Große Mehrheit für Anti-Stalking-Gesetz  

erstellt am
30. 03. 06

Regierungsfraktionen und Sozialdemokraten stimmen in 3. Lesung zu
Wien (pk) – Das öffentlich intensiv diskutierte Anti-Stalking-Gesetz stand an der Spitze der Tagesordnung der Sitzung des Nationalrats am Mittwoch (29. 03.), unter einem debattiert mit weiteren Vorlagen aus dem Justizausschuss (ein EU-Protokoll, ein Abkommen zur Bekämpfung von Betrug und Bestechung, ein Rechtshilfe-Abkommen mit den USA und ein entsprechendes Protokoll). Vor Beginn dieser Debatte gab Präsident Dr. KHOL bekannt, dass der freiheitliche Parlamentsklub das Verlangen gestellt habe, die schriftliche Anfrage 4078/J an den Finanzminister betreffend "Sicherung des Wirtschafts- und Finanzplatzes Österreich durch lückenlose Aufklärung des ÖGB-BAWAG-Skandals" dringlich zu behandeln. – Aufruf der dringlichen Anfrage: 15 Uhr.

Anschließend wird es eine Kurze Debatte über die Beantwortung 3751/AB der Anfrage 3849/J betreffend "unglaubliche Anschüttungen gegenüber der Sicherheitsexekutive durch den Direktor des KHM durch die Innenministerin" geben.

Ferner hat G-Abgeordneter Dr. Pirklhuber beantragt, dem Gesundheitsausschuss zur Berichterstattung über den F-Antrag 717/A (E) betreffend nationale Maßnahmen zum Schutz vor gentechnisch veränderten Organismen eine Frist bis zum 25. April 2006 zu setzen. – Die Abstimmung hierüber erfolgt nach Beendigung der Verhandlungen.

Abgeordnete Mag. WEINZINGER (G) eröffnete dann die Debatte. Sie hielt es für höchst an der Zeit, dass Österreich ein wirksames Anti-Stalking-Gesetz erhalte. Das vorliegende Gesetz sei aber auf halbem Weg stecken geblieben und entspreche nicht der Vier Parteien-Entschließung, in der ein wirkungsvoller Schutz von Opfern vor Stalking gefordert wurde. Übrig bleibe, dass in einem Bereich, in dem gerade Frauen die große Mehrheit der betroffenen Opfer darstellen, ein "Schutz zweiter Klasse" gewährt werde. Stalking habe unterschiedliche Formen, die darauf abzielen, einen vom Opfer jedenfalls unerwünschten Kontakt herzustellen, der zu Psychoterror wird und bei dem mit schweren gesundheitlichen und psychischen Folgen gerechnet werden muss. Notwendig wäre es, sofort einzuschreiten und ein Kontaktverbot zu verhängen. Aber die Vorlage kenne kein Kontaktverbot, vielmehr werde das sofortige Einschreiten der Polizei unterbunden und die Opfer zu den Gerichten geschickt. Weinzinger betonte, die Regierung wolle Dinge "nur dem Namen nach" erledigen, die Grünen halten es aber für unabdingbar, Dinge dem Inhalt nach korrekt, ernsthaft und seriös zu erledigen.

Abgeordnete RIENER (V) leitete ihre Wortmeldung mit einem Beispiel aus der Praxis ein. Ihrer Meinung nach sei Stalking mit Mobbing vergleichbar, gehe es doch um Psychoterror, um schikanöses Verhalten und um Beharrlichkeit. Wesentlich sei, dass die betroffene Person in ihren Lebensumständen eingeschränkt ist, es führe zu Gesundheitsschädigungen, Krankenständen usw., was neben persönlichem Leid auch volkswirtschaftlich zu hohen Kosten führe. Eine Beweisbarkeit zu erringen, sei nicht einfach. Bei neuen Erkenntnissen will man – das gehe aus einer Ausschussfeststellung hervor – notwendige Anpassungen vornehmen.

Abgeordnete Mag. STOISITS (G): Wenn Rosen von einer Person kommen, die mir nicht weh tun will, dann werde ich mich darüber freuen. Bei permanenter Nachstellung und permanentem unerwünschten Kontakt – ob in Rosen- oder anderer Form – handelt es sich um Stalking, um Psychoterror. Die Stalking-Bestimmungen sollen verhindern, dass jemand Schaden an seiner Gesundheit nimmt. Aber zu diesem Schutz werde es in Österreich nicht kommen, weil das Innenministerium die Auffassung vertritt, wenn jemand Rosen schickt, dann könne man ihn nicht ein Jahr einsperren, so die Rednerin.

Abgeordneter Dr. JAROLIM (S) bedauerte, dass all das, was man sinnvollerweise in ein Gewaltschutzgesetz hineinschreiben müsse, wieder herausgenommen und gesagt wurde, die Polizei werde nicht eingesetzt; wenn jemand verfolgt wird, dann solle er bei Gericht einen Antrag stellen und mit dem Beschluss zu Polizei gehen. Die Regierung Schüssel zeige einmal mehr, "wie man aus viel wenig macht"; außerdem sei es beschämend, in der Zeit der Europäischen Präsidentschaft Regelungen zu beschließen, die nicht den europäischen Normen entsprechen. Wenngleich sich die SPÖ mehr gewünscht hätte, werde sie dem Anti-Stalking-Gesetz zustimmen. Unterstützt werde von den Sozialdemokraten u.a. auch, dass die gefährliche Drohung künftig auch von Amts wegen strafbar ist, wenn sie von Angehörigen ausgesprochen wird.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) meinte, die Grünen verzerrten die wirklichen Verhältnisse. So wurde behauptet, es habe eine "geheimnisvolle Arbeitsgruppe" im Justizministerium gegeben und man sei nicht mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit an die Materie herangegangen. Auch die Aussage der Grünen, für Frauen gebe es nur einen Schutz zweiter Klasse, sei "absurd". Bei Gericht müsse die betroffene Person nur glaubhaft machen, dass sie terrorisiert wird. Es gebe keine Anhörung des Gegners. Das Gesetz werde vielen Frauen, aber auch Männern, die gestalkt werden, helfen, die Gerichte werden schnell arbeiten und die Exekutive werde eingreifen.

Sie wies auch darauf hin, dass bei der Genitalverstümmelung in Hinkunft die Verjährungsfrist erst beginne, wenn das Opfer volljährig ist. Damit habe man einen wesentlichen Schritt gesetzt, um auch nach einem langwierigen Prozess gerichtlich einschreiten zu können. Ferner falle die Zwangsverheiratung einer Frau unter den Tatbestand der Nötigung.

Für Abgeordneten Mag. TANCSITS (V) ist das Anti-Stalking-Gesetz ein wirksames Gesetz und längst überfällig. Die Terrorisierungsmöglichkeiten einer Person ohne eine gefährliche Drohung auszusprechen, sei durch die modernen Kommunikationsformen verstärkt worden, hätten aber bis jetzt nicht geahndet werden können. Nun gebe es eine erhebliche Strafdrohung und die Möglichkeit eines wirksamen Einschreitens. Tancsits erwähnte dazu auch die Änderung des Exekutionsordnung, die den Weg einer einstweiligen Verfügung eröffnet. Er sah in der Argumentation der Grünen einen Widerspruch, da diese das Sicherheitspolizeigesetz abgelehnt haben, jetzt aber derartige Maßnahmen urgierten. Tancsits ging dann näher auf die Inhalte des Gesetzes ein und bezeichnete es als wichtig, dass Österreich die Nötigung zur Zwangsverheiratung verbietet. Er begrüßte auch die Verlängerung der Verjährungsfrist für Genitalverstümmelung und das Ende der Privilegierung der gefährlichen Drohung im familiären Bereich. Damit werde die Würde und die Unantastbarkeit der Person auch mit dem Strafrecht verteidigt und somit setze Österreich ein wichtiges Signal.

Abgeordnete STADLBAUER (S) bezeichnete das Anti-Stalking-Gesetz als einen ersten Schritt in die richtige Richtung, bedauerte jedoch, dass Stalking durch Internet kein Offizialdelikt wird. Die Rednerin erinnerte an die Chronologie der Gesetzwerdung und übte dabei Kritik an der Regierung und an Justizministerin Gastinger, die, nach Stadlbauers Auffassung, nicht professionell vorgegangen ist. Die Ministerin sei erst nach zahlreichen Initiativen der SPÖ auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene und auf Grund eines SPÖ-Antrages im Justizausschuss tätig geworden. Der von ihr im Oktober 2005 vorgelegte Gesetzentwurf sei mangelhaft gewesen, und darüber hinaus hätten sich die Innenministerin und der Finanzminister quergelegt. Das nun vorliegende Gesetz habe daher erst nach vielen Hindernissen dem Parlament zugeleitet werden können und stelle lediglich einen ersten Schritt dar, dem auch die SPÖ trotz großer Mängel zustimme.
   

Abgeordnete DI ACHLEITNER (F) konterte, die SPÖ hätte bereits vor dem Jahr 2000 mit Frauenministerin Prammer ein derartiges Gesetz vorlegen können. Sie zeigte auch kein Verständnis für die Grünen, die immer Forderungen stellten und bei konkreten Umsetzungsschritten nicht mitmachten. Durch das vorliegende Anti-Stalking-Gesetz hätten Frauen erstmals die Chance, sich gegen Psychoterror zu wehren, denn bis jetzt habe man erst dann eingreifen können, wenn wirklich etwas passiert ist. Stalking und gefährliche Drohung im Familienbereich gelten nun als Offizialdelikt, Stalking-Opfer würden aktiv unterstützt und könnten kostenlos die Kriseninterventionsstellen in Anspruch nehmen.

Gegen den Vorwurf von Gesetzesmängel wehrte sich Justizministerin GASTINGER heftig. Sie habe bei der Erstellung der Vorlage eng mit den Kriseninterventionsstellen und den Frauenhäusern zusammengearbeitet, und man habe ihr von dieser Seite allgemeine Zufriedenheit signalisiert. Ihr sei es auch gelungen, innerhalb von sechs Monaten einen Entwurf vorzulegen. Gastinger betonte nochmals, dass Stalking nun zum Offizialdelikt werde und verteidigte die nun vorgesehene Lösung bei Internet- und Telefonterror. Hier habe die Polizei wenig Möglichkeit einzuschreiten, daher habe man in diesen Fällen ein Antragsdelikt vorgesehen, bei dem die Opfer eine Dokumentation vorlegen müssen. Auch ihr wäre es lieber gewesen, in diesen Fällen nach den Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes vorzugehen, räumte sie ein. Jedenfalls würde psychische Gewalt gegen Menschen nun nicht mehr geduldet, sondern sei ein Straftatbestand. Ebenso werde die gefährliche Drohung im Familienbereich als Offizialdelikt verfolgt. Gastinger betonte, dass allen Opfern eine juristische und psychosoziale Prozessbegleitung zur Verfügung stünden, wobei die Kosten vom Justizministerium getragen würden. Das Gesetz soll auch nach zwei Jahren evaluiert werden.

Abgeordnete FRANZ (V) begrüßte das Gesetz, da es den Betroffenen endlich die Gewissheit bringe, geschützt zu werden. Auch wenn die Stalker selbst als krank eingeschätzt werden müssten, habe man die Opfer bestmöglich zu schützen, hielt Franz fest. Stalking-Opfer würden nun nicht mehr allein gelassen, sondern professionelle Hilfe erhalten.

Abgeordnete Mag. BECHER (S) bezeichnete das Gesetz als eine schwere Geburt, nachdem sich Finanz- und Innenministerium lange dagegen gewehrt hätten. Es sei richtig und wichtig, sagte sie, aber zu wenig wirksam. Als einen großen Mangel bewertete sie die Tatsache, dass Stalking mittels Kommunikationsmittel zu keinem Offizialdelikt wird. Sie halte eine Änderung des Sicherheitspolizeigesetzes in Form des Wegweiserechts für nötig. Becher brachte in diesem Zusammenhang einen Abänderungsantrag der SPÖ ein. Dennoch werde die SPÖ, so Becher, dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen, weil er in die richtige Richtung weise.

Abgeordneter FAULAND (F) kam auf den Debattenbeitrag von Abgeordneter Stadlbauer zurück und meinte, dieses Gesetz sei zustande gekommen, weil es eine Justizministerin Gastinger gebe. Er unterstrich, dass Stalking kein reines Frauenthema sei, sondern auch 20 % der Männer von derartiger Verfolgung betroffen seien. Fauland verteidigte auch die gewählte Lösung im Zusammenhang mit Stalking über neue Medien, da diese nachvollziehbar und praktikabel sei. Er kritisierte die Grünen, die sonst immer gegen Telefonüberwachung aufträten, in diesem Falle aber für den Einsatz dieser Methoden wären.

Abgeordneter PRASSL (V) beschäftigte sich mit den Änderungen im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung, die die Umweltkriminalität betreffen. Dadurch würden bestehende Vorsatzdelikte angepasst und Fahrlässigkeitsdelikte im Zusammenhang mit dem Umgang mit Kernmaterial und radioaktiven Stoffen hinzugefügt.

Bundesministerin RAUCH-KALLAT äußerte sich erfreut und zufrieden über den Gesetzesbeschluss und dankte der Justizministerin ausdrücklich dafür, dass sie dieses Gesetz noch in dieser Gesetzgebungsperiode vorgelegt und im Parlament eine Einigung erzielt hat. Die ablehnende Haltung der Grünen konnte sie nicht nachvollziehen, da es besser sei, ein Gesetz zu beschließen und Opfer zu schützen, als ewig zu verhandeln. Als wichtig bezeichnete die Frauenministerin auch die Regelung, wonach traditionsbedingte Gewalt zum Offizialdelikt wird, wodurch in Hinkunft allfällige Anzeigen nicht mehr unter Druck zurückgezogen werden können.

Auch Abgeordnete Mag. WURM (S) zeigte sich grundsätzlich zufrieden über den Gesetzesbeschluss, kritisierte aber, wie ihre Klubkolleginnen, dass Stalking über moderne Medien nicht zu den Offizialdelikten zähle. Sie sprach sich gegen einen außergerichtlichen Tatausgleich im Falle einer Verurteilung auf Grund von Stalking aus, denn das wäre ihrer Ansicht nach kontraproduktiv.

Abgeordneter GLASER (V) konzentrierte sich auf die Umweltthemen und unterstrich die Notwendigkeit, beim Umgang mit Kernmaterialien, radioaktiven Stoffen und Anlagen eine Strafverschärfung vorzunehmen. Die Strafbestimmungen seien aber nicht ausreichend, meinte er, sondern zum Schutz der Umwelt müsse man bereits vorher ansetzen, etwa bei der Erstellung von Bescheiden.

Bei der Abstimmung kam es auf Grund vorliegender Abänderungsanträge von SPÖ und Grünen zu einer getrennten Abstimmung. Der Ausschussbericht über das Anti-Stalking-Gesetz sowie über die Änderungen des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung wurde in Zweiter Lesung teils einstimmig, teils mit Stimmen von ÖVP und F und teils mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und F mehrheitlich angenommen. In Dritter Lesung wurde das Gesetz mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und F mehrheitlich beschlossen.

Das Zweite Protokoll aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften samt Erklärungen passierte den Nationalrat einstimmig.

Ebenso einstimmig wurde das Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen, angenommen.

Auch das Protokoll zu dem am 23. Februar 1995 unterzeichneten Vertrag zwischen Österreich und den USA über die Rechtshilfe in Strafsachen wurde einstimmig genehmigt.

Das gleiche gilt für das Protokoll zu dem am 8. Jänner 1998 unterzeichneten Auslieferungsvertrag zwischen Österreich und den USA.
     
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