"Schau mich an"  

erstellt am
20. 03. 06

Wien, Hermesvilla: Gesichter der Stadt erzählen Stadtgeschichte
Wien (wienmuseum) - Was haben Hans Moser und Räuberhauptmann Grasl, Kaiserin Elisabeth und „Lionel, der Löwenmensch“ gemeinsam? Sie alle sind in der Porträtsammlung des Wien Museums vertreten, die über 100.000 Bilder von prominenten, aber auch unbekannten Bewohnern Wiens umfasst. Erstmals wird dieser einzigartigen Sammlung eine eigene Themenausstellung in der Hermesvilla gewidmet: „Schau mich an“ erzählt eine Geschichte Wiens anhand der Gesichter der Stadt.

Dabei geht es um mehr als um Porträts als ästhetische Erinnerungsstücke an Menschen. Bildnisse aus mehreren Jahrhunderten werden vielmehr als Zeugen gesellschaftlicher Entwicklung präsentiert, die viel über soziale Rangordnung, inszenierte Macht, Schönheitsideale und moralische Werte verraten. Daraus ergeben sich Leitfragen der Ausstellung: Wer ließ sich überhaupt porträtieren und zu welchem Zweck? Von welchen Menschen haben wir heute keine Bildzeugnisse und warum? Worin unterscheiden sich Porträts unterschiedlicher Gesellschaftsschichten?

„Schau mich an“ zeigt in elf Kapiteln über 300 Exponate aus vier Jahrhunderten. Zu den Highlights zählen u. a. Bilder von Hans Makart, Ferdinand Georg Waldmüller, Friedrich von Amerling, Carl Moll, Max Oppenheimer, Richard Gerstl und Trude Fleischmann. Porträts, die in der Sammlung als „Unbekannt von Unbekannt“ inventarisiert sind, werden ebenso gezeigt wie Fahndungsfotos und Werbebilder für Prater-Schausteller, Totenmasken berühmter Künstler, Wachsfiguren, Politikerplakate, Marmorbüsten und Nippes: Eine repräsentative Auswahl aus der umfangreichen Sammlung des Wien Museums – und zugleich ein aufschlussreiches Kaleidoskop der Wiener Gesellschaft im Wandel der Zeit.

Ein Rundgang in elf Kapiteln
Die Ausstellung „Schau mich an“ nähert sich dem Thema in elf Kapiteln. Am Beginn steht – der Tod. Denn Porträts sind seit jeher „Bilder gegen das Vergessen“, was sich nicht zuletzt in der Beliebtheit von Totenporträts und Totenmasken niederschlägt. Danach stehen Porträts der politischen Elite von den Habsburgern bis zu den Wiener Bürgermeistern im Fokus. Herrschaftliche Insignien und Repräsentation sind hier entscheidend, die Porträtähnlichkeit wird nebensächlich.
Schönheitengalerien, also Sammlungen von Frauenporträts, gab es seit dem 16. Jahrhundert. Wesentliche Merkmale: Idealisierung und Makellosigkeit, Profilansicht zur Betonung der schönen Physiognomie. Um „Vater, Mutter, Kind“ geht es im nächsten Kapitel. Familienporträts unterliegen sehr stark dem Zeitgeschmack. Dienten sie im 18. Jahrhundert im bürgerlichen Milieu etwa stark zur Betonung des sozialen Aufstieges, wurden im 19. Jahrhundert Werte wie Liebe und Zuneigung thematisiert, wobei Frauen die Rolle der sorgenden Mutter und Gattin zugewiesen wurde. Porträts wurden zu Momentaufnahmen privaten Glücks. Nicht zuletzt fällt in diese Zeit auch ein Boom bei Kinderporträts.
Who-is-who der Wiener Gesellschaft
Ein eigener Bereich ist Josef Kriehuber, dem berühmtesten Wiener Porträtlithografen des 19. Jahrhunderts, gewidmet. Seine Kundenkartei liest sich wie ein Who-is-Who der Wiener Gesellschaft: Metternich, Radetzky, Grillparzer, Ghega, Johann Strauß Sohn... Dem Starkult um die Burgtheaterdiva Charlotte Wolter – ein Paradebeispiel für die verführerische „öffentliche Frau“ – geht die Ausstellung ebenso nach wie Zeugnissen aus der „Gegengesellschaft“. So sind etwa Verbrecherfotos und Porträts von Halbweltdamen oder Varietékünstlerinnen zu sehen. Neben Erotik waren nicht zuletzt auch Darstellungen von physischer Abnormität beliebt (Haarmenschen, Bartfrauen, kleinwüchsige Menschen etc.).
Als Beispiele des frühen Kino-Starkults werden in einem weiteren Kapitel Autogrammfotos der UFA-Stars gezeigt. Viele der Kinolieblinge stammten aus Wien und wurden Teil der NS-Propagandamaschinerie. Wie stark sich ein Berufsbild im Laufe der Jahrhunderte ändern kann, beweist dann ein Blick auf Porträts von Ärzten: Ihr Image als „Götter in Weiß“ mussten sich die ehemaligen „Bader“ und „Quacksalber“ erst erarbeiten...
Radikale Brüche: Künstlerporträts von Gerstl bis Fleischmann
Ein wichtiger Teil der Ausstellung ist den Künstlerporträts der Moderne (Richard Gerstl, Arnold Schönberg, Trude Fleischmann u. a.) gewidmet, die radikal mit den Bildkonventionen gebrochen haben und nach „innerer Wahrheit“ suchten. Den Abschluss bilden schließlich Porträts, die als „Unbekannt von Unbekannt“ inventarisiert werden mussten. Sie sind der „weiße Fleck“ in der Porträtsammlung des Wien Museums. Viele dieser Bilder sind in den Jahren 1938 bis 1945, wohl in den meisten Fällen als Raubgut, in die Sammlung gelangt. Das Wissen, wer dargestellt ist, ging dadurch verloren. Als anonyme Bilder erinnern sie daran, wie wichtig Name und Identität für Porträts sind – und wie tragisch es ist, wenn Menschen dieser beraubt werden.

Eröffnung: Mittwoch, 5. April 2006, 18.30 Uhr
Ausstellungsort: Wien Museum Hermesvilla, A -1130 Wien, Lainzer Tiergarten
Ausstellungsdauer: 6. April 2006 bis 7. Jänner 2007
Öffnungszeiten: Bis 26. Oktober 2006:
Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Ab 27. Oktober 2006:
Freitag bis Sonntag und Feiertag, 10.00 Uhr bis 16.30 Uhr


Informationen: http://www.wienmuseum.at/
     
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