Vranitzky erhält hohe jüdische Auszeichnung  

erstellt am
14. 11. 05

Für den Mut, sich mit den Sünden der Vergangenheit auseinandergesetzt zu haben
Wien (sk) - "Wir haben es Ihnen zu verdanken, dass wir heute mit Stolz österreichische Juden sind", betonte Victor Wagner, Präsident der österreichischen B'nai B'rith Loge am Donnerstag (10. 11.) bei der Verleihung der International President's Gold Medal der humanitären jüdischen Organisation für Altbundeskanzler Franz Vranitzky. "Wir verleihen Ihnen diese Auszeichnung für den Mut, sich mit den Sünden der Vergangenheit auseinandergesetzt zu haben", so Moishe Smith, Vorsitzender des Exekutivausschusses von B'nai B'rith International angesichts der klaren Worte Vranitzkys zur Rolle Österreichs und seiner Bewohner während der Zeit des Nationalsozialismus. Vranitzky unterstrich in seiner Dankesrede die Wichtigkeit des Nicht-Vergessens und der Auseinandersetzung auch mit den dunklen Seiten der Vergangenheit.

Die International President's Gold Medal, die vor Vranitzky beispielsweise Staatsmänner wie Dwight D. Eisenhower, David Ben Gurion, Golda Meir und Helmut Kohl erhalten hatten, ist die höchste Auszeichnung der weltweit größten humanitären jüdischen Organisation B'nai B'rith, die am Donnerstag in Anwesenheit vieler hochrangiger Persönlichkeiten, darunter Bundespräsident Heinz Fischer, sowie die SPÖ-Bundesgeschäftsführer Doris Bures und Norbert Darabos, an Vranitzky verliehen wurde. "Wir müssen darüber reden. Und zwar immer wieder", so sei die Haltung Vranitzkys zu sehen, betonte Otto Schily, deutscher Innenminister und Laudator. Mit einem zuverlässigem Wertekompass ausgestattet, sei für Vranitzky immer klar gewesen, dass eine Gestaltung der Zukunft nicht denkbar sei, ohne eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit. Schily unterstrich besonders die Rolle Vranitzkys im Prozess der europäischen Einigung. "Die europäische Einigung ist das herausragende Friedenswerk des 20. Jahrhunderts. Der überzeugende und überzeugte Europäer Franz Vranitzky trägt großen Anteil daran, dass Österreich heute Teil dieser Union ist", so Schily. "Es wird eine Persönlichkeit geehrt, die eine Ära der Toleranz, Menschlichkeit und des politischen Mutes in der Mitte Europas geschaffen hat."

Vranitzky selbst ging in seiner Dankesrede in besonderen auf die Frage ein, ob es ein "Übermaß" an Aufarbeitung des Nationalsozialismus und des Holocaust gäbe. "Von einem Übermaß kann nicht die Rede sein, auch nicht, bei den so genannten politischen oder Bildungseliten", so Vranitzky. Wichtig sei es vor allem, dass im öffentlichen Diskurs den Stimmen gehör geschenkt werde, die sich mit tiefgreifenden Untersuchungen auseinandergesetzt hätten. "Ich würde das System des öffentlichen Diskurses bitten, die Allerweltssager rasch zu entsorgen", so der Altbundeskanzler, der in seiner Rede auf einige dieser Scheinaussagen einging und ein Aufrechnen der stalinistisch-bolschewistischen Opfer gegen die Opfer des Nationalsozialismus nannte.

Vranitzky stimmte den Kritikern zu, die gemeint hätten, dass heurige Gedenkjahr fokussiere zu stark auf das Jahr 1955 und den Staatsvertrag und das Jahr 1945 werde verhältnismäßig wenig bedacht. "In der Dekade von 1945 bis 1955 ist unsere Republik erstanden, der sprichwörtliche Staat, den keiner wollte wurde zur Zweiten Republik und dank amerikanischer Hilfe, konnte die Wirtschaft wieder aufgebaut werden", so Vranitzky, der dies besonders an die adressierte, "die die Befreiung erst 1955 sehen wollen". Kritisch fügte Vranitzky aber an: "Gerade in der Wirtschaft hätte es aber noch besser laufen können. Hätten wir die vielen Vertriebenen zu einer Rückkehr eingeladen."

Wenn sich Österreich zu seiner Geschichte und hier auch zur individuellen Schuld bekenne, dann gehe es um die Klarheit und Offenheit einer Gesellschaft. Abschließend sagte Vranitzky: "Ich wünsche mir, dass alles, was aufgearbeitet wurde und noch aufzuarbeiten sein wird, dazu führt, dass wir größere und weitere Lichten sehen werden, als die Finsternis des 20. Jahrhunderts."
     
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