Die Suche nach einer Regierung Noch nie war die Bildung eines neuen Kabinetts in Österreich so schwierig wie nach den Nationalratswahlen am 3. Oktober 1999. Von Norbert Lininger.
Zentralfigur in den Bemühungen, aus dieser verzwickten Lage herauszukommen, ist der Bundespräsident. Thomas Klestil werden dazu von der Bundesverfassung auch gehörige Rechte eingeräumt. Er kann mit der Regierungsbildung beauftragen, wen er will. Er ernennt auch jedes Mitglied der Regierung und kann ihm nicht genehme Minister-Vorschläge ablehnen. Einziges Korrektiv ist das Parlament. Wenn dieses eine Regierung, die vom Bundespräsidenten ernannt wurde, ablehnt, dann muß das Staatsoberhaupt das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen. Gerade das aber will derzeit niemand. Neuwahlen würden den beiden bisherigen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP nach Überzeugung der Meinungsforscher nur weitere Verluste eintragen. Zudem würden Neuwahlen wieder eine schöne Stange Geld kosten, das die Parteien derzeit offenbar nicht haben, die aber auch durch die vorgesehenen Finanzspritzen des Staates an die Parteien dem Bürger erneut Steuergelder kosten würden. Thomas Klestil ist also gefordert, durch geschickte Diplomatie doch noch eine im Parlament mehrheitsfähige Regierung zu basteln. Traditionell hat der Bundespräsident seit 1945 immer den Chef der mandatsstärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragt. Weil aber Viktor Klima damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf jeden Fall scheitern würde, läßt Klestil Klima vorerst nur „Sondierungsgespräche“ führen. Die bisherige Regierung wurde verfassungskonform von Thomas Klestil mit der Fortführung der Regierungsgeschäfte beauftragt. Das geht aber voraussichtlich nur ein halbes Jahr. Dann nämlich ist der Staatssäckel ohne neues Budget leer. Die Minister dürfen derzeit monatlich ein Zwölftel des laufenden Staatsetats ausgeben. Das geht aber längstens bis Mai 2000. Dann wäre kein Geld mehr für neue Investitionen des Staates da und die Verschuldung Österreichs würde über die von der EU vorgegebenen Verschuldungsgrenzen an Prozenten des Bruttoinlandsprodukts hinausschießen. Das Stabilitätsprogramm, das allen 15 EU-Mitgliedern vorgegeben ist, würde Österreich so nicht einhalten. In echten Zahlen heißt das, die Neuverschuldung, die heute 70 Milliarden Schilling (5,09 Mrd. E) beträgt, muß im Jahr 2000 auf 63 Milliarden (4,58 Mrd. E) gesenkt werden, um nach Schätzungen des Finanzressorts die Maastricht-Ziele einzuhalten. Finanzminister Rudolf Edlinger (SPÖ) warnt denn auch vor neuen überzogenen Ausgaben. Er muß derzeit schon an die 30 Milliarden Schilling (2,18 Mrd. E) einsparen, um die seit Anfang 1999 gültige Steuerreform zu finanzieren. Weitere Ausgaben seien nur durch ein neues Sparpaket zu finanzieren, das aber die Bevölkerung so nicht mehr haben will. Erst Anfang Oktober dieses Jahres haben die Österreicher in einem durch mehrere Meinungsforschungsinstitute gemeinsam durchgeführten Frage-Projekt überraschend klar geantwortet: 72 Prozent aller Österreicher halten die Gegenwart für die beste Zeit, in der dieses Land je gelebt hat. Lediglich 14 Prozent meinen, daß es in der „guten alten Zeit“ besser gewesen sei. Ein erstaunliches Resultat, wenn man den hohen Altenanteil der österreichischen Bevölkerung bedenkt. Dieser Optimismus gilt aber nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die politische Gegenwart. Zwei Drittel der Österreicher empfinden angesichts der derzeitigen Übergangssituation nach den Nationalratswahlen keinerlei Gefühl von Instabilität. Allerdings wünschen sich die meisten Österreicher auch, daß diese relativ ruhige Zeit für echte Reformen genützt wird. Das sagt auch das Wahlergebnis aus, meinen die Kommentatoren in den österreichischen Zeitungen. Die Österreicher haben den beiden Regierungsparteien einen „Warnschuß vor den Bug geknallt,“ ist die übereinstimmende Meinung. Denn es gibt trotz der Prosperität und des großen Wohlstands — Österreich gehört zu den sieben reichsten Ländern der Welt — Kritik an dem seit Jahren gepflegten Proporz der Regierung. Alle öffentlichen Posten werden ausgeglichen aus der roten und schwarzen Reichshälfte besetzt. Die Sozialpartnerschaft ist zu einem reinen Proporzverein verkommen. Ja selbst die Wirtschaftswelt teilten sich die beiden Parteien — siehe die österreichische Bankenlandschaft — eins zu eins auf. Viele, vor allem die jungen Österreicher, fühlen sich dadurch in ihrer Freiheit beschnitten und in ihrer Karriere beengt. Bundespräsident Thomas Klestil hat denn auch für die zu führenden Sondierungsgespräche klare Vorgaben gegeben. Die Parteien müssen danach ihre Vorstellungen zur künftigen Sicherheitspolitik in Europa (NATO ja oder nein), zur Neutralität, zum Standort Österreich und zu mehr objektiver Klarheit bei der Postenvergabe auf den Tisch legen. Erst wenn in diesen Fragen Konsens erzielt wird, kann über mögliche Koalitionen und letztlich über die Regierungsverantwortlichen verhandelt werden. Die Parteien indes halten sich bisher nicht an diese Vorgaben. Vor allem Viktor Klima ergeht sich in immer neuen Variationen einer künftigen Regierung, von der Koalition wie gehabt mit der ÖVP über eine Dreier-Koalition SPÖ-ÖVP-Grüne bis hin zu einer Minderheitsregierung. Klima hat sich damit prompt eine Rüge des Bundespräsidenten eingehandelt. Am Nationalfeiertag — 26. Oktober — forderte Klestil in einer Fernsehansprache für die nächsten vier Jahre eine stabile Regierung und erteilte einem Minderheits-Kabinett eine deutliche Absage. Die Parteien verharren aber in ihrem Machtpoker und geraten dabei zusehends in innerparteiliche Querelen. So forderte der mächtige Wiener Ex-SPÖ-Chef Hans Mayr in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Profil“, daß sich Klima auf den Parteivorsitz zurückzieht und das Kanzlergeschäft einem anderen SPÖ-ler überläßt. In diesem Zusammenhang könne sich Mayr ohne weiteres auch eine Koalition mit den Freiheitlichen vorstellen. Mayr rückt damit von dem SPÖ-Credo „die FPÖ ausgrenzen“ ab und bringt Klima in eine unangenehme Lage: Klima hatte sich gemeinsam mit den SPÖ-Parteispitzen darauf festgelegt: „Keine Koalition mit der FPÖ“. Die SPÖ ist mit dieser Festlegung von den Sozialdemokraten in Europa, vor allem den deutschen, französischen und italienischen, bejubelt worden. Israel reagierte auf das Wahlergebnis vom 3. Oktober noch um einiges härter. Der israelische Außenminister Levy drohte mit dem Abbruch der Beziehungen, sollte die FPÖ in eine Koalitionsregierung aufgenommen werden. Diese Warnungen haben auch ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel inzwischen vorsichtig gemacht. Er hatte sich vor der Wahl alle Koalitions-Optionen offengelassen. Doch dann verpaßte die ÖVP die zweite Position nach der SPÖ um nur 415 Stimmen und beschloß in Opposition zu gehen. Auguren unterstellten Schüssel damit einen taktischen Zug, der ihn, wenn Klima mit der Regierungsbildung scheitert, möglicherweise in die Rolle des Kanzlerkandidaten und Regierungsmachers hieven würde. Er könnte, so die Beobachter, mit der FPÖ eine Koalition eingehen — vor allem dann, wenn Jörg Haider als Landeshauptmann in Kärnten bliebe. Eine Option, die auch von der Industriellenvereinigung vorerst unterstützt wurde. Doch die Kritik aus dem Ausland hat die Industriellen offenbar um ihre Geschäfte fürchten lassen. Sie sind nämlich von dieser Version wieder abgerückt und fordern die ÖVP jetzt auf, mit den Sozialdemokraten erneut in eine Koalition zu gehen. Die Freiheitlichen selbst haben sich offenbar schon damit abgefunden, auch in der nächsten Legislaturperiode in Opposition zu bleiben. Jörg Haider freilich sagte, daß ihn eine Neuauflage der alten Koalition nur freuen könne. Denn dann sei er in vier Jahren garantiert an erster Stelle. Ob Viktor Klima es nun seinerseits schafft, die ÖVP zu einer neuen Koalition zu überreden, ist gegenwärtig mehr als zweifelhaft. Schüssel hat bereits mehrmals betont, daß er mit Klima nicht mehr könne und auch nicht mehr wolle. Dann könnte der Fall eintreten — immer unter der Voraussetzung, daß die ÖVP auf ihre Oppositionsrolle doch noch verzichtet —, daß Bundespräsident Thomas Klestil nicht Klima sondern einen anderen Sozialdemokraten mit der Regierungsbildung beauftragt und der dann einen neuen Koalitionspakt mit der ÖVP schmiedet. Am 29. Oktober ist jedenfalls inzwischen das neugewählte Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Es sind nur noch vier Parteien, die gemeinsam den Nationalrat bilden: SPÖ (65 Mandate), FPÖ (52 Mandate), ÖVP (52 Mandate) und Grüne (14 Mandate). Das Liberale Forum unter Heide Schmidt ist ja am 3. Oktober an der Vier-Prozent-Hürde gescheitert. Auf das neue Parlament kommt es jetzt vor allem an, welche Regierung in welcher personellen Zusammensetzung die nächsten vier Jahre Österreich regieren wird. Denn mit einem Mißtrauen des Nationalrats kann jede vom Bundespräsidenten ernannte Regierung gestürzt werden — freilich unter dem Damoklesschwert der unbedingt daran geknüpften Neuwahlen. Es wird also noch spannend in Österreich. Wahlberechtigte
5.838.373
Wahlbeteiligung
80,42 %
abgegebene Stimmen
4.695.225
ungültige Stimmen
72.871
gültige Stimmen
4.622.354
Parteibezeichnung
Kurzbezeichnung
Stimmen
Prozente
Mandate
SPÖ
1.532.448
33,15 %
65
ÖVP
1.243.672
26,91 %
52
FPÖ
1.244.087
26,91 %
52
LIF
168.612
3,65 %
0
GRÜNE
342.260
7,40 %
14
KPÖ
22.016
0,48 %
0
DU
46.943
1,02 %
0
NEIN
19.286
0,42 %
0
CWG
3.030
0,07 %
0
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