Internationaler Schaden?

Durch das Wahlergebnis vom 3. Oktober sahen sich ausländische Medien veranlaßt, Österreich nationalsozialistische Tendenzen zu attestieren. Von Michael Mössmer.

Österreich hat gewählt. Und es kam nicht unerwartet, daß die FPÖ wieder an Stimmen gewinnen würde. Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FPÖ und ÖVP kam durch die Aussagen von ÖVP-Chef Dr. Wolfgang Schüssel zustande, er würde seine Partei in die Opposition führen, sollte sie nur den dritten Platz erreichen. Das hat dann, Meinungsumfragen zufolge, immerhin rund 200.000 WählerInnen motiviert, doch für die ÖVP zu votieren. Als diese dann trotzdem mit einem Rückstand von nur 415 Stimmen auf dem Platz drei rangierte, war klar: Der Wahlkampf ist noch nicht zu Ende.
Für die ÖVP ginge, so konnte man vernehmen, die Welt nicht unter, wenn man in die Oppostion ginge. Ganz im Gegenteil: Wieder auf sich selbst gestellt und nicht in einer neuerlichen Koalition ein Anhängsel zu sein, kann für die drittstärkste Partei eine Chance sein, bei der nächsten Nationalratswahl — wenn sie die Fähigkeit besitzt ihre Inhalte zu definieren und, was noch wichtiger ist, sie auch umzusetzen — wie Phönix aus der Asche zu steigen.

Heftige Reaktionen nicht nur aus dem Ausland
Was den Österreichern nach der Wahl wirklich auf den Kopf fiel, waren manche Aussprüche von Dr. Jörg Haider, auch wenn diese schon einige Zeit zurückliegen. Die Heftigkeit der Reaktionen auf den Wahlerfolg der FPÖ aus dem Ausland war nicht vorhersehbar. Vor allem nicht das wieder einmal strapazierte Pauschalurteil über die „Österreicher“ an sich und in diesem Ausmaß.
Ein internationaler Schaden? Für wen? Für die FPÖ oder für ganz Österreich? Das bleibt abzuwarten. Und es wird wesentlich vom Ausgang der Sondierungs- und später wahrscheinlichen Koalitionsgesprächen abhängen.
Ob es ausländischen (Medien-)Stimmen nun paßt oder nicht: Es muß in einem demokratischen Land möglich sein, aus Überzeugung oder auch aus Protest eine Partei zu wählen, ohne vorher das Goodwill Außenstehender einzuholen, so die mehrheitliche Meinung in Österreich. Ein Großteil der neuen FPÖ-Wähler wollte sich nämlich von der „alten“ Koalition verabschieden.

Ausgrenzung der FPÖ „ging nach hinten los“
Die politischen Strukturen der ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP haben sich in den letzten 13 Jahren so verwischt, daß die Zugehörigkeit zu einer dieser beiden Parteien keinen allzugroßen Unterschied bedeutete. Das liegt nicht nur am „Gewöhnungseffekt“, der die Regierungsarbeit der beiden Parteien, fast ungeachtet der einzelnen Initiativen, immer als gemeinsame Leistung erscheinen ließ. Auch die vielstrapazierte „Mündigkeit des Wählers“ hat hier die Grenzen zwischen den beiden „Altparteien“ verwischt.
Die Ausgrenzung der FPÖ, vor allem seitens der SPÖ, hat mit Sicherheit noch einiges dazu beigetragen. Anstatt sich auf Nöte und Sorgen der Wähler zu konzentrieren, so stellte es sich im Laufe des Wahlkampfes dar, kümmerte man sich verstärkt um das Verhindern eines aufkommenden Dr. Jörg Haider. Da nützt es auch nichts, wenn etwa SPÖ-Klubobmann Dr. Peter Kostelka anläßlich einer Diskussionsrunde im ORF-Fernsehen erklärte, seine Partei grenze die FPÖ nicht aus, die SPÖ grenze sich vielmehr selbst ab. Als Tatsache für Frau und Herrn Österreicher bleibt, zumindest bisher, daß der eindringliche Aufruf unseres Bundespräsidenten, Dr. Thomas Klestil, die Parteien mögen doch Sachlichkeit und Gemeinsamkeiten vor eigene, parteibezogene Überlegungen stellen und — im Sinne der Allgemeinheit — konstruktive Gespräche führen, um möglichst rasch zu einer tragfähigen Regierung zu kommen, keine wirklichen Auswirkungen zeigte.

600 Mio. Schilling an Spenden in nur 40 Tagen
All jenen, die den Österreichern Ausländerfeindlichkeit vorwerfen, sollen einige Fakten zur Kenntnis gebracht bzw. in Erinnerung gerufen werden:
Beginnend mit dem Dienstag nach Ostern dieses Jahres haben die „ach so ausländerfeindlichen“ Österreicher bei der beispielhaften Aktion „Nachbar in Not — Kosovo: Österreicher helfen“ einen absoluten Rekord aufgestellt. In nur 20 Tagen wurden 406 (!) Mio. Schilling (29,5 Mio. E) gespendet. Ein Vergleich der Spendeneingänge in den ersten 20 Tagen nach der Gründung der Aktion im Jahre 1992 in der Höhe von 195,5 Millionen Schilling (14,2 Mio. E) mit den ersten 20 Tagen der Kosovo-Kampagne 1999 zeigt, daß die Großzügigkeit der Österreicher die Spenden von damals mehr als verdoppelt hat. Wohlgemerkt: das sind insgesamt rund 600 Mio. Schilling (43,6 Mio. E), die somit innerhalb von nur zweimal 20 Tagen für diese Aktion zusammengekommen sind. Das soll den Österreichern doch einmal jemand nachmachen!

„Ein Dach der Liebe“ für Kinder und Mütter
Doch diese spontane Hilfe war nicht die einzige, die die ÖsterreicherInnen leisteten. Eine Hilfsaktion unter dem Namen „Ein Dach der Liebe“ für vertriebene Mütter und Kinder aus dem Kosovo wurde von der „Kronen Zeitung“ und dem SOS-Kinderdorf ins Leben gerufen. Als deren Schirmherrin zeigte die Gattin des Bundespräsidenten, Dr. Margot Klestil-Löffler, nicht nur durch Reisen in den Kosovo persönlichen Einsatz und ging mit gutem Beispiel voran. Spenden in Millionenhöhe sind eingegangen.

Aufwendige Sondersendungen des ORF
Der ORF installierte ein eigenes Service-Radio: „Radio Nachbar in Not“ sendete aktuelle Weltnachrichten und Service-Infomationen, fünf Stunden täglich, in den Sprachen Albanisch, Kroatisch, Serbisch, Englisch und Deutsch. Umfangreiche Servicemeldungen, vor allem Suchmeldungen über Vertriebene aus dem Kosovo in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz, wurden in den Sprachen Kroatisch, Serbisch, Albanisch und Englisch gesendet. Am 17. April 1999 stand schließlich das gesamte Programm von ORF 2 im Zeichen „Nachbar in Not — Kosovo: Österreicher helfen“. Und wieder konnten beachtenswerte Spenden verzeichnet werden.

Hilfseinsatz des österreichischen Bundesheeres
Als Hilfeleistung für die Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem Kosovo hat das österreichische Bundesheer ein Kontingent in der Stärke von rund 450 Mann sowie mehrere tausend Tonnen an Geräten und Hilfsgütern nach Albanien verlegt. Bei der Entsendung des Albanienkontingents des Bundesheeres sind nur Freiwillige herangezogen worden. Alle beteiligten Einheiten wurden hiefür mehr oder weniger aus dem Boden gestampft und sämtlicher Transportraum zu Wasser und in der Luft ist trotz europaweiter Verknappung der Transportressourcen im Zusammenhang mit der Hilfe für hunderttausende vertriebene Kosovaren organisiert worden. Sowohl von Zeit als auch von Umfang und Inhalt her haben die Freiwilligen eine Leistung erbracht, die von keinem in Albanien eingesetzten humanitären Kontingent übertroffen wurde.
Und nicht nur dieses Jahr haben die ÖsterreicherInnen gespendet oder geholfen. Denken wir etwa an das Jahr 1956, als Tausende Ungarn über den „Eisernen Vorhang“ Zuflucht in Österreich suchten.

Sind das Nazis, die sich so für andere einsetzen?
Soll das wirklich der — schuldig gebliebene — Beweis für die den Österreichern immer unterstellte Ausländerfeindlichkeit sein? Immer hält man den Alpenbürgern deren Vergangenheit vor. Man spricht von Kollektivschuld, mit der man leben müßte. Es ist aber vollkommen unverständlich, daß es auch jene Generationen trifft, die keinerlei Schuld treffen kann — weil ihre Eltern damals selbst noch Kinder waren.
Gerade diese Generationen blicken aber aus anderen Gründen mit Unbehagen in die Zukunft: angesichts der stetig drohenden Gefahren von Kriegsmaschinerie und globalen Umweltschäden — und daß nicht nur „halbwegs berechenbare“ Länder mit Atomwaffen ausgerüstet sind.
Österreich ist, wie wir alle wissen, keine Atommacht, die über Möglichkeiten verfügt, aus der ganzen menschlichen Rasse einen Uranbrei zu köcheln. Österreich ist vielmehr das einzige Land, das in seiner Verfassung den Verzicht auf Atomkraft für wirtschaftliche und militärische Zwecke festgeschrieben hat.
Wählen aber 1,244.087 Österreicher die FPÖ, tauchen in aller Welt die schwärzesten Schreckensszenarien auf. Es soll hier auf keines der leider vielfältigen Beispiele eingangen werden, wie es dort und da und teils seit vielen Jahren „zugeht“, auch wenn die Kontrahenten jeder für sich natürlich eindeutig im Recht sind. Doch sollte jeder vor seiner eigenen Türe kehren, bevor er sich genüßlich über ein anderes Land „hermacht“.
Nazis oder Rechtsextremisten wird es, so ist zu befürchten, in jedem Land geben, so wie es auch weitere Kriege geben wird. In dieser Beziehung steht die Menschheit auf der Entwicklungsstufe der Neanderthaler, weil Konflikte immer noch kriegerisch entschieden werden.

Stehen Neuwahlen bevor?
Jedenfalls, und das leugnet auch kaum jemand, hat Österreich ein innenpolitisches Debakel. Wer soll nun Österreich regieren? Die SPÖ will auf keinen Fall mit der FPÖ, die ÖVP geht in die Opposition und wartet ab. Die FPÖ ist ihrerseits mit allen gesprächsbereit, aber außer vielleicht der ÖVP will niemand mit ihr. Und die Grünen sind still geworden, weil sie eine Regierungsbeteiligung als nicht realistisch einstufen und sich aus den „nicht sachbezogenen Themen“ heraushalten.
Mehr als die Hälfte der Österreicher war, so eine Umfrage Mitte Oktober, für eine Neuwahl, wenn bis zum 1. Jänner 2000 keine Regierung gebildet werden kann. Wobei allerdings bisher kaum von durch den gelaufenen Wahlkampf geleerten Parteikassen die Rede ist und die Kosten für einen neuerlichen wohl nur durch „Sonderbudgets“ aus öffentlicher (des Steuerzahlers) Hand zu decken wären. Das wollten die WählerInnen mit ihrer Entscheidung vom 3. Oktober sicherlich nicht.
„Herz Bube“ und „Pic Bube“ pokern — der „Joker“ FPÖ wartet ab und versucht sein Image im Ausland zu retten. Und den WählerInnen bleibt im Moment nichts anderes übrig als zuzuwarten — und zu beweisen, daß Österreich ein demokratischer Staat ist, in dem — hoffentlich bald — wieder alle ruhig schlafen können.