Don Juan alias Don Giovanni¹  

erstellt am
06. 03. 06

oder "zwei und zwei sind vier"² oder "Lust ist der einzige Schwindel, dem ich Dauer wünsche"³
Wien (kunsthalle) - Mozarts Don Giovanni wurde von E. T. A. Hoffmann als "Oper aller Opern" bezeichnet und Kierkegaard findet in ihr "sinnlich-erotische Genialität". Für Max Frisch hingegen strebt Don Juan alias Don Giovanni nach der "Liebe zur Geometrie". Denn am Ende ist sein Handeln "ein Lug und Trug" damit er wieder zu seiner geometrischen Abstraktion kommt, "herzlos wie er ist."

Wie aktuell die Figur des Don Juan und wie zeitgemäß sein Atem beraubender Lebensstil ist, wird in einer Videokunst Ausstellung der Ursula Blickle Stiftung im Kraichtal und der Kunsthalle Wien ermittelt. Videos von Tracey Moffat, AK Dolven, Noritoshi Hirakawa, Erwin Wurm u. a. lenken den Blick auf den Don Juan-Mythos und ermitteln die Brisanz dieser Figur.

Die schillernde und facettenreiche Gestalt selbst hat im Laufe der Jahrhunderte mehrere Metamorphosen erfahren. Mal war Don Giovanni der amoralische Frauenheld und ein skrupelloser Hedonist, dessen Verführungskünsten hunderte Frauen erlagen, mal war er ein schwacher und unbeherrschter Mann auch voller Verzweiflung. Verblüffend ist die Vielfalt der Rollen und Identitäten, die Don Juan für seine Lustinszenierungen erzeugte. Schließlich vereint er die großen Themen Liebe, Lust und Tod in einer Person. Die archetypische Figur signalisiert stets ein ambivalentes Begehren: der Wunsch nach Schmerzzufügung lässt auch Lustverlangen erahnen, die kaltblütige Verführung schlägt um in melancholische Todessehnsucht. Dabei ist er immer auf der Jagd nach Erfüllung, nach einem neuen Opfer seiner Sinneslust, zugleich gehetzt von seinen Eroberungstrieben und den Ansprüchen der liebenden wie eifersüchtigen Frauen. Schließlich wird alles - auch die Gefühle - als Maskerade entlarvt, doch "Lust ist der einzige Schwindel dem ich Dauer wünsche" (Walter Serner, "Letzte Lockerung").

Der Verführer lässt sich nur im Gegenüber mit den Verführten denken: es zeigen sich unterschiedliche Modelle des Begehrens der Frauen, die durch Don Juan inszeniert werden. Das Spektrum reicht von der Masochistin, die den späteren Täter als Opfer anlockt, bis hin zur Domina, zur "Donna Giovanna".

Wie sehr das Bild der Frau als Gegenpart des Don Juan sich im Lauf der Zeit gewandelt hat, zeigt Noritoshi Hirakawas Spring Fever, in dem er die Urszene der Verführung mit dem Apfel, den Sündenfall, umdreht.

Das Begehren des Don Juan ist stets ambivalent, Lust ist ohne Schmerz, Melancholie und Tod nicht zu denken. Tracey Moffatts Love vereint all die verschiedenen Facetten der Figur, zeigt als Abriss durch die Filmgeschichte die Metamorphosen auf: vom harmlosen Flirt zur Liebelei bis hin zu echtem Tod und Leid.

Die Arbeiten von AK Dolven spiegeln die Wirkung der zerstörerischen Lebenssucht des Don Juan, spiegeln die Gewaltphantasien und deren Auswirkungen. Sie zeigen wie brüchig die Grenze zwischen Leben und Tod ist. Bei dem Blick auf die menschliche Triebwelt klingen stets die Leere und Verzweiflung mit.

Die Videofilme von Tracey Rose, Lilli und Lola und einer eigens für die Ausstellung nach-inszenierten Szene des Theaterkollektivs Rimini-Protokoll kreisen um die Käuflichkeit von Liebe und um die Authentizität des Don Juan als strahlenden Verführer. Bis in die 1960er Jahre hinein waren Figuren wie J. F. Kennedy und James Bond Paradebeispiele dieses Typus. Die Totenklage des serbischen Künstlers Zoran Naskovski auf J. F. Kennedy führt diese "Reinform" des Don Juan bereits als gebrochene Figur vor, zeigt die Zerbrechlichkeit der Siegerpose. Klaus Pobitzer, das Künstlerduo Lilli und Lola und Tracey Rose gehen noch einen Schritt weiter, indem sie die Liebe als Markenartikel inszenieren, die Phallusattrappe wird zur komischen Kopfbedeckung, zum Dekor. Attitüde und Affekt sind nur mehr Maskerade.

All die Videos werden musikalisch untermalt von der idealen Mozart-Welt des Don Giovanni. Elfriede Jelineks Hörspiel Jackie ertönt quasi als Echo auf die Totenklage. Die Ausstellung untersucht das Sinnliche, Haptische und die Gefühle gemäß der Devise: Verführen und verführt werden, betrachten und betrachtet werden.

Teilnehmende KünstlerInnen:
Ellen Cantor, AK Dolven, Kendell Geers, Noritoshi Hirakawa, Takehito Koganezawa, Lilli und Lola, Tracey Moffatt, Zoran Naskovski, Klaus Pobitzer, Rimini Protokoll, Ugo Rondinone, Tracey Rose, Doron Solomons, Erwin Wurm.

Kurator: Gerald Matt
Cokuratorin: Gaby Hartel


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag für moderne Kunst Nürnberg. Hg. Ursula Blickle Stiftung und Kunsthalle Wien / Gerald Matt, Gaby Hartel. Deutsch und Englisch. Mit Abb. und Textbeiträgen von Gerald Matt, Gaby Hartel, Interviews mit Michael Haneke und Olga Neuwirth, Textauszügen von Peter Handke und Elfriede Jelinek sowie Kurztexte und Interviews mit den KünstlerInnen. ISBN 3-938821-36-1

Kunsthalle wien
24. März - 16. April 2006, halle 1
Museumsplatz 1, A-1070 Wien, Infoline: +43-1-52189-33, www.kunsthallewien.at
Täglich 10 - 19 Uhr, Do 10 - 22 Uhr

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1) Don Giovanni ist der italienische Name für die spanische Figur des Don Juan. Es war Tirso de Molina, der die Geschichte des Juan Tenorio mit dem Schauspiel "El Burlado de Sevilla y combidado de piedra" zum Leben erweckte. Dieses spanische Barockdrama wurde nun von Mozart und da Ponte als Stoffgrundlage gewählt. Don Juan wurde Don Giovanni genannt.
2) Molière, "Don Juan und der steinerne Gast", 1665
3) Walter Serner, "Letzte Lockerung", 1920
     
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