Khol und Roth-Halvax eröffnen Konferenz in Brüssel  

erstellt am
09. 05. 06

Parlamentarisches Treffen zur Zukunft Europas am 8. und 9. Mai
Brüssel/Wien (pk) - Am Nachmittag des 08. 05. wurde in Brüssel die zweitägige Konferenz zur Zukunft Europas eröffnet. Bei der gemeinsam vom österreichischen und vom Europäischen Parlament veranstalteten Tagung soll im Rahmen von vier Arbeitsgruppen eine Grundsatzdiskussion darüber geführt werden, wohin der europäische Weg führen soll. "Das Stocken des europäischen Integrationsprozesses war die indirekte Folge der negativen Verfassungsreferenden in den Niederlanden und Frankreich", konstatierte Nationalratspräsident Andreas Khol in seiner Begrüßungsrede. Deshalb sei es wichtig, dass gewählte nationale sowie europäische Parlamentarier zusammentreffen, um über die zentralen Fragen zu diskutieren und um ihre gegenseitigen Standpunkte kennenzulernen. "Dies sei der erste Schritt einer längeren Reise", so Khol, aber er sei zuversichtlich, dass "wir auch die nächsten Schritte schaffen werden".

Bundesratspräsidentin Sissy Roth-Halvax appellierte daran, dass bei all den Diskussionen um die Zukunft Europas das Subsidiaritätsprinzip sowie das Europa der Regionen nicht aus den Augen verloren wird.

Der Gastgeber der Konferenz und Präsident des Europäischen Parlaments, Josep Borrell Fontelles, begrüßte die über 250 Abgeordneten aus den Mitgliedstaaten, die Vertreter aus den beiden Beitrittskandidatenländern Rumänien und Bulgarien sowie aus Kroatien, Mazedonien und der Türkei.

Borrell Fontelles erinnerte zunächst daran, dass der Vertrag von Nizza schon einen Tag nach seiner Unterzeichnung als unzureichend betrachtet wurde. Auch das Europäische Parlament habe zum Ausdruck gebracht, dass dieser Vertrag keine Grundlage für eine effiziente Fortsetzung des Integrationsprozesses darstelle. Der Ausgang der Referenden in Frankreich und Niederlande haben Europa in eine Sackgasse geführt, und es stelle sich heute die Frage, ob die Verfassung in Kraft tritt, oder ob nur Teile davon umgesetzt werden sollen oder ob sie ganz anders konzipiert werden soll. Außerdem stehe Europa vor großen Herausforderungen und müsse Antworten finden auf die Globalisierung und den internationalen Wettbewerb, die Bedrohung der sozialen Standards, die Überalterung, die Einwanderung, die Probleme in der Energieversorgung und den Terrorismus. Eine sektorale Politik und die bloße Umsetzung von Projekten sei sicherlich zu wenig, war Borrell überzeugt, denn gute Politiken brauchen auch gute Institutionen. Das Jahr der Reflexionsphase sei nun vorbei, jetzt müssen Taten folgen. Diese heutige Konferenz soll dazu dienen, das europäische Aufbauwerk neu zu aktivieren und den Bürgern das Vertrauen in Europa wieder zu geben. Wir müssen den Menschen klar machen, dass Europa nicht das Problem ist, sondern Teil der Lösung, und zwar in allen Bereichen.

Bei der Konferenz, an der sowohl nationale als auch europäische Parlamentarier teilnehmen, soll über zentrale Problemfelder, die eng mit dem europäischen Integrationsprozess zusammenhängen, ausführlich beraten werden, meinte Nationalratspräsident Andreas Khol. Es sollte klar gemacht werden, dass eine Weiterentwicklung der europäischen Verfassungslage unabdingbar ist. Notwendig sei auch eine Diskussion über eine gemeinsame Außenpolitik, über die Aufrechterhaltung des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells, über Sicherheitsfragen sowie über die Finanzmittel.

Sodann ließ Khol den europäischen Verfassungsprozess Revue passieren, der im Jahre 1956 mit der Erklärung von Adenauer und Schuman zur Errichtung einer Gemeinschaft für Kohle und Stahl seinen Ausgang nahm. Wenn man sich anschaut, was seitdem geschaffen wurde, dann sollte man nicht von Krise reden, unterstrich Khol. 50 Jahre sind nur ein "Wimpernschlag in der Geschichte", und er hätte sich als junger Student nie vorstellen können, dass es einmal ein voll integriertes Europa der 25 - und bald 27 - Länder gibt, wie dies heute der Fall ist.

Was die Verfassungsfrage angeht, so brauche man jetzt Zeit und Geduld, meinte Khol. Allerdings sollte nicht einfach abgewartet und die Krise zelebriert werden, sondern es muss alles getan werden, was möglich ist, bis die Verfassung kommt. Er sei der festen Überzeugung, dass der Text ausgezeichnet ist und dass es nicht leicht sei, einen besseren zu finden.

Khol gab sodann zu bedenken, dass jedes Land vor seiner eigenen Tür kehren müsse. Er warnte davor, Europa zum Sündenbock für die eigenen Versäumnisse auf nationaler Ebene zu machen. Allerdings können die staatlichen Parlamente auch sehr viel beitragen, und zwar sowohl auf nationaler Ebene als auch im Rahmen der COSAC. Von der Europäischen Kommission wünsche er sich, dass die nationalen Parlamente umfassend über die geplanten Rechtsakte informiert werden. Die Kommission müsse sich ebenso wie der Europäische Gerichtshof über die gesteigerten Sensibilitäten der Bevölkerung bewusst sein.

Europa befinde sich heute in einer Phase der Reflexion, von der wichtige Impulse für das gemeinsame Projekt Europa ausgehen werden, konstatierte Bundesratsprasidentin Sissy Roth-Halvax. Dabei nehmen die nationalen Parlamente eine unverzichtbare Rolle als Mediatoren zwischen den Anliegen und Erwartungen der Bevölkerung auf nationaler und regionaler Ebene sowie den Repräsentanten auf europäischer Ebene ein. Gerade angesichts der gescheiterten Verfassungsreferenden sei die Methode der Kommunikation ebenso wichtig wie daraus resultierende politische Weichenstellungen. Den Vertretern der nationalen Parlamenten komme dabei die besondere Verantwortung zu, das Europabewusstsein der Bürger auf allen Ebenen zu fördern, insbesondere auf regionaler Ebene. In diesem Zusammenhang wies Roth-Halvax auf die Bedeutung der Förderung der Subsidiarität und das Europa der Regionen hin. Der österreichische Bundesrat fühle sich immer mehr dazu berufen, die regionalen Bezugspunkte nicht nur im nationalen, sondern auch im europäischen Willensbildungsprozess zu vertreten; dies sei Ausdruck einer bürgernahen Politik. Das Europa der Regionen sei Kernstück des Integrationsprozesses und dürfe daher nicht aus den Augen verloren werden, betonte Roth-Halvax.

Nach der Eröffnung ging es mit den Beratungen in den Arbeitsgruppen weiter, wobei sich die Teilnehmer mit folgenden Themen befassten: "Die Europäische Union in der Welt und die Grenzen der EU”, "Globalisierung und das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell”, "Perspektiven für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts” sowie "Die künftigen Finanzmittel der Union”. Morgen, am Europatag, werden dann die Ergebnisse der Arbeitsgruppen im Plenum präsentiert und diskutiert. Am Nachmittag werden dann Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso eine Rede halten.
     
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