Historikerkommission berichtet über die Vorgängerinstitute der BA-CA in der NS-Zeit  

erstellt am
29. 11. 06

Erich Hampel: "Es ist unsere moralische und demokratiepolitische Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen" – BA-CA richtet öffentliches, historisches Archiv ein
Wien (ba-ca) - Mit der 2-bändigen und mehr als 2.000 Seiten umfassenden Publikation "Österreichische Banken und Sparkassen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit" hat die im Jahr 2000 eingesetzte internationale und unabhängige Historikerkommission der Bank Austria Creditanstalt (BA-CA) ihre fünfjährige Arbeit abgeschlossen. Eine wesentliche Erkenntnis daraus: Zwar waren die Vorgängerinstitute der BA-CA mit Ausnahme der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien unter der Kontrolle deutscher Unternehmen, ihr eigener Handlungsspielraum - vor allem in den Ländern Zentral- und Osteuropas - war jedoch größer als bisher bekannt.

"Die Geschichte der österreichischen Großbanken in der NS-Zeit ist nicht einzig und allein aus der Perspektive der Beziehungen zu ihren deutschen Besitzern oder der Bestrebungen Berlins zu untersuchen", sagt Gerald D. Feldman, Leiter der Historikerkommission. Trotz dem politischen Einfluss deutscher Institutionen - die Creditanstalt-Bankverein befand sich zwischen 1938 und 1942 unter der Kontrollmehrheit der VIAG bzw. der Deutschen Bank und die Länderbank Wien war eine Tochtergesellschaft der Dresdner Bank - besaßen die Banken ein beachtliches Maß an Autonomie. "Sie hatten die Möglichkeit, innerhalb der vom NS-Regime bestimmten Parameter frei zu manövrieren", so Feldman.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich drückte sich zunächst am Bankensektor in einer radikalen Umgestaltung bzw. Säuberung der Vorstands- und Verwaltungsratsebenen der Wiener Geldinstitute aus. Die rassistisch und politisch motivierten Entlassungen von Angestellten vollzogen sich bei den untersuchten Unternehmen besonders rasch und konsequent. Ihre Beteiligung an den diskriminierenden Maßnahmen gegenüber Juden und politischen Gegnern des NS-Regimes sowie an der "Arisierung" von Wirtschaftsunternehmen wird in der umfassenden Aufarbeitung der Geschichte evident gemacht.

"Wir haben sowohl gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als auch gegenüber der Gesellschaft eine demokratiepolitische und moralische Verpflichtung, zu unserer Verantwortung zu stehen", sagt Erich Hampel, Vorstandsvorsitzender der BA-CA.

Die österreichischen Banken spielten eine entscheidende Rolle bei der Eingliederung österreichischer Kreditinstitute in das nationalsozialistische Deutschland und dessen Kriegswirtschaft. So unterstützten sie zum Beispiel die zu "kriegswichtigen" bzw. "Rüstungsbetrieben" erklärten Unternehmen. In der territorialen Expansion des «Dritten Reiches» sahen die Banken damals zweifellos eine Chance zur Erweiterung ihrer Tätigkeitsbereiche. Im Vordergrund stand dabei oft der wirtschaftliche Nutzen.

"Die Auseinandersetzung mit der Rolle von österreichischen Bankmanagern während der nationalsozialistischen Expansion in Europa gegenüber den jüdischen Kundinnen und Kunden und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jüdischer Herkunft ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer gemeinsamen europäischen Geschichtsbetrachtung. Dabei wird auch die Bankenpolitik während des Nationalsozialismus in den ost- und südosteuropäischen Staaten kritisch hinterfragt - in Städten und Ländern, die zum heutigen Markt der BA-CA gehören", resümiert Oliver Rathkolb, Mitglied der Historikerkommission.

BA-CA richtet ein öffentliches, historisches Archiv ein
Die BA-CA will die Endberichte der Historikerkommission nicht als einen Abschluss sehen. Das Quellenmaterial der Historikerkommission - immerhin etwa 1.500 Laufmetern an Akten - soll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In der Zentrale der BA-CA in der Wiener Schottengasse ist deshalb bereits ein historisches Archiv unter der Leitung von Ulrike Zimmerl errichtet worden. Forschungen über die österreichische Banken- und Wirtschaftsgeschichte sollen so erleichtert werden.

Die unabhängige Historikerkommission wurde im Jahr 2000 im Zuge eines Vergleichs zwischen Holocaustopfern und der BA-CA gemäß einem Auftrag durch das US District Court, Southern District of New York, gegründet. Ziel der Untersuchung war die lücken- und vorbehaltlose Offenlegung der Aktivitäten der Creditanstalt-Bankverein, der Länderbank Wien, der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien sowie der Regionalbanken wie der Bank für Kärnten, der Bank für Oberösterreich und Salzburg sowie der Bank für Tirol und Vorarlberg während des NS-Regimes in Österreich von 1938 bis 1945.

Zu den Mitgliedern der Historikerkommission
Univ. Prof. Dr. Gerald D. Feldman, Leiter
Jane K. Sather Professor für Geschichte an der University of California in Berkeley, von 1994 bis 2006 Direktor des Institutes of European Studies in Berkeley. 2000 Verleihung des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Mitglied der Historischen Kommission der Deutschen Bank und Mitglied des Beirats der Historischen Kommission der Dresdner Bank, 2001 Publikation "Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945"

Univ. Prof. DDr. Oliver Rathkolb, Kommissionsmitglied
Professor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien

Dr. Theodor Venus, Kommissionsmitglied
Universitätslektor der Universität Wien, ist als Historiker und Kommunikationswissenschaftler als freier Wissenschaftler tätig. Zahlreiche Forschungsprojekte zuletzt im Rahmen der Historikerkommission der Republik Österreich und des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien.

Dr. Ulrike Zimmerl, Kommissionsmitglied
Historikerin, ab 2000 wissenschaftliche Projektkoordinatorin der unabhängigen Historikerkommission der Bank Austria Creditanstalt.

Zur Publikation
Gerald D. Feldman, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Ulrike Zimmerl
Österreichische Banken und Sparkassen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit
Band 1: Creditanstalt-Bankverein
Band 2: Creditanstalt-Regionalbanken, Länderbank und Zentralsparkasse

Erschienen im Verlag C.H.Beck. 2006.
Zwei Leinenbände im Schmuckschuber
Band 1: 942 Seiten mit 24 Abbildungen
Band 2: 1077 Seiten mit 61 Abbildungen
Euro 98,-[D] / sFr 155,- / Euro 100,70[A]
ISBN 978-3-406-55158-1
 
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