"Anna und Lou" aus der Reihe "Baustelle Nestroyhof"  

erstellt am
10. 04. 06

Premiere anlässlich des 150. Geburtstages von Sigmund Freud
Wien (theatertransit) - Ein dramatisierter Briefwechsel zwischen Anna Freud und Lou Salomé
Aus: „..als käm ich heim zu Vater und Schwester“ Lou Andreas Salomé, Anna Freud, Briefwechsel 1919-1937, hrsg. Daria A. Rothe & Inge Weber (2001 Wallsteinverlag, München)


Hamburg, 9. April.1922

Meine liebe Lou, Wien, 24. Nov.22

Ich danke dir vielmals für deinen Brief, der diesmal beinahe war wie ein Besuch von Dir und mir eine ganz reale große Sehnsucht nach dir gebracht hat. Mir tut es jetzt immer wieder ärgerlich leid, dass ich nicht um 30 oder 40 Jahre früher auf der Welt war, dann hätte ich nicht so ein verspätetes Anhängsel an dich und Papa sein brauchen. – Wenn ich einmal eine kleine Analysenfortsetzung brauche, hilfst du mir dann dabei? (...) Heute hat Papa mir einen langen Abendbesuch gemacht und darüber ist es sehr spät geworden. Beinahe kommt mir jetzt vor als ob ich jeden Tag zweimal erleben würde, einmal wirklich und das zweite Mal noch viel wirklicher im Durchsprechen mit Papa. Nie war das so sehr wie gerade jetzt. Damals in der Analyse war es ganz anders; wenn ich nicht damals noch viel entfernter von ihm gewesen wäre, so hätte ich es ja gar nicht bei Papa machen können. Ist es nicht sehr arg („psychoanalytisch sehr schlimm“), dass dieser Brief als Antwort auf deinen gestrigen schon drei im Papierkorb geendete Vorgänger hat? Ich hatte dir diesmal so unheimlich viel zu sagen dass ich eine Menge davon wieder verschlucken musste. (...)

Jetzt muss ich schnell schließen, sonst geht Papa durch ehe ich im Bett bin.

Ich küsse Dich viele Male und bin ganz und gar Deine Anna“





Meine liebe Anna Berlin, 28.11.1922

Meine Patientin, Frl. Kramer, brachte mir vor 1 Stunde Deinen Brief mit der kleinen jungenhaften Anna Freud darin; ich hab sie hoch erfreut als Besuch empfangen, gut haben wir uns unterhalten und dann hab ich sie eingeheimst in ein Mäppchen zur Obersalzwerk-Anna und den Bildern Deines Vaters. Das wird so allmählich ein Album für sich, ich werde es ungerahmt und unvermengt, immer bei mir haben, bis ich euch, geliebte Angesichter, wieder sehe. Gott sei Dank, dass du dann nicht als wackeliges Mütterchen zwischen uns sitzen wirst, sondern in Deiner gesegneten Jugend! Das wirst Du noch einmal tüchtig stark empfinden! Aber das find ich allerdings „ps.a. sehr schlimm“ dass Du mehrere Briefe mit dermaßen falscher Post beförderst und nicht mal eine Fehlhandlung sie in den Papierkorb befördert, nein, volles Bewusstsein: ist denn so was nicht direkt eine Herzens-dementia praecox? Ich freu mich aber an Deinem Wiederfrohsein Und vielleicht wird Dein Vater Dir jetzt öfters seinerseits Abendbesuche machen? Grüsse Deinen Vater viele, viele male; ich schreibe gern auch an ihn, von so manchem was mir in diesen Monaten ps.a. durch den Kopf geht, aber ich verhalt es doch lieber bis zu einer Reife die nur weniger Worte bedarf, und ihm nicht die Zeit nimmt. Und Deine Mutter grüsse!

Deine Lou
Kuß! Lou.


Eine multimediale Lesung –
Ein weiblicher Blick auf das Sigmund Freud Jubiläumsjahr.
Eine persönlich-intime Korrespondenz zweier faszinierender Frauengestalten, über die gesellschaftliche Bedingtheit von Weiblichkeit und Psychoanalyse vor dem zweiten Weltkrieg.

Man lernt eine Anna Freud, die noch nicht Psychoanalytikerin und geistige Erbin des Vaters ist und eine Lou Andreas-Salomé, erotische Philosophin und Schriftstellerin in der Rolle der erfahrenen Freundin kennen.

Der „Nestroyhof“ ist ein architektonisches Juwel, ein ehemaliges jüdisches Theater, das 1938 arisiert und jetzt wieder entdeckt wurde und zugänglich gemacht wurde und welches die Gruppe Transit als Ort der Auseinandersetzung gewählt um dort Theaterprojekte durchzuführen, die auf diesen geschichtsträchtigen Ort Bezug nehmen. Um einen Beitrag gegen das Vergessen zu leisten, das jeder positiven Annäherung an die Zukunft entgegensteht.

Raum: Der Bühnenraum ist schwarz, wie eine schwarze Schachtel. In diesem Kunstraum sind die Schauspielerinnen zusammen aber doch getrennt. Ein Traumfenster, in dem das Video von Michaela Spiegel zu sehen ist, eine Couch, ein Sessel, sparsame Requisiten, mit denen die Schauspielerinnen agieren.

Lou Andreas Salomé: war eine der interessantesten Frauen ihrer Zeit, die sich ihre geistige Welt erfolgreich erkämpft hatte. Sie wurde im Jahre 1861 in St. Petersburg als jüngstes Kind und einziges Mädchen einer deutschstämmigen Offiziersfamilie geboren. Mit 17 Jahren, nach dem Tod ihres Vaters war sie finanziell unabhängig und studierte in Zürich Philosophie, Kunstgeschichte und Religionswissenschaften. Als junges Mädchen lernte sie Friedrich Nietzsche kennen, der ihre Fähigkeit lobte seine Schriften zu verstehen und ihr einen Heiratsantrag machte, den sie zurückwies. Ihr Buch über seine Philosophie ist noch heute von der Fachwelt anerkannt. Sie war die langjährige Geliebte und lebenslange Vertraute von Rainer Maria Rilke. 1912 mit 51 Jahren stieß sie auf die Schriften von Sigmund Freud und studierte „Psychoanalyse“ in Wien. Ab 1913 praktizierte sie als Analytikerin in Göttingen wo sie mit ihrem Mann lebte. Sigmund Freud attestierte ihr einen „gefährlichen Verstand“ und hatte Zeit seines Lebens ein Bild von ihr in seinem Arbeitszimmer hängen.

Lou lernte Anna Ende 1920 in Wien auf Anregung Freuds hin kennen. Lou sollte Annas Freundin werden und ihr helfen, ihre „weibliche“ Seite zu entdecken.

Anna Freud: Die spätere Kinderanalytikerin wurde 1895 als jüngste Tochter von Sigmund Freud geboren. Als sie Lou 1921 kennen lernte, hatte sie ihre erste Analyse bei ihrem Vater bereits hinter sich und war das einzige noch bei den Eltern lebende Kind Freuds. In den Jahren 1921 bis 1923 lernt man eine Anna Freud kennen, die noch nicht genau wusste, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Sie war ausgebildete Volksschullehrerin. Wie alle Freud-Töchter durfte sie nicht studieren, obwohl ihr Vater ihr mehr geistige Interessen zuschrieb als ihren Schwestern. Sie schrieb an einem Roman und erotische Gedichte, sie häkelte, webte und strickte. 1922 hielt sie ihren Aufnahmevortrag bei der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung mit dem Titel: „Schlagephantasien und Tagträume“, erarbeitet gemeinsam mit Lou, die in der Folge das Ausnahmeprivileg genoß, ebenfalls in die Wiener psychoanalytische Vereinigung aufgenommen zu werden.

Premiere: Samstag, 06. Mai 2006, 20:00 Uhr

Vorstellungen:    Do. 11.05. – Sa. 13.05; Do. 18.05. – Sa. 20.05.,
jeweils um 20:00 Uhr
Es spielen: Vera Borek - Lou Andreas Salomé | Jaschka Lämmert - Anna Freud

Regie und Textfassung: Susanne Höhne | Video, Psychowollvaginaobjekt: Michaela Spiegel | Raumgestaltung: Frederic Lion | Musik/Komposition (Yvette Guilbert): Wolfgang J. Schmidt | Gesang: Michaela Christl | Kamera: Krisztina Kerekes | Produktion: Andrea Klem | Kommunikation: Ellen Weiss Scheuer | Leitung theater transit: Frederic Lion

Veranstaltungsort: Theater im Nestroyhof, Nestroyplatz 1, 1020 Wien
Reservierungsnummer: 0650/52 09 588
Eintrittspreis: 8 Euro, ermäßigt für Club Ö 1 Mitglieder: 7 Euro
http://www.theatertransit.at
     
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