Khol: Die Geschichte nicht als Keule instumentalisieren  

erstellt am
12. 02. 04

Rede beim Symposion zu den Ereignissen des Februar 1934
Wien (pk) - Zu einem, wie er sagte "bedeutungsvollen", Symposion über die Ereignisse des Februar 1934 konnte am Donnerstag (12. 02.) Nationalratspräsident Andreas Khol zahlreiche Gäste im überfüllten Budgetsaal des Parlaments begrüßen. Programmerstellung und Referentenauswahl seien vom Verein für die Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung und vom Karl Vogelsang-Institut zur Erforschung der Geschichte der Christdemokratie erstellt worden, sagte Khol bei seiner Begrüßungsrede.

Vor 70 Jahren seien sich Österreicher mit der Waffe in der Hand gegenüber gestanden, sagte Khol. Es habe Tote und Verwundungen gegeben - Verwundungen, die bis heute nicht ausgeheilt seien. Der Nationalratspräsident ging dann auf die "Gedenkgeschichte" des Februar 1924 ein, beginnend mit dem Jahr 1964, als der damalige Bundeskanzler Alfons Gorbach und Vizekanzler Bruno Pittermann gemeinsam Kränze an den Gräbern der Opfer des Bürgerkriegs niederlegten. "Damit begann erstmals auch die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse", führte Khol aus. Bis dorthin habe nämlich das Wort Friedrich Heers von der "Verdrängungsgemeinschaft Österreich" gegolten. Erst 1966 sei an der Universität Wien das Institut für Zeitgeschichte gegründet worden. 1972 wurde die wissenschaftliche Kommission des Theodor Körner-Stiftungsfonds und des Leopold Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 gegründet.

"Das war die erste wissenschaftliche Brücke", sagte Khol, auf der 1974 ein Symposion veranstaltet wurde, das wertvolle Fakten und Meinungen, aber keinen Konsens in der Beurteilung der Dinge brachte. Man habe damals das Scheitern der Kommission durch die Umfunktionierung in einen "Untersuchungsausschuss" befürchtet, um "über die Vergangenheit zu Gericht zu sitzen". 1984 habe es zahlreiche Veranstaltungen, aber keine gemeinsame Veranstaltung mehr gegeben. Danach habe sich der Brennpunkt des zeitgeschichtlichen Interesses auf die Jahre der nationalsozialistischen Verbrecherherrschaft verschoben.

Wie sensibel das Thema Februar 1934 sei, sei ihm, Khol, so richtig bewusst geworden, als er die sehr unterschiedlichen Reaktionen auf die Präsentation eines Buches von Gottfried Karl Kindermann mit dem Titel "Österreich gegen Hitler" überdachte.

Ursachenforschung, nicht Schuldigensuche, sei heute die Aufgabe, sagte der Nationalratspräsident weiter. Wenige Ereignisse der Geschichte Österreichs seien heute so lebendig wie das Trauma des Jahres 1934. "Geprägt vom Bürgerkrieg, dem Putsch der Nationalsozialisten gegen den autoritären Ständestaat in Österreich, der mit dem Tod des damaligen Bundeskanzlers Dollfuß endete - die Erinnerung daran ist heute noch so lebendig, lebendiger als die so genannte Selbstausschaltung des Parlaments, also die gewaltsame Beendigung der Demokratie in Österreich durch die Regierung Dollfuß", sagte Khol.

Khol erinnerte dann an den Regierungswechsel des Jahres 2000. Die Versuchung sei damals groß gewesen, die Analogie zur Zwischenkriegszeit zu ziehen, als zeitweise der so genannte Bürgerblock regierte. Manche seien dieser Versuchung erlegen, auch in Zwischenrufen im Parlament, sagte Khol. Damals habe letztlich die Vernunft gesiegt, was in der Umgestaltung einer Veranstaltung der Wiener Arbeitkammer sichtbar geworden sei.

Das Symposion diene nicht der Klärung der Schuldfrage und der Schuldzuweisung, betonte Präsident Khol. "Wir wollen nicht erneut die These von der geteilten Schuld vertiefen. Wir wollen auch nicht die Frage erneut aufwerfen, warum 1932 der Bürgerblock mit den Deutschnationalen zerbrach, die große Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten nicht zu Stande kam, warum Dollfuß die Heimwehr in seine Regierung aufnahm. Wir wollen auch nicht analysieren, wer angefangen hat - der, der zur Waffe gegriffen hat oder der, der die Demokratie durch eine autoritäre, undemokratische Herrschaft ablöste. Die heiklen Fragen der Notwehr, des Widerstandsrechts, retrospektiv analysiert, führen uns nicht weit. Vor allem wird dadurch weder das Trauma beseitigt noch die Bitterkeit gemildert. Es ist meine feste Überzeugung: Die Frage der Schuld ist heute nicht mehr wirklich zu klären. Die Fakten stehen außer Streit - aber sind es alle? Die mangelnde Bereitschaft der Parteien zur Zusammenarbeit, angesichts der Bedrohung durch den Nationalsozialismus, der eklatante Verfassungsbruch, die Beseitigung der Demokratie, die Ausschaltung des Parlaments, das autoritäre Regime, der Griff zum Maschinengewehr, die Antwort der Kanonen, die Toten in allen Lagern, die Todesurteile, die Justifizierungen, die Justizmorde, der Hass auf beiden Seiten, die radikale Sprache - und das schon lange vor dem Bürgerkrieg, das Scheitern der Konsenssuche in letzter Minute im Kampf gegen den Nationalsozialismus - das wissen wir, da wissen wir vieles. Aber welche Tat bedingte die nächste? Was wusste man von einander? Was waren die Motive? Warum funktionierte die Kommunikation so schlecht? Schuld bedingt immer Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Wer kennt heute schon alle Vorsätze der letztlich Handelnden?"

Um die endgültige Klärung könne es - zumindest in seiner Analyse - nicht gehen, sagte Khol abschließend. Auch nicht darum, die Geschichte als Keule für den politischen Konkurrenten zu verwenden, Schuldige zu brandmarken, damit Politik hier und heute zu machen. Es gehe viel mehr um die Zukunft und um die Gegenwart: "Können wir aus dem Handeln unserer Väter- und Großvätergeneration, aus den Taten in den letzten Jahren der Zwischenkriegszeit lernen oder gilt der kulturpessimistische Satz von Ingeborg Bachmann: Die Geschichte lehrt ununterbrochen, aber sie findet keine Schüler?"

Das Symposion diene dem Lernen aus der Geschichte zur Gestaltung der Zukunft, betonte Präsident Khol. Diese Zukunftsarbeit solle unter dem Motto stehen "Niemals wieder!" und "Immer miteinander reden!". Jede neue Generation erarbeite sich ihre Geschichte, daher werde es keine "abschließende Fassung der Lehren der Geschichte" geben. Der Zweck des Symposions sei erfüllt, wenn es den Anstoß zu einer erneuerten wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit den Ursachen für das Scheitern der I. Republik und damit Entscheidungshilfe für die gemeinsame demokratische Zukunft gebe.
     
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