Neue Methode zur Rettung alter Zeitungen und Bücher

Eine in Wien von Henkel CEE und Nationalbibliothek entwickelte Methode, die zudem anderen Verfahren ökologisch überlegen ist, wird weltweit Zeitungen und Papier aus dem letzten Jahrhundert für die Leser des neuen Jahrtausends erhalten.


Literatur, Gesetzestexte, wissenschaftliche und technische Informationen — diese Liste menschlichen Kulturguts ließe sich beliebig fortsetzen. Seit Jahrtausenden wird Kulturgut in Schriftform tradiert. Schon vor Jahren schlugen Bibliotheken und Archive Alarm: Ein Großteil der Bestände an Büchern und Zeitungen ist vom Zerfall nicht alterungsbeständiger Papiere bedroht. Schätzungen besagen, daß auf lange Sicht 30 bis 40 Prozent des Schriftguts gefährdet sind. Etwa 25 Prozent der Bücher sind bereits so brüchig, daß man sie nicht mehr ohne weiteres benutzen kann.
Mit technologischer und finanzieller Unterstützung von Henkel gelang es nun, ein Verfahren, das vom Institut für Restaurierung an der Österreichischen Nationalbibliothek entwickelt wurde, als erfolgreiche Gegenmaßnahme zur natürlichen Alterung von Zeitungsbänden zu optimieren.
Die Österreichische Nationalbibliothek ist nach dem Ende des 1. Weltkriegs aus der k.u.k. Hofbibliothek hervorgegangen. Mit etwa 6,5 Millionen Druckschriften und anderen Sammlungsobjekten ist die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) die größte Bibliothek Österreichs. Ihren internationalen Rang verdankt sie auch den neun Spezialsammlungen, darunter die einzigartige Papyrussammlung, die Handschriften-, Karten- und Musiksammlung.

Der Säureangriff
Die Gründe für Alterung und Zerstörung von Papier sind vielfältig. Das Spektrum reicht von ungünstigen Umweltbedingungen wie Raumklima und Luftverschmutzung bis hin zum Befall von Mikroorganismen.
Doch das größte Problem für Bibliothekare, Archivare und Restauratoren entstand durch die industrielle Produktion von Papier. Seither wird Papier in „saurem Milieu“ gefertigt. Die Restsäure im Papier zerstört die Bindungen der Zellulose (Grundstoff des Papiers). Das Papier vergilbt und wird brüchig.
Dabei hatte alles so gut begonnen. Im Jahre 105 nach Christus erfand, nach landläufiger Ansicht, der Chinese Tsai Lun das Papier. Und diesem handgeschöpften Papier aus Fasern und Bindemittel kann man kaum echte Altersschwäche attestieren. Die Erfindung der Papiermaschine Ende des 18. Jahrhunderts revolutionierte die traditionelle Handwerkskunst. Doch erst mit der Erfindung des Holzschliffs durch Gottlob Friedrich Keller im Jahre 1844 und der Harzleimung, im sauren Milieu begann der „saure Fluch“.
Ursprünglich wurde Papier aus Hadern mit hohem Zelluloseanteil hergestellt. Aus alten Lumpen wurden die langen, beständigen Fasern gewonnen. Papier guter Qualität entsteht, wenn die Fasern sehr unregelmäßig im Blatt verflochten sind und einander vielfach überkreuzen.
Die Fasern des Holzschliffs sind kürzer und ihr Anteil ist wesentlich geringer. Ein hoher Ligningehalt, Schwermetallverbindungen und Harze beeinflussen die Beständigkeit des Papiers zusätzlich negativ.
Das größte Problem ist jedoch die Leimung des Papiers im sauren Milieu auf Harz-Aluminiumsulfatbasis. Durch die produktionsbedingte Überdosierung des Aluminiumsulfats verbleibt ein Restgehalt im Papier. In Gegenwart von Wasser reagiert Aluminiumsulfat zu Aluminiumhydroxid und Schwefelsäure. Und eben diese Säure spaltet die Celluloseketten in immer kürzere Bruchstücke. Das folgenschwere Ergebnis: Papier wird brüchig.
Eine neue Rohstoffquelle — Holz — und die industrielle saure Leimung des Papiers sind daher maßgeblich verantwortlich für die verkürzte Lebensdauer insbesondere von Zeitungspapier.
Dieses Problem des Papierabbaus unter dem Einfluß saurer Verbindungen ist seit etwa hundert Jahren bekannt. Es wurde daher schon früh eine Reihe von Entsäuerungsverfahren entwickelt mit dem Ziel, die negativen Auswirkungen des erhöhten Säuregrades im Papier zu verringern. Und gerade Zeitungspapier stellt für die konservatorische Behandlung einen Extremfall dar, denn es ist charakterisiert durch seinen hohen Holzschliffanteil und Ligningehalt.

Die Wiener Methode
In der ÖNB sah man natürlich nicht tatenlos zu, wie sich Kulturgut unwiederbringlich selbst zerstörte. Man entwickelte die sogenannte Wiener Methode, ein Verfahren zur Massenentsäuerung von Papier. Die Entsäuerung einzelner Papierseiten war bereits bekannt, doch beherbergt die ÖNB immerhin mehrere Kilometer archivierter Zeitungen. Es mußte also ein Verfahren gefunden werden, mit dem man größere Mengen gleichzeitig entsäuern kann.
Dieses Verfahren ist heute als „Wiener Methode“ in Fachkreisen weltbekannt. Es basiert auf einer Tränkung des Papiers im wässerigen Medium. Dabei wird das Papier gleichzeitig neutralisiert und gefestigt. Entscheidend ist, daß ganze Buch- und Zeitungsblöcke nach der Entfernung der Einbanddecken behandelt werden können. Dazu benötigt man eine Tränklösung mit gutem Penetrationsvermögen, das heißt eine Lösung, die möglichst effektiv den gesamten Block durchsetzt.
Im Gegensatz zu anderen Verfahren der Massenentsäuerung arbeitet man in Wien mit wässerigen Lösungen. Der Vorteil gegenüber der Behandlung mit Gasen ist der ungefährlichere Umgang mit den Geräten. Außerdem sind die eingesetzten Lösungen umweltgerechter. Ein weiteres Plus der Wiener Methode: Die Papiere werden mit der Behandlung auch noch gereinigt.

Die verbesserte Methode ist ökologisch überlegen
Henkel hat als ökonomisch und ökologisch führendes Unternehmen für angewandte Chemie ein Forschungsprojekt der ÖNB gefördert, welches half, die Wiener Methode zu optimieren. Dabei standen vor allem die Wasch- und Tränkchemikalien auf dem Prüfstand. Aber auch neue und alternative Verfahrenswege waren Forschungsgegenstand. Henkel und die Nationalbibliothek beauftragten die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt in Wien mit den notwendigen Versuchsreihen.
Dabei konnte ein wichtiger Fortschritt beim Puffer zur Neutralisation erzielt werden. Der bis dahin verwendete Calciumhydroxid-Puffer wurde gegen den effektiveren Borat-Puffer ausgetauscht.
Auch die Testreihe mit verschiedenen Methylcellulosen und anderen Festigern brachte interessante und zufriedenstellende Ergebnisse. So konnte die Papierfestigkeit eindeutig stabilisiert werden.
Hoffnung hatten die Forscher vor allem bei den Testreihen mit Tensiden. Tenside senken die Oberflächenspannung des Wassers, und man überlegte, ob dies nicht ein Weg sein könne, das Penetrationsverhalten der Tränkungslösung zu verbessern. Doch zeigten die Versuche, daß Tenside in diesem Bereich keine nennenswerten Verbesserungen bringen.
Die Ergebnisse der verschiedenen Versuchsreihen wurden in künstlichen Alterungsversuchen bestätigt. Diese zeigten, daß die massenentsäuerten Buch- und Zeitungsblöcke haltbarer sind und widerstandsfähiger gegen klimatische Einflüsse.
Die restaurierten Papiere müssen aber nicht nur haltbarer werden, sie dürfen auch nach der Behandlung keine umwelt- oder gesundheitsgefährdenden Spuren hinterlassen. Die für die Wiener Methode verwendeten Tränklösungen und Zusätze müssen nicht eigens entsorgt werden. Es entstehen keine giftigen Dämpfe, die den Benutzer restaurierter Bücher oder Zeitungen gefährden könnten. Die Wiener Methode verzichtet auf organische Lösungsmittel und chlorhaltige Chemikalien, wie sie häufig bei anderen Entsäuerungsverfahren eingesetzt werden.
Die modifizierte Wiener Methode ist neben ihrer eher kostengünstigen Verfahrensweise auch energiesparend, ressourcenschonend und völlig umweltgerecht.
Heute kann gesagt werden, daß es mit der Unterstützung von Henkel und der jahrelangen Anstrengung der Mitarbeiter des Institutes für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek gelungen ist, eine Verbesserte Wiener Methode zu entwickeln. Diese ist durchaus allen anderen weltweit eingesetzten Verfahren ebenbürtig und vor allem ökologisch — durch die in diesem Bericht aufgezeigten Forschungsergebnisse — anderen Technologien voraus.

Geschenk an die Museen der Welt
Dieses optimierte Verfahren werden Henkel und die Nationalbibliothek rechtlich nicht schützen lassen, sondern der Welt zur Verfügung stellen. Der erste und beispielhafte Schritt wurde bereits vor einiger Zeit getan: Die Beschreibung des Verfahrens ist über das Internet und unter der Adresse „www.wiener-methode.at“ weltweit frei zugänglich. Es ist ein gemeinsames Geschenk von Henkel und der ÖNB an die Museen der Welt, das einen wesentlichen Beitrag zur Rettung von bedrohtem nationalen und internationalen Kulturgut von Weltrang leisten wird.

Informationen:
Henkel Central Eastern Europe
A-1030 Wien, Erdbergstraße 29
Telefon ++43 / 1 / 71104-0
Telefax ++43 / 1 / 71104-2523
http://www.henkel-cee.com