BA-CA Studie: EU-Erweiterung bringt tiefgreifenden Strukturwandel in Zentral- und Osteuropa  

erstellt am
23. 06. 04

Strukturwandel sorgt für deutliche Verschiebungen in der Beschäftigung – Verschärfte Konkurrenz in außenhandelsabhängigen Branchen
Wien (ba-ca) - Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der "alten" EU-15 wird in den nächsten zehn Jahren dank der EU-Erweiterung kumuliert um rund ein halbes Prozent höher sein als ohne Erweiterung. Die neuen EU-Länder profitieren stärker und dürften mittelfristig um rund zwei Prozentpunkte pro Jahr schneller wachsen als die EU-15. Hauptquelle des schnellen Wachstums ist die verbesserte Möglichkeit des Transfers von Know-how, Management und Kapital aus der "alten" EU.

Durch die Erweiterung wird sich der Strukturwandel in Zentral- und Osteuropa, aber auch in der "alten" EU weiter beschleunigen: Traditionelle Branchen wie Landwirtschaft und die Textil- und Bekleidungsindustrie, die heute in Zentral- und Osteuropa noch überrepräsentiert sind, werden stark schrumpfen. Dafür werden Branchen, die derzeit in der EU-15 für beinahe 40 Prozent des BIP und in Zentral- und Osteuropa nur für knapp ein Viertel des BIP verantwortlich sind, deutlich rascher wachsen als das BIP insgesamt.

In der Beschäftigungsstruktur wird es dadurch zu erheblichen Verschiebungen kommen. In Summe werden etwa 10 Prozent der Gesamtbeschäftigten in Zentral- und Osteuropa von diesen Umschichtungen betroffen sein. Darüber hinaus wird sich der Konkurrenzkampf vor allem in jenen Wirtschaftszweigen verschärfen, in denen der Außenhandel eine wichtige Rolle spielt (Kfz, Elektronik).

Das sind die wichtigsten Ergebnisse, zu der die Volkswirtschaftsexperten der Bank Austria Creditanstalt (BA-CA) in ihrer jüngsten Studie mit dem Titel "CEE - Von der Transformation zur Konvergenz. Der Start in die EU" gekommen sind. Die Broschüre beschreibt die Entwicklungen in Zentral- und Osteuropa seit dem Umbruch und gibt einen Ausblick auf künftige Herausforderungen. Die Studie ist im Internet unter http://economicresearch.ba-ca.com kostenlos abrufbar.

Außenhandel versechsfacht
Das Außenhandelsvolumen der acht neuen EU-Mitglieder aus Zentral- und Osteuropa ist im Zeitraum zwischen 1990 und 2003 von 62,5 Milliarden Euro auf über 370 Milliarden Euro gestiegen und hat sich damit versechsfacht. Zugleich hat der Handel mit technologieintensiveren Güterklassen zu Lasten von eher arbeitsintensiven oder energie- und rohstoffabhängigen Waren an Bedeutung gewonnen.

Zu dieser Entwicklung haben wesentlich ausländische Direktinvestitionen beigetragen. Mit einem Bestand von insgesamt mehr als 143 Milliarden Euro per Ende 2003 sind die neuen EU-Mitglieder mittlerweile zu einer der attraktivsten Zielregion für Auslandskapital geworden. Vom Gesamtbestand stammen durchschnittlich 80 Prozent aus den Ländern der EU. Die wichtigste Empfängerbranche ist mit großem Abstand die Fahrzeugindustrie, gefolgt von der Elektronikindustrie. Im Dienstleistungssektor haben sich der Handel, der Telekommunikationsbereich und das Bankwesen für ausländische Investoren als besonders attraktiv erwiesen.

Verschärfte Konkurrenz
Die EU-Erweiterung erhöht die Handelbarkeit von Gütern und Dienstleistungen und bewirkt durch die Einführung von gemeinsamen Standards (Produktqualität, Umweltschutz) eine bessere Vergleichbarkeit der Produkte. Das ermöglicht eine weitere Erhöhung der Spezialisierung in Europa und damit eine Steigerung der gesamteuropäischen Produktivität.

Die EU-Erweiterung verschärft aber auch den Konkurrenzkampf, insbesonders in Branchen, in denen der Außenhandel eine wichtige Rolle spielt. Beispiel Fahrzeugindustrie: Tschechien überholte 2002 Spanien als Nettoexporteur von Automobilen und wies den viertgrößten europäischen Überschuss nach Deutschland, Frankreich und Belgien aus. Auch die Slowakei entwickelt sich immer mehr zu einem Automobilland.

Im Telekombereich hatte Ungarn im Jahr 2002 nach Finnland, Schweden, Großbritannien und noch vor Frankreich und Deutschland den höchsten Exportüberschuss bei Mobiltelefonen aufzuweisen. Bei Möbeln nimmt Polen gleich nach Italien Platz zwei ein, Slowenien hat eine starke Position bei Elektrogeräten.

Euroeinführung zwischen 2008 und 2010
Die Einführung des Euro im Laufe der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts wird den Austausch von Gütern und Dienstleistungen und den Kapitalfluss nochmals verstärken. Mit dem Eurobeitritt von Slowenien, zwei baltischen Staaten und möglicherweise Zypern ist bis spätestens 2008 zu rechnen. Ungarn und Polen sind aufgrund des Konsolidierungsbedarfs von ihrem ursprünglichen Ziel 2008 abgerückt und werden gemeinsam mit der Tschechischen Republik erst nach 2008 der Eurozone angehören.

Vision Lissabon
2005 ist Halbzeit für den von der EU im Jahr 2000 beschlossenen Lissabon-Prozess, der Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt machen sollte. Von diesem Ziel ist Europa noch weit entfernt. Die Bevölkerung der EU ist nach der Erweiterung zwar um nahezu 60 Prozent größer als die der USA. Das BIP der EU-25 ist allerdings nur etwa gleich groß wie das der USA (2003: EU-25: 9,8 Milliarden Euro, USA: 9,7 Milliarden Euro).

"Der wirtschaftliche und politische Erfolg der EU-Erweiterung wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, die Erweiterung als Vorteil in einer immer globaleren Welt zu begreifen", sagt Marianne Kager, Chefökonomin der BA-CA. "Die Frage ist nicht, ob die neuen EU-Mitglieder Konkurrenz für die bestehenden EU-Mitglieder darstellen, sondern ob die EU mit Hilfe der neuen Mitglieder die Konkurrenz aus Asien und USA schlagen kann", so Kager.
     
zurück