You Can’t Win – Flim Noir  

erstellt am
16. 02. 05

Wien (filmmuseum) - Im März und April 2005 präsentiert das Filmmuseum eine mehr als 80 Werke umfassende Retrospektive zu jener spezifischen „Kultur des Scheiterns“ (und des Verbrechens), die sich mit dem Begriff Film Noir verknüpft. Die Schau unternimmt den Versuch, diesen Begriff weiter zu fassen und tiefer zu verankern, als dies im deutschsprachigen Raum bislang geschehen ist. Im März ist Teil 1 dieses Projekts zu sehen, mit Filmen aus den Jahren 1927 bis 1948.

Die „schwarzen“ amerikanischen Kriminalfilme der 40er und 50er Jahre, inszeniert von Regisseuren wie Lang, Siodmak, Wilder, Welles, Huston, Mann, Preminger, Ray oder Tourneur sind in den letzten Jahrzehnten fast zu einem Synonym für „klassisches US-Kino“ geworden. Werke wie Double Indemnity, The Maltese Falcon, Out of the Past oder The Postman Always Rings Twice zählen heute zum Kanon. In diesem Zusammenhang funktioniert das Wort „Noir“ zumeist wie eine Modemarke: Es evoziert ausgefeilte Schwarzweißfotografie mit extremen Perspektiven und Chiaroscuro-Effekten, nächtliche Stadtlandschaften und heikle Affären zwischen melancholischen oder zynischen Männern und schönen, aber „gefährlichen“ Frauen. Als Wortmarke erzeugt „Noir“ wohlige Nostalgie, Vorfreude auf hartgesottene Dialoge, oder dient schlicht als Kürzel für cinephile hipness und privates Stilbewusstsein.

Hinter dieser attraktiven, vor allem optisch codierten Oberfläche verbergen sich allerdings überaus reichhaltige erzählerische, kulturelle und politische Traditionen, die heute nicht weniger virulent erscheinen als vor 50 Jahren. Film Noir ist ein flexibles, aus zahllosen Bauteilen immer wieder neu aufgestelltes Ideen-Gerüst, das sich weder als (Kriminal-)Genre, als (düsterer, schattenreicher) Stil, noch als eine zeitlich und geografisch begrenzte Kino-Epoche (z.B. USA 1945-55) eindeutig festmachen lässt. Stattdessen lädt die Retrospektive dazu ein, Film Noir grundsätzlicher zu verstehen: z.B. als eine Subgeschichte der Moderne und des modernen Individuums.

Als eine „Erfindung“ der französischen Filmkritik in den Jahren 1946/47 ist das Konzept Film Noir zu Beginn stark von existenzialistischen, zum Teil auch spätsurrealistischen Impulsen geprägt – und von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs. Auch die hardboiled school in der US-Literatur (Chandler, Hammett, Woolrich, Cain) galt schon damals als zentrales Element für die Entwicklung des Film Noir. Nach und nach fügen die Interpreten andere Erklärungsmodelle und Einflusslinien hinzu, z.B. naturalistische und moderne Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts (von Zola bis Döblin, Faulkner und Greene), die bereits das Kino der Zwischenkriegszeit „noir“ färbte; die transkontinentale Bewegung altösterreichischer und deutscher Filmschaffender und Intellektueller ins US-Exil, mitsamt ihren stilistischen und intellektuellen „Übertragungen“; neue, zum Teil am Journalismus geschulte Formen des Dokumentarischen (von den Fotografen Atget und Weegee bis zum italienischen Neoverismo und dem Chronik-Stil der Newsreels); Traditionen der amerikanischen Linken, die ab 1947 in harschen Konflikt mit dem reaktionären Klima der McCarthy-Ära geraten; der soziologische Wandel der US-Städte nach 1945, die Verlagerung des Mitteklasse-Lebens von urbanen zu suburbanen Räumen.

Ausgehend von den anfangs zitierten, ikonischen Filmen der „Schwarzen Serie“ und von jenen archetypischen Figuren, die in der öffentlichen Imagination bis heute mit Robert Mitchum, Humphrey Bogart, Ava Gardner, Lana Turner oder Burt Lancaster besetzt sind, spannt die Schau des Filmmuseums einen Bogen, der die mächtige „Umlaufbahn“ des Film Noir beschreibt: vom Kino der Weimarer Republik über den poetischen Realismus im Frankreich der 30er Jahre bis hin zum modernen Kino der Nachkriegszeit und zum aktuellen Filmschaffen.

So werden im ersten Teil der Retrospektive nicht nur die Klassiker und einige rare, ungewöhnliche US-Filme der 40er Jahre (darunter zwei Wiederentdeckungen: Johnny Eager von Mervyn LeRoy und The Seventh Victim von Mark Robson) zu sehen sein, sondern auch eine ganze Reihe internationaler Vor- oder Parallel-Läufer: urbanes deutsches Kino vor Anbruch der NS-Ära (z.B. Asphalt, Voruntersuchung, M); schwarze Filme aus Frankreich, die unmittelbar vor, während und nach der Nazi-Okkupation entstanden sind (von Renoir, Carné, Clouzot und Pierre Chenal, sowie Siodmaks Pièges mit Erich von Stroheim); Viscontis frühe James M. Cain-Verfilmung Ossessione; brillante britische Noir-Visionen und -Versionen (von Asquith, Boulting und Cavalcanti); und sogar ein Beispiel aus der Schweiz: Wilder Urlaub, 1943 unter größten politischen Schwierigkeiten inszeniert von Franz Schnyder. Einige US-Vorläufer (z.B., der „Original“-Malteserfalke aus dem Jahr 1931) zeigen, dass Noir seine Wurzeln auch in Hollywood hat.

Gemeinsam ist all diesen Varianten des Film Noir, dass sie Erfahrungen des Scheiterns, der Flucht oder des Identitätsverlusts thematisieren und einen tendenziell pessimistischen Ausblick geben. Manchmal geschieht dies im Kleid von schnellen, billigen Gangsterfilmen, manchmal in Form großer Parabeln, in denen das „Verbrechen“ oder das aufzuklärende „Geheimnis“ wenig mehr als ein Vorwand ist. Film Noir überträgt das „Unwohlsein“ in der Moderne aufs Terrain der Populärkultur: Der „Mensch in der Masse“ besucht das Kino und begegnet dort seinem Ebenbild, dem von scheinbar übermächtigen Kräften gebeutelten Verlierer. Diese Kräfte werden zumeist konkreter benannt als in anderen Gattungen – Krieg und Exil; korrupte Politik; Scheinwelt und reale Macht der Medien- und Kulturindustrie; Entfremdung am Arbeitsplatz und im privaten Leben; die giftige Verbindung von Sex und Geld – der mehrfach libidinös besetzte Kapitalismus.

Die Atmosphäre der Vergeblichkeit, der Paranoia, des existentiellen Ausgeliefertseins, die im Film Noir regiert, ist nicht unbedingt dazu angetan, politische Veränderungsprojekte zu bestärken (dementsprechend gibt es nicht nur eine reaktionäre, sondern auch eine linke Kritik am Noir-„Defätismus“). Als eine Schule der Skepsis erscheint die Noir-Tradition allerdings notwendiger denn je – z.B. als Widerspruch zur heute allgegenwärtigen Siegerideologie in Wirtschaft, Politik, Medien und im Kulturleben. In diesem Sinn artikuliert die Überschrift der Retrospektive jene harte und essentiell moderne Erkenntnis, auf der die populäre Kapitalismus- und Optimismuskritik des Film Noir beruht. Sie ist der Autobiografie des Diebs und Landstreichers Jack Black entlehnt: „You Can’t Win“.

Informationen: http://www.filmmuseum.at
     
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