Beisetzung von Rudolf Ekstein  

erstellt am
03. 07. 06

Die Hälfte seiner Asche wird in Wien beigesetzt – die andere Hälfte der Asche bleibt in den USA
Wien (universität) - Rudolf Ekstein, bedeutender Psychoanalytiker und berühmter Vertreter der Vertriebenen Intelligenz aus Wien, ist ebenso wie seine Frau Ruth 2005 verstorben. Am 4. Juli 2006 wird die Hälfte seiner Asche gemeinsam mit der Hälfte der Asche seiner Frau Ruth um 11 Uhr am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

Obgleich er 1938 aus Wien flüchten musste, blieb er der Stadt Wien eng verbunden. Zeit seines Lebens war er unschlüssig, ob er in Wien, der Stadt seiner bewegten Kindheit und Jugend sowie dem österreichischen Ort seiner universitären Lehre oder aber in Los Angeles beigesetzt sein möchte, wo seine Kinder und Enkel leben und wo er in den letzten Jahrzehnten gearbeitet und publiziert hat.

Seine Kinder Jean Ekstein Tiano und Rudolf Jr. Ekstein haben eine Möglichkeit gefunden, Eksteins doppelter Verwurzelung in Wien und in Los Angeles Rechnung zu tragen: Die Hälfte der Asche von Rudolf und Ruth Ekstein wurde 2005 in L.A. beigesetzt. Die andere Hälfte der Asche von Ruth und Rudolf Ekstein wird am 4. Juli 2006 im Wiener Zentralfriedhof im Beisein von Verwandten, Angehörigen der Universität Wien und Freunden beigesetzt.

Der Tod Eksteins und die Beisetzung seiner Asche eröffnet zugleich ein neues Kapitel der Auseinandersetzung mit der „Vertreibung der Vernunft“, die 1938 jäh eingesetzt hat: Während es über Gemälde heftige Diskussion gibt, ob sie in Wien bleiben können oder nicht, hat die Familie Ekstein den Nachlass Rudolf Eksteins der Universität Wien geschenkt.

Rudolf Ekstein – Brückenbauer der psychoanalytischen Pädagogik
Rudolf Ekstein war ein Freund Bruno Bettelheims, Ehrendoktor an der Universität Wien und Ehrenbürger der Stadt Wien. Er trug Wesentliches zur Entwicklung der Kinderpsychotherapie bei und zählt zu den Klassikern der psychoanalytischen Pädagogik. Gemeinsam mit seiner Frau Ruth verbrachte er von 1970 bis 1996 die Monate Mai und Juni in Wien, wo er als Gastprofessor an der Universität Wien lehrte.

Diese Beisetzung in Wien hat auch symbolische Bedeutung: Rudolf Ekstein hat sich stets darum bemüht, zwischen den wissenschaftlichen Kultur- und Forschungstraditionen, die er in Österreich und in den USA vorfand, Brücken zu schlagen. Auf diese Weise half er vielen österreichischen WissenschafterInnen an internationalen Entwicklungen anzuschließen und gab bedeutsame Anstöße zur Weiterentwicklung der Bereiche Psychoanalyse, Psychotherapie und Pädagogik:

  • Besonders hervorzuheben sind Eksteins Studien zur Bedeutung von unbewussten emotionalen Faktoren für das Gelingen von Lehr- und Lernprozessen. Eine Thematik, in der aktuellen Pisa-Debatte unberührt bleibt.
  • Psychotherapeutisches Neuland betrat Ekstein mit der Entwicklung von Methoden der psychotherapeutischen Arbeit mit psychisch schwer kranken Kindern und Jugendlichen (Psychosen oder Borderline-Störungen).
  • In Eksteins Studien und Seminaren zur Verknüpfung von Psychoanalyse und Pädagogik konnte er an Erfahrungen anknüpfen, die er noch vor 1938 in Wien mit PionierInnen wie Anna Freud, Siegfried Bernfeld oder August Aichhorn gemacht hatte. Dies trug wesentlich dazu bei, dass Wien wiederum zu einem Zentrum der Psychoanalytischen Pädagogik geworden ist. Letzteres ergab erst kürzlich eine Umfrage unter deutschsprachigen Universitäten.


Der Nachlass von Rudolf Ekstein
Auf Vermittlung der Psychagogin Annelotte Barta vom Rudolf-Ekstein-Zentrum kam der gesamte Nachlass von Rudolf Ekstein im Februar 2006 an die Bibliothek der Universität Wien. Der Nachlass ist am Institut für Bildungswissenschaft der Forschungseinheit Psychoanalytische Pädagogik zugeordnet und wird in Kooperation mit der Universitätsbibliothek bearbeitet.

Der Nachlass umfasst an die 5000 Fachbücher, etwa 860 Zeitschriftenbände und 100 Kartons mit Briefen, persönlichen Notizen, Videobändern, unpublizierten Aufsätzen, Vortragsmanuskripten, Seminarunterlagen, persönlichen Dokumenten u.a.m. Unter den Fachbüchern und Zeitschriften befinden sich seltene, zugleich wichtige und oft schwer zugängliche Veröffentlichungen zur Geschichte der Psychoanalyse, zur psychoanalytischen Pädagogik, zur Kinderpsychoanalyse und zur Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Die wissenschaftliche Bedeutung des Nachlasses

Die Bearbeitung des persönlichen Nachlasses, der Bücher und Zeitschriften werden neue Einsichten zu den nachfolgenden Themenbereichen eröffnen:

  • in die Geschichte der Psychoanalyse,
  • in orthodoxe und unorthodoxe Methoden der Kinderpsychotherapie (vor allem was die Arbeit mit psychisch schwer gestörten Kindern betrifft),
  • in die enge Verbindung von Psychoanalyse und Pädagogik, die an kaum einer anderen Universität des deutschsprachigen Raumes so intensiv bearbeitet wird wie an der Universität Wien und gerade durch Rudolf Ekstein wichtige Anstöße erhalten hat. Am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien hat sich die Forschungseinheit „Psychoanalytische Pädagogik“ etabliert.
  • sowie in ein weiteres Kapitel der „vertriebenen Intelligenz“ und deren Beziehung zu Wien nach 1945


Arbeitsschwerpunkte
Einen ersten Arbeitsschwerpunkt werden Eksteins Beiträge zu einer psychoanalytischen Theorie des Lernens darstellen, die vor dem Hintergrund der aktuellen Bildungsdiskussionen von höchster Aktualität sind: Seiner Zeit voraus, hat Ekstein bereits sehr früh die Bedeutung von emotionalen Faktoren für das Lernen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erforscht.

Einen zweiten Arbeitsschwerpunkt wird Eksteins Einfluss auf die Entwicklung der österreichischen Psychoanalytischen Pädagogik darstellen. Dabei wird insbesondere untersucht, welchen Einfluss Ekstein auf die Tradierung und Wiederbelebung jener Arbeiten zur Bedeutung des Unbewussten in Erzierziehungsprozessen ausgeübt hat, die in der Zwischenkriegszeit in Wien entwickelt und nach dem Einbruch des Nationalsozialismus nicht weitergeführt werden konnten.

Einrichtung eines Advisory Boards
Zur Planung der wissenschaftlichen Bearbeitung des Nachlasses und der Entwicklung weiterführender Forschungsprojekte wird ein interdisziplinäres Advisory Board eingerichtet.

Scientific Advisory Board
Für die neu entstandene Sammlung Rudolf Ekstein an der Universität Wien wurde ein Scientific Advisory Board eingerichtet. Das interdisziplinär zusammengesetzte Advisory Board hat die Aufgabe, Initiativen zur Aufarbeitung des Nachlasses sowie zur Entwicklung und Realisierung von weiterführenden Projekten, die an Eksteins Arbeitsschwerpunkte anknüpfen, anzuregen und wissenschaftlich zu begleiten.

Dem Board gehören VertreterInnen verschiedener wissenschaftlicher Einrichtungen und Disziplinen an. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Rudolf Ekstein als Wissenschaftler, aber auch als langjähriger Gastprofessor der Universität Wien in einem disziplinübergreifenden Bereich tätig war, der der Pädagogik und der Medizin zuzurechnen war und Entwicklungen innerhalb sowie außerhalb der Universität maßgeblich beeinflusste.

     
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