Arbeiterfilme im Filmarchiv-Austria  

erstellt am
26. 01. 06

Wien (filmarchiv) - Das Filmarchiv Austria präsentiert im Februar zwei zentrale Programme zur Geschichte des Arbeiterfilms. Phil Jutzi war der vielleicht bedeutendste Vertreter des Proletarischen Kinos der Zwischenkriegszeit. Die Filmarchiv-Retrospektive zeigt weltweit erstmals alle erhaltenen Arbeiten des Kameramanns und Regisseurs. In der Weimarer Republik galt die in Wien gegründete Prometheus Film als die Produktions- und Vertriebszentrale für Proletarisches Filmschaffen. Erstmals wird nun diesem legendären Filmunternehmen eine eigene Reihe mit den wesentlichen Eigenproduktionen sowie einer Auswahl wichtiger sowjetischer Verleihfilme gewidmet.

PHIL JUTZI - Arbeiterfilmer
Retrospektive, 3. bis 17. Februar 2006, Metro Kino

Phil Jutzi (1896-1946) gilt heute als der wichtigste Vertreter des Proletarischen Kinos im deutschsprachigen Raum. Im Rahmen seines mehrjährigen Schwerpunktprogramms zur Geschichte des Proletarischen Kinos zeigt das Filmarchiv Austria nun weltweit erstmals alle erhaltenen Arbeiten des Kameramannes und Regisseurs, der von 1919 bis 1945 an über hundert Filmen mitgearbeitet hat.

Jutzi drehte Western und Gangsterfilme, wurde mit KINDERTRAGÖDIE (1927) zum Spielfilmchronisten des deutschen Proletariats und schuf mit HUNGER IN WALDENBURG/ UM'S TÄGLICHE BROT (1929) den ersten bedeutsamen proletarischen Reportagefilm. Für die Prometheus-Film realisiert er mehrere Filme und wurde ihr wichtigster Regisseur.

MUTTER KRAUSEN'S FAHRT INS GLÜCK (1929) und BERLIN-ALEXANDERPLATZ (1931), zwei eindringliche Großstadt-Porträts, machen ihn berühmt. Nach 1933 geht Phil Jutzi nicht in die Emigration, sondern verdingt sich als Auftragsregisseur von Kurzfilmen. Erstmals präsentiert die Wiener Retrospektive nun auch diese praktisch unbekannten von Jutzi unter den Nationalsozialisten hergestellten Arbeiten. In Österreich realisiert er mit LOCKSPITZEL ASEW (1935) und DER KOSAK UND DIE NACHTIGALL (1935) noch zwei weitere Spielfilme, die hierzulande zu den interessanteren Produktionen der dreißiger Jahre zählen.
Jutzi, einstige Galionsfigur des deutschsprachigen Arbeiterfilms, galt im NS-Staat zumindest als geduldet. 1945 kehrt er in die Pfalz zurück, wo er 1946 völlig verarmt stirbt.

Revolutionäres Kino der
PROMETHEUS-FILM
Filmreihe, 13. bis 28. Februar 2006, Metro Kino

Filmkultur ist immer auch Filmpolitik. Im Kontext der Jutzi-Retrospektive beleuchtet das Filmarchiv Austria daher auch das strukturelle Umfeld des Proletarischen Kinos, und widmet der in diesem Zusammenhang wichtigsten Produktionsgesellschaft, der Prometheus-Film, erstmals eine eigene Reihe.

1924 im Auftrag der Kommunistischen Internationale in Wien gegründet, produzierte die Prometheus Film hier ihren ersten Spielfilm: das Regiedebüt von Kurt Bernhardt, NAMENLOSE HELDEN. In enger Kooperation mit Filmkünstlern aus Sowjet-Russland sollten dann in Berlin die wichtigsten Arbeiten des klassenkämpferischen Kinos im deutschsprachigen Raum entstehen. Nach dem Auftakt ÜBERFLÜSSIGE MENSCHEN (1926) produzierte die Prometheus wegweisende Filme wie MUTTER KRAUSEN'S FAHRT INS GLÜCK (1929) oder KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT (1932).
Als Verleihgesellschaft brachte sie Klassiker wie PANZERKREUZER POTEMKIN (1926), OKTOBER, DER BLAUE EXPRESS oder TURKSIB (1929) ins Kino.

Neben ideologiedurchsetzten Kernfilmen stellt die Prometheus-Film wohl aufgrund von Marktzwängen auch Kommerzware her, womit sie nicht nur die linke Filmkritik irritierte, sondern auch zusehends in Widerspruch zu Moskau stand.
Kunst, Ideologie und Kapital, in diesem Spannungsfeld agiert die Prometheus seit Anbeginn - noch während der Dreharbeiten zu KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT? entzieht Moskau der Prometheus ab Ende 1931 die wirtschaftliche Basis, eine der wichtigsten Filmgesellschaften des Weimarer Kinos muss schließen.

Faszination Filmarchivierung:
UM'S TÄGLICHE BROT
Präsentationsabend am 8. Februar 2006, 20:15, Metro Kino
UM'S TÄGLICHE BROT (HUNGER IN WALDENBURG) kann als eine Schlüsselproduktion des Proletarischen Kinos der Weimarer Republik angesprochen werden. Regisseur Phil Jutzi richtete die Kamera eindringlich auf die notleidende Bevölkerung in Waldenburg, einem der vielen Hungergebiete im Deutschland des Jahres 1929.

Evelyn Hampicke vom Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin hat diesen Film philologisch behutsam rekonstruiert und präsentiert ihn nun erstmals in Wien:
"Die Schnittmontage zeigt täglich wiederkehrende Abläufe im Alltag einer Industriestadt, das Verwobensein von Industrie, Verkehr, Landschaft, häuslicher Tätigkeit und alltäglichem Einerlei. Ein ratterndes, zerrüttendes, unharmonisches Simultanbild eines Ortes, das gleichzeitig in seine einzelnen Bestandteile zerfällt (...). UM'S TÄGLICHE BROT ist meines Wissens der einzige Grenzgänger unter den heute bekannten proletarischen Filmen der Zeit und experimentiert mit Unüblichem. Die in ihm entdeckte und erprobte Form wird danach wieder aufgegeben. Die Suche nach Vergleichbarem führt vom Kino weg zu den proletarischen Berichterstattern." (Evelyn Hampicke in filmarchiv Nr. 30, S 63, Wien 2006)

Informationen: http://www.filmarchiv.at
     
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