Stagflation und Risikoreduktion  

erstellt am
28. 06. 06

Immobilienrückgang bremst US-Konjunktur. Eurozone profitiert von stärkerer Binnennachfrage – Inflationsdruck in USA und Europa weiterhin im Fokus
Wien (rzb) - Inflations- und Zinsängste prägen derzeit das Bild an den globalen Finanzmärkten. Die Befürchtungen höherer Teuerungsraten und Zinsen haben dabei durch die jüngsten Äußerungen der Notenbankchefs in den USA und Europa neue Nahrung erhalten. Diese Entwicklung trifft nun mit der von Peter Brezinschek bereits zu Jahresbeginn prognostizierten abnehmenden Wirtschaftsdynamik in den USA zusammen. „Tatsächlich ist die Inflation in den vergangenen Monaten sowohl in den USA als auch in der Eurozone wieder auf dem Trend nach oben“, so der Chefanalyst der Raiffeisen Zentralbank Österreich AG (RZB ). Zudem zeigen die Konjunkturvorlaufindikatoren bereits ein Abflauen der US-Wachstumsentwicklung für die zweite Jahreshälfte 2006 an.

Das Szenario als Stagflation zu bezeichnen – einer Kombination von ausgeprägter Wachstumsschwäche und hoher Preisentwicklung – käme für Brezinschek jedoch zu früh: „Abgesehen von der Tatsache, dass Inflationsraten von zwei bis vier Prozent weit unter den zweistelligen Preissteigerungen vor dreißig Jahren liegen (Stagflation war in den 1970er Jahren das Gespenst aller Investoren), ist bei aller Skepsis ein markantes Abtauchen der Weltwirtschaft in eine Wachstumspause wenig wahrscheinlich“. Gleichwohl sind abnehmende Wachstumsraten bei einer Inflationsentwicklung von über 4 Prozent in den USA und 2,5 Prozent in der Eurozone nicht die Grundlage für prosperierende Kapitalmärkte. Deshalb kam die damit einhergehende zunehmende Risikoaversion auch nicht den Rentenwerten zugute.

Ende des Immobilienbooms: Bremsklotz für US-Konjunktur
Die starke Verzahnung der Immobilienmarktentwicklung mit dem privaten Konsum – und andererseits der starke Einfluss des privaten Konsums auf die Konjunktur – machen eine Abkühlung der Wirtschaftsdynamik in den USA absehbar. In den vergangenen Jahren ließ der boomende Immobilienmarkt das Vermögen des Durchschnittsamerikaners stark steigen. Rekordtiefe Zinsen legten es in dieser Phase nahe, aushaftende Hypothekarkredite zu günstigeren Zinsen zu refinanzieren und sie dabei gleichzeitig aufzustocken, um über einen Teil des gestiegenen Immobilienvermögens für Konsumzwecke verfügen zu können. Selbst ein bloßes Abflachen der Immobilienpreise bringt diese zusätzliche Geldquelle des US-Konsumenten allerdings rasch zum Versiegen. Stellt sich diese Entwicklung dauerhaft ein, verschwindet eine wichtige Stütze des privaten Konsums – der in den USA immerhin 70 Prozent der gesamten BIP-Nachfrage ausmacht.

Eine solche Wachstumsverlangsamung wird auch durch die zunehmend bremsende Wirkung der bisher erfolgten Zinsanhebungen nahe gelegt. „Man sollte im Übrigen nicht darauf hoffen, dass eine solche Abschwächung des privaten Konsums durch andere Sektoren kompensiert würde“, so Brezinschek. „Denn die öffentliche Nachfrage dürfte angesichts eines Budgetdefizits von rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kaum noch stark ausgeweitet werden“. Da keinerlei aufgestauter Investitionsbedarf zu verzeichnen ist, werden sich die Wachstumsimpulse aus dem Unternehmenssektor in Zukunft trotz ausgezeichneter Gewinn- und Cashflowsituation bei nachlassender Nachfrage der privaten Haushalte tendenziell etwas reduzieren. Auf der Grundlage dieser Entwicklung rechnet Brezinschek für das zweite Quartal mit einem Rückgang des BIP auf annualisiert unter 3,0 Prozent von noch 5,3 Prozent im ersten Quartal. In der zweiten Jahreshälfte 2006 und Anfang 2007 sollte dann nur noch ein annualisiertes BIP-Wachstum von 2,0 bis 2,5 Prozent erreicht werden.

Binnennachfrage in Eurozone gewinnt Zugkraft
Während sich die Wachstumsdynamik in den USA deutlich abschwächt, stehen die Vorzeichen für eine anhaltend positive Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone so gut wie seit Jahren nicht mehr. „Dabei ist die stärkste Wachstumsbeschleunigung im zweiten und dritten Quartal dieses Jahres zu erwarten“ so Brezinschek, „und auch für die weiteren Quartale rechnen wir mit Wachstumsraten von über zwei Prozent“. Das wäre zugleich die stärkste Wirtschaftsdynamik seit sechs Jahren. Die RZB-Wachstumsprognose von 2,3 Prozent für 2006 bzw. 2,0 Prozent für 2007 stützt sich nicht zuletzt auf die positiven Signale aus der Binnenwirtschaft. Die von RZB Research herangezogenen Umfrageindikatoren deuten auf eine erkennbare Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt hin und mit einem Anziehen der Beschäftigung wird auch der private Konsum zunehmen. Auch die verstärkte Kreditvergabe signalisiert, dass sowohl private Haushalte als auch Unternehmen wieder vermehrt größere Anschaffungen bzw. Investitionen tätigen.

Inflationsdruck nimmt zu – globaler Zinstrend aufwärtsgerichtet
In den USA bleibt der Preisdruck hoch, auch wenn der Inflations-Höchststand mit zuletzt 4,2 Prozent p. a. im Mai für das laufende Jahr bereits erreicht sein sollte. Zugleich wird die für die US-Notenbank wichtigere Kerninflation (ohne Energiepreise) aber auf Grund von Preisüberwälzungen von zuletzt 2,4 Prozent p. a. noch auf 3,0 Prozent p. a. gegen Jahresende ansteigen. Und nachdem US-Notenbankchef Ben Bernanke sein Unbehagen mit der steigenden Kerninflation relativ deutlich geäußert hat, ist eine weitere Zinsanhebung – damit bereits die 17. in Folge – auf dann 5,25 Prozent praktisch besiegelt. Anschließend dürfte die bereits ausgeführte starke Abkühlung des US-Immobilienmarktes den Konjunkturmotor hinreichend bremsen, um die US-Notenbank trotz weiterem Anstieg der Kerninflation im zweiten Halbjahr 2006 zu einem Ende der Zinsanhebungsrunde zu bewegen.

Im Zuge des Aufschwungs rückt die Inflationsentwicklung auch diesseits des Atlantiks verstärkt ins Interesse von Europäischer Zentralbank (EZB) und Finanzmärkten. Mit einem Anziehen der Nachfrage werden es Unternehmen jedoch leichter haben, Kostensteigerungen auf die Konsumenten abzuwälzen. Beim Inflationsausblick für die Eurozone kann auch der Sondereffekt Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland nicht ganz außer Acht gelassen werden. Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ergibt sich für Deutschland ein Gesamteffekt auf das Preisniveau von 0,7 Prozent und weniger als 0,25 Prozent auf die Eurozone.

Langfristige Gefahren für die Preisstabilität ergeben sich auch aus der starken Ausweitung der Geldmenge. Das enorme Kreditwachstum (plus 12,1 Prozent bei Hauskäufen, plus 10,9 Prozent bei Unternehmenskrediten und plus 7,9 Prozent bei Konsumentenkrediten) lässt sich offensichtlich nur mit Zinsanhebungen einbremsen. Die EZB scheint aus der Sicht Brezinscheks rechtzeitig diesen Tendenzen bei der Überschussliquidität im Wirtschaftssystem gegenzusteuern. In den kommenden Quartalen ist daher mit weiteren Leitzinsanhebungen auf zumindest 3,5 Prozent zu Jahresbeginn 2007 zu rechnen. In Japan wird noch in den Sommermonaten der Abschied von der Nullzinspolitik erwartet. Mit jeweils 0,25 Prozentpunkten dürfte der Leitzins im Quartalsabstand steigen und somit auf 1,0 Prozent auf Jahressicht klettern.

Geteilt ist das Bild bei den Rentenmärkten. Die amerikanischen Staatsanleihen stehen bei 5,25 Prozent nahe ihrem Jahreshöchstwert. Die Kombination aus einem Auslaufen der Fed-Zinserhöhungen und der nachlassenden Wachstumsdynamik sollte bis Jahresende wieder für tiefere Renditen sorgen. Dagegen werden die europäischen und japanischen Anleihenmärkte bis Dezember tendenziell zur Schwäche neigen. Der nach oben gerichtete Zinszyklus und die unterschiedliche Wachstumsdynamik zeichnen dafür verantwortlich. Die 10jährigen Euro-Staatsanleihen (derzeit. 4,0 Prozent) dürften daher die 4,5-Prozent-Marke noch 2006 erreichen.

Aktienmärkte: Einstiegsgelegenheiten im Sommer?
Die höher als erwartet ausgefallenen US-Kerninflationsdaten haben Mitte Mai an den globalen Aktienmärkten Inflations- und Zinsängste ausgelöst und die Aktienkurse belastet. Während die etablierten Aktienmärkte in dieser Phase vergleichsweise moderate Kursverluste verzeichneten, verloren die Emerging Markets überproportional. Für das Andauern der Verkaufswelle sind die Daten zur Inflationsentwicklung aber nicht allein verantwortlich. Seit einigen Wochen steht die bevorstehende deutliche Abschwächung des US-Wirtschaftswachstums mindestens ebenso im Blickpunkt der Aktieninvestoren.

„Eine deutlich nachlassende Konsumneigung hätte sicherlich weit reichende Folgen, speziell für die US-Wirtschaft“, erklärt Helge Rechberger, Leiter der RZB-Aktienmarktanalyse. „Insbesondere im Umfeld erhöhter Inflationsdaten in den nächsten Monaten glauben wir daher, dass die Aktienkurse bis in die Sommermonate hinein noch weiter zurückfallen werden.“

Erst wenn auf den Aktienmärkten die Konjunktur- und Zinsängste durch kritische Unternehmensanalysen abgelöst werden, so Rechberger, und die Gewinnschätzungen für die zweite Jahreshälfte 2006 und für 2007 reduziert werden, könnte der Weg zu einer neuen Kurserholung geebnet werden. Denn die etwas höheren KGV, die noch immer attraktive Bewertungen darstellen, treffen dann auf solide Wachstumsaussichten für Europa und Asien. Gerade die in Kontinentaleuropa großteils günstigen Bewertungsniveaus sollten sich dabei mittelfristig als fundamentale Stütze erweisen.

Insofern ist die aktuelle Kursschwäche auch nicht vergleichbar mit jener nach der Übertreibungsphase der Aktienmärkte im Jahr 2000. Die vorherrschende Bewegung stellt eher eine Unterbrechung als eine Wende des langfristigen Aufwärtstrends an den Weltbörsen dar. Im Verlauf des Sommers ergeben sich somit wieder Einstiegsgelegenheiten.

Asset Allocation: Neue Risikoeinschätzung der Investoren
Mit dem Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus vollzieht sich nunmehr auch eine Anpassung der Risikoeinschätzung seitens der Investoren. Da höhere risikofreie Zinssätze zu einer abnehmenden globale Risikobereitschaft führen, sind alle Veranlagungskategorien mit höherem Risiko tendenziell von geringerer Attraktivität. Dies betrifft in erster Linie Emerging Markets, Aktien und High Yield-Anleihen. Umschichtungseffekte werden bei Emerging Market Fonds sichtbar. Bis April flossen netto USD 31 Milliarden in diese Anlageklasse, seit Mitte Mai wurden in fünf Wochen USD 15,4 Milliarden abgezogen.

Erst mit dem sichtbaren Auslaufen des US-Zinsanhebungstrends sieht die RZB eine gewisse „Normalisierungstendenz“, die den Aktien und Emerging Markets wieder zugute kommen sollte. Trotz erwarteter Erholung im weiteren Jahresverlauf bleibt die Volatilität hoch und die risikobehafteten Assets dürften die Jahres-Höchststände schon hinter sich haben.

In einem nervösen und volatilen Marktumfeld bleibt die RZB bei einer leichten
Untergewichtung von Aktien und tendiert zu einer Höhergewichtung erst im weiteren Quartalsverlauf. Im Anleihensegment haben die permanenten Renditeanstiege bei den globalen Anleihen ebenfalls für steigende Volatilität, insbesondere bei Emerging Market-Anleihen, gesorgt. Das derzeitige Umfeld begünstigt im Vergleich dazu einen Schwerpunkt auf den schwankungsärmeren Euro-Staatsanleihenmarkt. Von der Renditeentwicklung her gesehen scheinen US-Staatsanleihen freilich am attraktivsten, aufgrund der zu erwartenden US-Dollarschwäche ist dieser Markt jedoch keine Alternative. Für den Start des dritten Quartals ist die RZB am US-Anleihenmarkt neutral zur Benchmark gewichtet. Im Gegensatz dazu ist die RZB in der Region Zentral- und Osteuropa aufgrund der zum Euro stärkeren tendierenden Lokalwährungen übergewichtet. Im Segment der CEE-Eurobonds ist die RZB dagegen zur Benchmark untergewichtet. Dasselbe gilt für den gesamten Corporate Bond-Sektor, bei dem steigende Ausfallsraten und Spreadausweitungen einen negativen Einfluss auf die Kursentwicklung haben sollten.

Hinsichtlich der erwarteten Abkühlung der US-Wirtschaft und deren Rückkoppelung auf das globale Wachstum– und unter dem Eindruck steigender Leitzinsen und etwas höherer Inflationserwartungen stellen Anleihen derzeit nur bedingt eine Alternative dar. Die Gewichtung der RZB für das Gesamtportfolio zu Beginn des dritten Quartals lautet daher: Untergewichtung der Aktienklasse mit 48 Prozent (bei einer Benchmark von 50 Prozent). Einem benchmark-neutralen Niveau bei Anleihen von 45 Prozent und zunächst einer leichten Übergewichtung von Alternativen Investments mit 7 Prozent (Benchmark: 5 Prozent).
     
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