"Zeitenwende": Gusenbauer - Österreich braucht großen Modernisierungsschub  

erstellt am
02. 03. 05

SPÖ gedenkt des historischen Wahlsieges Bruno Kreiskys vor 35 Jahren
Wien (sk) - Anlässlich des 35. Jahrestages des historischen Wahlsieges von Bruno Kreisky und der SPÖ am 1. März 1970 betonte SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer die Gültigkeit der damaligen Grundprinzipien "Gerechtigkeit, Demokratisierung und weltoffener Patriotismus" für die heutige Zeit: "Diese Grundprinzipien haben ihre Bedeutung nicht verloren. Sie müssen auch heute wieder zu ihrem Recht kommen - in einem neuen Modernisierungsschub, den Österreich so dringend braucht." Die Regierung Schüssel habe ihre Chance gehabt - sie habe auf eine breite Bereitschaft zu sinnvollen Reformen bauen können - und vertan. Die Regierung habe das Kunststück geschafft, mit ihrer Reformpolitik zu erreichen, dass diese Reformen selbst von ihren eigenen Parteigängern abgelehnt werden, zitierte Gusenbauer Robert Menasse.

"Es geht nicht um Reformen um ihrer selbst Willen oder zum Vorteil einiger weniger und zum Nachteil vieler", sagte Gusenbauer am Dienstag im Rahmen der Diskussionsveranstaltung der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, die unter dem Titel "Zeitenwende" stand. Reformen müssten nachvollziehbare Verbesserungen bringen. "Vorteile und Erträge oder Lasten und Einschränkungen müssen gerecht verteilt werden", und die Perspektive müsste längerfristig sein.

"Chancengleichheit und Gerechtigkeit" - diese Zielsetzungen müsste der notwendige große Modernisierungsschub haben. Konkret geht es Gusenbauer um eine Modernisierung der Wirtschaftspolitik, die für Wachstum, Vollbeschäftigung und Einkommenssteigerung auf Forschung, Bildung und Innovation setzen müsse; um die Modernisierung der Bildungspolitik, damit in Österreich möglichst viele möglichst gut ausgebildet werden, um international bestehen zu können; um die Modernisierung der Demokratiepolitik, damit die Rechte und Ansprüche der Bürger wieder in den Vordergrund treten; um die Modernisierung der Europapolitik, um gemeinsam mit anderen die politischen Handlungsspielräume zu nutzen, und um ein tragfähiges Wirtschafts- und Sozialmodell entwickeln zu können. Ebenso sei eine Modernisierung in der Frauen- und der Sozialpolitik notwendig.

Kreisky hat vorgemacht, wie man Österreich größer, reicher und gerechter macht
Für Gusenbauer geht es darum zu erkennen, "was waren die Erfolgsfaktoren, was können in Zukunft die Erfolgsfaktoren sein, was können wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen". "Bruno Kreisky ist uns mit seiner Politik ein Lehrmeister, jemand, der vorgemacht hat, wie man unter ganz speziellen Bedingungen Österreich größer, reicher und gerechter machen kann", unterstrich Gusenbauer. Der heutige Tag sei daher nicht nur Anlass, sich an Bruno Kreisky zu erinnern, sondern auch von seinen Erfolgen für die Zukunft zu lernen, so Gusenbauer, der von einer "großen Epoche" der Zweiten Republik sprach.

Kreisky habe die SPÖ organisatorisch und inhaltlich neu positioniert und sich als Alternative zur ÖVP-Alleinregierung, die immer wieder an internen Widersprüchen gescheitert sei, präsentiert. Er habe auf Modernität und Weltoffenheit gesetzt und habe Wert darauf gelegt, die Wissenschaft in die Entwicklung seiner politischen Programme einzubeziehen. Dies habe ihm auch den - heute nicht mehr nachvollziehbaren - Vorwurf eingebracht, einen zu technokratischen Zugang zur Politik zu haben. Das Gegenteil sei der Fall: Kreisky habe den Nutzen und die positive Auswirkung für möglichst viele Menschen in Österreich zum Ziel seiner Politik gehabt. Er habe die Möglichkeiten der Menschen zur Teilhabe an der Gesellschaft steigern und die Lebenschancen der Menschen verbessern wollen. "Er wollte die Rückständigkeit überwinden, er wollte, dass Österreich aufholt, dass Österreich erneuert wird mit dem Ziel, dass Österreich eine gute Heimat seiner Menschen wird." Gusenbauer weiter: "Es ging Kreisky vor allem um eines, um den Aufstieg der sogenannten einfachen Leute."

Kleinbürgerliche Engstirnigkeit sei Kreisky "ziemlich auf die Nerven gegangen", erinnerte Gusenbauer. Dabei sei es ihm aber ganz wichtig gewesen, die täglichen Sorgen der Menschen zu verstehen. Kreisky wollte eine Gesellschaft, "die durchlässig ist und den materiellen und sozialen Aufstieg von großen Gruppen in unserer Gesellschaft ermöglicht".

"Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gerade gekommen ist", sagte Gusenbauer. Die Politik Kreiskys habe ein Lebensgefühl hervorgebracht, das modern, zukunfts- und leistungsorientiert war.

Arbeitslosigkeit ist Gift für die demokratische Gesellschaft
Seine Erfahrung in der Zwischenkriegszeit mit der Massenarbeitslosigkeit hätten Kreisky stark geprägt. Er habe daher die Arbeitslosigkeit als "absolutes Gift für die demokratische Gesellschaft" erachtet. Als Hauptaufgabe der Politik habe er deshalb die Erreichung der Vollbeschäftigung gesehen. "Die 364.000 Arbeitslosen heute hätten ihm mit Sicherheit schlaflose Nächte bereitet", so Gusenbauer. Er wäre nicht mit der Untätigkeit, Ratlosigkeit und Nonchalance der heutigen Schüssel-Regierung an das Problem herangegangen. Die Regierung Kreisky habe es geschafft, dass Österreich aus jeder Rezessionsperiode mit einer geringeren Arbeitslosigkeit als die anderen europäischen Ländern herausgegangen ist. Auch die Staatsfinanzen seien gesünder gewesen als jene der meisten anderen Staaten.

Am Beispiel des "Austro-Porsche" machte Gusenbauer klar, dass sich Kreiskys Ideen nachhaltig als wirksam erwiesen haben und für den Wirtschaftsstandort positiv waren. Die Idee, in Österreich ein eigenes Auto zu produzieren, sei anfangs zwar belächelt worden. Heute exportiere Österreich allerdings doppelt so viele Autos als importiert werden. Österreich sei ein wichtiger Standort der Autozulieferindustrie geworden. Auch die heutige Stahlindustrie habe Kreisky viel zu verdanken: die im Zuge der europäischen Stahlkrise geretteten Betriebe hätten danach wieder einen Großteil des Geldes verdient, das ihnen zur Verfügung gestellt wurde.

Großen Wert habe Kreisky auf Kontakt und Dialog mit der Wirtschaft und der Industrie gelegt - "aus tiefster innerster Überzeugung", wie Gusenbauer sagte. Kreisky sei vom Wert eines engen Bündnisses zwischen der Arbeit der Menschen und der produktivitätsorientierten Industrie überzeugt gewesen. Sein "Schlüssel zur sozialen Gerechtigkeit" sei die Überzeugung gewesen, dass möglichst viele vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren sollen.

Chancengleichheit in der Bildungspolitik
Kreiskys Ziel der Chancengleichheit sei gerade in der Bildungspolitik zutage getreten. "Kreisky wusste, dass der Bildungsweg in großem Ausmaß über die Lebenschancen der Menschen mitentscheidet", so Gusenbauer. Er habe über den großen Einfluss der Herkunft auf die Möglichkeit der Menschen bescheid gewusst. "Es ist nicht wahr, dass gescheite Kinder nur in reichen Familien auf die Welt kommen", hatte Kreisky gesagt. So wurden unter ihm die Studiengebühren abgeschafft, neue berufsbildende Angebote geschaffen, die Demokratisierung der Universitäten vorangetrieben, die Schülerfreifahrt und das Gratisschulbuch eingeführt. Für ihn, Gusenbauer, sei als Schüler des Gymnasiums Wieselburg damals klar gewesen: "Es beginnt für uns eine neue Zeit." Erstmals habe er seinen eigenen Schulatlas in Händen gehalten, den er übrigens heute noch als "Symbol der Kreisky'schen Bildungspolitik der 70er Jahre" besitze.

Gusenbauer würdigte auch Kreiskys sensiblen Umgang mit der Demokratie: "Kreisky wusste, dass man nicht davon ausgehen kann, das Demokratie etwas ewig Gegebenes ist." Nur eine lebendige Demokratie könne von Dauer sein. Vor diesem Hintergrund seien viele justiz- und familienpolitische Reformen gesetzt worden. Als "wesentlicher Gradmesser der Demokratie" habe Kreisky den Umgang mit den politischen Gegnern gesehen. "Er pflegte einen souveränen Umgang mit den politisch Andersdenkenden, die er schätzte und in höchste staatliche Positionen berief", sagte Gusenbauer. Aber Kreisky sagte 1981 auch: "Der Umstand, dass sich jemand zu sozialdemokratischen Ideen bekennt, disqualifiziert ihn nicht für ein hohes Amt in diesem Land."

Kreisky setzte auf stillen, weltoffenen Patriotismus
Ein weiteres Leitmotiv Kreiskys sei auch ein "stiller, weltoffener Patriotismus" gewesen. Er habe auf ein Österreichbewusstsein gebaut, das eine demokratische Form des Zusammenlebens, Fairness und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt rückt. Sein Österreichbewusstsein habe international Selbstbewusstsein gezeigt: So sei die Neutralitätspolitik kein Abseitsstehen, keine Selbstüberschätzung oder Querulantentum gewesen, sondern "von hohem internationalen Engagement", geprägt gewesen. Gusenbauer würdigte auch Kreiskys "streitbare Teilnahme" an der Auseinandersetzung um den Nahen Osten. Unter seiner Ära habe Österreich den dritten Sitz der Vereinten Nationen erhalten. Vor allem aber sei es der Außenpolitik der Regierung Kreisky gelungen, Österreich größer zu machen als es ist. "Heute hat man den Eindruck, dass Österreich oft kleiner gemacht wird, als es ist", so Gusenbauer. Die große Rolle, die Österreich in der internationalen Staatengemeinschaft gespielt habe, sei für die Sicherheit Österreichs von entscheidender Bedeutung gewesen. Kreisky hatte dazu gemeint: "Unsere Position in der internationalen Gemeinschaft schützt unsere Sicherheit mehr als noch so viele Abfangjäger."

Kreisky habe ein Österreichbewusstsein entwickelt, das sich gegen eine nationale Abschottung wandte. Europa werde es nur geben, wenn man zur Kenntnis nehme, dass es Europa überall gebe, im Westen, im Osten und in der Mitte, erinnerte Gusenbauer an Kreiskys Worte.

Um möglichen Kritikern an seinem vielleicht allzu positiven Bild, das er von Kreisky gezeichnet habe, zuvorzukommen, zitierte Gusenbauer abschließend Kreisky selbst, der auf die Frage, ob es in seiner Ära nicht auch Irrtümer gegeben habe, sagte: "Natürlich haben wir auch Fehler gemacht, aber keinen Fehler macht nur der, der nichts tut."
     
zurück