Schüssel zur EU-Verfassung: Großes Stück Arbeit für die Zukunft Europas geleistet  

erstellt am
23. 06. 04

Wien (bpd) - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel berichtete am Dienstag (22. 06.) im Pressefoyer nach dem Ministerrat über die Eckpunkte der beim Europäischen Rat in Brüssel beschlossenen Europäischen Verfassung. „Wir haben bei wichtigen Themen viel erreicht. Wir glauben, dass damit ein großes Stück Arbeit für die Zukunft Europas gut geleistet wurde“, so Schüssel und wies daraufhin, dass voraussichtlich im Herbst in Rom die offizielle Unterzeichnung des Verfassungsvertrages stattfinden werde. Danach folgen die nationalen Ratifikationen. „Ich rechne mit einer breiten Mehrheit im österreichischen Parlament“, so der Bundeskanzler.

  • Als für Österreich besonders wichtige Themen bezeichnete der Bundeskanzler: Die Vereinheitlichung der Verfassungsverträge
  • Die Schaffung einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit
  • Drastische Vereinfachung der Verfahren von 35 auf 4 (Mitentscheidung, Anhörung, Zustimmung und Beschlussfassung).
  • Wesentliche Aufwertung des EU-Parlaments: so werden künftig 95% aller Gesetze vom EU-Parlament mit beschlossen.
  • Aufwertung der nationalen Parlamente durch Informationsrechte und durch den Frühwarnmechanismus. Das bedeutet, wenn ein Drittel der Parlamente einen Gesetzesvorschlag der Kommission mit der Subsidiarität als unvereinbar erachtet, muss der Vorschlag überarbeitet werden. Jedes Mitgliedsland hat dabei zwei Stimmen.
  • Aufwertung des Ausschusses der Regionen durch die Einräumung eines Klagerechts.
  • Stärkung der Bürgerrechte durch die Verankerung der Grundrechtscharta in der Verfassung. Diese garantiert tief greifende Bürgerrechte für jeden einzelnen Bürger, wie unter anderem das Verbot der Todesstrafe, Recht der freien Meinungsäußerung, Gewährleistung sozialer Grundrechte, Minderheitenschutz, Gleichheit von Mann und Frau. Wenn die Individualrechte durch die Europäische Union verletzt werden, kann künftig jeder Bürger beim Europäischen Gerichtshof klagen.
  • Einrichtung des Europäischen Außenministers
  • Einrichtung eines Europäischen Diplomatischen Dienstes
  • Verankerung einer Solidaritätsklausel im Kampf gegen Terror
  • Verankerung einer Beistandsklausel für die einzelnen Mitgliedstaaten im Falle eines Angriffs
  • Die Strukturierte Zusammenarbeit im militärischen Bereich, die allen Mitgliedstaaten offen stehen muss.
  • Vergemeinschaftung des gesamten Bereichs Justiz und Inneres. Die Bereiche Asyl, Migration, Grenzkontrollen unterliegen dem normalen Legislativverfahren.
  • Ausdrückliche Verankerung der Gleichheit der Mitgliedstaaten
  • Berücksichtigung der demographischen und geographischen Vielfalt der Europäischen Union bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten, des Europäischen Ratspräsidenten und des Europäischen Außenministers
  • Beschlüsse des Europäischen Rates werden der Kontrolle des EuGH unterworfen.
  • Ausdrückliche Erwähnung der Grenz- und Bergregionen bei den Strukturfonds
  • Verankerung des Europäischen Tierschutzes
  • Die Beibehaltung der nationalen Zuständigkeit in Fragen der Daseinsvorsorge, wie beispielsweise Wasserversorgung sowie kommunale Dienste.

Bei der Definition der Doppelten Mehrheit habe sich Österreich dafür eingesetzt, dass der Abstand zwischen dem Prozentsatz der Bevölkerung und dem Prozentsatz der Staaten so gering als möglich gehalten werde, so Schüssel. Die irische Präsidentschaft hat als Kompromissvorschlag eine Doppelte Mehrheit im Verhältnis 55:65 eingebracht. „Wir haben erreicht, dass es mindestens 15 Staaten sein müssen. Das bedeutet ein Verhältnis 60:65 und somit einen Abstand von 5%. Unser Verhandlungsziel gemeinsam mit der Gruppe der like-minded countries wurde positiv erfüllt“, so Schüssel.

Bei der Frage der Zusammensetzung der Europäischen Kommission konnte erreicht werden, dass bis 2014 jedes Land einen stimmberechtigten Kommissar entsendet. Auf österreichischen und ungarischen Vorschlag wurde eine Klausel eingefügt, dass nach 2014 die Anzahl der Kommissare auf Zweidrittel abgesenkt werde, außer der Europäische Rat bestimmt einstimmig die Fortsetzung des bewährten Systems mit einem Kommissar pro Mitgliedsland. „Wir haben nun die volle gleichberechtigte Vertretung in der Kommission erreicht. Wir haben vor allem die Chance gewahrt, dass das Prinzip ein Kommissar pro Mitgliedsland auch nach 2014 möglich ist“, so Schüssel. Auf Wunsch von Dänemark und Österreich wurde eine eigene Erklärung verankert, dass die Kommission gegenüber jenen Ländern, die künftig möglicherweise keinen Kommissar mehr entsenden können, eine besondere Verpflichtung zur Transparenz und Information habe.

Bezüglich der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wurde die Mindestzahl der Europäischen Abgeordneten angehoben. „Auch nach künftigen Erweiterungen wird das Europäische Parlament nicht über mehr als 750 Abgeordnete verfügen. Für Deutschland wurde die Höchstzahl auf 96 Abgeordnete reduziert. Die Mindestzahl wurde von 4 auf 6 Abgeordnete pro Land angehoben“, betonte der Bundeskanzler. Auch in der Frage des Stabilitätspaktes konnte verhindert werden, dass die Rolle der Kommission eingeschränkt werde. Vielmehr wird das Verfahren „excessive deficit“ auf Vorschlag der Kommission eröffnet. „Das heißt, dieses kann nur einstimmig abgeändert werden. Das ist eine Verbesserung gegenüber dem Status quo“, so Schüssel.

Im Bereich der Beschlussfassung werden künftig 25 Materien von der Einstimmigkeit in die Mehrstimmigkeit transferiert. Zusätzlich wurden noch sechs Bereiche definiert, in denen man mit einstimmigem Beschluss von der Einstimmigkeit in die Mehrstimmigkeit wechseln kann. „Das ist ein sehr bewährtes Verfahren. Von insgesamt 500 Themen gibt es nur mehr 50 Materien, die immer noch einstimmig entschieden werden. Der überwiegende Anteil sämtlicher Beschlüsse unterliegt künftig der Mehrstimmigkeit“, so Schüssel.

     
zurück