 als Sohn eines Schuldirektors geboren, gewann er bereits mit 16 in Genf einen großen internationalen Wettbewerb.

1950 debütierte er in New Yorks Carnegie Hall, 1953 führte er in Wien sämtliche Beethoven-Sonaten auf. Schon mit 20 war Gulda für seine temperamentvollen, spannenden Interpretationen der Werke von Beethoven, Mozart oder Bach und Debussy berühmt und begehrt.

Er hätte sich damit begnügen können. Aber bald waren ihm die starren Strukturen der Klassik zu eng. Der Konzertbetrieb schien „hohl, unglaubwürdig, verlogen bis ins Mark“, und es reichte ihm auch bald nicht mehr, leger in Turnschuhen aufzutreten. „Wenn ich mich in 50 Klavierabende einsperre, lebe ich nicht“, sagte er. Beethovens Musik behandle keine modernen Probleme, aber auch die Moderne nicht. Einzig im Jazz sei Spontaneität und Befreiung zu erreichen. So gelobte er 1967, nur noch Jazz zu spielen – woran er sich glücklicherweise nicht hielt.

Wir trafen ihn in den 80er Jahren bei einem Jazz Festival in Zeltweg am Österreichring, als er mit Chick Corea am Klavier „Ping Pong“ spielte und bekannte: „Ich habe von ihm viel über Jazz gelernt, er von mir viel über Mozart.“ Er trat in Sessions mit Herbie Hancock auf, mischte unbekümmert Jazz mit Mozart und bekannte mit ungewohnter Ernsthaftigkeit, daß diese Öffnung Richtung Jazz-Musik „die wichtigste Lebensleistung von mir ist und bleibt“.

In den letzten Jahren mußte man weit fahren, um ihn zu finden. Nach Salzburg, von dort mit dem Postauto 90 Minuten durchs Salzkammergut, überland über Mondsee am Attersee und See am Attersee nach Unterach am Attersee und von dort mit dem Taxi nach Weissenbach am Attersee. Wer besonderes Glück hatte, durfte Gulda in der Gaststube vom Hotel „Post“ zuhören, wenn er sprach über „seinen Mozart“, die Landler, den Jazz, den Flamenco, den Walzer und seine eigenen Kompositionen. Bei solchen unvergeßlichen Begegnungen war der bunte Vogel, das Enfant terrible, nichts als ein sehr verletzlicher Mensch.

1990 sorgte seine Autobiographie „Mein ganzes Leben ist ein Skandal“ für Gesprächsstoff. Er wolle „keine lebende Leiche abgeben“, sagte er, arbeitete sogar mit Blasmusiken und Ländlerkapellen zusammen. In den letzten Jahren entdeckte er die Technomusik und erntete dafür viel Kopfschütteln.

Gern erzählte er auch die Geschichte, wie er Karajan und die Salzburger Festspiele „generalstabsmäßig“ ausgetrickst hat: Eingeladen, mit Corea das Mozart-Konzert zu spielen, schlug er Harnoncourt als Dirigenten vor – was den Festspielen partout nicht paßte. So ließ er sich 1988 wieder einladen, setzte aber zugleich am Domplatz ein Konzert mit Harnoncourt an.

„So stand man vor dem unlösbaren Problem, einen Künstler nicht gleichzeitig engagieren und hinausschmeißen zu können. So habe ich meinen Plan listig und verschlagen und unehrlich, mit üblen Methoden und faulen Tricks doch noch durchgesetzt“, sagte Gulda. „Ich dachte mir, lieber Herr Karajan, dir werd ich's zeigen. Während wir auf dem Domplatz spielten, hatte ich das Ticket nach Ibiza schon in der Tasche, denn ich hatte nie die Absicht, die vereinbarten Festspielkonzerte zu geben. Rache ist süß. Schadenfreude ist die reinste Freude.“

Gulda, der keine Nachrufe mochte und sie sogar zu verhindern trachtete, liebte Skandälchen. Vor einem Jahr schickte er selbst ein Fax aus der Schweiz mit der Nachricht, er sei nach einem Schlaganfall plötzlich verstorben. Blieb unauffindbar und feierte dann in Salzburg bei einer „Resurrection-Party“ seine Auferstehung: „Ätsch, zu früh gefreut!“

Wir werden ihn vermissen, der zur Gattung der Unvernünftigen gehörte. Denn an deren Aussterben krankt die Welt.