Ein klares "Ja" zur Verfassung für Europa  

erstellt am
13. 01. 04

Mit großer Mehrheit hat das Europäische Parlament den Vertrag über eine Verfassung für Europa gebilligt und rückhaltlos dessen Ratifizierung befürwortet
Straßburg (eu-int) - Die Abgeordneten vertreten die Auffassung, "dass die Verfassung insgesamt einen guten Kompromiss und eine erhebliche Verbesserung der bestehenden Verträge darstellt, der unmittelbar nach seiner Umsetzung sichtbare Vorteile für die Bürger (sowie für das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente als ihre demokratische Vertretung), für die Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Regionen und Gebietskörperschaften) für die effiziente Funktionsweise der Institutionen der EU und damit für die Union als Ganzes mit sich bringen wird".

Die Abgeordneten glauben, dass die Verfassung einen stabilen und dauerhaften Rahmen für die zukünftige Entwicklung der Europäischen Union bieten wird und hoffen, dass alle Mitgliedstaaten sie bis Mitte 2006 ratifizieren. Man müsse zudem alles Mögliche tun, um die europäischen Bürger klar und objektiv über den Inhalt der Verfassung zu informieren.

Gegen unbegründete Kritiken
Die Abgeordneten weisen Kritiken in der öffentlichen Debatte zurück, die nicht dem tatsächlichen Inhalt und den Bestimmungen der Verfassung entsprechen. Die Verfassung wird nicht zur Schaffung eines zentralisierten Superstaates führen. Sie wird die soziale Dimension der Union eher stärken als schwächen. Auch verweist sie auf das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas, lässt also die historischen und geistigen Wurzeln nicht unbeachtet.

Künftige Verbesserungen der Verfassung
Die Abgeordneten sind der Ansicht, dass die Verfassung nicht "unantastbar" ist: obwohl sie einen "stabilen und dauerhaften Rahmen für die künftige Entwicklung der Europäischen Union bieten wird" (§7), bleiben viele Verbesserungen künftig noch möglich. Zudem hat das Plenum einen Änderungsantrag angenommen, mit dem es "seinen Willen bekundet, das neue Initiativrecht, das ihm die Verfassung übertragen wird, zu nutzen, um Verbesserungen an der Verfassung vorzuschlagen".

Information der Bürger über den Inhalt der Verfassung
Die Abgeordneten fordern, "dass alle möglichen Anstrengungen unternommen werden sollen, um die europäischen Bürger klar und objektiv über den Inhalt der Verfassung zu informieren". Sie ersuchen in diesem Zusammenhang die Institutionen der Union und die Mitgliedstaaten, bei der Verbreitung des Verfassungstextes unter den Bürgern eindeutig zwischen den in den bisherigen Verträgen bereits geltenden Elementen und den durch die Verfassung eingeführten neuen Bestimmungen zu unterscheiden (§9).

Die Parlamentarier haben einen Änderungsantrag angenommen, in dem sie die Institutionen der Union und die Mitgliedstaaten auffordern, "die Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft in den Ratifizierungsdebatten anzuerkennen und ausreichende Unterstützung bereitzustellen, ... um die aktive Teilnahme der Bürger an den Debatten über die Ratifizierung zu fördern".

Das Plenum hat den Dienststellen des Parlaments, einschließlich seiner Außenbüros, klare Anweisungen gegeben, "umfassende Informationen über die Verfassung und den diesbezüglichen Standpunkt des Parlaments anzubieten" (§10). Hierbei ist zu erwähnen, dass das Europäische Parlament über 25 Informationsbüros verfügt, eines in jeder Hauptstadt der Union, und darüber hinaus über sechs Antennen.

Ratifizierung bis Mitte 2006
Die Abgeordneten hoffen, "dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union in der Lage sein werden, die Ratifizierung bis Mitte 2006 abzuschließen" (§8), sodass die Verfassung am ersten November desselben Jahres in Kraft treten kann. Litauen und Ungarn haben die Verfassung durch parlamentarische Abstimmung bereits ratifiziert. Neun Mitgliedsaaten werden durch ein Referendum entscheiden; dreizehn Länder, unter ihnen die bereits genannten, entscheiden durch parlamentarische Abstimmung; drei weitere Mitgliedstaaten haben noch nicht über die Modalität der Ratifizierung entschieden.

Verbesserungen durch die Verfassung: Klarheit, Effizienz, demokratische Rechenschaftspflicht und Bürgerrechte

Die wichtigsten Verbesserungen, die durch die Verfassung erzielt werden, werden von den Abgeordneten unter folgende vier Themenbereiche gefasst:

1. Größere Transparenz bezüglich des Wesens und der Ziele der Union:
Die Verträge werden durch ein einziges, besser verständliches Dokument ersetzt; die doppelte Legitimität der Union als Union der Staaten und der Bürger wird bekräftigt; die gemeinsamen Werte werden explizit verankert und ausgeweitet; die Ziele der Union, die Prinzipien für ihre Tätigkeit und ihre Beziehungen zu den Mitgliedstaaten werden klarer und besser definiert; die Verwechslung zwischen "Europäischer Gemeinschaft" und "Europäischer Union" wird enden, da die Europäische Union zu einem einheitlichen Rechtssubjekt wird; die europäischen Rechtsakte werden vereinfacht; Garantien werden dafür geboten, dass die EU kein zentralisierter, allmächtiger "Superstaat" wird, u.a. durch die Verpflichtung, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten; die Symbole der Union werden in die Verfassung miteinbezogen; eine Solidaritätsklausel zwischen den Mitgliedstaaten im Falle eines terroristischen Angriffs oder einer Naturkatastrophe wird aufgenommen.

2. Größere Effizienz und eine gestärkte Rolle in der Welt:
Die Anwendung der qualifizierten Mehrheit bei Ratsbeschlüssen wird ausgeweitet; die Europäische Ratspräsidentschaft wird jeweils zweieinhalb Jahre betragen; die Zahl der Kommissionsmitglieder wird ab 2014 verringert; die Sichtbarkeit der Union auf der Weltbühne wird gesteigert durch die Einsetzung eines europäischen Außenministers, die Schaffung eines Rates "Auswärtige Angelegenheiten" und die Ausstattung der Union mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit.

3. Mehr demokratische Rechenschaftspflicht:
Das Europäische Parlament wird gleichberechtigt mit dem Rat über die Gesetzgebung entscheiden; jeder Rechtsakt unterliegt vor seiner Verabschiedung der Überprüfung durch die nationalen Parlamente; die nationalen Parlamente erhalten alle legislativen EU-Vorschläge rechtzeitig, sie können Einwendungen erheben, sollten die Zuständigkeiten der EU überschritten sein; der Kommissionspräsident wird vom Europäischen Parlament gewählt, wodurch eine Verbindungen zu den Europawahlen hergestellt wird; alle Ausgaben der Union erfordern die Zustimmung des Rates und des Parlaments; das Parlament hat ein Initiativrecht für Änderungen der Verfassung.

4. Mehr Rechte für die Bürger:
Die Charta der Grundrechte wird in die Verfassung aufgenommen; die Union tritt der Europäischen Konvention für Menschenrechte bei; die Beteiligung der Bürger und der Sozialpartner an den Beratungen der EU wird erleichtert; Bürgern wird mit der Einführung einer Bürgerinitiative die Möglichkeit geboten, die Ausarbeitung europäischer Rechtsvorschriften einzuleiten; Einzelpersonen erhalten einen besseren Zugang zur Justiz.

Richard CORBETT (SPE, UK) und Íñigo MÉNDEZ DE VIGO (EVP-ED, ES)
Vertrag über eine Verfassung für Europa
Dok.: A6-0070/2004
Verfahren: Initiativbericht
Aussprache: 11.01.2005
Annahme: 12.01.2005 (mit 500:137:40 Stimmen)
     
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