Wege zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der EU  

erstellt am
23. 02. 06

Besuch des Verteidigungsausschusses der WEU im Parlament
Wien (pk) - Die österreichischen Positionen zur gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die sicherheitspolitischen Schwerpunkte der österreichischen Ratspräsidentschaft sowie Detailfragen zur Bundesheerreform und zur Zukunft der Neutralität standen am Mittwoch (22. 02.) im Mittelpunkt einer gemeinsamen Sitzung des WEU-Verteidigungsausschusses und von Mitgliedern der Verteidigungsausschüsse von Nationalrat und Bundesrat.

Geleitet wurde der Meinungsaustausch vom Vorsitzenden der österreichischen Delegation bei der WEU-Versammlung, Abgeordnetem Walter Murauer. Auf dem Präsidium nahmen neben ihm auch der Vorsitzende des WEU-Ausschusses Robert Walter (GB), der Obmann des Verteidigungsausschusses Reinhard Eugen Bösch und der Obmann des Verteidigungsaussschuses des Bundesrates Harald Reisenberger Platz.

In seinem einleitenden Statement legte Walter Murauer ein Bekenntnis zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab und nannte es das Ziel der österreichischen Ratspräsidentschaft, unterschiedliche Interessen zu bündeln und Kompromisse zu erreichen, ohne eigene Interessen in den Vordergrund zu stellen. Es gelte die militärischen Operationen mit den Vereinten Nationen weiterzuführen und dabei der zivil-militärischen Kooperation besonderen Stellenwert zu geben, wobei Österreich gemeinsam mit den kommenden EU-Vorsitzländern Finnland und Deutschland langfristige Initiativen für die zivil-militärische Kooperation auf dem Balkan ergreifen möchte. Besondere Aktualität habe die zivil-militärische Kooperation bei Naturkatastrophen und bei der Abwehr von Terrorgefahren. Zivil-militärische Zellen sollten 90 Mann umfassen und im Stande sein, die jeweilige Situation autonom zu beurteilen. Im Juli will Österreich dazu gemeinsam mit Finnland und Großbritannien ein Non-Paper zur zivil-militärischen Kooperation vorlegen.

Die europäischen Battlegroups sollen bis Ende 2006 implementiert werden und eine stärkere Präsenz der EU am Balkan ermöglichen. Murauer warnte aber vor einer Inflation an Operationen. Battlegroups zu haben sollte nicht bedeuten, sie so oft wie möglich einzusetzen.

Der Balkan stelle sicherheitspolitisch eine Querschnittmaterie dar, meinte Murauer. Es sei zugleich wichtig, die EU-Integrationsperspektive zu unterstützen und die Region wirtschaftlich und politisch zu stabilisieren. Den militärischen Eliten will Murauer Trainingsmöglichkeiten anbieten. Zudem maß er der parlamentarischen Dimension der Sicherheitspolitik und der Einbeziehung der Bürger in verteidigungspolitische Fragen große Bedeutung zu.

Der Vorsitzende des WEU-Verteidigungsausschusses Robert Walter (GB) zeigte Interesse an den Ansichten Österreichs zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, insbesondere an der Rolle Österreichs auf dem Balkan und zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Außerdem wollte Walter wissen, wie Österreich, das an der "Partnerschaft für den Frieden" teilnimmt, seine Beziehungen zur NATO sehe.

Der Obmann des Verteidigungsausschusses des Nationalrates Reinhard Eugen Bösch informierte über die österreichische Streitkräfte-Reform und das Ziel, die Stärke des Bundesheeres von 120.000 auf 55.000 Soldaten zu reduzieren. Das Heer konzentriere sich darauf, im Inland Assistenzkräfte zur Verfügung zu stellen, sei es bei der Katastrophenhilfe oder bei sicherheitspolizeilichen Aufgaben, wie derzeit bei der Sicherung der Ostgrenze, und habe zugleich die Fähigkeit zur Landesverteidigung beizubehalten. Zweitens erfülle das Heer weiterhin - wie seit Jahrzehnten - seine internationalen Aufgaben.

Dabei bekannte sich Bösch nachdrücklich zur einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Mitgliedsländer müssen sich gegenseitig bei Terroranschlägen Hilfe leisten können, und zugleich soll die EU im Rahmen der strukturierten Zusammenarbeit fähig sein, mit Streitkräften weltweit sichtbar zu werden. Auch Österreich wolle einen bescheidenen Beitrag bei der Aufstellung von Battlegroups leisten. Denn die Eu soll die führende sicherheitspolitische Kraft in Europa werden, indem sie aus sich heraus Kräfte für sicherheitspolitische Aktionen entwickelt. Darin sah Bösch eine Perspektive für jene EU-Mitgliedsländer, die nicht der NATO angehören.

In der allgemeinen Diskussion führte Walter Murauer auf diesbezügliche Fragen der Gäste aus, Österreich denke in absehbarer Zeit nicht daran, der NATO beizutreten. Österreich anerkenne die Notwendigkeit der NATO und sehe, dass die NATO einen besonderen europäischen Akzent habe, er sei aber überzeugt, dass die europäische Kompetenz in der Verteidigungspolitik gestärkt werden sollte. Österreich leiste einen engagierten Beitrag in der Partnerschaft für den Frieden und will die gemeinsame militärische Logistik in Europa weiter entwickeln, was auch in der Entscheidung für den Kauf des Eurofighters, ein zu 100 % europäisches Gerät, zum Ausdruck gekommen sei.

Murauer erinnerte auch an die Beteiligung an der Afghanistan-Mission. Österreich leiste auch in entfernten Gebieten einen Beitrag zur Stabilität. Der Afghanistan-Einsatz sei ein gutes Beispiel für österreichisches Engagement bei der Stabilisierung von Krisengebieten, setzte Ausschussobmann Bösch fort und machte auf die Entsendung von 90 Mann zur Unterstützung demokratischer Wahlen aufmerksam. Bösch konnte sich aber nicht vorstellen, dass sich Österreich an Kampfeinsätzen beteilige. Österreich wolle in der EU solidarisch, in der Welt aber neutral sein, erklärte Bösch.

Abgeordneter Herbert Scheibner klärte unmissverständlich darüber auf, dass die österreichische Neutralität nichts mit "sicherheitspolitischer Trittbrettfahrerei" zu tun habe. Die Neutralität sei in der Bevölkerung zu Recht tief verankert, weil sie als Garant für die Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes angesehen werde. Heute sei die Neutralität Österreichs aber eher als Bündnisfreiheit zu betrachten, was konkret bedeute, nicht an Kriegen teilzunehmen, keinem militärischen Bündnis beizutreten und keine permanente Präsenz fremder Truppen in Österreich zuzulassen. Scheibner bekannte sich aber zum gesamten Spektrum der Petersberg-Aufgaben und daher auch zur Teilnahme an Spezialeinheiten in Afghanistan.

Zur gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik merkte Scheibner an, es wäre wichtig, zunächst eine gemeinsame Außenpolitik herbeizuführen und erst dann, in einem zweiten Schritt, eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dies sei auch deshalb wichtig, weil Solidarität in der Sicherheitspolitik die europäische Identität stärke.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundesrates Harald Reisenberger sah die sicherheitspolitischen Aufgaben Österreichs in der EU vorrangig bei der Verhütung von Konflikten, bei der Erhaltung des Friedens und beim Wiederaufbau. Reisenberger bekannte sich zur Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas und plädierte für die Beibehaltung der österreichischen Schwerpunkte in der Balkanregion. Mit der NATO sollte Österreich diskutieren und zusammenarbeiten, ihr aber nicht beitreten, denn dies sei mit der Neutralität unvereinbar. Schließlich erneuerte Reisenberger die Kritik seiner Fraktion, der SPÖ, an der Anschaffung der Eurofighter. Mit der WEU will Reisenberger verstärkt zusammenarbeiten.

Zahlreiche Fragen der WEU-Abgeordneten galten der österreichischen Bundesheerreform und ihrer konkreten Umsetzung. Walter Murauer räumte ein, dass der Verkauf von Kasernen zu Widerstand in den betroffenen Regionen führe, man könne aber nicht darauf verzichten, Grundstücke zu verkaufen, weil die Heeresreform Geld koste.

Ähnlich argumentierte Reinhard Eugen Bösch, der - darin in Übereinstimmung mit Abgeordnetem Walter Tancsits - darlegte, warum ein Berufsheer in Österreich nicht organisierbar sei. Lediglich 2 bis 3 % eines Jahrgangs wären zum Eintritt in ein Berufsheer bereit, was bedeuten würde, dass eine Berufsarmee ständig mit Personalmangel zu kämpfen hätte.

Die allgemeine Wehrpflicht hielt Walter Murauer für sinnvoll und notwendig - der Bürger soll auch in einer modernen Gesellschaft seinen Beitrag zur Sicherheit des Landes leisten.

Auf eine diesbezügliche Frage von Vorsitzendem Robert Walter erläuterte Reinhard Eugen Bösch, dass eine österreichische Vollmitgliedschaft in der WEU wegen der dort verankerten Beistandspflicht nicht möglich sei. Der vom österreichischen Parlament angenommene EU-Vertrag enthalte aber eine Beistandsgarantie, wenn auch mit der Klausel, auf kleinere Länder Rücksicht zu nehmen. Er glaube, dass sich die WEU zur parlamentarischen Versammlung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiter entwickeln werde. Dann könnten alle EU-Länder WEU-Mitglieder werden. Wenn die Zeit gekommen sein wird, werde sich Österreich nicht verweigern können, sagte Bösch.

Abgeordneter Walter Tancsits merkte abschließend an, dass das Neutralitätsrecht ein Völkerrecht und ein Gewohnheitsrecht sei, das heute in erster Linie durch das neutrale Österreich geprägt werde.
     
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