Osteuropa als neues Zentrum der Automobilindustrie  

erstellt am
04. 03. 05

Starke Ausweitung der Produktionskapazitäten in Zentral- und Osteuropa – Rascher Anstieg der Pkw-Neuzulassungen in den nächsten zehn Jahren zu erwarten
Wien (ba-ca) - "In Zentral- und Osteuropa wächst derzeit ein automobiler Cluster in einem Tempo, das deutlich über dem traditioneller westeuropäischer Zentren der Kfz-Industrie liegt", sagt Marianne Kager, Chefökonomin der Bank Austria Creditanstalt. Die Standorte, besonders in Tschechien, der Slowakei, Westungarn und Südpolen, gewinnen nicht nur für Investitionen der Kfz-Hersteller selbst, sondern viel mehr noch für die Kfz-Zulieferer an Anziehungskraft. Allein mit der Umsetzung der aktuellen Investitionspläne der Automobilerzeuger steigt die jährliche Produktionskapazität der Automobilindustrie in den fünf größten der neuen EU-Mitgliedsländer Zentral- und Osteuropas bis Ende 2006 auf über 2 Millionen Fahrzeuge. Zu diesem Ergebnis kommt eine im Auftrag der Bank Austria Creditanstalt (BA-CA) vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) durchgeführte Studie.

Mehr als 30 Prozent der 60 Millionen weltweit produzierten Kraftfahrzeuge stammen aus der EU-25. 2003 entsprach das rund 18 Millionen Pkw und Lkw. Die neuen EU-Mitgliedsländer spielen dabei als Produktionsstandort eine wichtige Rolle. "Auf der Suche nach kostengünstigen Standorten hat die Autoindustrie in Zentral- und Osteuropa praktisch eine Pionierfunktion bei der Markterschließung übernommen", so Kager. Vor allem wuchsen die Tschechische Republik und die Slowakei zu Zentren der europäischen Automobilindustrie heran.

In den fünf neuen EU-Ländern ist die Fahrzeugindustrie rascher gewachsen als die verarbeitende Industrie insgesamt. Mit Anteilen von knapp 18 bzw. 20 Prozent an der Gesamtindustrie nimmt sie in Tschechien und in der Slowakei eine führende Position ein. Selbst in den traditionellen westeuropäischen Autoproduzentenländern wie Frankreich, Spanien und England ist dieser Anteil deutlich geringer. Eine Ausnahme bildet Deutschland mit 17 Prozent.

Hauptgrund für die erfolgreiche Entwicklung der Automobilindustrie in den neuen EU-Staaten ist die Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen. WIIW-Expertin Waltraut Urban kommt in der Studie zum Ergebnis, dass rund 80 Prozent des in der Branche investierten Eigenkapitals von internationalen Unternehmen stammen. In Ungarn liegt der Anteil bei nahezu 100 Prozent. Die Unternehmen profitieren dabei von der hohen Qualifikation der Arbeitskräfte und den kostengünstigen Produktionsbedingungen. So liegen etwa die Lohnstückkosten in Tschechien um mehr als die Hälfte unter dem EU-15-Niveau. In der Slowakei entsprechen sie knapp einem Fünftel des EU-15-Niveaus.

Hohes Wachstumspotenzial
Die neuen EU-Mitglieder sind überdurchschnittlich wachstumsstarke Absatzmärkte. "Die Zahl der Pkw-Neuzulassungen in der Region könnte sich von derzeit 830.000 pro Jahr bis 2015 durchaus verdoppeln", schätzt Urban. Jedenfalls werden die Neuzulassungen wesentlich rascher als in der EU-15 wachsen, wo aufgrund der Marktsättigung in Zukunft nur mehr ein Marktwachstum von etwa 1 Prozent pro Jahr zu erwarten ist.

Unterstützt wird die Nachfrage nach Automobilen in den neuen EU-Ländern durch kräftige Zuwächse der Pro-Kopf-Einkommen und die noch relativ geringe Fahrzeugdichte. Nur Slowenien und Tschechien erreichen annähernd den EU-15-Schnitt von 420 Pkw pro 1000 Einwohner. In Ungarn etwa liegt die Motorisierungsrate bei rund 280 PKW pro 1000 Einwohner.

Im Nutzfahrzeugbereich ist das Wachstumspotenzial noch höher als bei Pkw. Der Lkw-Bestand in den neuen Mitgliedsländern ist seit 1997 um durchschnittlich 5 Prozent pro Jahr und damit deutlich rascher als der Pkw-Bestand mit 3,6 Prozent pro Jahr gestiegen. Das relativ hohe Wirtschaftswachstum wird den Güteraustausch und somit die Nachfrage nach Nutzfahrzeugen weiter beschleunigen. Außerdem gehen die Experten der BA-CA und des WIIW davon aus, dass durch den Ausbau des Straßennetzes und des öffentlichen Verkehrs die Nachfrage zusätzlich angekurbelt wird.

Niedrige Lohnkosten
Nach Einschätzung des WIIW werden sich die Produktionskosten in den neuen Mitgliedsländern auch in den kommenden Jahren noch auf einem relativ niedrigen Niveau bewegen. Es ist daher davon auszugehen, dass es zu einer weiteren Verlagerungen von Produktionskapazitäten aus traditionellen Produktionsländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien in die neuen EU-Länder kommt. Zunehmend werden auch Hersteller von Kfz-Teilen und andere Zulieferbetriebe die kostengünstigen Standorte nutzen. Sie lukrieren aufgrund der höheren Arbeitsintensität im Vergleich zum Assembling fertiger Fahrzeuge oder der Karosserieproduktion auch höhere Wettbewerbsvorteile.

Eine unmittelbare Gefährdung der österreichischen Automobilproduktion durch die kostengünstigen Produktionsstandorte in den neuen EU-Ländern sehen die Ökonomen der BA-CA und des WIIW nicht. "Die Entwicklung in den neuen EU-Ländern wird zwar nicht spurlos an der österreichischen Autoindustrie vorübergehen, doch die wettbewerbsfähige Struktur der heimischen Branche, wie sie in den hervorragenden Produktions- und Außenhandelsergebnissen der letzten Jahre zum Ausdruck kommt, schützt sie vor massiven Kapazitätseinschnitten", meint BA-CA-Expertin Kager.
     
zurück