Koalitionsverhandlungen / Existenzsicherung für alle  

erstellt am
27. 11. 06

 Bartenstein: 3-Säulen-Modell zur Existenzsicherung
Mindestpension für alle, existenzsichernde Sozialhilfe und Lohnnebenkostensenkung im Niedriglohnbereich
Wien (bmwa) - "Wir wollen die Existenzsicherung in Österreich auf drei Säulen stellen, um die Armutsgefährdung in Österreich weiter zurückzudrängen. Ziel ist eine Mindestpension für alle, eine existenzsichernde Sozialhilfe sowie die Senkung der Lohnebenkosten für geringe Einkommen", erklärte Arbeitsminister Martin Bartenstein am 24.11. bei einer Pressekonferenz in Wien. Zielgruppe seien Personen, die nicht mehr im erwerbsfähigen Alter sind, sozial bedürftige Menschen im erwerbsfähigen Alter (Sozial- oder Notstandshilfebezieher sowie Arbeitsunfähige) und Arbeitnehmer mit geringen Einkommen.

"Wir haben die Armut in Österreich in den letzten Jahren bereits erfolgreich zurückgedrängt, das belegen die aktuellen Daten. Jetzt geht es darum, auf dem Erreichten aufzubauen und die soziale Existenzsicherung weiter auszubauen". so Bartenstein. Im Jahr 2004 habe der Gesamtaufwand für soziale Leistungen (inklusive Pensionsleistungen und Gesundheitsausgaben) in Österreich rund 70 Milliarden Euro oder 29,4 Prozent des BIP betragen (1999 waren es noch 28,8 %). Mit dieser Sozialquote liege Österreich im europäischen Spitzenfeld und über dem Durchschnitt der EU-15 (28,3 %) und jenem der EU-25 (28.0 %). Wichtige Sozialleistungen seien etwa die Notstandshilfe mit 817,8 Millionen Euro, die Unterstützung für Arbeitslose mit einem Gesamtaufwand von 3,67 Milliarden Euro, die Familienbeihilfe (2,96 Milliarden Euro) oder das Kinderbetreuungsgeld (1,05 Milliarden Euro).

Die Armutsgefährdung in Österreich sei zuletzt erfreulicherweise laut Eurostat von 13,2 auf 12,8 Prozent zurückgegangen. Im Schnitt der EU-15 sei die Armutsgefährdung im gleichen Zeitraum um zwei Prozentpunkte gestiegen.

Mindestpension für alle
Diese erste Säule der künftigen sozialen Absicherung sehe eine Mindestpension für alle von 700 Euro (14 mal) - entsprechend dem Ausgleichszulagenrichtsatz 2007 - vor und solle allen Frauen über 60 und allen Männern über 65 ohne eigenen Pensions- oder Unterhaltsanspruch zugute kommen.

Das seien rund 25.000 Menschen, die derzeit auf Sozialhilfe in je nach Bundesland sehr unterschiedlicher Höhe angewiesen seien. Dafür seien rund 250 Millionen Euro vorzusehen, dem eine Ersparnis bei der Sozialhilfe gegenüber stehe, was Nettomehrkosten von 100 bis 150 Millionen Euro ergeben würden.

Existenzsichernde Sozialhilfe
Bartenstein plädierte für eine Vereinheitlichung der bundesländerweise unterschiedlichen Sozialhilfegesetze zu einer existenzsichernden Sozialhilfe in einer Höhe von 700 Euro (14 mal). Im derzeit bestehenden Sozialhilfesystem der Bundesländer gebe es unterschiedliche Anspruchvoraussetzungen, Standards, Regressforderungen, Beträge. Es gehe dabei um 65.000 bis 80.000 Personen. Wichtig sei hier, so Bartenstein, eine Bedarfsorientierung, und: wer arbeitsfähig ist, müsse auch arbeitsbereit sein. Ziel seien einheitliche Standards für Höhe und Anspruchsvoraussetzungen, eine Verwaltungsvereinfachung, ein "One-Stop-Shop"-Prinzip in der Sozialverwaltung und Rechtssicherheit für die Betroffenen. Die Kosten bezifferte Bartenstein mit rund 500 bis 600 Millionen Euro.

Senkung der Lohnnebenkosten für niedrige Einkommen
Drittens schlägt Bartenstein eine Senkung der Lohnnebenkosten für niedrige Einkommen vor. Es gehe dabei um einschleifende Sozialversicherungsbeiträge im Bereich zwischen der Geringfügigkeitsgrenze und einem Monatseinkommen um etwa 1000 Euro. Ziel sei es, Beschäftigung zu fördern und Menschen leichter wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dieses Modell würde im Endausbau rund 700 Millionen Euro kosten. Bartenstein verwies darauf, dass das Wifo in seinem Weißbuch ein ähnliches Modell vorgeschlagen habe.

Das Modell basiere auf den Prinzipien der Bedarfsorientierung sowie der Arbeitsbereitschaft der betroffenen Menschen. Jetzt gehe es darum dieses Modell schrittweise bis 2010 einzuführen und umzusetzen.

Eine deutliche Absage erteilte Bartenstein dem Modell eines arbeitslosen Grundeinkommens. Denn jede Erwerbstätigkeit sei ein wichtiger Schutz vor Armut. "Wir wollen keine soziale Hängematte, sondern ein Trampolin, das Menschen möglichst rasch wieder in die Beschäftigung zurückbringt", betonte Bartenstein abschließend.

 

 Bures: Enorme Kosten, geringe Effekte
SPÖ setzt auf Beschäftigung und Pensionen, von denen man leben kann
Wien (sk) - SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Doris Bures begrüßt zwar die "späte Einsicht" von Minister Bartenstein, dass dringend Maßnahmen zur Armutsbekämpfung gesetzt werden müssen, kritisiert allerdings seine Vorschläge als "weitgehend untauglich". Gegenüber dem SPÖ-Pressedienst spricht Bures von "hohen Kosten, aber geringen Effekten". So würden unter dem Deckmantel der Armutsbekämpfung Billigjobs für Arbeitgeber noch billiger gemacht. Anreize zur Beschäftigung, dem Grundstein jeder wirksamen Armutsbekämpfung, würden fehlen.

Mehr als eine Million Menschen sind armutsgefährdet. Die Zahl jener Menschen, die in akuter Armut leben, ist in den vergangenen sechs Jahren um 170.000 auf 460.000 gestiegen. "Das ist in einem reichen Land wie Österreich nicht zu tolerieren. Gut, dass die ÖVP das endlich einsieht", sagt Bures. Sie stellt klar, dass die hohe Sozialquote auf den massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist. "Sich für eine hohe Sozialquote zu rühmen, ist unredlich", so Bures. Damit müsse viel Geld für die Folgen der Arbeitslosigkeit ausgegeben werden, anstatt die Arbeitslosigkeit durch kluge Wachstums- und Beschäftigungspolitik an den Wurzeln zu packen.

Während der ÖVP-Vorschlag für eine Mindestpension keinerlei Anreiz zur Beschäftigung schaffe, eher im Gegenteil, setze die SPÖ auf Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung. Dieser Ansatz werde auch heute vom WIFO-Weißbuch für mehr Beschäftigung bestätigt. "Wir müssen alles tun, um die Menschen in Beschäftigung zu bringen, bzw. sie in Beschäftigung zu halten", so Bures. Die SPÖ tritt außerdem für Pensionen ein, von denen man auch leben kann. Der Ausgleichszulagenrichtsatz soll deshalb an die Armutsgrenze angehoben werden.

Die Kritik Bartensteins am SPÖ-Modell zur bedarfsorientierten Grundsicherung gehe ins Leere. Es handle sich nämlich keinesfalls um ein bedingungsloses Grundeinkommen oder darum, undifferenziert das Füllhorn auszuschütten. Von den Beziehern der Grundsicherung werde die Bereitschaft verlangt, ihren Teil zu ihrem Auskommen beizutragen. Das heißt, wer arbeitslos ist, müsse im Rahmen der geltenden Zumutbarkeitsbestimmungen des AMS eine angebotene Arbeit annehmen. "Die große Befürchtung der ÖVP, dass das Verharren in der Arbeitslosigkeit attraktiver würde, ist damit ohne Grundlage", erklärte Bures.

Die SPÖ-Bundesgeschäftsführerin appelliert an Bartenstein, sich seriös mit dem SPÖ-Modell zur bedarfsorientierten Grundsicherung auseinanderzusetzen. Die Vorteile am SPÖ-Modell: "Weniger Bürokratie, niedrigere Kosten und ungleich höhere Effekte in der Armutsbekämpfung", so Bures abschließend.

 

 Öllinger: Bartenstein-Vorschläge beweisen fehlende inhaltliche Kompetenz der ÖVP
Grundsicherung nicht Frage der Finanzierbarkeit, sondern des politischen Willens
Wien (grüne) - "Die Vorschläge von Minister Bartenstein zur Grundsicherung sind ein neuerlicher Beweis für die fehlende inhaltliche Kompetenz der ÖVP im Bereich sozialer Sicherheit", meint der stv. Klubobmann Karl Öllinger. "Es geht nicht um ein arbeitsloses GrundEINKOMMEN, sondern um eine GrundSICHERUNG, die Armut verhindert."

Die von Bartenstein vorgeschlagenen Maßnahmen wie etwa die Schaffung einheitlicher Standards in der Sozialhilfe oder einer Mindestpension sind durchaus Elemente der Grundsicherung, wie sie die Grünen seit 1997 fordern. "Ohne eine bedarfsorientierte Sockelung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung werden wir aber nicht das Auslangen finden", so Öllinger weiter. "Es ist weder zumutbar noch möglich, etwa mit der durchschnittlichen Notstandshilfe für Frauen von Euro 483,- im Monat ein menschenwürdiges Leben zu führen. Wo Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen, haben die Betroffenen einen moralischen Anspruch auf ein existenzsicherndes Mindesteinkommen."

Dazu bedarf es aber nicht allein staatlicher Mittel, sondern auch eines gesetzlichen Mindestlohns, wie ihn 18 von 25 EU-Staaten kennen. "Schließlich ist es ja die ÖVP, die immer wieder betont, dass sich Arbeit auch lohnen muss. Warum gilt das eigentlich nicht für die Menschen, die für Niedrigstlöhne arbeiten müssen?", fragt Öllinger.

Die bedarfsorientierte Sockelung von Sozialhilfe, Notstandshilfe und Arbeitslosengeld kostet etwa Euro 500 Mio. Das sind 0,2% des BIP. "Bartenstein soll also nicht mit Phantasiezahlen und angeblichen Milliardenbeträgen um sich werfen, sondern sich informieren", so Öllinger. "Die Schaffung einer existenzsichernden Grundsicherung ist somit nicht eine Frage der Finanzierbarkeit, sondern einzig eine des politischen Willens, Armut in einem der reichsten Länder der Erde nicht zu akzeptieren", so Öllinger.

 

 Kickl: Immer drastischerer Unterschied zwischen Arm und Reich
Antisoziale Politik Schüssels und seiner Erfüllungsgehilfen
Wien (fpd) - Als schockierend bezeichnete es FPÖ-Sozialsprecher NAbg. Herbert Kickl, dass sich die Einkommensschere in Österreich weiter vergrößert hat. Der Unterschied zwischen Arm und Reich werde immer drastischer, kritisierte Kickl, der die Hauptursache dafür in der antisozialen Politik Schüssels und seiner Erfüllungsgehilfen Grasser und Bartenstein sieht. Wenn der Noch-Kanzler seine Selbstbeweihräucherungen über die angeblich so großartigen Beschäftigungszahlen zum Besten gebe, vergesse er in schöner Regelmäßigkeit zu erwähnen, dass es sich dabei in weiten Bereichen um unterbezahlte Teilzeitjobs handle, von denen niemand leben könne. So sehe die schöne neue Beschäftigungswelt des Neoliberalismus nämlich in Wahrheit aus.

Kickl warnte davor, dass diese Entwicklung auch in Zukunft weitergehen werde, wenn nicht rasch und entschieden gegengesteuert werde. Es sei nicht akzeptabel, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer würden. Die Tatsache, dass die Niedrigsteinkommen um 17 Prozent gefallen seien, die Höchsteinkommen hingegen um 5 Prozent gestiegen, müsste eigentlich alle Alarmglocken schrillen lassen.

 

 Haubner: Grundsicherung ist auch ein Mindestlohn von 1.000 Euro
Wien (nso) - In der aktuellen Diskussion zwischen SPÖ und ÖVP im Bereich einer Grundsicherung vermisst Sozialministerin Ursula Haubner eine Diskussion um einen Mindestlohn. "Eine Grundsicherung beginnt vor allem damit, dass Menschen die in Vollzeit arbeiten, von dieser Arbeit auch leben können. Daher ist ein anständiges Einkommen für anständige Arbeit eine Grundvoraussetzung". Haubner fordert die Sozialpartner auf, im Zuge der laufenden Kollektivvertragsverhandlungen, endlich einen Mindestlohn von 1.000 Euro netto für Vollzeitarbeit zu beschließen. "Es kann nicht sein, dass ein arbeitsfreies Grundeinkommen verlangt wird, aber viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Vollzeitarbeit unter 1.000 Euro netto verdienen. Wo bleibt hier die Gerechtigkeit?", fragt sich Haubner. Gerade Frauen seien hier akut von Armut gefährdet, betont Haubner, die erneut eine Vereinheitlichung der Sozialhilfe fordert und sich für eine bedarfsorientierte Lebenssicherung ausspricht, die nach sozialer Verantwortung gestaffelt werden soll.

Österreich stehe wirtschaftlich sehr gut da, aber wenn es darum geht, die Kaufkraft im Inland zu erhalten, müssen die Menschen auch vernünftig verdienen. "Ich bin mir aber sicher, dass auch die Wirtschaft dieses Anliegen eines Mindestlohnes unterstützt, denn laut Wirtschaftskammer "geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut", so Haubner abschließend.
 
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