2005: 50 Jahre Filmarchiv Austria   

erstellt am
10. 01. 05

Wien (filmarchiv) - 2005 feiert das Filmarchiv Austria sein 50-jähriges Bestandsjubiläum. Aus diesem Anlass bereiten wir eine Fülle von Programmen und Sonderprojekten vor. Im Metro Kino wird ganzjährig ein Überblick zu wesentlichen Themen der Film- und Kinogeschichte, immer im Diskurs mit der Zeitgeschichte, geboten. Chronologisch fokussiert das Programm dabei auf Brennpunkte des Kinos aus österreichischer Perspektive und verortet Filme in ihrem politischen und gesellschaftlichen Umfeld. Jeden Monat wird ein Jahrzehnt mit besonderen Schwerpunkten beleuchtet. Kritische Aufmerksamkeit widmen wir dabei auch den »offiziellen« Jubiläen (50 Jahre Staatsvertrag, 60 Jahre Zweite Republik), deren jeweiliger zeitgeschichtlicher Hintergrund eng mit der Filmgeschichte Österreichs in Beziehung gesetzt wird. Das eigentliche Filmarchiv-Jubiläum begehen wir im Oktober 2005 - am 17.10. 1955 wurde das Österreichische Filmarchiv als Verein offiziell konstituiert.


Filmschau
DIE UNHEIMLICHKEIT DES BLICKS
Subversion und Geschlecht im Kino der Kaiserzeit
13. Jänner bis 1. Februar 2005, Metro Kino

Frauen waren im Frühen Kino nicht nur der mehrheitliche Teil des Publikums, sondern bestimmten auch in den Filmen als Protagonistinnen von Dramen, Kriminalfilmen und Komödien die Erzählformen der Kinoproduktion bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Das frühe deutschsprachige Kino ist reich an Geschichten für Frauen, die aus dem Alltag gegriffen sind. Um 1912 bildet sich aus ihnen ein eigenes Genre, das damals so genannte Soziale Drama: aus dem Leben der weiblichen Dienstboten, der Arbeiterinnen bzw. Arbeiterfrauen. Muttersorgen, Eheprobleme, Doppelmoral, die Klassenproblematik - im Verhältnis Großbürger/Kleinbürger, Fabrikbesitzer/ Arbeiterfamilie - tauchen immer wieder auf. Im Zentrum der meisten Filme aber steht das Geschlechterverhältnis, ein erwachender, selbstbewusster Anspruch der Frauen auf Erotik und sexuelle Lust, die sich nur zu oft im Konflikt mit dem männlichen Herrschaftsanspruch zeigen.

Die Sozialen Dramen waren an ein gemischtes, vor allem aber auch an ein weibliches Publikum gerichtet und wurden maßgebend von den Schauspielerinnen getragen. Wanda Treumann, Lissy Nebuschka, Dorrit Weixler, Henny Porten oder Senta Eichstaedt - Namen, die heute größtenteils vergessen sind. Keine aber hat so sehr wie Asta Nielsen eine eigene »Sprache der Erotik« (Béla Balász) in Opposition zur gesellschaftlichen Ordnung entwickelt.

Ein anderes, weit verbreitetes Genre war der Kriminalfilm, das Frühe Kino führt hier eine avancierte Verbindung von Genre und gender vor. Es gibt Detektivinnen und detektivische Heldinnen, die, mal mit Flinte, Revolver, mal mit Fernglas bewaffnet, den Verbrechern auf der Spur sind. Das für die Geschlechterverhältnisse subversive Potenzial zeichnet auch das Programm nach: »Statt Sittlichkeit finden wir Sinnlichkeit«, wie es ein Protagonist der Kinoreformbewegung 1910 formulierte.

Die Beschäftigung mit den Filmen der 10er-Jahre stärkt das Bewusstsein, der Filmgeschichte hier ein »verlorenes Jahrzehnt« voll kinematografischem Reichtum erschließen zu können. Mehr aber noch lässt sich über das Kino tief in die Befindlichkeiten der spätmonarchistischen Gesellschaft in den Weltkriegsjahren Einblick nehmen. Die rauhen, spontanen Bilder - oft noch in vorindustrieller Produktionsweise hergestellt - scheinen tief in das Alltagsleben des damaligen Kinopublikums hineinverwoben zu sein, sie verweisen manchmal durchaus heftig auf Bruchlinien der durch den Weltkrieg erschütterten bürgerlichen Gesellschaft. Protagonistinnen, deren Blicke schließen subversive Allianzen mit den Zuschauern - oft gegen die herrschenden Verhältnisse.

Das von Karola Gramann in Zusammenarbeit mit Heide Schlüpmann und der Kinothek Asta Nielsen kuratierte Programm zeigt herausragende Beispiele des frühen deutschsprachigen Erzählkinos und offenbart einige überraschende Einsichten zum durchaus progressiven und emanzipatorischen Frauenbild, das sich auch im Kino der Kaiserzeit vermittelte. Mit DIE UNHEIMLICHKEIT DES BLICKS widmet sich erstmals eine umfassende Filmschau der Bedeutung des Frühen Kinos für die Frauen, insbesondere der Herausbildung eines weiblichen Publikums.

Alle Stummfilme werden mit Live-Musik von Gerhard Gruber, Eunice Martins (Frankfurt/Main) und Maud Nelissen (Amsterdam) begleitet. Filme mit niederländischen Zwischentiteln werden deutsch eingesprochen!


Retrospektive
FRANZ HOFER
Pionier des Autorenfilms
29. und 30. Jänner 2005, Metro Kino

Franz Hofer war seinerzeit ein äußerst prominenter Regisseur, mit dessen Namen - das war ungewöhnlich - auch geworben wurde. Seit seiner Wiederentdeckung 1990 wurde er vielfach als »Autor« gewürdigt. Tatsächlich weisen seine Filme ästhetische Eigenheiten - eine gewisse Handschrift - auf, insbesondere in der Raumgestaltung, aber auch im Umgang mit Licht und Schatten, mit Transparenz. Seine Filme sind vom virtuosen Spiel der Darsteller und einer bemerkenswerten Intensität der Bilder gekennzeichnet. Vor allem jedoch hat Hofer die Potenziale des Kinos für die Frauen und ein verändertes Geschlechterverhältnis wahrgenommen und mit seinen Filmen zur Wirkung gebracht. Er bewegte sich souverän in allen Genres, in der Komödie wie im Kriminalfilm, im Sozialen Drama wie im Sensationsfilm. Seine schönsten Arbeiten der 10er-Jahre werden in dieser kleinen Retrospektive zu sehen sein. Mit der Franz-Hofer-Reihe des Filmarchivs wird einer der »großen Unbekannten« des Stummfilmkinos erstmals in Österreich gewürdigt.

Alle Stummfilme werden mit Live-Musik von Gerhard Gruber, Eunice Martins (Frankfurt/Main) und Maud Nelissen (Amsterdam) begleitet. Filme mit niederländischen Zwischentiteln werden deutsch eingesprochen!


Filmschau
SATURN-FILM WIEN
PRODUKTIONEN 1906-1911
26 und 31. Jänner 2005, Metro Kino

Schon kurz nach der Erfindung des Kinos begannen vor allem französische Firmen mit der Verfilmung erotischer Sujets. Der österreichische Fotograf Johann Schwarzer erkannte bald die kommerziellen Möglichkeiten solcher Aufnahmen und brachte ab 1906 unter dem Firmennamen Saturn-Film »hochpikante Herrenabendfilms« in den Handel. In einem Dachatelier am Arenbergring im 3. Wiener Gemeindebezirk produzierte Schwarzer bis zur behördlichen Beschlagnahmung 1911 ausschließlich erotische Filme, die gleichzeitig als die
ersten in Österreich hergestellten Spielfilme gelten.

Die erotischen Filme mögen für die sexuelle Lust des Publikums gedreht worden sein - und sie amüsieren heute noch, - aber daneben haben sie durchaus dokumentarischen Charakter. Zum einen sind sie Ansichten von nackten Körpern in Bewegung. Zum anderen teilen sie in ihren Schauplätzen, ihren Inszenierungen und in ihren narrativen Elementen Aspekte desgesellschaftlichen Umgangs jener Zeit mit dem Körper und der Sexualität mit.

In mehrjähriger Forschungsarbeit hat sich das Filmarchiv Austria intensiv um die Sicherung des noch erhaltenen Filmerbes der Firma Saturn bemüht. In dieser Filmschau werden alle erhaltenen Saturn-Filme erstmals gemeinsam gezeigt.

Alle Filme werden von Maud Nelissen live am Klavier begleitet.


Faszination Filmarchivierung
JOSEPH DELMONT
27. Jänner 2005, 21.00 Uhr, Metro Kino
Von Joseph Delmont sind nur wenige Filme erhalten geblieben. Doch diese reichen aus, um in ihm einen ganz großartigen Filmemacher der zehner Jahre erkennen zu lassen. Man ahnt aufgrund der Filme schon, dass hier kein Bildungsbürger, sondern ein Außenseiter der Gesellschaft am Werk war. Die jüngsten biografischen Forschungen haben dies bestätigt: 1873 wurde er als Sohn eines armen jüdischen Dorfgastwirts und Krämers in Niederösterreich geboren, verbringt seine Kindheit in der Wiener Vorstadt, wo er gerade mal die Volksschule besucht und im Übrigen sich durch die verpönten Groschenhefte und Kolportageromane bildet. Es ist eine Bildung, die ihn darin bestärkt, nicht beim sesshaften Handwerk zu bleiben, sondern sich in der Welt zu bewegen. Als Reisender in fünf Erdteilen hat er sich selber in seinen, in den 20er Jahren veröffentlichten, autobiografischen Büchern beschrieben. Auch das waren keine bürgerlichen Bildungsreisen, sondern Abenteuer und Broterwerb als Artist, Dompteur und Tierfänger. In den USA arbeitete er schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Filmgeschäft, bevor er dann 1911 in Berlin seine ersten eigenen Filme dreht.

Im Rahmen der Filmarchiv-Reihe "Faszination Filmarchivierung" zeigen wir Delmonts drei erhaltenen Filme aus dem Jahr 1913: AUF EINSAMER INSEL, DER GEHEIMNISVOLLE KLUB und DAS RECHT AUFS DASEIN teilen die Begeisterung mit für die Ferne, das ungebundene Umherschweifen, aber auch die Bitternis und Not, die den Nichtsesshaften den Unbürgerlichen antreiben. Das Filmteam macht sich selber auf die Reise, entdeckt Schauplätze in Rotterdam, auf der Insel Marken, oder es erfuhr die Neubaugegenden des Berliner Westens. Erfahrung ist dabei auch wörtlich zu nehmen: kein Film Delmonts, in dem nicht die Kamera sich in ein Auto, einen Zug, auf ein Schiff begäbe und sich bewegen ließe - lange vor der filmgeschichtlich kanonisierten mobilen Kamera Murnaus.

Mit Joseph Delmont ist ein österreichischer Kinopionier für die Filmgeschichte zu entdecken - diese Präsentation soll der Beginn für eine weiterführende Beschäftigung mit Person und Werk sein.

Alle Filme werden von Gerhard Gruber live am Klavier begleitet.


Zyklische Präsentationsreihe
FILMHIMMEL ÖSTERREICH
100 Programme zur Geschichte des österreichischen Films
von den Anfängen bis zur Gegenwart
Eröffnung: 19. Jänner 2005, 21.00 Uhr, Metro Kino

Als einer der ersten Höhepunkte im Rahmen des Jubiläums 50 Jahre Filmarchiv startet am

19. Jänner 2005 eine zyklische Präsentationsreihe zur österreichischen Filmgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Unter dem Titel FILMHIMMEL ÖSTERREICH werden 100 ausgewählte Programme zusammengestellt und mit umfangreichem Begleitmaterial präsentiert. Dieser von den Filmhistorikern Elisabeth Büttner und Christian Dewald kuratierte Programmkorpus versteht sich als dynamisches Forum, offen für Neuentdeckungen, neue
Restaurierungen und künftige Produktionen.

FILMHIMMEL ÖSTERREICH ist in seiner Anlage das bisher ambitionierteste Projekt zur Vermittlung österreichischer Filmgeschichte. Erstmals wird die Produktion eines Landes, verstanden als wesentliche gesellschaftliche und politische Kraft, in einem weiten historischen Rahmen reflektiert. Eine Kanonisierung im Sinne der Festschreibung einer Geschichte der Meisterwerke wird nicht angestrebt, vielmehr entdeckt und formuliert filmhistorische Forschung Zusammenhänge, Entwicklungen, offene und versteckte Verbindungslinien im Ästhetischen wie im Gesellschaftlichen.

Von Jänner bis Juni und von Oktober bis Dezember werden am ersten und dritten Mittwoch im Monat jeweils zwei Programme präsentiert. Jedes Programm wird mit einem Vortrag eingeführt, Stummfilme werden mit Live-Musik vorgeführt. Dazu erscheinen kommentierende und vertiefende Begleitmaterialien in Heftform zum Sammeln. Diese limitierten Editionen werden zu den jeweiligen Präsentationsterminen an der Kinokassa aufgelegt. In einem eigenen Ordner können diese Materialien archiviert werden, sodass nach und nach ein Kompendium zur österreichischen Filmgeschichte entsteht.

Das gesamte Programm findet sich ab sofort auch unter http://www.filmarchiv.at
     
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