Strategien zur Erhöhung von Wachstum und Beschäftigung in Österreich  

erstellt am
03. 05. 05

Die Europäische Wirtschaft kann von der derzeit hohen Dynamik der Weltwirtschaft nur unzureichend profitieren
Wien (wifo) - Während das Wachstum der Weltwirtschaft nach 4,5% im Jahr 2004 heuer noch einmal bei etwa 4% liegt, musste die Prognose für den Euro-Raum im Frühjahr auf +1,6% zurückgenommen werden. Die Europäische Union trug auf dem Gipfel in Luxemburg diesem Umstand Rechnung, indem sie den Stabilitäts- und Wachstumspakt lockerte sowie der Lissabon-Agenda im Allgemeinen und dem Wachstumsziel im Besonderen einen höheren Stellenwert gab. Die Verankerung der Lissabon-Strategie in der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten soll durch einen "Nationalen Aktionsplan" stärker betont werden. Das WIFO legt in seinem Dokument "Strategien zur Erhöhung von Wachstum und Beschäftigung in Österreich" einen Überblick über die Effekte der bisherigen Maßnahmen zur Konjunkturstützung und Wachstumsbeschleunigung vor, insbesondere für die "Konjunkturpakete" I und II, das "Wachstumspaket 2004" und die Steuerreform 2004/05.

Die österreichische Wirtschaft erreichte 2004 und voraussichtlich auch 2005 Zuwachsraten von knapp 2%. Das Wachstum ist damit niedriger als in früheren Erholungsphasen und nicht hoch genug, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Wirtschaft wächst in Österreich rascher als in Deutschland und Italien, 2005 auch rascher als im Durchschnitt des Euro-Raums, doch ist der Vorsprung, der Österreich in die Spitzengruppe gemessen am Pro-Kopf-Einkommen geführt hat, verloren.

Indikatoren des Fortschritts zeichnen weniger günstiges Bild als internationale Vergleiche
Mittelfristig liegt das erwartete Wachstum knapp über dem Durchschnitt des Euro-Raumes, aber niedriger als in den nordeuropäischen und zentraleuropäischen Wachstumskernen. Es reicht mit 2,3% ebenfalls nicht aus, um die Arbeitslosenquote zu senken – ein deutlicher Rückgang wäre nur bei einem mittelfristigen Wachstum von 2,5% zu erwarten. Eine Strategie zur Anhebung des Wachstumspfades ist sowohl nach dem Lissabon-Ziel notwendig, als auch um die Arbeitslosigkeit zu senken, die öffentlichen Haushalte mittelfristig zu konsolidieren und für die Probleme infolge der demographischen Alterung vorzusorgen.

Eine Bewertung der österreichischen Position nach dem Fortschritt der Lissabon-Strategie zeigt ebenfalls einen Handlungsbedarf auf. Die Beschäftigungsquote liegt schon nahe dem Lissabon-Ziel für 2010 und steigt, allerdings durch die Einbeziehung der Personen mit Kinderbetreuungsgeldbezug überhöht und teilweise beschränkt auf Teilzeitarbeitsplätze. Die Arbeitslosenquote liegt nach EU-Berechnung über jener der Jahre 1995 und 2000; sie wäre ohne Berücksichtigung der Schulungsteilnahmen und Frühpensionierungen und nach der nationalen Berechnung noch höher. Österreich weist eine der niedrigsten Beschäftigungsquoten älterer Arbeitnehmer auf.

Gemessen an den Indikatoren für den sozialen Zusammenhalt liegt Österreich günstig, ebenso bezüglich der Energieintensität. Kennzahlen, die die Veränderung der Umweltbelastung messen (Emissionen von Treibhausgasen, Transportvolumen), zeigen für Österreich ein ungünstiges Ergebnis. Generell zeichnen Indikatoren des Fortschritts ein ungünstigeres Bild als jene, die die relative Position zu anderen Ländern anzeigen.

Anhebung des Wachstumspfades
Die Anhebung des Wachstumspfades einer Volkswirtschaft ist eine anspruchsvolle, schwierige und langfristige Aufgabe. Keine einzelne Maßnahme ist für sich genommen imstande, den Wachstumspfad nachhaltig und merklich zu erhöhen. Nur eine langfristig konzipierte und konsequent verfolgte Strategie, die kurzfristig Nachfrage schafft und langfristig das Produktionspotential und die Wettbewerbskraft der Volkswirtschaft insgesamt steigert, kann das Wachstum dauerhaft verändern.

Eine Strategie zur Erhöhung des Wachstumspfades besonders in einer kleinen Volkswirtschaft ist dann eher erfolgreich, wenn die Nachbarländer ebenfalls versuchen, das Wachstum zu verstärken, da negative Sickereffekte und positive Spill-overs auftreten und viele Projekte transnational geplant oder finanziert werden müssen. Die vom WIFO in seiner Kurzstudie vorgeschlagenen Maßnahmen sind konform oder sogar abgeleitet aus der Lissabon-Agenda und können in den im Herbst vorzulegenden "Nationalen Umsetzungsplan" eingearbeitet werden.

Zusätzliche Ausgaben zur Stimulierung des Wirtschaftswachstums dürfen die langfristige Budgetkonsolidierung nicht aus dem Auge verlieren. Daher sollten die wachstumsfördernden Aktivitäten teilweise durch Umschichtung der bisherigen Ausgaben finanziert werden. Die gewählten Maßnahmen müssen mittelfristig eine hohe volkswirtschaftliche Rendite aufweisen. Der psychologische Faktor – die Reduktion der Unsicherheit der privaten Haushalte und Unternehmen und die allgemeine Akzeptanz der wachstumspolitischen Strategie – spielt eine entscheidende Rolle.

Die Konjunkturlage ist, wie die aktuelle Prognose des WIFO belegt, nicht so ungünstig, dass Maßnahmen zur reinen Konjunkturbelebung berechtigt wären. Sollte sich die Situation allerdings verschlechtern, wäre es günstig, rasch umsetzbare Projekte und Maßnahmen vorbereitet zu haben. Sie sollten nachfrage- und angebotsseitig wirksam sein (also den Standort verbessern und die Zukunftsinvestitionen unterstützen). Maßnahmen zur Erhöhung des mittelfristigen Wachstumspfades sollen über den vollen Konjunkturzyklus durchgehalten werden. Aus der Sicht des Arbeitsmarktes und der Infrastrukturdefizite (besonders im EU-Erweiterungsraum) wäre ein "Quickstart" einer längerfristigen verstärkten Wachstumsstrategie eventuell auch unter Nutzung von Einmalerträgen gerechtfertigt.

Die erhöhte Priorität des Wachstumszieles innerhalb der Europäischen Union und die Notwendigkeit zur Erstellung nationaler Pläne zur Umsetzung der Lissabon-Agenda steigern die Erfolgschancen einer Wachstumsstrategie. Österreich soll daran mitarbeiten, die Umorientierung der EU auf einen Wachstumskurs zu unterstützen. Dies könnte gerade unter der Präsidentschaft im 1. Halbjahr 2006 möglich und wichtig sein und würde auch einen Kompromiss bezüglich der Beitragszahlungen rechtfertigen.

Der Entschluss, dem Wachstumsziel vorrangige Priorität zu geben, darf nicht zu einer Vernachlässigung der Anstrengungen im Bereich der Kohärenz und der Nachhaltigkeit führen. Beide Ziele sind wesentliche Charakteristika des "Europäischen Modells". Werden sie vernachlässigt, entstehen mittelfristig höhere Folgekosten (und die Verunsicherung durch raschen Strategiewechsel). Außerdem verliert Europa und gerade Österreich damit Wachstums- und Exportchancen im Umwelttechnologiesektor.

Von den seit 2000 getätigten Anstrengungen zur Stützung der Konjunktur analysiert das WIFO-Dokument die "Konjunkturpakete" I (2001) und II (2002), das "Wachstumspaket 2004" und die Steuerreform 2004/05. Die Konjunkturpakete stützten vorwiegend die Investitionsnachfage, das Wachstumspaket die Investitionen in Forschung und Ausbildung; die Steuerreform förderte das Wachstum konsumseitig. Insgesamt stiegen damit die Forschungsausgaben, die Ausgaben für den Arbeitsmarkt und für Investitionen in Bahn und Straßen stärker als die Wirtschaftsleistung im Durchschnitt. Die gesamten öffentlichen Investitionen blieben hinter der Steigerung des BIP zurück, ebenso die Bildungsausgaben.

Die Untersuchung des WIFO nennt sieben Bereiche, in denen Maßnahmen getroffen werden sollten, um den mittelfristigen Wachstumspfad zu heben:

  • Innovation und Forschung,
  • Bildung,
  • Weiterbildung,
  • Infrastruktur,
  • Arbeitsmarktförderung und Anreizstrukturen,
  • Betriebsgründungen und
  • Umwelttechnologie.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen bilden keine vom WIFO entwickelte Gesamtstrategie, sondern ergeben sich aus Teilstudien, in denen das Institut Stärken und Schwächen untersucht und Maßnahmen vorschlägt.

Im Bereich von Forschung und Innovation ist die Erreichung des Zwischenzieles einer Forschungsquote von 2,5% des BIP im Jahr 2006 möglich, aber nicht abgesichert. der Vorschlag des WIFO umfasst ergänzende Maßnahmen zur Forschungsförderung für Klein- und Mittelbetriebe (Prämie bei Auftragsforschung), zur Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Universitäten (Drittmittelbonus) und eine verbindliche Zusage von neuen, erhöhten Sonderfinanzierungsmitteln nach Auslaufen der derzeitigen Aktion (etwa über einen Allparteienantrag im Parlament), da Forschungsaktivitäten über die Legislaturperiode hinaus planbar sein müssen. Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und strategischen Vergabe von Forschungsmitteln ergänzen diese finanziellen Vorschläge. Die langfristige Wirkung von Forschungsausgaben (u. a. auf die Beschäftigung) ist deutlich größer als die kurzfristige.

Im Bereich der Ausbildung und Weiterbildung ist der entscheidende Beitrag von Humankapital für das Wirtschaftswachstum eingehend dokumentiert. Die Tatsache, dass ältere Arbeitnehmer in zehn Jahren die größte Gruppe auf dem Arbeitsmarkt sein werden, unterstreicht die Bedeutung der Weiterbildung für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs und verlangt tiefgreifende Änderungen in der Bereitschaft zu lebenslangem Lernen, in Unternehmensstrategien sowie in der Institutionenlandschaft für Weiterbildung. Konkrete Vorschläge betreffen eine Lehrlingsoffensive im Bereich der modernen Dienstleistungen, die Anbindung von Lehrabschlüssen an höhere Bildungswege, Nachholprogramme für Personen ohne Schulabschluss, eine Qualifizierungsoffensive für Personen mit Migrantenhintergrund, die Unterstützung von Berufsunterbrechungen zwecks Weiterbildung und die Verbindung von Flexibilitätsanforderungen mit einer geschlossenen Periode für Weiterbildung. Maßnahmen zur Modularisierung, Zertifizierung und Internationalisierung der Weitebildung sind langfristig wichtig und sollten in ein Gesamtkonzept eingebettet werden.

Im Bereich der Infrastruktur wird der Verbesserung des österreichischen Wirtschaftsstandortes vor dem Hintergrund der Osterweiterung der EU und der neuen geopolitischen Lage Österreichs Priorität gegeben. Neben Bahn (Beseitigung von Behinderungen auf der Westbahn, Pyhrnbahn–Summerauer Bahn, Semmeringtunnel) und Straßen (u. a. Ausbau der Westautobahn, Nord-Süd-Umfahrung Wiens, Spange Kittsee, Nordautobahn, Mühlviertler Schnellstrasse) bedeutet das auch Investitionen in die Logistik, in Güterterminals und die Bahnhofsanierung. Im Bereich der immateriellen Infrastruktur ist die Breitbandanbindung zu forcieren. Die Finanzierung von Gemeindeinvestitionen, die Nutzung der Wohnbaurichtlinien zur Durchsetzung von Energieeinsparungen, ökologischen Baumaßnahmen und zur Errichtung von Telekommunikationsinfrastruktur wird angesprochen, ebenso Maßnahmen zur Forcierung von PPP-Modellen (rechtlicher Hintergrund, Task Force, Modellanalysen). Österreich weist einen überproportionalen Anteil an transnationalen TEN-Projekten auf (Eisenbahnen München–Brenner, München–Bratislava, Budapest–Wien, Schifffahrt Wien–Bratislava, Autobahn Wien–Brünn). Ihre Finanzierung auf europäischer und nationaler Ebene sollte verbessert werden, organisatorische Probleme könnten durch einen "TEN-Verantwortlichen" (ev. gekoppelt mit dem "Lissabon-Verantwortlichen") beseitigt werden. Ein höherer Finanzierungsbeitrag der EU bei früherem Beginn könnte die abwartende Haltung der Länder reduzieren.

Im Bereich des Arbeitsmarktes werden Aktivierungsmaßnahmen des AMS, Maßnahmen zur Höherqualifikation und zur zielgruppenorientierten Wiedereingliederung von Problemgruppen vorgeschlagen, wobei alle Modelle unter dem Gesichtspunkt der Kosten und der Substitution von bestehenden Arbeitsplätzen zu überprüfen sind. Qualifizierungsmaßnahmen von erwerbsfähigen Beziehern von Sozialhilfe und die Verstärkung von Anreizen zur Aufnahme von Beschäftigung werden vorgeschlagen. Die Erhöhung des Arbeitnehmerabsetzbetrags in Verbindung mit der Ausübung einer Beschäftigung ist ebenfalls ein Anreiz zur (Wieder-)Aufnahme einer Beschäftigung.

Zur Gründung und zur Forcierung des Wachstums von Betrieben werden Maßnahmen im Bereich der Betriebsgründung, der Finanzierung und der Anwerbung von Headquarters vorgeschlagen.

Der Sektor der Umwelttechnologie bietet Österreich beträchtliche Expansionschancen; dafür ist eine Strategie und eine Förderung zu konzipieren. Die Klimastrategie soll umfassend und kosteneffizient durchgeführt werden. Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern soll reduziert werden, Umweltpolitik und Wohnbau können stärkere Synergien entwickeln.

Quelle: WIFO, Autor: Karl Aiginger

     
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