Salvatore Sciarrino erhielt den "Musikpreis Salzburg"  

erstellt am
06. 02. 06

Förderungspreis für Francesco Filidei / Preisüberreichung und Preisträgerkonzert am 5. Februar
Salzburg (lk) - Am Sonntag (05. 02.) wurde um 18.00 Uhr in der Großen Universitätsaula erstmals der "Musikpreis Salzburg", der neue Internationale Kompositionspreis des Landes, vergeben. Der mit 100.000 Euro dotierte Preis soll danach alle drei Jahre ausgeschrieben werden. Der Musikpreis Salzburg besteht aus dem mit 80.000 Euro dotierten Würdigungspreis und dem Förderungspreis in Höhe von 20.000 Euro. Erster Würdigungspreisträger ist Salvatore Sciarrino. Den Förderungspreis erhielt Francesco Filidei. Die Preisüberreichung nahm Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Wilfried Haslauer vor. Im Anschluss daran begann um 19.00 Uhr in der Großen Universitätsaula das Preisträgerkonzert, bei dem das Klangforum Wien unter der Leitung von Johannes Kalitzke zwei Kompositionen von Salvatore Sciarrino und ein Werk von Francesco Filidei spielte. Das Konzert fand in Zusammenarbeit mit dem 30. Aspekte Festival Salzburg statt.

Die Salzburger Landesregierung hat in ihrem Arbeitsübereinkommen die "Schaffung eines bedeutenden international ausgerichteten Kompositionspreises" festgeschrieben und mit der Stiftung dieses Preises ein klares kulturpolitisches Statement abgegeben – und dies ganz bewusst im Hinblick auf das Mozart-Jahr 2006. "Der 'Musikpreis Salzburg' ist zwar in erster Linie eine Auszeichnung für eine Künstlerpersönlichkeit, deren Schaffen herausragend ist. Mit seiner Internationalität soll aber auch ein weiteres Anliegen unterstrichen werden: Impuls zu sein für die Öffentlichkeit, insbesondere für Vermittler und Publikum, der Neuen Musik und ihren Protagonisten jenen Stellenwert beizumessen, der ihnen in unserer Gesellschaft gebührt", erklärte Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Wilfried Haslauer, der den Preis in Vertretung von Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Othmar Raus überreichte.

"Die Salzburger Landesregierung versteht diesen Preis als ein kulturpolitisches Statement: als Zeichen für ihre Wertschätzung des kreativen Schaffens von heute und als Impuls für die Öffentlichkeit, der neuen Musik und ihren Protagonisten den ihnen gebührenden Stellenwert beizumessen. Dieser Preis ist auch vor dem Hintergrund des Mozart-Jahres 2006 zu sehen, in dem das Kulturleben in Salzburg vom Genius Loci dominiert ist. Denn bei allem Bemühen um die Pflege des musikalischen Erbes darf die zeitgenössische Kunst nicht ins Hintertreffen geraten. Der Preis steht daher als Zeichen für die Wertschätzung des kreativen Schaffens von heute. Er soll aber auch einen Beitrag zur Positionierung Salzburgs als Zentrum der Gegenwarts-Kunst sein. Ich freue mich, dass die Überreichung dieser beiden Preise als Teil des Festivals ASPEKTE Salzburg für zeitgenössische Musik stattfindet. Damit gelingt es in Salzburg einmal mehr einen künstlerischen Bogen zu spannen, der von der Vergangenheit bis zur Gegenwart reicht. Ich bin davon überzeugt, dass der Musikpreis Salzburg dazu beiträgt, dass der zeitgenössischen Musik auch Strahlkraft für künftige Musikergenerationen und Musikfreunde verliehen wird", so Landeshauptmann-Stellvertreter Haslauer.

Internationale Jury wählte Preisträger aus
Für den Internationalen Kompositionspreis des Landes Salzburg spielen Staatsbürgerschaft oder Wohnort keine Rolle. Der Würdigungspreis wird auf Grund des Vorschlages einer international besetzten Jury und der Förderungspreisträger über Vorschlag jenes/r Komponisten/in, der/die mit dem Würdigungspreis ausgezeichnet wurde, vergeben. Für den/die Förderungspreisträger/in gibt es eine Altersgrenze von 40 Jahren. Die Vergabe des Preises an Salvatore Sciarrino geht auf einen Vorschlag der mit Prof. Hans Landesmann (ehemaliger Konzertchef der Salzburger Festspiele), Josephine Markovits (Leiterin des international renommierten Pariser Festival d'Automne) und Dr. Peter Hagmann (Musikkritiker der Neuen Zürcher Zeitung) besetzten Jury zurück. Der Würdigungspreisträger 2006 wird in der Jury des nächsten "Musikpreises Salzburg" (2009) vertreten sein. Weitere Informationen über den "Salzburger Musikpreis – Internationaler Kompositionspreis des Landes" sowie über die beiden Preisträger unter http://www.musikpreis-salzburg.org und http://www.aspekte-salzburg.at.

Salvatore Sciarrinos eigene, unverkennbare musikalische Sprache
Die Jury fasste ihren Beschluss einstimmig und begründete ihre Entscheidung folgendermaßen:

"Salvatore Sciarrino, 1947 in Palermo geboren, hat als Komponist seine ganz eigene, unverkennbare Sprache gefunden; in prononcierter Weise kündet diese Sprache von den Möglichkeiten, welche sich die Musik jenseits der seriellen Ästhetik erschlossen hat.

Sciarrinos musikalische Handschrift lebt zunächst vom leisen Klang, der in der vielfältigsten Weise differenziert wird; sie erhebt damit in ihrer Weise Einspruch gegen den zunehmenden Lärm in unserer Umwelt. Weiter zeichnet sich Sciarrinos Musik durch eine neue Gewichtung der Parameter aus; nicht die Tonhöhe bildet ihr Zentrum, viel stärker geht sie von der Klangfarbe aus – und indem sie dabei Aspekte des Geräuschhaften integriert, schafft sie sich zusätzliche Erweiterungen. Ausgeprägt ist in Sciarrinos Musik schließlich die spannungsvolle Beziehung zwischen liegenden Klängen und kleinen schnellen Bewegungen, das Ineinandergreifen von Reglosigkeit und gespannter Nervosität. Mit all dem schließt sich Sciarrino in sehr persönlicher Weise jener Ästhetik an, die von Luigi Nono begründet und von Komponisten wie Helmut Lachenmann und Beat Furrer weitergeführt worden ist.

In kontinuierlicher Arbeit hat Salvatore Sciarrino ein umfangreiches Oeuvre geschaffen, das zwischen dem instrumentalen Solostück und der Oper ein breites Spektrum an Gattungen abdeckt. Besonders bekannt geworden ist die Arbeit mit einzelnen Instrumenten, wie sie etwa die ’Sei capricci für Violine’ (1976) zeigen. Auf breite Aufmerksamkeit ist aber auch ein Stück für Musiktheater wie ’Luci mie traditrici’ (1998) gestoßen, das sich von narrativen Prinzipien abwendet, in der Musik vielmehr ausschließlich die inneren Befindlichkeiten der Figuren spiegelt und damit hohe sinnliche Wirkung erzielt. Und so wie er in seinem ästhetischen Denken, von dem zahlreiche Schriften zeugen, auf Anregnungen aus der klassischen Philosophie zurückgreift, hat sich Sciarrino als Komponist kreativ mit der musikalischen Vergangenheit auseinandergesetzt zum Beispiel mit einer Reihe neuer Kadenzen zu Instrumentalkonzerten Mozarts, die er in ’Cadenzario ’ für Orchester mit Solisten (1991) in einem eigenen Stück
weiterentwickelt hat."

Francesco Filideis Musik, der das Tönende abhanden gekommen ist
Auf Vorschlag von Salvatore Sciarrino wird der Förderungspreis an den 32jährigen italienischen Musiker und Komponisten Francesco Filidei vergeben. Sciarrinos Begründung für seine Wahl lautet folgendermaßen:

"Versuchen Sie sich eine Musik vorzustellen, der das Tönende abhanden gekommen ist: Als Rest bleibt Gemurmel, ein Skelett, leicht, aber reich an quasi mechanischen Geräuschen, die durch das Berühren und Entlangstreifen der Hände über die Instrumente entstehen. Das ist die Musik von Francesco Filidei. Sein sehr persönlicher Stil geht keine Kompromisse ein und hat sich über die Jahre nicht vereinfacht, sondern ist strenger geworden. Trotz des scheinbar begrenzten Bereiches der von ihm verwendeten Art der Geräusche haben seine Werke Atem und Ruhe bekommen, sie entwickeln sich und finden formal ganz eigene Lösungen, die vorher unvorstellbar waren. Es geht nicht um intellektuelle Lösungen, sondern um das Erschließen einer kostbaren, poetischen Welt.

In Bezug auf Filidei ist es schwierig, ästhetische Vorbilder und seine Orientierungspunkte in der aktuellen Musiklandschaft zu benennen. Der ’musique concrète’-Klang, die Geräuschhaftigkeit könnten auf Lachenmann verweisen oder auf spezielle Werke von Kagel, aber die phantastische und erstaunliche Absurdität der Stimmung dieser Musik lässt im Kopf einzelne Figuren in der Art von Harry Partch entstehen.
   

In dieser Musik werden Rhythmus, Puls und abrupte Brüche zur primären Struktur, um das Wiedererkennen in den Veränderungen und die unglaublich effiziente Nicht-Kontinuität in der Form zu gewährleisten. Mit der ungewohnten Art der Klangphänomene erweitert seine Musik die Grenzen unseres Perzeptionsvermögens. Darüber hinaus hat Filidei seine graphische Notation funktional im Hinblick auf Möglichkeiten musikalischer Artikulation und musikalischer Beziehungen verfeinert.

Mir scheint Folgendes noch wichtig zu sein: Die Beständigkeit und Konsequenz des Komponisten auf einem einsamen und schwierigen Weg, die enorme Fülle seiner musikalische Produktion (obwohl erst 32 Jahre alt!) und besonders die heute so seltene Originalität seines Werkes. Hervorzuheben ist auch die Bereicherung des Orgelrepertoires durch Filidei (die Orgel ist sein Instrument): Er stellt sich selbst mit seiner Virtuosität als Interpret anderen mehr oder weniger jungen Komponisten zur Verfügung und fordert sie auf, sich kreativ mit diesem Instrument auseinanderzusetzen. "

Biografie Salvatore Sciarrino
Salvatore Sciarrino, 1947 in Palermo geboren, ist stolz darauf, frei und keiner Musikrichtung zuzuordnen zu sein. Er begann im Alter von zwölf Jahren als Autodidakt zu komponieren. 1962 kam es zur ersten öffentlichen Aufführung eines seiner Werke. Sciarrino betrachtet seine ersten Werke bis 1966 als harte Lehrzeit, in der sich sein persönlicher Stil entwickelte. Seine umfassende Werkliste wird in einem ständigen kreativen Prozess weiter entwickelt. Nach Abschluss der klassischen Schulbildung und einigen Jahren des Universitätsstudiums übersiedelte Sciarrino 1969 nach Rom und 1977 nach Mailand. Seit 1983 lebt er in Città di Castello.

Unter anderem komponierte er für das Teatro alla Scala, RAI, den Maggio Musicale Fiorentino, die Biennale di Venezia, das Teatro La Fenice, die Oper von Genua, die Arena di Verona, die Oper von Stuttgart, La Monnaie (Brüssel), die Oper Frankfurt, Concertgebouw (Amsterdam), das London Symphony Orchestra, Suntory Hall (Tokyo) und für folgende Festivals: Schwetzingen, Donaueschingen, Witten, Salzburg, New York, Wien Modern, Wiener Festwochen, Berliner Festspiele Musik Biennale, Holland Festival, Alborough, Festival d'Automne à Paris, Ultima (Oslo).

Seine Werke von 1969 bis 2004 sind bei Ricordi verlegt und seit 2004 exklusiv bei RAI Trade. Sciarrino kann eine umfangreiche Diskographie vorweisen. Seine Kompositionen sind auf 70 CDs bei verschiedenen internationalen Labels erschienen.

Sciarrino schrieb einen Großteil seiner Opernlibretti selbst und hat darüber hinaus eine reiche Anzahl an Texten verfasst, die in dem Buch "Carte da suono" (DICIM - Novecento, 2001) zusammengefasst sind. Von besonderer Bedeutung ist ein interdisziplinäres Herangehen an die musikalische Form in seinem Buch "Le figure della musica, da Beethoven a oggi" (Ricordi 1998).

Er lehrte an den Konservatorien in Mailand (1974 - 1983), Perugia (1983 - 1987) und Florenz (1987 - 1996). Gleichzeitig leitete Sciarrino Fortbildungskurse und Meisterklassen, besonders hervorzuheben jene in Città di Castello von 1979 bis 2000.

Zwischen 1978 und 1980 war er künstlerischer Leiter des Teatro Comunale di Bologna. Er ist Mitglied der Akademie di Santa Cecilia (Rom), Akademie der Schönen Künste in München und der Akademie der Kunst (Berlin). Sciarrino ist Träger zahlreicher Preise. Die jüngsten: Prince Pierre de Monaco (2003) und Premio Internazionale Feltrinelli(2003).

Für 2006 arbeitet Sciarrino an der Oper "Da gelo a gelo" für die Schwetzinger Festspiele, die Opéra de la Bastille und die Oper Genf.

Biografie Francesco Filidei
Geboren 1973 in Pisa, beendete Francesco Filidei seine Musikstudien am Konservatorium Luigi Cherubini in Florenz mit Diplomen in Orgel und Komposition. Als Assistent an der Ecole normale supérieure und Organist am Dom von Pisa (1993 – 1995) belegte er Perfektionskurse bei Salvatore Sciarrino, Sylvano Bussotti und Giacomo Manzoni. Er gab Konzerte mit Werken von Franz Liszt, César Franck sowie eigenen Werken und viel zeitgenössischer Musik für Orgel und Klavier in Italien und außerhalb, 1998 bekam er das Taddei- und 2004 das Meyer-Stipendium. 1999 wurde er am Conservatoire National et Supérieur de Paris als Erstgereihter aufgenommen, um mit Frédéric Durieux und Michael Levinas (Analyse) zu studieren. Im Jahr 2000 absolvierte er den Kurs für Komposition und Informatik am IRCAM und 2004 den Kompositionskurs „voix nouvelles“ in Royaumont. 2003 war er Finalist des internationalen Orgelwettbewerbs von Saint Albans, 2004 erhielt er einen Ehrenpreis am internationalen Wettbewerb in Straßburg und den 2. Preis beim Wettbewerb in Viterbo.

Seine Werke werden herausgegeben vom Verlag Ars Publica und von diversen Ensembles wie Itinéraire, Alter ego, Cairn, Instant donné, Atelier XX, Nouvel ensemble modern, Ensemble orchestral contemporain, Rhizome, Intercontemporain, Percussion de Strasbourg aufgeführt. Aufgenommen wurden seine Werke von Radio France und Rai Tre.

Seit 2003 ist er Organist der Chapelle de la Médaille Miraculeuse in Paris und Assistent von Jean Guillou an der Orgel Van den Heuvel in der Kirche Saint Eustache in Paris. 2006 wird er als composer in residence an der Akademie des Schlosses Solitude in Stuttgart sein.

Musik unserer Zeit und auf höchstem interpretatorischem Niveau
Die Salzburger Gesellschaft für Musik wurde 1977 von Univ.-Prof. Klaus Ager gegründet und führt seither das jährlich im Frühjahr stattfindende Festival für zeitgenössische Musik "Aspekte Salzburg" durch. Ziel des Festivals ist es, interessante Konzertprogramme mit einem Schwerpunkt auf der Musik unserer Zeit und auf höchstem interpretatorischem Niveau zu bieten. "Aspekte Salzburg" findet von 5. bis 12. Februar statt. Auf dem Programm stehen insgesamt acht Konzerte. Das Eröffnungskonzert am Sonntag, 5. Februar, um 19.00 Uhr in der Großen Universitätsaula, stand ganz im Zeichen des Salzburger Musikpreises und ist Werken von Salvatore Sciarrino und Francesco Filidei gewidmet. Das Klangforum Wien unter dem Dirigenten Johannes Kalitzke sowie der Bariton Otto Katzameier interpretierten "Archeologia del telefono" von Salvatore Sciarrino, "Partita" von Francesco Filidei sowie "Quaderno di strada" für Bariton von Salvatore Sciarrino.

Die Programmkonzeption der folgenden Konzerte mit weiteren renommierten Ensembles aus Europa kombiniert in spannenden Gegenüberstellungen eine Werkschau Salvatore Sciarrinos mit der Präsentation von Werken junger Komponisten aus ganz Europa.

Das Programm der weiteren sieben Aspekte-Konzerte
6. Februar, 19.00 Uhr, Große Aula der Universität Salzburg: Plural Ensemble Madrid, Leitung: Fabian Panisello, Werke von A. Acevedo, H. Parra, S. Sciarrino und E. M. Joannaou.

7. Februar, 19.00 Uhr, Große Aula der Universität Salzburg: Plural Ensemble Madrid, Leitung: Fabian Panisello, Werke von jungen Komponisten aus Spanien und Albanien.

8. Februar, 19.00 Uhr, Große Aula der Universität Salzburg: Österreichisches Ensemble für Neue Musik, Werke von S. Sciarrino, F. Filidei, J. Widmann und R. Serksnyte.

9. Februar, 19.00 Uhr, Große Aula der Universität Salzburg: Quartet New Generation Amsterdam/Berlin, Werke von K. Nutters, M. Reuter und C. Coppens.

10. Februar, 19.00 Uhr, Große Aula der Universität Salzburg: Aspekte New Music Ensemble, Leitung: Kai Röhrig, Gavin Taylor (Bariton), Werke von S. Sciarrino, T. Lappalainen, A. Kallastu, R. S. Gjertsen, J. J. Christensen und B. Staern.

11. Februar, 19.00 Uhr, Große Aula der Universität Salzburg: Ensemble Aleph (Frankreich), Werke von A. Dumitrescu, C. Forlivesi, D. Kourllandsku, A. Kroschel und V. Vronov.

12. Februar, 19:00 Uhr, Große Aula der Universität Salzburg: Sonderkonzert 30 Jahre Aspekte Salzburg, Slovak Sinfonietta Zilina, Leitung: L. Svarovsky, Dita Kalnina (Sopran), Gintare Skeryte (Mezzosopran), Henri Bok (Bassklarinette), Werke von S. Sciarrino, P. W. Fürst, A. Maultasch und K. Ager.
     
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