Das wirtschaftliche Sprungbrett zum Osten

Als Osten und Westen Europas noch durch ideologische Grundsätze getrennt waren, galt Österreich nicht nur als wirtschaftliche Schaltstelle zwischen den beiden Lagern. Zehn Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs festigt unser Land diese Position mehr denn je. Von Walter Senk.


Unmittelbar an der österreichischen Grenze eröffnen sich expansionsinteressierten Unternehmen „neue“ interessante Staaten. Wenn auch in den Anfängen einer wirtschaftlichen Entwicklung, so nimmt doch die Kaufkraft der Reformländer regelmäßig zu. Auch deren Interesse an jetzt westlichen Produkten ist mit der Öffnung und mit der Verbesserung der Lebensqualität merklich gestiegen. Neben der EU ist Osteuropa der zweitwichtigste Handelspartner Österreichs. Was auf Grund der Vergangenheit wenig verwundert. Denn lange noch, bevor andere europäische Staaten ihre „unternehmerischen Füße“ auf osteuropäisches Terrain setzten, hatte Österreich schon regelmäßige Handelsbeziehungen mit seinen östlichen Nachbarn. Durch diese jahrzehntelangen Handelsbeziehungen hat das Land eine Spitzenposition im Bezug auf Osteuropa eingenommen, die für alle Unternehmen Vorteile und Synergien bringt. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union hat sich unser Land eine solide Basis für ganz Europa geschaffen. Seit dem 31. Dezember 1998 ist Österreichs Attraktivität wieder um ein gutes Stück größer geworden: Der Euro hat seinen Siegeszug angetreten und innerhalb der nächsten drei Jahre werden elf europäische Staaten eine gemeinsame Währung haben. Österreich ist dabei. Finanzielle Transaktionen wird man leicht und problemlos abwickeln können und kompliziertes Umrechnen wird der Vergangenheit angehören.

Der Osten boomt
In diesem Szenario haben Wien, Niederösterreich und Burgenland einen besonderen Stellenwert als Unternehmensstandorte erlangt. Theodor Krendelsberger, Geschäftsführer der niederösterreichischen Betriebsansiedelungsgesellschaft Eco Plus, weiß: „Das gesamte Gebiet bietet sich für internationale Unternehmen als idealer Standort in Mitteleuropa.“ Wenn auch die Geschäftsfelder vorrangig im Osten gesucht werden, so siedeln doch viele Firmen ihre Zentralen in Österreich an. Bei einer repräsentativen Umfrage stellte sich heraus, daß 50 Prozent der befragten Multis (österreichische Firmen ausgenommen) über ein regionales Hauptquartier für Osteuropa verfügen, 77 Prozent davon haben diese Headquarters in Wien angesiedelt. Als Gründe für die Standortwahl gelten die geographisch zentrale Lage (37,9 Prozent) mit ausbaufähiger Verkehrsanbindung an Osteuropa sowie die guten Umfeldbedingungen (24,1 Prozent) wie relativ unbürokratische Genehmigung von Betriebsansiedelungen, stabile politische Situation, sozialer Friede und gut ausgebildetes Fachpersonal. Coca-Cola, McDonald´s, Eli Lilly oder Oracle sind nur einige, die Wien als Zentrale für ihre Aktivitäten im Zentral- und Osteuropäischen Raum gewählt haben.

Karl Petrikovics, Vorstand der Immofinanz, Österreichs größtem Immobilienfonds, dazu: „Internationale Firmen sehen Österreich viel stärker ostorientiert, als wir das tun.“ Doch nicht nur aus dem Westen kommt die Nachfrage, sondern mittlerweile auch auch aus dem Osten selbst; weit überzogene Preise, schlechte Infrastruktur, mangelnde Ausstattung und eine gewisse Rechtsunsicherheit lassen so manches Unternehmen reumütig aus dem Osten zurückkehren. Karl Petrikovics: „Die Firmen ziehen sich aus dem Osten wieder zurück, und siedeln sich in Wien an. Internationale Unternehmen stellen Ansprüche, und die wollen befriedigt werden.“ Im Windschatten der Unternehmen tauchen auch nationale und internationale Immobilieninvestoren auf, die den Markt zusätzlich beleben. Vor allem deutsche aber auch internationale Immobilienfonds suchen, genauso wie inländische Stiftungen, nach geeigneten Objekten. Allein in Wien wurden 1998 mehr als 6 Mrd. Schilling (436 Mio. E) in Gewerbeimmobilien veranlagt.

Manche kommen wieder nach Österreich zurück
Der „Trend nach Österreich“ zeigt sich besonders an den zur Zeit von nationalen und internationalen Konzernen nachgefragten Büroflächen — speziell in Wien. In den nächsten zwei Jahren werden 440.000 Quadratmeter Bürofläche auf dem österreichischen Markt neu entstehen. Alleine 400.000 davon in der Bundeshauptstadt. Doch sogar diese Kapazität an Büroflächen wird nicht ausreichen. Vor allem die Nachfrage von Telekommunikations-, EDV- und Software-Unternehmen ist für diesen gewaltigen Boom verantwortlich. Die Leerstandsrate im Bürobereich sank Ende 1998 auf 3,5 Prozent. Der Großteil davon, also zirka 75 Prozent, entfällt auf Altbauten beziehungsweise Gebäude aus den 60er und 70er Jahren, die aufgrund der mangelnden technischen Ausstattung mit der Entwicklung nicht mehr Schritt halten. Um weiterhin Unternehmen in die Bundeshauptstadt zu locken, setzt Wien auf seinen WWFF (Wiener Wirtschaftsförderungsfonds). Seit seiner Gründung im Jahre 1982 hat der WWFF mehr als 790 Betriebe an- oder umgesiedelt und damit ein — von privaten Investoren getätigtes — Investitionsvolumen von mehr als 34,8 Milliarden Schilling (2,53 Mrd. E) induziert.

Niederösterreich für alle Unternehmen interessant
Niederösterreich weist in den letzten zehn Jahren einen Zuwachs von mehr als 40 Prozent bei den Betrieben auf, während der Bundesdurchschnitt bei 30 Prozent liegt. Dazu Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll: „Das Land hat durch den Aufbau von Industrie- und Gewerbeparks für alle Unternehmen, die sich ansiedeln wollen, interessante Angebote.“ Sei es die „Civitas Nova“, die alle bisherigen Grenzen sprengt, sei es der „Walter Business-Park“, eine der wenigen Privatinitiativen, oder die landeseigene Ansiedelungsgesellschaft „Eco-Plus“: Die Daten und Pläne der einzelnen Wirtschaftsparks lassen keinen Zweifel aufkommen, daß ihr Ziel und das der Region Expansion heißt.

Im „Walter Business Park“, zum Beispiel, sind insgesamt neun Baustufen mit beinahe 98.000 m2 Fläche vorgesehen. Außerdem ist für die angesiedelten Unternehmen die Expansion und Flächenerweiterung am Standort möglich. Dafür stehen über 200.000 m2 Eigengrund im Industriezentrum Niederösterreich Süd zur Verfügung. Viele renommierte Unternehmen — die meisten mit internationalem Hintergrund — haben sich hier bereits eingemietet.

„Civitas Nova“ soll ein funktionierender Stadtteil im Norden von Wiener Neustadt werden, in dem die verschiedenen Nutzungsstrukturen miteinander verbunden werden. In vier Bauphasen soll bis 2001 eine Gesamtfläche von 750.300 m2 entstehen.

Burgenland hat alle Möglichkeiten genutzt
Unsere Burgenländer waren bei der EU Abstimmung die europäischsten Europäer. Sie wußten auch warum. Als „EU Ziel 1 Gebiet“ ist das Burgenland für Investoren besonders attraktiv. Mit der Verlängerung der Ziel-1 Förderung um eine weitere Periode bis zum Jahr 2006 ist der burgenländischen Landesregierung ein Jahrhundertcoup gelungen. Landeshauptmann Karl Stix: „Wir haben die erste Ziel-1-Periode dazu genutzt, um hochwertige Rahmenbedingungen für Investoren zu schaffen. Von der Basisinfrastruktur über Industrie- und Gewerbeparks bis hin zu Technologiezentren.“ Unser jüngstes Bundesland kann derzeit das schnellste Wirtschaftswachstum in Österreich verzeichnen. Es wurde nicht nur als Standort für Österreichs erstes „Factory Outlet Center“ auserkoren, sondern auch als Industrie- und Gewerbestandort. Moderate Grundstückspreise kombiniert mit einer idealen Anbindung an die ehemaligen Ostblockländer lassen internationale Firmen mit großem Interesse ins Burgenland schauen.

Speziell in der unmittelbaren Umgebung von Eisenstadt haben sich in den letzten eineinhalb Jahren vermehrt internationale und nationale Firmen angesiedelt. In nur zwei Jahren nach der Eröffnung des auf über 16.000 m2 Bruttogeschoßfläche neu geschaffenen „Technologiezentrums Eisenstadt" haben dort rund 600 Menschen qualifizierte Arbeitsplätze gefunden. Vor allem 15 eingemietete Jungunternehmer bestätigen das Funktionieren der Gründerfunktion, die eine der Maximen der Betriebsansiedlungsgesellschaften ist. EDV-technisch ist man in Eisenstadt auf absolut letztem Stand: Als erstes TZ Österreichs war es mit CAT 6 EDV-Verkabelung und Lichtwellenleiter für die Datenübertragung ausgerüstet. Mittlerweile sind rund 100 km dieses Hochleistungskabels im Gebäude verlegt.

Entlang der Mattersburger und der Ruster Straße werden in einer Art Dominoeffekt Grundstücke kontinuierlich aufgeschlossen und bebaut. Dieses Bild bietet sich im gesamten Burgenland: seien es der „Gewerbepark Marz“, die Wirtschaftsparks in Pöttelsdorf, Parndorf in Kittsee oder der grenzüberschreitende „Businesspark Heiligenkreuz-Szentgotthard“.

Die EU-Osterweiterung sollte die Standortattraktivität noch erhöhen. Dir. Josef Heissenberger: „Auch bei einer EU-Osterweiterung steht der Wirtschaftsstandort Ostösterreich weiter in einer optimal strategischen Position.“ Ostösterreich wird dann im Zentrum einer der größten Wachstumsregionen im weltweit größten Binnenmarkt liegen und hat, dank seiner strategischen Lage zu den ehemaligen Reformstaaten, alle Trümpfe in der Hand. Karl Petrikovics dazu: „Wenn man mit deutschen Fonds-Managern spricht, bekommt man vorgerechnet, welche Chancen wir in Ostösterreich haben. Die sehen die Situation hier ganz rational.“ Schon seit dem Fall des Eisernen Vorhanges hat sich der österreichische Osthandel äußerst dynamisch entwickelt. Von allen EU-Staaten hat Österreich bisher den höchsten Anteil am Außenhandel der EU-Beitrittskandidaten. Wie das Wirtschaftsforschungsinstitut in einer Studie feststellte, haben sich die heimischen Exporte nach Mittel- und Osteuropa in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht. Durch die Öffnung wurden netto 57.300 Arbeitsplätze in Österreich geschaffen, von denen der Osten des Landes den größten Teil zu verbuchen hat. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) nahm zusätzlich um 3,3 Prozent zu, die Leistungsbilanz verbesserte sich um 0,7 Prozent des BIP.