"Europa muss sich auf sein Erbe besinnen"  

erstellt am
04. 05. 06

Grußbotschaften von Papst Benedikt XVI. und Patriarch Aleksij II. an die in Wien stattfindende katholisch-orthodoxe kulturpolitische Tagung
Wien (stephanscom.at) - Papst Benedikt XVI. hat die Europäer zur Besinnung auf ihr reiches spirituelles Erbe aufgerufen. In einem von Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano übermittelten Grußwort an die Teilnehmer der in Wien stattfindenden gemeinsamen Tagung des Päpstlichen Kultur-Rates und des Außenamtes des Moskauer Patriarchats betonte der Papst, dass Europa nur dann eine neue Seite seiner Geschichte schreiben kann, wenn es sein reiches Erbe an Werten bewahrt und nützt, um die Würde des Menschen zu respektieren und endgültig jegliche Verletzung der Menschenrechte abzustellen.

In der Botschaft bezeichnet der Papst die Zusammenarbeit zwischen dem Päpstlichen Kultur-Rat und dem Außenamt des Moskauer Patriarchats als "ermutigend". In besonderer Weise würdigt Benedikt XVI. auch die Verdienste der Wiener Stiftung "Pro Oriente" und ihres Kuratoriums-Vorsitzenden, Kardinal Christoph Schönborn; "Pro Oriente" zeichnet für die technische Organisation der katholisch-orthodoxen kulturpolitischen Tagung in Wien verantwortlich.

Katholiken und Orthodoxe müssen gemeinsam die Herausforderungen analysieren, die Europa in diesem Moment seiner Geschichte durchlebt, heißt es in der Botschaft weiter. Es gehe vor allem um die Fragen nach dem Sinn des Lebens, um den Wert der Freiheit und um die Zukunft des Kontinents. Gegenwart und Zukunft Europas könnten nur auf der Basis jener ethischen und moralischen Werte aufgebaut werden, die auch die Geschichte des Kontinents begleitet hätten. Dabei dürften aber auch die negativen Erfahrungen der Vergangenheit nicht ausgeblendet werden.

Der Papst äußert die Hoffnung, dass die Beratungen weitere Impulse zur Evangelisierung Europas im dritten Jahrtausends erbringen. Er bete darum, dass die europäischen Nationen in Christus ihre gemeinsame Berufung im Dienst des Friedens und zum wahren Fortschritt der Welt entdecken mögen.

Der Moskauer Patriarch Aleksij II. betonte in seiner Grußbotschaft an die Teilnehmer der Tagung, es stehe außer Frage, dass die europäische Kultur auf christlichen Werten beruhe. Auch wenn laizistische Politiker und Intellektuelle daran Zweifel äußerten, ändere das nichts. Es sei notwendig, dass die Gläubigen ihre Zeitgenossen daran erinnern, wie sehr die christliche Botschaft von der Gottes- und Nächstenliebe die wahre Quelle der großen europäischen Ideale wie Sorge um den Mitmenschen, Respekt vor der menschlichen Freiheit und Toleranz für unterschiedliche Meinungen ist.

Werte und Ideale könnten ihre Bedeutung verlieren, wenn die Verbindung zu ihrer ursprünglichen Quelle in Vergessenheit gerät, stellte Aleksij II. fest. Die Geschichte Europas sei voll von bedauerlichen Beispielen dafür. Heute gehe es darum, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Wie der Patriarch betonte, müssten die orthodoxe und die katholische Kirche heute gemeinsam für die Verteidigung der fundamentalen Werte der Christenheit eintreten. Dies würde Millionen von Menschen Hoffnung geben, die "aufrichtig das Reich Gottes suchen" und sich nicht mit den irdischen Zielen der Konsumgesellschaft zufrieden geben wollen.

Besinnung auf die christlichen Wurzeln
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz herrschte in Wien weitgehende Übereinstimmung zwischen Kardinal Paul Poupard, dem Präsidenten des Päpstlichen Kultur-Rates, und Metropolit Kyrill, dem Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Poupard betonte, dass es für Völker, die ihre Wurzeln vergessen, keine Zukunft gebe. Die Besinnung auf die christlichen Wurzeln Europas sollte sowohl in der Familie als auch in der Schule erfolgen; man dürfe aber auch nicht vergessen, welche Bedeutung die christliche Liturgie in diesem Zusammenhang habe, weil sie auf das Herz des christlichen Erbes verweise.

Bei der Wiener Tagung seien Fragen des theologischen Dialogs klar ausgeklammert, stellten Metropolit Kyrill und Kardinal Poupard fest. Der theologische Dialog wird auf der Ebene der Internationalen Dialogkommission zwischen katholischer und orthodoxer Kirche geführt, deren nächste Vollversammlung von 18. bis 25. September in Belgrad stattfindet. Was in Wien besprochen werde, sei die Frage der christlichen Ethik in in der Gesellschaft Europas: "Es ist die Tragödie Europas, dass mit dem Schwund der Religion auch die ethischen Koordinaten des Christentums vergessen wurden. Es verschwindet das Bewusstsein, was gut und was böse ist. Alles ist relativ, man kann alles auswählen, es gibt keine absoluten Werte mehr".

Metropolit Kyrill betonte, dass man sich vor allem die Frage stellen müsse, welchen Stellenwert Religion in der Gesellschaft von heute habe. Im oströmischen Reich sei auf den Marktplätzen über die Fragen der Christologie oder der Dreifaltigkeit diskutiert worden; die Religion sei damals im Zentrum des gesellschaftlichen Interesses gestanden. Die schrittweise Zurückdrängung der Religion aus der Öffentlichkeit habe auch zu einem Verschwinden der ethischen Wertmaßstäbe für gut und böse geführt, bedauerte der Metropolit. Im "postmodernen" Denken gebe es keine absoluten Werte mehr.

Der Einsatz für die "Rückkehr des Christentums in das Leben Europas" habe aber nichts mit Verliebtheit in die Vergangenheit zu tun, unterstrich der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Es gehe vielmehr darum, den suchenden Menschen von heute die "ganz starke Botschaft" der Zehn Gebote und der Bergpredigt nahe zu bringen. Während die Marxisten-Leninisten der Meinung waren, dass das Gewissen nur ein "Produkt" gesellschaftlicher Bedingungen sei, müsse man immer wieder daran erinnern, dass ethische Werte "absolut" sind und für alle Menschen gelten. Ein Hinweis darauf sei die Tatsache, dass es in der Literatur und in den Medien nur den "positiven Helden" gibt; ein "Bösewicht" könne nie zum "Helden" werden. Die christlichen Kirchen sollten daher gerade im kulturellen Bereich "Allianzen" suchen; die russisch-orthodoxe Kirche tue das sehr bewusst im Hinblick auf die "Intelligentsia" und die Publizistik.

Der Wiener russisch-orthodoxe Bischof Hilarion (Alfejew) wies bei der Pressekonferenz darauf hin, dass der 2004 erschienene vatikanische "Sozialkatechismus" (Kompendium der katholischen Soziallehre) - er liegt seit Februar auch auf deutsch vor - und das Dokument "Grundlagen der Soziallehre der russisch-orthodoxen Kirche" aus dem Jahre 2000 praktisch übereinstimmen. Beide Dokumente seien nicht von einem liberalistischem Geist infiziert. Die "Grundlagen der Soziallehre" waren bei der Moskauer Bischofsversammlung im August 2000 aus Anlass des Heiligen Jahres verabschiedet worden. Erstmals hatte sich die russisch-orthodoxe Kirche im Zuge ihrer "Sozial-Diskussion" auch mit Fragen wie Geburtenregelung, künstliche Befruchtung, Gentechnik und Homosexualität befasst.

Der Lubliner katholische Erzbischof Jozef Zycinski betonte, dass Europa dringend ein geistliches "Revival" benötige. Als vor nahezu 20 Jahren ein prominenter Journalist gefragt wurde, was er am sehnlichsten hoffe, habe er gesagt: "Den Fall des Kommunismus - aber das wird noch in 100 Jahren nicht sein". Dann sei der Kommunismus innerhalb eines Jahres in sich zusammen gefallen. Könnte es nicht auch sein - so Zycinski -, dass dass die heute von niemand für möglich gehaltene geistliche Erneuerung Europas "innerhalb eines Jahres eintritt?".

Erzbischof Zycinski und Bischof Hilarion sind die Moderatoren der Tagung, die bis Freitagabend angesetzt ist.
     
zurück