Die Tatsachen der Seele  

erstellt am
29. 11. 06

Arthur Schnitzler und der Film – Retrospektive zum 75. Todestag – 6. Dezember 2006 bis 10. Jänner 2007, Metro Kino
Wien (filmarchiv) - Gegen "das Raubgesindel" könne er nichts ausrichten, urteilte der begeisterte Kinobesucher, Schriftsteller, Menschenkenner und Drehbuchautor Arthur Schnitzler (1862-1931) noch 1930 über jene Filmleute, die seine Vorgaben und Wünsche einfach verwarfen, sein Werk inadäquat umsetzten und mit den Rechten an seinem geistigen Eigentum Schindluder trieben. Der Streit mit der europäischen und amerikanischen Filmbranche hielt lebenslang an, selbst wenn seinerzeit nur eine Handvoll Filme nach seinen Werken gedreht wurden.

Schnitzler, ursprünglich dem Schriftsteller-Kreis "Jung Wien" zuzurechnen, wurde in seiner literarischen Arbeit stark durch die Bekanntschaft mit Sigmund Freud und dessen Vorstellungen vom Visuellen geprägt. Nicht weniger wesentlich für sein Schaffen war seine Ausbildung als Mediziner: Wie kaum einem zweiten Autor seiner Zeit gelang es ihm denn auch, die seelische Beschaffenheit seiner Figuren detailgetreu zu zeichnen, diese Innenschau aber auch als Spiegel der beobachteten und kritisierten Außenwelt zu benützen. Die in all ihrer Fragilität beschriebenen zwischenmenschlichen Beziehungen und das Spannungsverhältnis zwischen den emotionalen Polen Erfüllung und Grausamkeit kennzeichnen seine Arbeiten, für die sich schon bald die Filmindustrie interessierte. Als Kinofreund wurde Schnitzler schnell auch zu einem Autor, der aktiv an der Verfilmung seiner Werke mitarbeitete.

An die hundertmal wurden seine schon visuell gestalteten Romane, Novellen und Erzählungen in Film- und Fernsehprojekten realisiert. Seine Heldinnen und Helden, deren Schönheit in ihrer Fähigkeit liegt, sich keiner menschlichen Regung, keiner intellektuellen und sinnlichen Leidenschaft, keiner Begierde und keinem Fehler zu entziehen, inspirierten eine Vielzahl bemerkenswerter Beispiele quer durch die internationale Film- und Fernsehgeschichte. Anlässlich seines 75. Todestages gestaltet das Filmarchiv Austria deshalb eine umfangreiche Arthur-Schnitzler-Retrospektive, die gleichermaßen Kino- wie Fernsehfilme berücksichtigt. Ergänzt wird die Reihe um eine Publikation, mit der aktuelle Forschungsansätze zu Schnitzler-Verfilmungen aus der gesamten Filmgeschichte vorgestellt werden. In der Retrospektive sind frühe Filmadaptionen (ELSKOVSLEG, DK 1914 und DAYBREAK, USA 1931), selten gezeigte internationale Produktionen (LAS TRES PERFECTAS CASADAS, E/MEX 1973 und LE RETOUR DE CASANOVA, F 1992) sowie wiederentdeckte Fernsehverfilmungen (DER GRÜNE KAKADU, D 1963 oder DIE TOTEN SCHWEIGEN, A 1968) zu sehen.

Neben Paul Czinners Klassiker FRÄULEIN ELSE (D 1929) und Max Ophüls REIGEN (F 1950) wird auch eine neurestaurierte Fassung von Michael Kertesz' DER JUNGE MEDARDUS (A 1923) präsentiert - eine Verfilmung, die noch zu Lebzeiten Schnitzlers entstanden war und in die seine eigene Welt, seine Träume und Tagebücher Eingang fanden. Die von ihm so ironisch betrachtete Außenwelt spiegelt sich dabei als topografisches Zentrum auch immer wieder in seinem literarischen Schaffen: Wien ist der Ort, an dem sich Tag für Tag die sozialen Räume und Konflikte der zerfallenden Monarchie entfalteten. Neben Nationalitätenkonflikt und Antisemitismus ist es die Genese einer Haltung der Desillusionsgewissheit, die sich in Vorlagen und Verfilmungen ganz deutlich ablesen lässt: Die politische Schwäche der Bourgeoisie und der statische Bürokratismus eines in seinem Wirken ebenso erstarrten Kaisers ließen den Untergang der Welt der Väter immer deutlicher bewusst werden. So schreibt Schnitzler bereits 1906 in seinem Tagebuch, dass er "abgesehen von den Realitäten die Wahngebilde" doch sehr deutlich wahrnehmen könnte - Beobachtungen, die kaum etwas von ihrer Brisanz und Gültigkeit eingebüßt haben.

Publikation Arthur Schnitzler
Schnitzler sehen, Schnitzler lesen geht in eins: zur Filmreihe erscheint im verlag filmarchiv austria der Sammelband Die Tatsachen der Seele. Arthur Schnitzler und der Film in dem abseits einer endgültigen Bilanz die Verschiedenartigkeit der Kino- und Fernsehästhetiken im Kontext von Schnitzlers Schriften und dem aktuellen internationalen Forschungsstand herausgearbeitet wird. Die Auseinandersetzung der Autorinnen und Autoren mit den unterschiedlichsten Fernsehästhetiken, ihre (Nach-)Forschungen in Sachen Arthur Schnitzler und der Film machen einen Zwischenschritt auf dem Weg ins Freie und in das weite Land unserer Moderne.

Thomas Ballhausen, Barbara Eichinger, Karin Moser, Frank Stern (Hg.)
Die Tatsachen der Seele. Arthur Schnitzler und der Film
360 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Euro 24,90
Subskriptionspreis für die Dauer der Filmreihe (6.12.2006 bis 10.1.2007): Euro 19,90

Hommage Felix Salten
Filmreihe
12. bis 16. Dezember 2006, Metro Kino
Sein Name verbindet sich unmittelbar mit zwei Werken: Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde sowie Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt. Doch diese Schlaglichter verkürzen massiv. Felix Salten (geboren 1869 in Budapest, gestorben 1945 in Zürich) war scharfzüngiger Feuilletonist, Redakteur verschiedener Zeitungen, mit Schnitzler und Hofmannsthal in der Clique des so genannten ›Jungen Wien‹, vielseitiger Autor und - heute nahezu unbekannt - leidenschaftlicher Verfechter des Kinos. Saltens Arbeitsspektrum beeindruckt. Er verteidigt des neue Medium, als es noch in Verruf ist, schreibt Hymnen auf Charlie Chaplin und Eisenstein, arbeitet in den zehner und zwanziger Jahren für zahlreiche Filmfirmen in Wien sowie Berlin, liefert Ideen, Exposés, Skripts, kooperiert mit Walter Reisch oder Billy Wilder, adaptiert Schnitzlers Liebelei für die Leinwand.

Das Filmarchiv Austria lädt ein, Felix Saltens Beitrag zum Kino u. a. mit DER GLÜCKSSCHNEIDER (A 1916), ICH UND DIE KAISERIN (D 1933), BAMBI (USA 1942) oder JOSEFINE MUTZENBACHER (BRD 1970) kennen zu lernen. Die Ausstellung "Von Josefine Mutzenbacher zu Bambi. Felix Salten - Schriftsteller, Journalist, Exilant" wird am 5. Dezember 2006 im Jüdischen Museum eröffnet und dauert bis zum 18. März 2007.

1906 - Kino vor 100 Jahren
            Präsentationsabend
            Mittwoch, 13. Dezember 2006, Metro Kino

1906 war das Kino nach weit davon entfernt, seien Platz im Kanon bürgerlicher Kulturpraktiken zu haben - und es sollte noch etwas dauern, bis das Kino selbst forderte, als Kunst ernst genommen zu werden. 1906 ist es noch als Jahrmarktsvergnügen ein Medium der Sinneslust: es will zeigen, überraschen und verblüffen. Die schönsten dieser kinematographischen Attraktionen hat das Filmarchiv Austria nun aus seiner international bedeutenden Sammlung zum Frühen Kino ausgewählt.

Informationen: http://www.filmarchiv.at
 
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