Tragen religiöse Systeme Gewaltpotentiale in sich?  

erstellt am
17. 01. 04

Die Reihe Religion und Gewalt geht auch im neuen Jahr weiter
Graz (diözese graz/seckau) - Zwei Professoren der Theologischen Fakultät Graz stellten sich dieser Frage am Donnerstag (13. 01.) im siebenten Vortragsabend der Reihe „Religion am Donnerstag – Religion und Gewalt“.

Univ.-Prof. Irmtraud Fischer, die kürzlich die Leitung des Instituts für Alttestamentliche Bibelwissenschaft übernommen hat, sprach über den alttestamentlichen Monotheismus und seine Entstehung und Wirkung. „Die Gliederung des Pantheons bildet ganz offensichtlich die gesellschaftliche Hierarchie ab, indem es die Macht- und auch Gewaltrelationen auf Erden in den Himmel projiziert und sie damit zugleich auch legitimiert.“ Fischer weiter: „Stellt man dem ein monotheistisches Symbolsystem gegenüber, das noch dazu jegliche visuelle Festlegung im Bild und damit jede Verfestigung der Gottesvorstellung verbietet, so können diese eine Entlastung gerade für die Unterprivilegierten bringen: Die von Menschen eingesetzten und aufrecht erhaltenen Unrechtsverhältnisse haben keinen göttlichen Segen. Wenn Israels Gottheit sich noch dazu als Anwältin der Fremden, Waisen, Witwen und jener, die keinen Helfer haben, vorstellt, so trägt der Eingottglaube sogar Gewalt reduzierendes Potential in sich.“

Univ.-Prof. Otto König vom Institut für Moraltheologie und Dogmatik stellte sich der Frage nach den Gewaltpotentialen von Religionen anhand des Hinduismus: „Ich glaube, dass der Hinduismus eine Toleranz und Akzeptanz des religiös Anderen entwickelt hat, die monotheistische Religionen nicht oder nur schwer erreichen. Der Hindu kann mich qua Christ respektieren und als gerettet betrachten. Ich kann es nur, wenn ich in ihm keinen Hindu, sondern einen „anonymen“ Christen sehe. Der gegenwärtige Hindu-Fundamentalismus ist die Instrumentalisierung des Hinduismus im Interesse der Politik. Das belegt die religionssoziologische These, dass so genannte „religiöse“ Konflikte im Grunde nicht religiöse, sondern politische und ökonomische Konflikte sind. Es zeigt sich zugleich, wie stark Religionen im überwiegenden Teil der Welt die Rolle eines identity-markers zukommt: wie stark also Religionen bedroht sind, sich in den Fallen des Nationalismus und Chauvinismus zu verfangen.“

Fischer stellte abschließend fest: „Wenn heute in manchen Gruppierungen einschlägige Passagen der Bibel als Legitimationsurkunden in völkerrechtlichen oder gesellschaftspolitischen Konflikten Verwendung finden, ist daher zuallererst nach den realen Machtverhältnissen zu fragen. Denn wer die Gewaltpotentiale tatsächlich in sich trägt, sind nicht die religiösen Symbolsysteme an sich – seien sie nun monotheistisch oder polytheistisch, sondern sind die Menschen, die ihre Macht zum Schaden anderer einsetzen. Machtmissbrauch, insbesondere bis zur Gewaltanwendung, ist ein verwerfliches Verbrechen; geschieht sie mit Berufung auf Heilige Texte, so muss dies in aller Form geächtet werden.“
     
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