EU-Beitritt der Türkei  

erstellt am
23. 12. 04

Plassnik: Haben genügend Zeit, die berechtigten Bedenken zu beleuchten
Außenministerin berichtet über Ergebnis des letzten EU-Rates zur Türkei
Wien (övp-pk) - Es wird Zeit geben, die berechtigten Bedenken bezüglich der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auch entsprechend zu beleuchten und Lösungsansätze zu entwickeln, berichtete Außenministerin Dr. Ursula Plassnik am Mittwoch (22. 12.) im Nationalrat vom Ergebnis des letzten Europäischen Rates in Brüssel. Das Ergebnis des Europäischen Rates sei, dass der Beitritt der Türkei zwar möglich sei, es allerdings keinen Automatismus gebe. "Die Türkei erfüllt längst nicht alle Kriterien, die zu erfüllen sind. Daher wurde ein bisher einzigartiges Verfahren entwickelt, das es erlaubt, die Probleme mit Umsicht und Genauigkeit zu lösen und Fragen aufzugreifen, auf die es noch keine Antworten gibt." Der Verhandlungsprozess werde langwierig sein. Auch das sei in den Beschlüssen des EU-Rates festgeschrieben worden. Vor 2014 könne es zu keinem Verhandlungsabschluss kommen, so Plassnik.

Das eng- und vielmaschige Sicherheitsnetz für die Verhandlungsführung sei in seiner Art einzigartig. "Wir haben das in der EU noch in keinem Fall gehabt." Damit trage man den Besonderheiten in dieser Frage Rechnung. Österreich habe dazu beigetragen, dass auch das vierte Kopenhagener Kriterium, nämlich die Aufnahmefähigkeit der EU, in den Schlussfolgerungen verankert wurde.

Ähnliches gelte auch für die Offenheit des Prozesses. "Erstmals wurde diese Offenheit des Verfahrens explizit festgehalten. Das war keine Selbstverständlichkeit." Sollte sich keine Beitrittsverwirklichung ergeben, gebe es in zwei Fällen eine Alternativlösung. Die Ministerin verwies in diesem Zusammenhang auf das vierte Kopenhagener Kriterium, für den Fall, dass die Aufnahmefähigkeit nicht gegeben ist beziehungsweise wenn die Türkei nicht in der Lage sein sollte, die Anforderungen zu erfüllen. Es sei ein strenger Überwachungsprozess eingerichtet worden, der vor allem die Menschenrechte berücksichtige. Plassnik hob zudem die "Stopptaste" hervor, durch die eine komplette Unterbrechung der Verhandlungen möglich sei. "Die Verhandlungen werden sich Kapitel für Kapitel, aber mit Benchmarks, abspielen."

Vor allem bei den Menschenrechten gebe es in der Türkei große Defizite, die unter anderem die Folter, die Kinderarbeit und -rechte, aber auch den Minderheitenschutz und Gewerkschaftsrechte betreffen. Die Ministerin verwies in diesem Zusammenhang auf das Engagement Österreichs im Kampf gegen die Folter und hob ein EU-Twinning-Projekt hervor, das durch österreichische Initiative zustande gekommen ist und an dem insgesamt 40 Experten, darunter 15 aus Österreich, mitwirken.

 

 Einem zur Türkei-EU-Frage: "Bundeskanzler macht leere Versprechen"
Wien (sk) - "Die Entscheidungen des Europäischen Rates am 17. Dezember trägt den Interessen und Sorgen eines Großteils der österreichischen Bevölkerung nicht Rechnung", bedauerte SPÖ-Europasprecher Casper Einem am Mittwoch (22. 12.) im Nationalrat. Einem forderte den Bundeskanzler auf, sein ganzes Engagement darauf zu richten, endlich die Wünsche der Bevölkerung ins Zentrum europäischer Politik zu stellen. Sowohl die Entscheidung, die Verhandlungen zu einem EU-Beitritt der Türkei im Oktober nächsten Jahres aufzunehmen, als auch die Entscheidung, dies einer Volksabstimmung zu unterwerfen, stelle in Wirklichkeit kein gutes Zeugnis für die Glaubwürdigkeit der Politik aus: "Wir sind auch dafür, europaweit Volksabstimmungen zu machen, wir sind auch dafür, ernsthaft darüber nachzudenken, wo Entscheidungen der Bevölkerung sinnvoll Platz greifen können", so Einem. Aber das, was der Bundeskanzler versprochen habe, sei in Wirklichkeit ein "leeres Versprechen, das vielleicht in 15 Jahren eingelöst wird, falls sich dann eine entsprechende Mehrheit im Parlament findet", zeigte Einem auf. Der Entschließungsantrag der SPÖ unterstreicht, dass die Zustimmung Österreichs zu einem etwaigen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union nur auf Grund einer direktdemokratischen Mitwirkung der österreichischen Bevölkerung erfolgen solle.

Es gehe erstens darum, in Europa Arbeit zu schaffen, um eine Wirtschaftspolitik, die wirklich dafür sorgt, dass alle Menschen in Europa Arbeit bekommen, so Einem. Zweitens gehe es um eine Politik, die für Frieden sorgt und die eine entsprechende europäische Außenpolitik betreibt, ohne sich ständig auf ausschließlich militärische Elemente zu stützen; drittens gehe es darum, durch enge und freundschaftliche Kooperation mit den Nachbarländern, für Sicherheit zu sorgen: "Diese Dinge müssen vor weiteren Erweiterungsüberlegungen Vorrang haben", unterstrich Einem.

 

 Scheibner: Bevölkerung muß letzte Entscheidung haben
FPÖ-Klubobmann hält Entscheidung für Beitrittsverhandlungen für massiven Fehler
Wien (fpd) - Falls die Verhandlungen mit der Türkei in Richtung Mitgliedschaft ausgehen würden, müsse sichergestellt sein, daß dann die Bevölkerung die Entscheidung treffe, sagte FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner in seiner Rede im Nationalrat am Mittwoch (22. 12.). Die SPÖ hingegen wolle sich vor der Meinung der Bevölkerung verstecken. Ironisch sprach Scheibner von einem "Zick-Cap-Kurs". Hoffentlich komme die Opposition noch zur Vernunft.

"Wir bewegen uns auf Grundlage der österreichischen Bundesverfassung", sagte Scheibner, "wir wollen das auch jetzt schon gesetzlich verankern, deshalb soll der Konvent das behandeln." Wenn es in zehn bis fünfzehn Jahren eine Regierung gebe, in der die Freiheitlichen vertreten seien, würden sie gegen den Beitritt der Türkei stimmen, sagte Scheibner. Für den Fall aber, daß dann Regierung und Parlament für den Beitritt stimmten, wolle man heute schon fixieren, daß die Letztentscheidung die österreichische Bevölkerung habe. Dies sage der heute eingebrachte Entschließungsantrag aus.

Die Entscheidung der EU, in Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzutreten, hält Scheibner für einen absoluten Fehler. Eine falsche Strategie werde fortgesetzt. In Wahrheit gehe niemand davon aus, daß die Türkei jetzt und in absehbarer Zeit in der Lage sei, Vollmitglied zu werden. Man wolle es ihr nur nicht sagen, weil man der Türkei schon seit Jahrzehnten die "Karotte vor die Nase hält".

Die Türkei sei ein strategisch, politisch und wirtschaftlich wichtiges Land, betonte Scheibner. Gerade deshalb sei es falsch, jetzt fünfzehn Jahre über einen Beitritt zu diskutieren, der hoffentlich nie Realität werde. Stattdessen sollte man rasch über Alternativen diskutieren. Scheibner erinnerte an die von der FPÖ vorgeschlagene Partnerschaft für Europa für all jene Länder, die nicht Mitglied der EU werden könnten oder wollten. Dort könne man die bilateralen Beziehungen zwischen EU und Türkei klar definieren und rasch in die Praxis umsetzen.

Zu den Reformen in der Türkei bemerkte Scheibner, daß diese nicht unumkehrbar seien. Es gehe darum, ob die Werte der Menschenrechte, der Minderheitenrechte und der Toleranz gegenüber Frauen und Andersdenkenden auch von der Gesellschaft mitgetragen würden. Dies sei in der Türkei nicht der Fall. Alle würden hoffen, daß die Demokratisierung weitergehe. Aber wenn die Türkei in eine andere Richtung gehe, habe dies für alle Auswirkungen, und zwar umso massiver, wenn es ein EU-Mitgliedsland betreffe. Dies müsse man im Interesse Europas verhindern. Kritik übte Scheibner auch an den Winkelzügen hinsichtlich der Anerkennung Zyperns. Man müsse sich fragen, welchen Sinn Beitrittsverhandlungen hätten.

 

Parteienpakt für Volksabstimmung grotesk und unseriös
Van der Bellen kritisiert Regierung und SPÖ
Wien (grüne) - Bundessprecher Alexander Van der Bellen lehnt den von der Koalition angeregten Parteienpakt zu einer Volksabstimmung über den türkischen EU-Beitritt ab. In der Sondersitzung des Nationalrats nannte er das entsprechende Projekt Mittwoch (22. 12.) Mittag "grotesk" und "unseriös". Grundsätzlich plädierte der Grünen-Chef dafür, dass sich die Regierung dafür einsetzen solle, EU-weitere Volksabstimmungen bei wichtigen Fragen zu ermöglichen.

Van der Bellen meinte, auch er würde heute gegen eine türkische Mitgliedschaft in der Union stimmen: "Es ist keine Frage, dass die Türkei heute nicht beitrittsfähig ist - genauso wenig, wie die EU aufnahmefähig ist." Ungeachtet dessen unterstütze der Grünen-Chef die Haltung der Regierungschefs, jetzt einmal die Verhandlungen aufzunehmen.

Wenig Verständnis hatte der Grünen-Bundessprecher hingegen für die Neupositionierung des Bundeskanzlers, der offenbar kalte Füße bekommen habe und nun eine nationale Volksabstimmung anstrebe. Er werde bei dieser Sache sicher nicht mitgehen, bekräftigte Van der Bellen. Seine politischen Enkel(innen) des Jahres 2014 oder 2024 mittels einer Verpflichtungseklärung zu binden, sei politisch unseriös und grotesk.

Die Grünen wollen Voraussetzungen für eine europaweite Volksabstimmung schaffen, die derzeit rechtlich noch nicht möglich ist. Ein entsprechender Entschließungsantrag wurde von Van der Bellen eingebracht.
     

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller vier im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

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