Ratifizierung der EU-Verfassung im Hohen Haus  

erstellt am
12. 05. 05

 Schüssel: Verfassung macht uns frei zur Mitwirkung an einem sozialen, friedlichen und wirtschaftlichen Europa
Wien (övp-pk) - Die Abstimmung über dieses so wichtige Verfassungswerk wurde auf einen wichtigen Zeitpunkt gelegt, erinnerte Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel am Mittwoch (11. 05.) bei der Nationalratsdebatte über den Vertrag über eine Verfassung für Europa an die Republiksgründung am 27. April vor 60 Jahren und den österreichischen Staatsvertrag, der am kommenden Sonntag vor 50 Jahren gefeiert und unterschrieben wurde. Diese zeitliche Entscheidung über diese Verfassung habe einen tiefen Sinn. "Der Staatsvertrag hat uns frei von der Besatzung gemacht, und diese Verfassung macht uns frei für die Mitwirkung an einem sozialen, friedlichen und wirtschaftlichen Europa - das ist die bedeutende Botschaft des heutigen Tages", so Schüssel weiter.

Europa sei, wie auch Rom, nicht an einem Tag erbaut worden, verwies der Kanzler auf den Prozess über viele Jahrzehnte. Nun sei man nicht am Ende dieses Prozesses, sondern auf einem "vorläufigen Höhepunkt". Die europäische Geschichte dieser Integrationsbewegungen, unter anderem angedacht von Victor Hugo, in einer Rede Churchills und in der Gründung des Europäischen Wirtschaftsraumes, sei seit 60 Jahren eine Geschichte des Erfolges, des Friedens und der Stabilität, und es sei positiv, an dieser Geschichte mitwirken zu können.

Dieser Verfassungsvertrag gehe auf Dezember 2001 zurück. Am 28. Februar 2002 habe dann der Konvent seine Arbeit aufgenommen, und im Juli 2003 wurde der Verfassungsvertrag fertig gestellt. Schon im Oktober 2003 ist dann in Rom die Regierungskonferenz gegründet worden. Letztlich habe er mit Außenministerin Dr. Plassnik am 29. Oktober 2004 diesen Verfassungsvertrag unterzeichnen dürfen, und heute werde dieser Vertrag beschlossen, erinnerte der Kanzler an die Historie dieses Vertragswerkes.

Wichtig sei für ihn vor allem, was in diesem Vertrag für die Bürgerinnen und Bürger Europas grundgelegt werde. Jeder europäische Bürger hat neben seinem nationalen einen europäischen Pass. Mit dieser neuen Verfassung bekommt jeder Bürger europäische Bürgerrechte, er kann seine Rechte in jedem EU-Land einmahnen, er kann konsularische Hilfe in Drittländern in Anspruch nehmen. Er ist Teil der Grundrechtscharta und kann sie einklagen. "Das ist ein wesentlicher Schritt, der uns in ein offenes, bürgernahes und demokratisches Europa hineinführt. Zum ersten Mal gibt es die Möglichkeit, europäische Bürgerinitiativen zu starten, verwies Schüssel in diesem Zusammenhang auf bedeutende Themen wie Tierschutz, Umweltfragen oder Verkehrspolitik. Im Fall von Verfahrensmängeln oder bei Missbrauch der Organe kann der europäische Ombudsmann angerufen werden.

Erstmals würden dem europäischen Parlament auch mächtige Mitbestimmungsregeln eingeräumt; fast 100 Prozent aller europäischen Gesetze kommen in Hinkunft nur zustande, wenn auch das EU-Parlament an der Gesetzgebung mitwirkt. Die nationalen Parlamente würden auch gestärkt, verwies Schüssel unter anderem auf Klagsrechte.

"Wir Österreicher haben auch nationale Themen angesprochen", hob der Kanzler die Verankerung des Minderheitenschutzes, die explizite Aussprechung der Gleichheit von Männern und Frauen und die Verankerung des Prinzips, dass alle Mitgliedsstaaten gleich sind, hervor. Weitere für uns bedeutsame Themen wie die Daseinvorsorge oder Grenzregionen seien ebenfalls enthalten.

Den Vorwurf mancher, der Vertrag sei neoliberal, wie Schüssel zurück: "Warum unterstützt dann die europäische Gewerkschaftsbewegung einstimmig und vollinhaltlich diesen Vertrag? Hier sind für die Sozialunion wichtige Prinzipien festgeschrieben, wie die Vollbeschäftigung. Es ist jetzt nicht mehr ein hohes Maß an sozialer Sicherheit gefordert, sondern volle Solidarität und Kampf gegen Missbrauch. Soziale Gerechtigkeit sei grundlegendes Prinzip.

Auch die Kritik am Vorrang des europäischen Rechts vor dem nationalen wies der Kanzler zurück: "Wie soll denn eine europäische Gemeinschaft oder ein europäischer Wirtschaftsraum funktionieren, wenn nationale Regeln über den europäischen stehen würden?"

Hinsichtlich der Diskussion um die Volksabstimmung zeigte sich der Kanzler verwundert, dass ausgerechnet der Grüne Voggenhuber bemängelt habe, dass sich die Bundesregierung nicht persönlich und nachdrücklich genug für ein europäisches Referendum ausgesprochen habe. Schüssel erinnerte an ein gemeinsames Dokument seines persönlichen Vertreters Hannes Farnleitner vom 31. März 2003, das übrigens auch Voggenhuber mitunterzeichnet habe, indem genau diese Idee einer europäischen Abstimmung an einem Tag in ganz Europa enthalten war. Schüssel habe diese Idee noch vor Beginn der Regierungskonferenz unterstützt und sie immer wieder bei europäischen Reden propagiert. "Ich glaube, dass wir hier weiter sind als andere Nationen." Er habe immer vor einem "Fleckerlteppich" gewarnt, bei dem die einzelnen Länder auf zwei Jahre verteilt ihre Referenden machen, da dadurch die europäische Arbeit in wichtigen Bereichen zum Erliegen komme. In Österreich gebe es mit 52 Prozent breite Unterstützung für eine gemeinsame europaweite Abstimmung, was auch bedeute, dass eine nationale Abstimmung abgelehnt werde.

Abschließend erinnerte der Bundeskanzler an den Tod des großen Österreichers Leopold Figl vor 40 Jahren und zitierte Auszüge aus dessen Abschiedsrede als Bundeskanzler und Parteivorsitzenden, der schon im Jahr 1951 von der berührenden Vision eines vereinigten Europas nach der Überwindung aller historischen Hindernisse gesprochen habe. "Heute, 2005, sind wir diesem Traum noch immer nicht perfekt, aber ein gewaltiges Stück näher gerückt. Stimmen wir daher der Schaffung eines friedlichen, sozialen, wirtschaftlichen starkem, demokratischen Europa für seine Bürger mit dem Beschluss über die heutige Verfassung zu", appellierte der Kanzler abschließend an die Abgeordneten.
     
 Plassnik: "Die Verfassung schafft ein Stück moderner Identität für Europa"
Auszüge der Rede von Außenministerin Plassnik vor dem Parlament anlässlich der Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrages.
Wien (bmaa) - "Wir haben hier nichts weniger als den ersten gemeinsamen Verhandlungserfolg der erweiterten Europäischen Union der 25 vor uns. Das ist ein Novum in der Geschichte Europas", sagte Außenministerin Plassnik am Mittwoch (11. 05.) anlässlich der Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrages im österreichischen Parlament.

"25 gleichberechtigte souveräne Staaten haben gemeinsam die Regeln für ihr Zusammenwirken geschaffen.

Mit dieser Verfassung wird ein Stück moderner europäischer Identität geschaffen. Und das im Respekt vor den kulturellen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Eigenheiten der Mitgliedstaaten.

Die Verfassung wird für 450 Millionen Menschen gelten. Sie drückt aus, was jeden einzelnen Europäer mit jedem anderen verbindet - ob Österreicher oder Lette, ob Portugiese oder Ungar.

Diese Verfassung ist also nicht nur "blau mit goldenen Sternen", sie ist auch rot-weiß-rot - wie sie auch die Farben unserer Partner in der EU enthält. Dieses erste große gemeinsame Werk des erweiterten Europa legt auch das erste Fundament für unser zukünftiges gemeinsames Handeln.

Im Rückblick muss man sagen, dass schon dieser Verhandlungsprozess an sich eine positive Erfahrung für Europa war: Er war so demokratisch und transparent wie keiner vor ihm.

Erstmals waren es nicht nur Regierungsvertreter, sondern Volksvertreter aller politischen Gruppierungen jedes Mitgliedstaates, die dieses Werk gemeinsam in öffentlichen Debatten entwickelt haben. Ich danke den österreichischen Vertretern im Konvent.

Die Verhandlungen waren auch eine positive Erfahrung für Österreich und die kleineren und mittleren Staaten insgesamt. Wir haben Allianzen mit anderen Mitgliedstaaten unserer Größenordnung geschmiedet, die naturgemäß auch vergleichbare Interessen hatten. Das hat uns nicht nur geholfen, unsere Verhandlungsziele für die Europäische Verfassung durchzusetzen. Es hat auch ein bleibendes Netzwerk geschaffen, das bis heute in positiver Weise nachwirkt.

Heute werden, so wie Sie, die Volksvertreter in der Slowakei über die Verfassung beraten und entscheiden. Morgen wird der deutsche Bundestag das gleiche tun.

Sie alle setzen mit ihrer Entscheidung ein klares Zeichen für ein wiedervereinigtes, handlungsfähiges, zukunftsgerichtetes Europa.

Im Bereich der Außenpolitik schafft die Verfassung nicht nur gemeinsame Instrumente, sie unterstreicht auch die Zielsetzungen des europäischen Handelns. Lassen Sie mich aus der Verfassung zitieren:

"Die Union lässt sich bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene von den Grundsätzen leiten, welche für ihre eigene Entstehung, Entwicklung und Erweiterung maßgebend waren und denen sie auch weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen will: Demokratie, Rechtstaatlichkeit, die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Menschenwürde, der Grundsatz der Gleichheit und der Grundsatz der Solidarität sowie die Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts."

Ich begrüße hier im Hohen Haus heute vor allem die Vertreter der Jugend. Die Verfassung ist für sie gemacht, an ihnen wird es liegen, das Werk weiterzutragen, das vor mehr als fünfzig Jahren begonnen wurde.

Die Vielfalt ist der größte Reichtum Europas. Die Verfassung streicht sie deshalb auch zu Recht heraus. "In Vielfalt geeint" - so lautet das Motto der Europäischen Union.

Europa entsteht nicht an einem Tag und nicht durch einen Vertrag, sondern durch konkrete Taten, durch eine "Solidarität der Tatsachen", wie es Robert Schuman beschrieben hat.

Mit der Annahme dieser neuen europäischen Verfassung setzen Sie, meine Damen und Herren, als gewählte Vertreter des österreichischen Volkes einen großen Schritt der Zuversicht und des Selbstvertrauens für unsere gemeinsame europäische Zukunft."

 

Gusenbauer: "EU-Verfassung ist wichtiger Schritt vorwärts - aber: viele Grundprobleme werden nicht beseitigt"
Wien (sk) - "Diese Europäische Verfassung ist allemal besser als das bisherige Vertrags- europa, daher sollten wir dieser Europäischen Verfassung heute gemeinsam zustimmen", unterstrich SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer am Mittwoch (11. 05.) im Nationalrat. Diese EU-Verfassung stelle einen wichtigen Schritt vorwärts dar, viele Grundprobleme Europas würden jedoch auch mit der EU-Verfassung nicht beseitigt. "Man muss auch auf europäischer Ebene einen Mechanismus schaffen, mit dem die Menschen ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen können", forderte Gusenbauer. Im Friedensprojekt Europa sieht Gusenbauer die erfolgreiche Antwort auf den 2. Weltkrieg, weil es in jenem Teil Europas, das zur Europäischen Union gehört, zu Frieden und Sicherheit geführt habe. In der Verfassung sieht Gusenbauer zwar keine Garantie für bessere Politik in Europa, aber eine Chance dafür.

"Wenn man in Österreich mit einer Regierung zufrieden ist, kann man sie bei der nächsten Wahl bestätigen, wenn man unzufrieden ist, kann man sie abwählen", merkte Gusenbauer an. Dieses normale Wechselspiel der Demokratie sei auf europäischer Ebene nicht möglich, resümierte Gusenbauer. "Wenn man eine stärkere Identifikation mit dem europäischen Projekt will, muss man irgendwann zu einer europäischen Politik kommen, die wie auf nationaler Ebene funktioniert", so die Überzeugung des SPÖ-Vorsitzenden. Der einzelne Bürger müsse die Möglichkeit haben, eine Regierung auch abzuwählen oder zu bestätigen: "Keine einfache Angelegenheit", räumte Gusenbauer ein.

Eine Europäische Verfassung könne nicht einer politischen Strömung in Europa besonders zu Gute kommen, sie müsse einen Rahmen für politisches Gestalten bieten, betonte Gusenbauer: "Die EU-Verfassung schafft die Chance und die Voraussetzung, dass es in Zukunft bessere Politik in Europa gibt". Sollte diese Verfassung nicht beschlossen werden, würde Europa in eine ihrer schwierigsten Krisen eintreten, zeigte sich Gusenbauer überzeugt. "Angesichts der Herausforderungen sollten wir danach trachten, dass Europa handlungsfähiger wird", so Gusenbauer. Eine Abstimmung in ganz Europa für alle Menschen wäre entscheidend besser gewesen, sagte Gusenbauer: "Ich glaube, es war ein schwerer Fehler, dass man sich in der EU nicht auf diese Vorgehensweise einigen konnte, das wäre das stärkste Signal gewesen", so Gusenbauer, der von einer verlorenen Chance sprach.

Man müsse sich fragen, wieso es trotz der Erfolge der EU - Stichwort Erweiterung und Euro-Einführung - eine nachhaltige EU-Skepsis gebe, so Gusenbauer. Einer der Hauptgründe der Skepsis liege darin, dass die Menschen in Österreich in Europa nicht die Antwort auf die Globalisierung sehen, sondern sie vielmehr den Eindruck haben, dass die Auswirkungen der Globalisierung verschärft würden, sagte Gusenbauer. Deregulierungen und Liberalisierungen im großen Ausmaß würden dazu führen, dass die Menschen unsicher in Bezug auf das gesamte Projekt würden, hob Gusenbauer hervor.

"Wir dürfen uns nicht wundern, wenn wir den Euro als wichtiges Instrument der europäischen Wirtschaftspolitik ansehen, die Menschen aber mit Recht den Eindruck haben, dass es in der Beschäftigungsfrage nicht wirklich weitergeht und die Einkommen nicht steigen", so Gusenbauer. Diese steigende Skepsis habe nicht mit "Zuviel Europa", sondern mit "Zuwenig Europa" zu tun: "Europa war bisher nicht im Stande, die Verheißungen, die viele Menschen mit diesem Projekt verbunden haben, zur erfüllen", hielt Gusenbauer fest.

Gerade angesichts der Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkrieges stelle sich die Frage, was in den letzten 60 Jahren anders geworden ist: "Die europäische Union war die Antwort auf den Zweiten Weltkrieg und es war zum Glück eine sehr erfolgreiche Antwort", betonte Gusenbauer. Der SPÖ-Vorsitzende erinnerte an die letzten 15 Jahre, in denen Teile Europas, die nicht Teile des Europäischen Einigungswerkes waren, in Krieg, Verfolgung, Genoziden und unglaublichen Menschenrechtsverletzungen verstrickt waren. "Wenn man zwischen dem Europa der Sicherheit und Stabilität und jenem Europa, das auch in den vergangen Jahrzehnten geschüttelt wurde, wie zum Beispiel die Länder am Balkan, vergleicht, dann muss man zu der Auffassung kommen, dass die Europäische Union und Europäische Einigung das erfolgreichste Friedensprojekt, das es bisher in der Geschichte unseres Kontinents gegeben hat, ist", zeigte sich Gusenbauer überzeugt. Darüber könne man stolz und froh sein, so Gusenbauer.

 

 Scheibner für Stärkung der direktdemokratischen Instrumente
Wien (fpd) - Es gebe zu wenig Kommunikation zwischen den Institutionen der Europäischen Union und der Bevölkerung Europas, beklagte der Obmann und außenpolitische Sprecher des Freiheitlichen Parlamentsklubs Herbert Scheibner am Mittwoch (11. 05.) in der Nationalrats- debatte über die EU-Verfassung. Vielleicht sehe man in der EU es auch als zu wenig notwendig, diese Kommunikation zu betreiben und mehr zu erklären.

Dies resultiere daraus, daß es kaum notwendig sei, für europäische Projekte eine Mehrheit im Bewußtsein der Bevölkerung Europas zu bekommen. Wenn es diese Notwendigkeit gäbe - "und wir treten für direktdemokratische Elemente in der EU ein" - , würde sich das Bewußtsein der Politiker und Demokraten gegenüber der Meinung der Bevölkerung ändern. "Und deshalb treten wir auch weiterhin für das Instrument europaweiter Volksabstimmungen ein", sagte Scheibner. Das Modell Gusenbauers würde keine Abhilfe schaffen. Die Verfassung sei eine Richtungsweisung. Man wolle hier nicht den europäischen Bundesstaat haben, wo alles in Brüssel entschieden werde, sondern habe das Bekenntnis zum Staatenbund EU mit souveränen Ländern, die ihre Rechte auch verwirklichen könnten, abgegeben. "Das ist für uns das Modell eines zukünftigen Europas", betonte Scheibner, der sich gegen einen europäischen Bundesstaat nach Vorbild der USA aussprach.

Notwendig wäre es laut Scheibner, den sicherheitspolitischen Aspekt der europäischen Integration stärker in den Vordergrund zu stellen. Sicherheit sei nicht selbstverständlich, sie müsse ebenso wie Freiheit und Friede immer wieder erkämpft und garantiert werden. Scheibner verwies auf das Gedenken anläßlich 60 Jahre Kriegsende und meinte, daß ein Krieg, noch dazu ein Weltkrieg, eine der schrecklichsten Formen menschlichen Handelns sei. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es einige wichtige Entscheidungen wie die Gründung der UNO gegeben und den Beginn des europäischen Einigungsprozesses. Man habe gewußt, daß dies ein langwieriger Prozeß sein werde. Von reinen Wirtschaftsgemeinschaften sei man bis heute zu dieser EU gekommen, wo man erstmals in der Geschichte Europas sagen könne, daß militärische Konflikte zwischen zumindest 25 Ländern unmöglich geworden seien, und zwar auch in der Zukunft. Dies sei das Großartige an dieser europäischen Einigung, daß man den Menschen sagen könne, daß Kriege für Mitglieder der EU unmöglich geworden seien. Dies sollte man viel stärker in den Vordergrund stellen.

Scheibner bezeichnete es als positiv, daß sich die EU dazu bekenne, im Bereich der Katastrophenhilfe und bei der Abwehr des Terrors zusammenzuarbeiten. Es gebe selbstverständlich auch die Notwendigkeit einer Verantwortung von friedenssichernden und friedenserhaltenden Maßnahmen der EU auch außerhalb des Unionsgebiets. Man könne nicht die Augen verschließen. Dies liege auch im Eigeninteresse. Die Instabilitäten in anderen Regionen würden in abgewandelter Form auch auf Europa und damit auch auf Österreich zukommen.

Das Einstimmigkeitsprinzip bleibe in wichtigen Fragen erhalten, ein Grundrechtekatalog für die Freiheits- und Menschenrechte in Europa werde verankert, und nicht einmal in einem Nationalstaat könne eine Gruppe oder Partei Sanktionen gegen ein Land bestellen, hob Scheibner hervor. Selbstverständlich gebe es in der EU-Verfassung auch Defizite. Hier nannte Scheibner die Kommissarslösung, die Regelung der europäischen Staatsanwaltschaft und die Demokratiedefizite. Es sei nicht gelungen, in die Verfassung Instrumente der direkten Demokratie wie europaweite Volksabstimmungen einzufügen. Keine Verfassung wäre aber das schlechteste, was man als Reaktion auf die Erweiterung und als Antwort auf die Fragen der Zukunft setzen könnte. Auch die Verfassung werde ein dynamischer Prozeß sein. Ab dem Tag, an dem sie in Kraft trete, werde man daran arbeiten müssen, die Defizite beseitigen zu können.

Die Diskussion über eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung bezeichnete Scheibner als überraschend spät. Über einen völkerrechtlichen Vertrag könne laut Bundesverfassung keine Volksabstimmung durchgeführt werden. Daher sei 1994 nicht über den Beitrittsvertrag selbst abgestimmt worden, sondern über ein Ermächtigungsgesetz. Das Ermächtigungsgesetz für die EU-Verfassung habe das Parlament aber bereits im März dieses Jahres beschlossen. Wenn heute gesagt werde, daß EU-Recht nationales Recht breche, müsse man auch sagen, daß dies der Fall sei, seit Österreich Mitglied der EU geworden sei. Damals sei die Bevölkerung nicht über alle Vor- und Nachteile und Konsequenzen des EU-Beitritts informiert worden. Scheibner sprach sich dafür aus, alle Kritikpunkte öffentlich zu diskutieren und entsprechende Lösungen zu versuchen. Man solle sich aber unter Abwägung aller Vor- und Nachteile klar zum Friedensprojekt eines gemeinsamen friedlichen Europas bekennen. Wenn man alle Kraft daran setze, diese Instrumente der direkten Demokratie auch einsetzen zu können, werde aus dieser Friedensunion auch ein demokratisches Europa, "und das sollte im Interesse von uns allen sein".

 

 Strache: EU-Verfassung mit FPÖ-Gegenstimme angenommen
Wien (fpd) - Der Nationalrat hat am Mittwoch (11. 05.) die Ratifizierung der EU-Verfassung mit nur einer Gegenstimme beschlossen. Einzig die FPÖ-Abgeordnete Barbara Rosenkranz erteilte dem Vertragswerk eine Absage. Die Verfassung ersetzt nicht nur die bisherigen EU-Verträge sondern bringt auch eine Erweiterung der Kompetenzen der Union und eine verstärkte Zusammenarbeit in allen Bereichen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Vom Nationalrat wurden noch Alibi-Entschließungsanträge der ÖVP, des orangenen Klubs und der Grünen angenommen, in denen die Regierung aufgefordert wurde, sich auf europäischer Ebene für die Möglichkeit eines EU-weiten Referendums einzusetzen. Dagegen wurde der Antrag der FPÖ-Abgeordneten Rosenkranz, eine nationale Volksabstimmung durchzuführen, aus „rechtlichen Gründen“ für nicht zulässig erklärt.

„Ein schwarzer Tag für die direkte Demokratie und die 2. Republik. Mit der Annahme der EU-Verfassung haben ÖVP, BZÖ, SPÖ und Grüne das Selbstbestimmungsrecht und die Souveränität Österreichs ausgerechnet im Jubiläumsjahr zu Grabe getragen“, zeige sich FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache enttäuscht über das Abstimmungsergebnis und die Ablehnung der Abhaltung einer Volksabstimmung.

Die geforderte EU-weite Volksabstimmung bezeichnete Strache als „Feigenblatt- Argumentation“. Denn das sei formal-rechtlich in einigen Ländern gar nicht möglich. Zum anderen sollten die Österreicher selbst über ihre Verfassung bestimmen können, wie es ihnen in der Bundesverfassung garantiert werde.

„Was hier passiert ist, ist ein Verfassungsputsch. Ich erwarte, dass der Verfassungsgerichtshof nun tätig wird und dieses beschlossene Ermächtigungsgesetz einer Überprüfung unterzieht“, forderte der FPÖ-Parteiobmann.

 

 Van der Bellen: EU-Verfassung festigt die europäische Demokratie
Wien (grüne) - Die Grünen befassen sich, wie Prof. Dr. Alexander Van der Bellen am Mittwoch (11. 05.) in seinem Beitrag im Nationalrat erklärte, seit langem mit den Vorzügen und den Mängeln dieses Entwurfs zu einer Europäischen Verfassung. Und sind zu dem Schluss gekommen, dass bei einer gründlichen Abwägung der Vorzüge, die es zweifellos gibt, und einiger Mängel, die es auch im Text gibt beziehungsweise bei dem, was nicht im Text steht, ein klares Ja zu diesem Verfassungsvertrag geboten erscheint, und zwar aus folgenden Gründen:

"Ich meine, dieser Vertrag über eine Verfassung für Europa, das ist schon eine ziemliche Schwarte, er umfasst gedruckt, glaube ich, fast 500 Seiten, der eigentliche Textteil vielleicht 300. Die österreichische Verfassung kommt mir im Vergleich dazu schlank, ja geradezu elegant vor. Aber wir haben ja auch schon 85 Jahre Tradition, die EU noch nicht. Was sind also aus meiner Sicht, aus unserer Sicht die wesentlichen Vorteile dieser Verfassung?

Festigung der Europäischen Demokratie
Erstens: Die europäische Demokratie wird tatsächlich deutlich in ihren Grundlagen gefestigt. Das zeigt sich daran, dass die einzige europäische Institution, die direkt gewählt wird, das Europäische Parlament, deutlich in seinen Rechten als Gesetzgeber gestärkt wird und in die Gesetzgebung viel stärker als bisher eingebunden wird. Das war ja1995 ein wesentlicher Kritikpunkt der Grünen – aber nicht nur der Grünen –, dass die demokratische Verfasstheit der Union mehr als zu wünschen übrig lässt und in Wahrheit damals rudimentär ausgebildet war. Gleichzeitig wird damit natürlich die Gewaltentrennung in der Europäischen Union als Basis einer funktionierenden Demokratie deutlich verbessert. (Beifall bei den Grünen.)

Verbesserte Handlungsfähigkeit
Zweitens – und auch das ist wichtig in einem Europa, das derzeit 25 Mitgliedstaaten hat und demnächst 27 oder 30: Die Handlungsfähigkeit der Union wird deutlich verbessert. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass das Prinzip der Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten, um zu einem Beschluss zu kommen, deutlich zurückgenommen wird zugunsten eines Beschlusses mit so genannter qualifizierter Mehrheit. Das ist eine doppelte Mehrheit von den Mitgliedstaaten einerseits und einer Mehrheit der europäischen Bevölkerung andererseits, die durch diese Staaten repräsentiert wird. Das allein ist schon ein Fortschritt gegenüber dem Vertrag von Nizza. Dort waren meines Erachtens intransparente Stimmgewichtungsregeln im Europäischen Rat maßgeblich, die niemanden überzeugt haben. Über Details kann man immer reden, aber das Prinzip der doppelten Mehrheit ist transparent, verständlich und nachvollziehbar.

Charta der Grundrechte
Drittens – und das ist ein wesentlicher Punkt: Der Teil II dieser neuen Europäischen Verfassung, die Charta der Grundrechte, ist ein wirklich sensationeller Erfolg, wenn man sich einmal vorstellt, wie viele andere Staaten auf der Welt, Nationalstaaten, einfache Staaten oder irgendein Staatenbündnis, eine derartige Grundrechtscharta in ihrer Verfassung verankert haben. Und diese Grundrechtscharta betrifft nicht nur die klassischen liberalen Freiheits- und Grundrechte, wie zum Beispiel Meinungsfreiheit, Medienfreiheit, Freiheit der Kunst, Freiheit der Wissenschaft und so weiter, Freiheitsrechte, die gewissermaßen die BürgerInnen vor dem Staat schützen sollen, sondern zeigt auch im Bereich der sozialen Grundrechte wesentliche Fortschritte. Und es ist auch insofern von Bedeutung, als ja von verschiedener Seite kritisiert wird, dass diese Verfassung eine neoliberale Schlagseite und Ähnliches habe.

Neoliberale Schlagseite?
Ich kann das nicht nachvollziehen. In der österreichischen Verfassung zum Beispiel sind die sozialen Grundrechte nicht so verankert wie in der Europäischen Verfassung. Das allein spricht schon gegen das Argument der neoliberalen Schlagseite. Natürlich gibt es Punkte, die nicht zu unserer Zufriedenheit ausgefallen sind, und dies gilt für jede politische Partei und jede Bürgerin und jeden Bürger dieses Landes, die bzw. der sich ernsthaft damit auseinander setzt.

Heikle Militär- und Sicherheitspolitik sowie Euratom
Aus unserer Sicht besonders heikel sind einige Formulierungen im Bereich der Militär- und Sicherheitspolitik im Teil III des Verfassungsvertrages beziehungsweise auch im ökologischen Bereich, ungeachtet einiger sehr gut formulierter Zielbestimmungen die leidige Frage des Euratom-Vertrages. Jetzt kann man sagen, es war schon ein Riesenerfolg auch von unserem Mitglied des Verfassungskonvents Johannes Voggenhuber, dass – wie ursprünglich geplant – der Euratom-Vertrag nicht Teil der Verfassung wird – das hätte es uns, den Grünen, in der Tat sehr schwer gemacht, der Europäischen Verfassung zuzustimmen, falls dies überhaupt möglicht gewesen wäre – , sondern immerhin außerhalb des Vertrages angesiedelt wird, sodass es zumindest theoretisch möglich ist, Mitglied der Europäischen Union zu sein, ohne dem Euratom- Vertrag beizutreten.

Fundamente einer Europäischen Demokratie
Also insgesamt meine ich, dass die Fundamente für eine europäische Demokratie hier tatsächlich in einer nachvollziehbaren, konkreten Weise gelegt werden. Und das wird Europa, die Europäische Union gegenüber vielen, vielen anderen Staaten auf der Welt zu etwas deutlich anderem machen. Ich will nicht sagen: Vorbild, weil ich ungern Vorbild für jemanden bin, aber es ist schon etwas sehr Schönes, was da entsteht, ohne – wie schon Herr Scheibner gesagt hat – allzu euphorisch zu werden, aber trotzdem möchte ich schon in Erinnerung rufen, dass die Alternative nicht irgendeine Idealverfassung ist, die wir uns alle anders geschrieben hätten, sondern schlicht der Vertrag von Nizza, und zwar gerade jener Vertrag, auf Grund dessen Mängel ja die Diskussion über diese Verfassung überhaupt erst entstanden ist. […] Nein! Wenn wir das nicht annehmen, werden wir in Depression versinken und auf absehbare Zeit gar keine neue, geschweige denn bessere Verfassung bekommen, sondern mit dem miserablen Vertrag von Nizza irgendwie dahinwursteln müssen.

Verfassung ist kein Ersatz für Politik
Bei vielen Gesprächen mit KritikerInnen dieser Verfassung ist mir etwas eigenartig vorgekommen, nämlich, wie viel an Bedeutung in solch eine Verfassung hineininterpretiert wird. Sicher, sie ist wichtig, sie enthält Spielregeln, und namentlich die Europäische Verfassung enthält auch wichtige Zielbestimmungen, aber manchmal hat man den Eindruck, dass mit dem Beschluss über ein Verfassungswerk die Politik sozusagen an ihrem Ende angekommen wäre und dass alles, was da nicht drinnen steht, sozusagen dann kein Thema der täglichen und jährlichen Politik sein kann. Diese Vorstellung finde ich absurd! Die österreichische Verfassung ist ungefähr 85 Jahre alt, und in ihrem Kern haben wir seither keine Politik betrieben: im Ökologiebereich, im Militärbereich, in allen heiklen Fragen, im Sozialbereich et cetera. Das gilt natürlich für die nationale Ebene genauso wie für die europäische Ebene. Eine europäische Verfassung kann genauso wenig wie eine nationale Verfassung die Antwort auf alles und jedes bilden. Ich finde, erstaunlich ist nicht, dass bei den Verhandlungen von 25 Mitgliedstaaten dieser Kompromiss herausgekommen ist, sondern erstaunlich ist, dass überhaupt etwas herausgekommen ist. …
     

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

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