Bundesratsenquete: EU-Dienstleistungsrichtlinie bleibt umstritten  

erstellt am
21. 04. 06

Die Stimmen der ExpertInnen – Diskussion bringt keine Annäherung der Standpunkte
Wien (pk) - "Die EU-Dienstleistungsrichtlinie und deren Konsequenzen für Österreich" waren das Thema einer Enquete des Bundesrates, zu der die vorsitzführende Vizepräsidentin des Bundesrates, Anna Elisabeth Haselbach, am 20. 04. zahlreiche Experten, Nationalrats- abgeordnete, Bundesräte sowie Vertreter von Ressorts, Ländern und Gemeinden sowie einen Vertreter von ATTAC Österreich (Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte) begrüßte.

Losch: EU-Parlament und Kommission nahe beieinander
Ein in die Thematik einführendes Referat hielt Dr. Michael Losch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, indem er zunächst den aktuellen Verhandlungsstand auf EU-Ebene darstellte. Nach der Einigung im Europäischen Parlament und dem dazu bereits vorliegenden neuen Kommissionsvorschlag seien erste Gespräche auf Ratsebene am kommenden Samstag beim informellen Ratstreffen in Graz zu erwarten.

Das Europäische Parlament habe gegenüber dem ursprünglichen Kommissionsentwurf wesentliche Änderungen eingebracht und überdies sei der neue Kommissionsvorschlag sehr eng bei den Vorschlägen des Europäischen Parlaments geblieben. Die Übereinstimmungen zwischen den beiden Entwürfen bezifferte Losch mit 95 % und sah darin die Chance für einen Konsens.

Grundsätzlich werde die Dienstleistungsrichtlinie von ökonomischen Argumenten getragen und als Beitrag zur Lissabon-Strategie verstanden, erläuterte der Experte. Die Dienstleistungsfreiheit sei gegenüber der Warenfreiheit auf dem Binnenmarkt noch unterentwickelt. Zwar könnten Unternehmen die Dienstleistungsfreiheit vor dem EuGH schon jetzt mit guten Aussichten auf Erfolg einklagen, für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sei dieser Weg aber aus praktischen Gründen nicht gangbar, daher dränge die Kommission auf eine Kodifikation der Dienstleistungsfreiheit. Dazu gehört eine vereinfachte Behördenkooperation, die Vermeidung komplizierter Bestätigungen, von Übersetzungen und die Einrichtung von One-Stop-Shops. Die Kommission arbeite an einem vereinfachten Kontrollsystem, von dem sie sich einen wesentlichen Schub zur Förderung der KMU erwartet. Wirtschaftsforscher beziffern die zu erwartende zusätzliche Zahl an Arbeitsplätzen infolge der Dienstleistungsrichtlinie mit 600.000, erfuhren die Teilnehmer der Enquete von Michael Losch.

Der Beschluss des Europäischen Parlaments zur Dienstleistungsrichtlinie vom 16. Februar dieses Jahres sei eine Sternstunde des Europäischen Parlamentarismus gewesen. Die Änderungen seien von den europäischen Abgeordneten mit großer Mehrheit vorgenommen worden. Lücken, Interpretationsprobleme und mangelnde Abgrenzungen zu anderen Richtlinien, etwa zur Entsenderichtlinie, konnten überwunden werden. Der Anwendungsbereich der Richtlinie wird präziser definiert, Ausnahmen werden explizit genannt. Der umstrittene Begriff "Herkunftsland-Prinzip" wurde gestrichen und nationale Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Interesse der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit, des Umweltschutzes und der Gesundheit ermöglicht. Zur Abgrenzung gegenüber der Entsenderichtlinie wird die Kommission ein Leitlinienpapier herausgeben.

Die nun sehr gering gewordenen Unterschiede zwischen den Entwürfen des Parlaments und der Kommission betreffen laut Losch technische und redaktionelle Feinheiten sowie Spezialprobleme, etwa beim Berufsrecht der Notare.


Er hoffe, dass die informelle Ratsdiskussion am kommenden Samstag in Graz ein positives Zeichen in Richtung auf eine politische Einigung beim formellen Rat am 29. Mai in Brüssel bringen werde. Die Gefahr einer Polarisierung sah der Experte angesichts der Kritik, die von neuen Mitgliedsländern sowie von Großbritannien und den Niederlanden geäußert werden. Diese Länder sprechen von einer Verwässerung des ursprünglichen Entwurfs.
     
Regner: Die Gewerkschaften haben nach wie vor Bedenken
Evelyn Regner (ÖGB-Europabüro) bekannte sich grundsätzlich zur Dienstleistungsfreiheit, bekundete aber massive Einwände des ÖGB und der Europäischen Gewerkschafter zum vorliegenden Richtlinienentwurf, der trotz der vorgenommenen Änderungen zahlreiche Kritikpunkte offen lasse.

Probleme ortete die Referentin bei der Abgrenzung zur Entsenderichtlinie und bei der Daseinsvorsorge und bezweifelte, dass die Dienstleistungsrichtlinie richtig in den makroökonomischen Kontext Europas eingebettet sei. Denn von einem Nachhinken Europas auf dem globalen Dienstleistungsmarkt könne keine Rede sein. Im Gegenteil, der Anteil Europas wuchs in den letzten Jahren stärker als jener der USA, Chinas oder Indiens. Die Gewerkschaften seien trotzdem nicht grundsätzlich gegen die Dienstleistungsfreiheit, es kommt ihnen aber darauf an, wie sie gestaltet und umgesetzt wird.

Die Referentin schilderte chronologisch den Weg von der ursprünglichen "Bolkestein-Richtlinie", die als demokratiepolitisch bedenklich eingestuft wurde, und den Protest des Europäischen Gewerkschaftsbundes hervorrief. Die Protestbewegung, die im März 2005 in europaweiten Großdemonstrationen gipfelte, leitete ein Umdenken ein, das zu einem Kraftakt des Europäischen Parlaments und zu Abstimmungen über mehr als tausend Abänderungsanträge führte.

Aus Sicht der Gewerkschaften seien die Änderungen im Europäischen Parlament positiv zu bewerten, sagte Regner: "Die Richtlinie wurde vom Kopf auf die Füße gestellt". Nach wie vor offen sind für die Expertin aber folgende Punkte: Eine effektive Ausnahme des gesamten Arbeitsrecht inklusive des kollektiven Arbeitsrechts aus der Richtlinie; der Vorrang der Grundrechte gegenüber der Dienstleistungsrichtlinie; eine effektive Ausnahme der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse; die generelle Herausnahme sozialer Dienstleistungen und der Gesundheitsdienstleistungen; die Gewährung nationalen Gestaltungsspielraums bei der Regelung grenzüberschreitender Dienstleistungen, um einen Senkungswettlauf auszuschließen, und umfassende Kontrollen und Sanktionen durch europaweite Zustell- und Vollstreckungsübereinkommen.

Aschauer: Zweifel an versprochenen Arbeitsplätzen
Mag. Melitta Aschauer (AK Wien) besprach die Dienstleistungsfreiheit als eine der kompliziertesten Rechtsmaterien der letzten Jahre, die Diskussion darüber sei aber auch deshalb so interessant, weil es sich um eines der wenigen europäischen Themen handle, die von den Bürgern intensiv diskutiert werden. Ausgangspunkt seien zwei Konzepte für den Binnenmarkt: Ein durch Liberalisierung geschaffener und eines mit höheren Normen für die Arbeitnehmer in Europa. Deutlich habe dies Kommissar Bolkestein, der Initiator des ursprünglichen Richtlinienentwurfs gemacht, der in einem Interview seine persönliche Motivation für die Dienstleistungsrichtlinie mit der Aussicht begründete, endlich sein Ferienhaus in Südfrankreich von billigen Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedsländern renovieren zu lassen.

Die Aussicht auf Wirtschaftsaufschwung und neue Arbeitsplätze, mit der für die Dienstleistungsrichtlinie geworben werde, ließen die Expertin befürchten, dass diese Versprechungen ebenso wenig gehalten werden wie jene, die bei der Einrichtung des Binnenmarktes, der Euro-Einführung oder der EU-Erweiterung abgegeben wurden. Die Prognose für 600.000 zusätzliche Arbeitsplätze werfe die Frage auf, für welchen Zeitraum sie gelte. Problematisch seien auch die durch die Dienstleistungsrichtlinie ausgelösten Verteilungseffekte.

Zwar sei der ursprüngliche Kommissionsvorschlag aus dem Jahr 2004 vom Europäischen Parlament wesentlich verändert worden, die Interessen, die die Kommission zu ihrem ersten Vorschlag bewogen haben, bestehen aber weiter. Daher könne keine Entwarnung gegeben werden. Zwar sei das Herkunftslandprinzip nun nicht mehr im Entwurf vorhanden, der nationale Handlungsspielraum bleibe aber trotzdem extrem eingeschränkt. Auch die neue Regelung geht laut Aschauer hinter den Status quo und die Rechtssprechung des EuGH zurück. Nur vier statt 30 rechtfertigende Gründe sollen künftig für nationale Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit geltend gemacht werden können.

Bedenken äußerte die Expertin auch aus der Sicht der Konsumenten, da auch der neue Vorschlag teilweise zu wenig klar sei. Den KonsumentInnen werde zugemutet, sich über die Ausübungsvorschriften für Dienstleister in allen EU-Mitgliedsländern zu informieren. "Für eine Illusion" hielt die Referentin schließlich die angestrebte Kontrolle durch eine verbesserte und vereinfachte Behördenkooperation. Sie sah einerseits unüberwindliche Sprachprobleme und meldete überdies Zweifel daran an, dass etwa estnische oder lettische Behörden die österreichischen Behörden bei der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie unterstützen werden.

Fürnkranz: Österreich Gewinner der Dienstleistungsrichtlinie
Mag. Christina Fürnkranz von der Industriellenvereinigung unterstützte die Dienstleistungsrichtlinie und sah im Abbau der Markthindernisse im Dienstleistungsbereich ein enormes Potential für Wachstum und Beschäftigung sowie eine wesentliche Voraussetzung für die Erreichung des Lissabon-Ziels. Gleichzeitig warnte sie auch vor einer Verwässerung der Richtlinie.

Klar war für Fürnkranz, dass Österreich mit seiner exportorientierten Dienstleistungswirtschaft zu den größten Gewinnern bei der Öffnung der Dienstleistungsmärkte zählt. Sie rechnete mit 10.000 neuen Arbeitsplätzen als Folge der Richtlinie und verwies auf Studien, wonach 1 Mill. € an Dienstleistungsexporten eine Wertschöpfung von 0,8 Mill. € im Inland sowie 17 neue Arbeitsplätze bringen. Fürnkranz begrüßte es, dass auch bei der überarbeiteten Dienstleistungsrichtlinie das Prinzip der einheitlichen Ansprechpartner für die Dienstleister aufrecht erhalten werden konnte, befürchtete andererseits aber einen Verlust an Rechtssicherheit durch die Streichung des Herkunftslandprinzips aus dem ursprünglichen Entwurf.

Stock begrüßt Abbau bürokratischer Barrieren
Mag. Markus Stock von der Wirtschaftskammer Österreich begrüßte ebenfalls den Vorschlag für eine Dienstleistungsrichtlinie und meinte, es sei an der Zeit, durch einen gesetzlich verbindlichen Rahmen bürokratische Hindernisse und Diskriminierungen im Dienstleistungsbereich abzubauen. Stock bedauerte allerdings, dass die öffentliche Diskussion durch eine Reihe von Missverständnissen und unbegründeten Ängsten geprägt sei. So sei es nicht richtig, dass die Richtlinie zum Ausverkauf des Wassers, der Energie und sonstiger Leistungen der Daseinsvorsorge kommen werde. Vielmehr bestehe keinerlei Zwang zur Öffnung dieser geschützten Dienstleistungssektoren, betonte er. Ins Leere geht nach den Worten Stocks auch der Vorwurf des Qualitätsdumpings, bleibe doch die nationale Überprüfung fachlicher Qualifikationen voll erhalten. Keine Rede könne auch von einem Wettlauf nach unten bei Löhnen, Konsumentenschutz und Umweltstandards sein. Vielmehr würden Sonderregelungen gerade diese Bereiche sichern, auch würden entsendete Arbeitnehmer den kollektivvertraglichen Lohn und jene Sozialleistungen erhalten, die im Land der Dienstleistungserbringung vorgeschrieben sind.

Aus der Sicht der Wirtschaftskammer forderte Stock eine unmissverständliche Klarstellung, dass die einheitlichen Ansprechstellen nicht nur Niederlassungswilligen, sondern auch vorübergehend grenzüberschreitend tätigen Dienstleistern zur Verfügung stehen sollen. Weitere Anliegen Stocks waren die Beibehaltung der Berufsanerkennungsrichtlinie, Ausnahmen von der Berufshaftpflichtversicherung etwa für Meisterbetriebe sowie ausreichende Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten des Ziellandes.

Litschel sieht offene Fragen im Pflegebereich
Veronika Litschel, Vorsitzende vom Netzwerk Sozialwirtschaft, untersuchte die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf die Anbieter im sozialwirtschaftlichen, insbesondere im Pflegebereich und kam zu dem Schluss, mit der Richtlinie entferne sich Europa wieder ein Stück von der Sozialunion.

Litschel ortete viele offene Fragen und unklare Abgrenzungen und meinte, trotz der Ausnahmebestimmungen für soziale Dienste, sei dieser Bereich nach wie vor von der Regelung betroffen. So würden etwa Subjektförderungen wie private Kinderbetreuungseinrichtungen oder mobile Betreuungsleistungen für ältere und behinderte Menschen nach der derzeitigen Formulierung und Auslegung in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen. Litschel befürchtete, dass dadurch der gemeinwohlorientierte Sektor der Sozialleistungen nicht mehr weiter geschützt werden könne. Mit Problemen rechnete sie dabei vor allem bei der häuslichen Pflege alter Menschen. Hier gebe es nunmehr kein Arbeitsrecht und keine Qualitätskontrolle mehr, auch fehle die Abgrenzung zur Gesundheitsdienstleistung, warnte sie. Offene Fragen, die eigentlich politisch entschieden werden sollten, würden so auf die Ebene des Europäischen Gerichtshofs verlagert, der Staat gebe die gerade in diesem Bereich so wichtigen Gestaltungsspielräume aus der Hand, kritisierte Litschel.
     
Im Anschluss an die Einleitungsreferate wurde die Parlamentarische Enquete des Bundesrats zum Thema "Die EU-Dienstleistungsrichtlinie und deren Konsequenzen für Österreich" mit einer mehrstündigen Diskussion fortgesetzt. Dabei kam es zu keiner Annäherung der Standpunkte zwischen Befürwortern und Skeptikern der Richtlinie. Vor allem Mandatarinnen und Mandatare der SPÖ und der Grünen qualifizierten auch den adaptierten Entwurf der Europäischen Kommission als unzureichend. Vertreterinnen und Vertreter der ÖVP drängten dem gegenüber auf eine rasche Beschlussfassung der Richtlinie.

Eingeleitet wurde die Diskussion durch Bundesrat Ludwig Bieringer (V). Ihm zufolge tritt die ÖVP "unmissverständlich" dafür ein, Wirtschaftsminister Bartenstein den Rücken zu stärken und ihn darin zu unterstützen, die Dienstleistungsrichtlinie noch während der österreichischen Ratspräsidentschaft zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Bieringer zeigte sich überzeugt, dass der neue Textvorschlag der Europäischen Kommission den im Vorfeld geäußerten Bedenken Rechnung trägt und Wettbewerbsfähigkeit mit sozialer Gerechtigkeit verbindet. Durch den angepeilten Bürokratieabbau werde sich auch der Zugang österreichischer Unternehmen zu den Märkten anderer EU-Länder entscheidend verbessern, betonte er. Generell wertete Bieringer den europäischen Binnenmarkt als Erfolgsgeschichte und hielt fest, es müsse das Bestreben aller sein, noch vorhandene Lücken des gemeinsamen Marktes zu schließen. Nur so könne das Wachstumspotenzial voll ausgeschöpft werden.

Abgeordneter Kurt Gaßner (S) übte Kritik an den "schwammigen Formulierungen" der Dienstleistungsrichtlinie und bekräftigte, aus den Bestimmungen der Richtlinie dürften keine Nachteile für die Menschen in Österreich und in Europa entstehen. Er fürchtet unter anderem, dass kleine Unternehmen mit wenigen Beschäftigten "unter die Räder kommen", da diese kaum Möglichkeiten hätten, Dienstleistungen im Ausland anzubieten. Aber auch die Gemeinden - Gaßner zufolge die größten Dienstleister in Österreich - sieht er bedroht. Für ihn stellt sich etwa die Frage, ob diese weiterhin entsprechende Infrastrukturdienstleistungen anbieten könnten und wie sich die Kommunalsteuer entwickeln werde, wenn Dienstleister aus dem Ausland heimische Kleinbetriebe verdrängten.

Bundesrat Erich Gumplmaier (S) sprach von einem unauflöslichen Interessenskonflikt zwischen Kapital und Arbeit und meinte, dieser Konflikt sei selten so sichtbar geworden wie bei der Diskussion über die Dienstleistungsrichtlinie. Auch gegenüber dem auf europäischer Ebene erzielten Kompromiss zeigte er sich skeptisch. Zwar habe man einige Begriffe ausgewechselt, konstatierte er, von den ursprünglichen Zielen der Dienstleistungsrichtlinie habe man sich jedoch nicht verabschiedet.

Deregulierung und niedrigere Preise bedeuteten aber, so Gumplmaier, dass jemand weniger bekomme. Seiner Meinung nach sind 600.000 neue Arbeitsplätze keine Errungenschaft, wenn der einzelne davon nicht leben könne. Für Gumplmaier muss das Ziel ein "soziales Europa" sein, das, wie er sagte, auch den Arbeitnehmern die Zuversicht gebe, dass sie im Zuge der Lissabon-Strategie nicht "unter die Räder kommen".

Bundesrat Stefan Schennach (G) äußerte die Hoffnung, dass die Dienstleistungsrichtlinie in der vorliegenden Form nie in Kraft treten wird, und meinte, er sei froh, dass die Grünen nicht Teil des auf europäischer Ebene erzielten Kompromisses seien. Die Diskussion über die Richtlinie sei von Anfang an ein Kampf gegen Sozial- und Lohndumping gewesen, erklärte er. Schennach erkennt, wie er sagte, an, dass der Dienstleistungssektor einer der wichtigsten Motoren der europäischen Wirtschaft sei und dass in Bezug auf die Beseitigung ungerechtfertigter Hemmnisse Handlungsbedarf bestehe. Notwendige Schutzbestimmungen müssten aber beibehalten werden. Schennach fürchtet zudem Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten.

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S) brachte zwei konkrete Beispiele aus ihrer Region vor und wollte von den Experten des Wirtschaftsministeriums wissen, inwieweit die Dienstleistungsrichtlinie hier Änderungen brächte. Zum Einen wies sie auf den Bau einer Umfahrungsstraße hin, deren Ausschreibung ein bayerisches Unternehmen nicht zuletzt deshalb gewonnen habe, weil die Arbeitnehmer, was in Deutschland legal sei, jedes Monat zwölf Stunden "zum Wohl der Firma" arbeiten hätten müssen. Zum Anderen machte sie geltend, dass die Vorbeugemaßnahmen gegen Schwarzarbeit auf Baustellen in Deutschland viel umfangreicher als in Österreich seien.

Bundesrat Franz Perhab (V) bekräftigte, die ÖVP werde dafür sorgen, dass sich die Dienstleistungsrichtlinie zum Vorteil und nicht zum Nachteil kleiner und mittlerer österreichischer Unternehmen entwickeln werde. Für ihn ist diese Richtlinie schon allein deshalb erforderlich, um den Binnenmarkt zu vollenden. Auch Österreich habe sich zur Lissabon-Strategie bekannt, unterstrich Perhab. Als Ziel der Richtlinie sieht er u.a. den Abbau bürokratischer Hindernisse und Vorteile für die Konsumenten.

EP-Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) gab eingangs zu bedenken, dass das Europäische Parlament der Dienstleistungsrichtlinie "einige Giftzähne" gezogen habe. Sie zeigte sich aber auch mit dem nunmehr vorliegenden Kompromissvorschlag unzufrieden. Sollte die Richtlinie in der vorliegenden Form umgesetzt werden, werde das einen "Rattenschwanz von Verfahren" vor dem Europäischen Gerichtshof nach sich ziehen, prophezeite sie. Die Richtlinie sei rechtlich so schlecht und so widersprüchlich formuliert, dass sie das "krasse Gegenteil" von der auf EU-Ebene angestrebten "Better Regulation" sei. So ist ihrer Darstellung nach beispielsweise das Herkunftslandprinzip zu einem Restriktionsverbot mutiert, dessen Auslegung die Politik an den EuGH delegiere. Gleiches gelte für den Begriff der Verhältnismäßigkeit.

Lichtenberger sprach sich für eine Beschränkung der Dienstleistungsrichtlinie auf rein kommerzielle Dienstleistungen und die lückenlose Umsetzung des "Führerscheinprinzips" aus. Ein einmal erworbener Führerschein gelte zwar in allen EU-Ländern, dennoch müsse man sich an die jeweiligen Verkehrsregeln des Landes, in dem man unterwegs sei, halten, erläuterte sie.

Katharina Schinner (Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband) befasste sich mit der Dienstleistungsrichtlinie aus dem Blickwinkel der Wirtschaft und gab zu bedenken, dass 99 % der Unternehmen in Österreich Klein- und Mittelbetriebe seien. Sie glaubt, dass sich Privathaushalte auch nach Inkrafttreten der Dienstleistungsrichtlinie anfänglich noch an heimische Betriebe wenden werden, große Betriebe aber vermutlich billigere, ausländische Unternehmen beauftragen. Vor allem in Grenzlandregionen werde es dadurch zu einer starken Wettbewerbsverzerrung und zu einem Anstieg der Konkurse kleiner Betriebe kommen, fürchtet Schinner.
   

Abgeordnete Carina Felzmann (V) gab zu bedenken, dass der europäische Binnenmarkt derzeit vor großen Herausforderungen steht. Um gegenüber den anderen Wirtschaftsmächten in der Welt, die teilweise sehr hohe Wachstumsraten aufweisen, zu bestehen, müsse es gelingen, den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr in Europa zu beleben. Sie hoffe, dass der nun vorliegende Entwurf zur Dienstleistungsrichtlinie rasch und schnell weiter behandelt wird, zumal 70 % der gesamten Wirtschaftsleistung der EU davon betroffen sind.

Der aktuelle Entwurf zur Dienstleistungsrichtlinie belege, dass der Versuch, einen Interessenausgleich zu schaffen, auch komplett schief gehen könne, urteilte Abgeordnete Michaela Sburny (G). Die meisten Kritikpunkte seien von den Experten bereits aufgezeigt worden, zum Beispiel die Auslagerung der politischen Verantwortung an die Gerichte oder die völlige Rechtsunsicherheit in vielen Bereichen. Auch ihre Fraktion setze sich für die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung ein, aber dafür müsse es ganz klare Rahmenbedingungen geben, betonte Sburny. Einerseits müssen Standards gesichert und andererseits Barrieren abgebaut werden - Stichwort "sektorale Harmonisierung"; beides sei jedoch nicht gelungen.

Die von der Europäischen Kommission geplante Dienstleistungsrichtlinie ziele auf die Stärkung des Binnenmarktes ab, hob Manfred Allerstorfer (Unternehmer) positiv hervor. Allerdings war auch er überzeugt davon, dass entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Ausgehend von der überarbeiteten Fassung der Kommission befasste sich Allerstorfer dann mit den möglichen Folgen für die Klein- und Mittelbetriebe und insbesondere mit den Chancen und Risken im grenznahen Raum. Er führe selbst ein Unternehmen im Mühlviertel, wo 95 % der Betriebe nicht mehr als 20 Mitarbeiter haben, führte Allerstorfer weiter aus. Die Dienstleistungsrichtlinie führe dazu, dass diese Klein- und Kleinstbetriebe, die teilweise schon jetzt unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten müssen, noch mit zusätzlicher Konkurrenz aus anderen Mitgliedstaaten, wo oft viel niedrigere soziale, ökologische und ökonomische Standards gelten, rechnen müssen. Auch wenn der nunmehrige Entwurf durch die Verhandlungen im Europäischen Parlament entschärft wurde, so gebe es doch noch eine Reihe von Bestimmungen, die zu einer Ungleichbehandlung der Unternehmen aus den unterschiedlichen Mitgliedstaaten führen, war Allerstorfer überzeugt. Eine Harmonisierung des Marktes sei seiner Meinung nach nur dann möglich, wenn für alle Teilnehmer die gleichen Spielregeln gelten.

Abgeordneter Konrad Steindl (V) war überzeugt davon, dass Österreich für den Wettbewerb bestens gerüstet sei. Als Beispiel dafür führte er die gute Ausbildung der Facharbeiter an. Er glaube, dass der derzeitige Entwurf einen guten und pragmatischen Ansatz darstelle und ein Beitrag für die weitere positive Entwicklung am Arbeitsmarkt sei, zumal auf das nationale Recht abgestellt wurde.

Renate Kamleithner (Arbeiterkammer Oberösterreich) wies darauf hin, dass derzeit 32 Millionen Menschen in Europa Arbeit suchen. Die prognostizierten zusätzlichen 600.000 neuen Jobs in einem Sektor, der 70 % der Wirtschaftstätigkeit umfasst, stellen daher doch eine sehr dürftige Bilanz dar, entgegnete sie Bundesrat Perhab. Außerdem sage die Kopenhagener Studie nichts aus über die Qualität der Arbeitsplätze und darüber, wo und in welchem Zeitraum diese Jobs entstehen werden. Keine Information gebe es auch darüber, wie viele Jobs vorher vernichtet werden, gab Kamleithner zu bedenken. Es sei dem großen Engagement der Arbeitnehmervertretungen zu verdanken, dass die Richtlinie nun weitaus sozial verträglicher sei als der ursprüngliche Kommissionsentwurf. Dennoch wurden aber einige wesentliche Forderungen noch nicht erfüllt. Schließlich wies sie noch auf ein Problem hin, das noch nicht aufgezeigt wurde, nämlich die Scheinselbständigkeit. Man gehe davon aus, dass es in Europa 23 Millionen scheinselbständige Personen gibt.

Für Bundesrat Wolfgang Schimböck (S) ging es vor allem darum, dass die Bedürfnisse der Arbeiter und Angestellten entsprechend berücksichtigt werden. Wenn nun versprochen wird, dass die Konsumenten höhere Qualität zu niedrigeren Preisen erwarten können, dann sei dies nur möglich, wenn das Lohnniveau abgesenkt wird, befürchtete er. Ebenso wie Sburny kritisierte er, dass die politische Verantwortung an die Gerichte übertragen wird.

Thomas Kerschbaum (Rechtsfürsorger und Personalvertreter im Wiener Jugendamt) bekräftigte im Namen der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten die Forderungen der Arbeiterkammer und des ÖGB. Im besonderen wies er auf die generelle Herausnahme von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen hin. Bedauerlich sei zudem, dass der öffentliche Dienst, der seiner Meinung nach das Rückgrat des Sozialsystems ist, in der Diskussion kaum vorkommt oder falsch dargestellt wird. Bei der Dienstleistungsrichtlinie gehe es um die grundsätzliche Entscheidung, ob der Begriff Sozialunion wirklich mit Leben erfüllt werde oder nur geschriebenes Wort bleibe.

Bundesrat Peter Mitterer (OF) vertrat die Auffassung, dass es nicht notwendig sei, eine so kontroversielle Debatte zu führen, da – bei Durchsicht aller Punkte – fast durchwegs eine gemeinsame Linie zwischen den Fraktionen erkennbar bar. So werde etwa die Kritik hinsichtlich der Ausnahme sozialer Dienstleistungen vom Anwendungsbereich auch von der Sozialministerin Haubner geteilt, zeigte Mitterer auf. Auch was die Verlagerung der politischen Verantwortung auf die Gerichtsebene betrifft, so wies Mitterer darauf hin, dass darüber noch gesprochen werden müsse.

Michael Losch (Sektionsleiter im BM für Wirtschaft und Arbeit) erinnerte daran, dass nach langen und schwierigen Verhandlungen ein Kompromiss im Europäischen Parlament erzielt wurde. Die Kommission habe nun einige Dinge nachgebessert und selbst ein Papier vorgelegt. Zwischen diesen beiden Positionen bewegt sich nun die Diskussion, bemerkte Losch, man wolle nun abwarten, wie die Mitgliedstaaten reagieren. Er glaube jedoch, dass das "window of opportunity" genützt und dass das Paket nicht mehr aufgeschnürt werden soll.

Es sei richtig, dass es bei der Dienstleistungsrichtlinie um die gemeinsame Zukunft gehe, replizierte Evelyn Regner (ÖBG) auf die Wortmeldung von Felzmann, deshalb haben sich auch die mittel- und osteuropäischen Gewerkschaften den Protesten angeschlossen. Sie sei sehr froh darüber, dass heute diese Enquete abgehalten wurde, da es notwendig sei, dass die Nationalstaaten rechtzeitig Druck machen, um falsche EU-Entscheidungen noch abwenden zu können.

Melitta Aschauer (Arbeiterkammer Wien) bekräftigte, dass sie sich natürlich über jeden zusätzlichen Arbeitsplatz in Europa freue. Sie wollte mit ihrer Kritik nur zum Ausdruck bringen, dass die Dienstleistungsrichtlinie keinen Richtungswechsel in der makroökonomischen Politik in Richtung mehr Wachstum und Beschäftigung ersetzen könne. Außerdem betonte sie noch einmal, dass die Fragen der Kontrolle, der Sanktionierbarkeit und der Vollstreckung unmittelbar mit der Richtlinie zusammenhängen.

Christina Fürnkranz meinte, die Diskussion zeige, dass es immer noch viele Missverständnisse zur Dienstleistungsrichtlinie gebe, die es aufzuklären gelte. Fürnkranz erläuterte vor dem Hintergrund des Ist-Zustandes die rechtlichen Grundlagen und zeigte sich optimistisch, dass diese Richtlinie den heimischen Unternehmen sehr gute Chancen biete, die es zu nutzen gelte.

Markus Stock befasste sich mit der thematisierten Auslagerung an die Gerichte, wo er die in diesem Zusammenhang angesprochenen Ängste als unbegründet ansah. Auch zur sektoriellen Harmonisierung nahm der Redner entsprechende Klarstellungen vor. Der ursprüngliche Entwurf sei sicherlich nicht optimal gewesen, mittlerweile habe es aber entsprechende Überarbeitungen gegeben, es liege mithin ein tragfähiger Kompromiss vor, sodass zur Sorge kein Grund mehr bestehe.

Veronika Litschel zeigte sich hingegen nicht überzeugt von den Argumenten ihres Vorredners. Es brauche politische Entscheidungen, einen klaren politischen Willen, und keine Verlagerungen an die Gerichte, die eben keine politische, sondern gemäß ihrem Selbstverständnis juristische Lösungen treffen würden. Zudem sei es ihrer Ansicht nach problematisch, den sozialen Bereich kommerzialisieren zu wollen. Es brauche Rechtssicherheit und eine gut durchdachte Lösung, für die man sich auch die entsprechende Zeit nehmen müsse.

Die Vorsitzende dankte allen Teilnehmern für ihre Diskussionsbeiträge und schloss sodann die Tagung.

 

 
   

 
     
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