Letzter EU-Gipfel unter Österreichs Vorsitz  

erstellt am
19. 06. 06

  EU will Klarheit über Zukunft der Verfassung bis Ende 2008
Wien (övp-pd) - Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich unter österreichischer EU-Ratspräsidentschaft auf einen Fahrplan für die EU-Verfassung geeinigt: Mitte 2007 soll entschieden werden, wie es mit der Verfassung weitergeht. Unter deutschem Vorsitz soll Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni nächsten Jahres einen Bericht über den Status quo abliefern. Spätestens Ende 2008 sollte unter französischem Vorsitz der Prozess abgeschlossen werden. Spätestens 2009 sollte mit einer neuen Kommission und einem neuen Parlament ein neues Arrangement gefunden werden .

Schüssel: Reflexionsphase ist vorbei
Die nach den negativen Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden ausgerufene "Reflexionsphase ist vorbei", betonte Ratsvorsitzender Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in Brüssel. "Wir treten jetzt in eine Periode der konkreten Resultate ein." Schüssel sagte, der Gipfel sei sich einig darüber, dass die EU mit dem derzeit geltenden Vertrag von Nizza nicht auf Dauer arbeiten könne. "Es gibt einen Konsens, dass die Substanz des Verfassungsvertrages gut ist und am Leben erhalten werden muss. Es gibt keinen Konsens, was das neue Element ist, oder welche neuen Elemente diese Substanz sichern sollen", erklärte Schüssel.

Inhaltliche Debatte unter deutschem Vorsitz
Der Bundeskanzler selbst sprach sich für Modifikationen an dem Vertragstext aus. "Man muss etwas neues einbringen." So sei etwa die Bezeichnung Verfassung "nicht so wichtig". Eine substanzielle Lösung sei heute noch nicht möglich. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft soll im ersten Halbjahr 2007 einen Bericht über den weiteren Umgang mit der Verfassung vorlegen. Zu diesem Zeitpunkt werde es wieder möglich sein, sich mit dem Text zu befassen, sagte Schüssel. "Niemand hat das Abbrechen des Ratifizierungsprozesses verlangt", sagte Schüssel. Bisher haben den Verfassungsvertrag 15 Länder, darunter Österreich, abgesegnet.

Europa der konkreten Projekte fortgesetzen
Die EU will einen "zweigleisigen Ansatz" verfolgen, wonach sie parallel zur Verfassungsdiskussion "konkrete Ergebnisse liefern soll, die die Bürger erwarten". Auf dem Gipfel wollen die Staats- und Regierungschefs auch eine Liste erstellen, welche konkreten Projekte bis 2010 verwirklicht werden sollen. Auch wenn über diese Liste nicht abgestimmt werden wird, soll es über den Inhalt laut Diplomatenkreisen Debatten gegeben haben. Die Liste enthält aktuelle Themen von der Asylpolitik über die Erweiterung der EU, der Eurozone und des Schengengebiets, die verstärkte Energiepolitik, den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, die EU-Eliteuni (EIT) bis hin zu der nicht ganz unumstrittenen Öffnung der EU-Ratssitzungen.

Integration: Bekenntnis zu Europa verlangt
Neben der Verfassungsdiskussion führen die EU-Chefs eine "Orientierungsdebatte zu Migration und Integration, wie Schüssel mitteilte. Danach will die EU den Schutz der Außengrenzen gegenüber Osteuropa und Afrika verstärken. Zudem sollten sich Einwanderer zu europäischen Werten wie Toleranz bekennen und die Sprachen ihrer Aufenthaltsländer erlernen. "Niemand erwartet, dass man seinen Glauben aufgibt oder seine Herkunft verleugnet", sagte Schüssel. Es müsse aber ein grundsätzliches Bekenntnis zu den "Baugesetzen" des Hauses Europa geben.

 

 Swoboda: "Erweiterung muss intensiv mit Bevölkerung diskutiert werden"
Wien (sk) - „Die beim Gipfel begonnene Debatte über die Erweiterungsfähigkeit der EU war längst überfällig. Entscheidend ist aber nicht eine Debatte zwischen den Regierungschefs, sondern die Debatte der Regierungschefs mit der eigenen Bevölkerung", so der SPÖ-Europaabgeordnete Hannes Swoboda nach Beendigung des EU-Gipfels in Brüssel.

„Es gilt, offen und ehrlich die Vorteile und Probleme der Erweiterung zu diskutieren und im Falle einer Erweiterungsempfehlung diese auch zu bewerten. Schon bei der letzten großen Erweiterungsrunde hat das kaum stattgefunden. Nun wiederholt sich diese Diskussionslosigkeit vor der Erweiterung um Bulgarien und Rumänien", kritisiert Swoboda.

„Insbesondere gilt das auch für Österreich. Der Zick-Zack Kurs der österreichischen Regierung gegenüber mehreren Nachbarländern und gegenüber der Türkei hat mehr zur Verwirrung als zur Unterstützung der Erweiterung beigetragen. Schüssels Auftreten auf der Brüsseler Bühne findet keinen Niederschlag in der Debatte mit der österreichischen Bevölkerung", so der SPÖ-Europaabgeordnete.

Entscheidend ist für Swoboda auch, dass die EU vor jeder künftigen Erweiterung eine Struktur erhält, die die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Union eindeutig stärkt. „Die globale Handlungsfähigkeit durch die Union darf durch die Erweiterung nicht aufs Spiel gesetzt werden. Es wird viel Mut bedürfen, um klar beide Wege zu gehen: die Stärkung der Union und eine wohl überlegte Erweiterung", so Swoboda abschließend.

 

Mölzer: EU-Verfassung - Bürgerwillen wird weiterhin mißachtet
Wien (fpd) - Es sei beschämend, daß die EU angesichts der vielfältigen und tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme Europas ihre Energien dazu verschwende, nach Möglichkeiten zu suchen, um die tote EU-Verfassung wiederzubeleben, sagt der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer zum Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs. Wenn der Herr Bundeskanzler meint, die Bezeichnung Verfassung sei "nicht so wichtig" und es bestehe Konsens darüber, daß die Substanz der Verfassung gut sei, dann wisse man, was auf die Bürger zukommen werde.

"Die EU-Polit-Nomenklatura wird weitermachen wie bisher. Sie ist einfach nicht gewillt, die Wünsche der Bürger zu respektieren will statt dessen den Europäern eine Mogelpackung vorsetzen: Ein Dokument, das inhaltlich der EU-Verfassung entspricht und nur eben eine andere Bezeichnung hat", kritisiert Mölzer. Daher sei die riesige Chance vergeben worden, das Projekt EU-Verfassung auf der Müllhalde der Geschichte zu entsorgen und statt dessen den Startschuß zur Ausarbeitung eines europäischen Grundlagenvertrages für ein Europa der freien und selbstbestimmten Völker und Staaten zu geben, betont Mölzer.

Als Höhepunkt der inhaltsleeren und erfolglosen österreichischen Ratspräsidentschaft bezeichnet der freiheitliche EU-Mandatar den Umstand, daß es Bundeskanzler Schüssel beim EU-Gipfel nicht geschafft habe, verschärfte Aufnahmekriterien für allfällige weitere Erweiterungen durchsetzen. Daraus könne man schließen, daß Schüssel, der sich gern als großer Europäer darstellt, entweder jede Durchsetzungsfähigkeit auf EU-Ebene fehle oder daß er selbst die nächste Erweiterungsrunde, die Aufnahme des sogenannten Westbalkans in die EU, nicht mehr abwarten könne, unterstreicht Mölzer abschließend.

 

Voggenhuber: EU-Gipfel fand nur behübschende Worte für das Nichts
Wien (grüne) - "Ich bin dankbar, dass die Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa zusammengekommen sind, um für das absolute Nichts, dass sie beschlossen haben, einvernehmliche und behübschende Worte zu finden. Die Denkpause soll nun in eine Pause vom Denken übergeführt werden, denn sie konnten sich - in langen Beratungen - nicht einmal mehr auf das Nichts einigen. Daher wäre jeder weitere Kommentar mehr, als sie beschlossen haben", reagiert Johannes Voggenhuber Europasprecher der Grünen mit bitterer Ironie auf die Aussagen der Staats- und Regierungschefs zur EU-Verfassung.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

 
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