Nie wieder Radetzkymarsch?
Mittelfristig soll
ein rein europäisches Sicherheitssystem entwickelt werden. Das hat Österreich akzeptiert. Wird die wegen
schwacher Dotierung des Verteidigungsbudgets veraltete Ausrüstung nun dem europäischen Standard angepaßt?
Welchen Platz wird dann unser Bundesheer einnehmen? Von Wolfgang
Schrenk.
Panzer dröhnen über den Heldenplatz. Kompanien marschieren, Hubschrauber zerschneiden knatternd die Luft.
Rundum steht staunendes Publikum.
Nationalfeiertag 1999, unser Bundesheer auf Public-Relation-Tour. Alles, was gut, neu und teuer ist, wird hergezeigt.
Gott sei Dank ist bei den vielen Zuschauern nicht mehr allzuviel Raum auf dem geschichtsträchtigen Platz.
Denn wirklich viel Neues und Bestaunenswertes hat das Heer nicht zu bieten. Der Großteil der Ausrüstung
ist überaltert, manches davon, wie etwa die Flugzeuge, könnten eher bei einer Veteranenparade teilnehmen
als an einer zeitgemäßen Leistungsschau. Die Saab 105, ein Düsenflugzeug, das bereits in den 50er
Jahren konzipiert wurde, taugt eigentlich nur mehr zur Lachnummer und auch Österreichs modernster Jagdflieger,
die Saab Draken, ist bei allen hochtechnisierten Armeen der Welt längst ausgemustert. Die Pilatus Porter,
das einzige Transportflugzeug des Bundesheeres, hat beim Kososvoeinsatz nur Kopfschütteln und Verwunderung
bei den übrigen teilnehmenden Streitkräften ausgelöst. Eine uralte Propellermaschine, die den Weg
von Wien nach Tirana nicht einmal ohne Zwischenstop schafft und für den Weg eine halbe Ewigkeit braucht, hatte
man bei der Armee eines EU-Mitgliedslandes nicht erwartet. Entsprechend verschämt versuchte man dann auch,
dieses Relikt am Flughafen eher zu verstecken.
Auch am Hubschraubersektor ist der gegenwärtige Zustand eher traurig. Die alten Bell-Typen unseres Heeres
sind ganz nette Übungsgeräte, aber Einsatzwert haben sie praktisch keinen mehr. Beim großen Lawinenunglück
in Galtür im vergangenen Winter, bei dem Tausende eingeschlossene Touristen ausgeflogen werden mußten,
war man auf die Hilfe amerikanischer und deutscher Hubschrauberstaffeln angewiesen.
Rückstand durch jahrzehntelange Sparpolitik
Schuld daran ist aber nicht unbedingt die Einkaufspolitik des Heeres, sondern
die eher schwache Dotierung des Verteidigungsbudgets: 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), rund zwanzig
Milliarden Schilling (~ 1,45 Mrd. Euro) gibt unser Land für das Bundesheer aus. Im europäischen Vergleich
sind wir damit unter den Schlußlichtern zu finden. Der EU-Durchschnitt beträgt zirka 1,5 Prozent, das
heißt, wir müßten etwa 18 Milliarden Schilling (~ 1,31 Mrd. Euro) zusätzlich für die
Verteidigung aufwenden, um im europäischen Schnitt zu bleiben.
Abschaffung der Wehrpflicht steht bevor
Um aber den Rückstand, der durch die jahrzehntelange Sparpolitik entstanden
ist, aufzuholen, bräuchte der Verteidigungsminister noch einige Milliarden im Jahr mehr. Politisch ist das
nur schwer bis gar nicht zu rechtfertigen. Besonders dann nicht, wenn eigentlich niemand im Land so genau weiß,
wie es sicherheitspoltisch weitergehen soll.
Im Wahlkampf ist erstmals auch öffentlich von SPÖ und ÖVP von einer Abschaffung der Wehrpflicht
gesprochen worden. Kanzler Klima hat sich sogar live im Fernsehen zu einer Festlegung auf ein Berufsheer hinreißen
lassen. Bis zum Jahr 2001 wird kein österreichischer junger Mann mehr zum Bundesheer einrücken müssen,
Soldat sein wird bis dahin ein Job wie viele andere. Lange hat's gebraucht, bis sich erstmals ein sozialdemokratischer
Kanzler zu dieser Idee bekannt hat, zu tief sind die Erfahrungen aus dem Bürgerkriegsjahr 1934 in den roten
Knochen gesteckt.
Einbindung in europäisches Sicherheitssystem
Heutzutage läuft die Sicherheitsdiskussion aber anders. Egal ob nun unter
dem Mantel der Neutralität, der Einbindung in ein europäisches Sicherheitssystem oder ein NATO-Beitritt:
Ein kleines, gut ausgerüstetes Berufsheer wird den zukünftigen Anforderungen auf jeden Fall besser gewachsen
sein als ein schwerfälliges, veraltetes und schlecht ausgerüstetes Milizheer.
Eine politische Entscheidung über ein zukünftiges Sicherheitssystem wird noch eine Weile dauern. Nicht
nur, daß es zur Zeit ohnehin keine entscheidungsfähige Regierung gibt, die die Weichen in die Sicherheits-Zukunft
stellen könnte, sind auch die Vorstellungen und Interessen der Parteien sehr unterschiedlich.
Die SPÖ hält — zumindest verbal — unbedingt an der Neutralität fest. Mit ihr tun das auch rund zwei
Drittel der Bevölkerung. Die Volkspartei, noch vor kurzem klar und deutlich pro Nato, hat im Zuge des Nationalratswahlkampfes
ein bißchen leisere Töne angeschlagen. Jetzt ist man eher für ein europäisches Sicherheitssystem
unter Einbindung der NATO, in dem sich auch Österreich integrieren sollte. Die Freiheitlichen sind ebenfalls
Anhänger eines Pro-NATO-Kurses, allerdings wollen sie die Neutralitätsfrage erst einer Volksabstimmung
unterziehen. Die Grünen vertreten schon lange die Idee eines Berufsheeres, das ausrüstungs- und ausbildungsmäßig
eher für den Katastrophenschutz und für humanitäre Einsätze geeignet sein sollte.
Militärischer Alleingang im Bündnis ist sinnlos
Worüber sich EU-Politiker allerdings einig sind, ist die Tatsache, daß
in einem Bündnis, wie es die Europäische Union darstellt, ein militärischer Alleingang sinnlos ist.
In den Verträgen von Amsterdam, die auch der Österreichische Bundeskanzler unterzeichnet hat, wurden
auf jeden Fall die Weichen für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur gestellt. Österreich hat es dabei
in Zusammenarbeit mit anderen Neutralen wie Schweden und Finnland geschafft, daß in diesem Abkommen der Status
der Neutralen akzeptiert wird. Klarerweise wird eine Union, die wirtschaftlich, politisch und währungsmäßig
zusammenwächst, auch die Verteidigung und äußere Sicherheit nicht mehr Sache der einzelnen Nationen
bleiben.
In den ersten grundsätzlichen Plänen wird von einer europäischen Sicherheitsarchitektur unter Einbindung
der NATO gesprochen, aus der sich mittelfristig ein rein europäisches Sicherheitssystem entwickeln soll. Bei
der Unterzeichnung wurde das auch von Österreich akzeptiert, allerdings unter dem obengenannten Neutralitätsvorbehalt.
Das würde bedeuten, daß zumindest Teile unseres Heeres in einer zukünftigen Euro-Armee aufgehen
werden, daß Aufgaben wie etwa die Luftraumsicherung im Verbund und nicht mehr von jeder Nation in Eigenregie
durchgeführt werden. Logistisch würde das natürlich ungeahnte Vorteile bringen, jedes Heer könnte
seine Stärken einbringen, eine Zersplitterung der Verteidigungsbudgets auf alle Waffengattungen würde
sich erübrigen.
Am Beispiel Österreich: Wäre Luftraumsicherung schon EU-Aufgabe, müßte sich bei uns niemand
mehr den Kopf darüber zerbrechen, ob, wann und mit welchen Kosten unsere überalterten Jagdflugzeuge ersetzt
werden.
Bundesheer als „peace keeper“ unbestritten
Österreich hat sich in den Amsterdamer Verträgen seinen Neutralitätsstatus
festschreiben lassen. Das bedeutet, daß unser Land bereit ist, in einem zukünftigen europäischen
Sicherheitssystem mitzuarbeiten, aber daß wir die Stationierung von Atomwaffen auf unserem Territorium nicht
zulassen werden, daß unser Heer an der Verteidigung und an friedenssichernden Maßnahmen teilnehmen
wird, daß wir uns aber bei friedenschaffenden Aktionen, wie etwa der der NATO im Kosovo, raushalten werden.
Die Fähigkeiten des Bundesheeres in Sachen peace-keeping sind — siehe Zypern oder Golan — auch seit Jahrzehnten
unbestritten, hier liegen auch die Stärken eines kleinen neutralen Landes.
Ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem wird auf jeden Fall kommen. Soll die Union wirklich zusammenwachsen,
soll ein großes, gemeinsames Europa Wirklichkeit werden, kann man vor der Sicherheit nicht halt machen. 15
verschiedene Armeen mit verschiedenen Kommandostrukturen, mit unterschiedlicher Ausrüstung und uneinheitlicher
Ausbildung machen keinen Sinn. In einem gemeinsamen Europa geht es um eine vernünftige Aufgabenteilung, um
eine Ausnützung aller vorhandenen Ressourcen, darum, daß jeder das macht, was er am besten kann. Ein
gesamteuropäisches Heer könnte auch das alte Schreckgespenst der nationalen Kriege, die jahrhundertelang
die Geißel Europas waren und Millionen Menschen das Leben gekostet haben, endgültig vom Kontinent verbannen.
Schon alleine diese Vision ist es wert, mit aller Kraft an einer vernünftigen sicherheitspolitischen Zukunft
für Österreich zu arbeiten. |