Lage der europäischen Wirtschaft 2007  

erstellt am
28. 02. 07

München (ifo) - Zum sechsten Mal legt die European Economic Advisory Group at CESifo den Bericht zur Lage der europäischen Wirtschaft vor. Neben einer Konjunkturprognose und den kurzfristigen Aussagen zur Wirtschaftspolitik befasst sich der Bericht in diesem Jahr mit den Komponenten eines geeigneten europäischen Wirtschaftsmodells.

Hauptaussagen der kurzfristigen Analyse:

  • Das Wachstum der Weltwirtschaft schwächt sich nur leicht ab. Europa erholt sich langsam, aber stetig.
  • Wegen niedriger Inflationsraten sind weitere Zinserhöhungen der EZB nur schwer zu rechtfertigen.
  • Die europäischen Staaten sollten den gegenwärtigen Aufschwung stärker zur Konsolidierung der Staatsfinanzen nutzen. Die Staatsausgaben sollten verstärkt in mehr Investitionen, Bildung sowie Forschung und Entwicklung fließen.
  • Die gemeinsame Geldpolitik im Euroraum entspricht nicht immer den Belangen der einzelnen Länder. Insbesondere Italien und Irland stehen unter großem Anpassungsdruck. Zur Lösung des italienischen Anpassungsproblems sollte eine umfangreiche Deregulierung erfolgen, um die Produktivität anzukurbeln.
  • Die zehn EU-Beitrittsländer des Jahres 2004 wachsen schnell. Wenn sie die anderen Kriterien der Euro-Einführung erfüllen, sollte ihnen ein Inflationsabschlag gewährt werden, um ihnen den Beitritt zur Eurozone schnell zu ermöglichen.


Schlussfolgerungen zum europäischen Wirtschaftsmodell:

  • Die wirtschaftliche Entwicklung der skandinavischen Länder ist zwar gut, aber nicht ganz so positiv, wie oft behauptet wird. Die Erfahrungen zeigen, dass ohne marktwirtschaftliche Reformen keine Erfolge erzielt werden können und dass die Reformen auf den Güter- und Arbeitsmärkten Hand in Hand gehen sollten.
  • Der Steuerwettbewerb hat zu einer Senkung der Körperschaftsteuern in Europa geführt und eine Diskussion über Verteilungsgerechtigkeit entzündet. Um Kapital effizient zu besteuern, sollte eine Erhöhung der Mehrwertsteuer mit einer gleichzeitigen Senkung der Einkommensteuer einhergehen.
  • Wirtschaftlicher Nationalismus in Form nationaler Champions, dem Verhindern grenzüberschreitender Unternehmenszusammenschlüsse oder Verkäufe heimischer Unternehmen vermindert die wirtschaftliche Effizienz. Hauptursache des wirtschaftlichen Nationalismus ist die Beteiligung des Staates an den Unternehmen. Diese sollte eng begrenzt und europaweit einheitlich geregelt werden.


Konjunkturprognose und Wirtschaftspolitik
Das Wachstum der Weltwirtschaft wird sich mit einer Rate von etwas weniger als 5 Prozent in diesem und im nächsten Jahr leicht abschwächen. Auch in den Ländern der Europäischen Union wird das Wirtschaftswachstum etwas zurückgehen, jedoch ohne die Erholung ernsthaft zu gefährden. Das reale BIP wird im Jahr 2007 um 2,2 Prozent und im Folgejahr um 2,5 Prozent steigen.

Zwar werden sich die Budgetdefizite der EU-Mitgliedstaaten verringern, aber die Finanzierungsprobleme der einzelnen Staaten sind noch lange nicht überwunden. Die bisher erfolgte Konsolidierung ist vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung keineswegs ausreichend. Ausgabenschwerpunkte müssen Investitionen, Bildung sowie Forschung und Entwicklung sein.

Das geldpolitische Umfeld wird sich durch eine weitere Aufwertung des Euro und weiter rückläufige Inflationsraten straffen. Der Leitzinssatz der EZB liegt bereits über der Zielmarke, so dass ein weiterer Zinsanstieg kaum zu begründen ist.

Die gemeinsame Geldpolitik im Euroraum hat in der Vergangenheit nicht immer den Belangen der einzelnen Länder entsprochen. Noch ist keine Entwicklung hin zu einer verstärkt gleichlaufenden Konjunktur zu sehen. Gemessen an ihrer wirtschaftlichen Bedeutung haben die großen Staaten innerhalb der EZB zu wenig Gewicht.

Italien und Irland - europäische "Problemkinder"
Italien und Irland sind Paradebeispiele für Länder mit Anpassungsproblemen im Euroraum.

Irland erfuhr durch die Einführung des Euro einen "Wachstumsschock". Die damit verbundene starke Aufwertung des realen Wechselkurses hat zu einem Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit geführt, der insbesondere bei einem weltweiten Abschwung in eine starke Rezession münden kann. Irland sieht sich zwei bisher völlig unterschätzten Problemen gegenüber: Der Boom im Bausektor und der starke Anstieg der Immobilienpreise stellen bei einer Abschwächung des weltweiten Wirtschaftswachstums ein enormes Risiko für die irische Ökonomie dar. Ein zweites Problem ist die Immigration von Arbeitskräften während eines Booms, die einen Anstieg der Konsumausgaben zur Folge hat. Dadurch besteht die Gefahr einer Überhitzung.

Im Gegensatz zu Irland sah sich Italien starken negativen Schocks ausgesetzt: zunehmender Wettbewerb durch aufstrebende Länder und gleichzeitiger Rückgang der Produktivität. Zudem stiegen die Löhne in Italien schneller als in anderen Ländern der Eurozone, was unweigerlich eine reale Aufwertung nach sich zog. Die gegenwärtig durchgeführte Absenkung der Lohnsteuer wird nicht ausreichen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Einziger Ausweg ist eine Deregulierung der Märkte für Güter- und Dienstleistungen zur Verbesserung der Produktivität.

Inflationsratenabschlag für den Beitritt zur Währungsunion
Das Wachstum in den zehn EU-Beitrittsländern des Jahres 2004 liegt deutlich über den Wachstumsraten der alten EU-Mitglieder. Bisher konnte aber nur Slowenien der Währungsunion beitreten. Litauen und Estland scheiterten an zu hohen Inflationsraten: Die Bewerbung Litauens wurde abgelehnt, Estland wurde nahe gelegt, auf einen Beitrittsantrag zu verzichten.

Wird durch die strenge Auslegung des Inflationskriteriums der Beitritt zur Währungsunion verschoben, entstehen für Länder, die am EWS-II teilnehmen, Risiken: Bei einer Überhitzung wird es zu einem Kapitalabfluss und zu einer ernsten Finanzmarktkrise kommen. Diese Länder sollten, falls sie die anderen drei Maastricht-Kriterien erfüllen und die Inflationsrate ein hohes Wirtschaftswachstum widerspiegelt, der Eurozone beitreten dürfen. Nach dem Balassa-Samuelson-Theorem sollte diesen Ländern ein Abschlag in Höhe von maximal einem Prozent auf die Inflationsrate gewährt werden können.

Das Skandinavische Modell - eine Alternative?
Das Skandinavische Modell wird oft als Alternative zum angelsächsischen Wirtschaftsmodell gesehen, verbindet es doch eine gute wirtschaftliche Entwicklung mit einer hohen sozialen Absicherung. Finnland und Schweden weisen ein hohes Wachstum auf, auch wenn sich der Arbeitsmarkt nicht ganz so gut entwickelt hat. In Dänemark ist die Situation genau entgegengesetzt: Trotz guter Arbeitsmarktlage reichen die Wachstumsraten nicht an die der skandinavischen Nachbarn heran.

Die skandinavischen Länder haben durch die hohe Frauenerwerbstätigkeit die Anzahl der Beschäftigten ausgeweitet, aber nicht zwingend auch die Anzahl der Arbeitsstunden. Zwar liegen die Pro-Kopf-Arbeitsstunden über denen in vielen anderen europäischen Ländern, aber unter denen der USA. Der Anteil staatlicher Transferzahlungen ist zudem relativ hoch.

Die Erfahrungen der skandinavischen Länder zeigen, dass Staaten ohne marktwirtschaftliche Reformen keine Erfolge erzielen können. Im Gegenteil, die Deregulierung der Gütermärkte hat einen wichtigen Anteil am hohen Wachstum. Das Beispiel Dänemark zeigt zudem, dass eine begrenzte Absenkung der großzügigen Transferzahlungen und höhere Anforderungen an die Arbeitslosen die Arbeitslosigkeit deutlich verringern kann. Die oft zitierte so genannte 'Flexicurity'-Erklärung für die niedrige Arbeitslosigkeit in Dänemark - die Kombination von großzügiger Arbeitslosenunterstützung mit geringem Kündigungsschutz - ist ein Mythos, der ökonomischen Analysen nicht Stand hält.

Reformen auf den Güter- und Arbeitsmärkten können wirkungsvoll sein. Notwendig sind allerdings die Umgestaltungen aller zusammenhängender Sozialversicherungssysteme (Arbeitslosenversicherung, Frühverrentung, Gesundheitswesen etc.). Andernfalls wandern die Empfänger von einem System zum anderen.

Keine verzerrende Kapitalbesteuerung
Die Körperschaftsteuern in Europa sind durch den Steuerwettbewerb mit den neuen Mitgliedsländern deutlich gesunken. Diese Entwicklung wird als ungerecht kritisiert, weil die Länder mit den niedrigsten Steuersätzen gleichzeitig Fördermittel der EU erhalten. Fördermittel und niedrige Steuern haben aber das gleiche Ziel: Kapital soll angezogen und Einkommensunterschiede innerhalb der EU verringert werden.

Auch in der Zukunft ist mit einem weiteren Rückgang der Körperschaftsteuern zu rechnen, was unweigerlich Fragen der Verteilungsgerechtigkeit aufkommen lässt. Als Lösung wird eine "Bestimmungsland-Steuer" vorgeschlagen, erhoben von Kapitalbesitzern an dem Ort ihres Konsums. Diese Steuer hat den Vorteil, die Standortentscheidungen der Unternehmen nicht zu beeinflussen. Eine solche Steuer kann über eine Mehrwertsteuererhöhung bei gleichzeitiger Absenkung der Einkommensteuer eingeführt werden.

Ein weiterer Vorteil für den politischen Prozess ist, dass jedes Land individuell einen Anreiz hat, eine solche Steuerreform einzuführen, da es Kapital aus dem Ausland anlocken wird. Beteiligt sich jedes Land an diesem System, wird der Steuerwettbewerb größtenteils verschwinden.

Keine nationalen Champions
Einige der EU-Länder haben in den vergangenen Jahren eine Politik des wirtschaftlichen Nationalismus verfolgt. So wurden beispielsweise grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse verboten und 'nationale Champions' ausgerufen. Dies nutzt in erster Linie privaten Interessengruppen, schadet aber dem Verbraucher.

Wirtschaftlicher Nationalismus kann für die einheimischen Bürger positiv sein, wenn die Monopolgewinne, die im Ausland entstehen, an die heimische Wirtschaft gegeben werden - auf Kosten der Ausländer. Normalerweise werden die Gewinne aber durch die Verzerrungen der Märkte, die durch die nationale Politik entstehen, aufgehoben. Eine Lockerung der Eintrittsbarrieren für ausländische Firmen innerhalb der EU sollte aber koordiniert erfolgen. Andernfalls könnten die Reformen verschoben werden, um den nationalen Firmen Vorteile zu verschaffen.

Hauptursache des wirtschaftlichen Nationalismus ist die Beteiligung des Staates an den Unternehmen. Um wirtschaftlichen Nationalismus zu bekämpfen, sollte staatliches Eigentum begrenzt und eine europaweit einheitliche Regelung eingeführt werden, die Staatseigentum in Wettbewerbsmärkten einschränkt.

Zur European Economic Advisory Group (EEAG) at CESifo:
Die EEAG besteht aus einem Team von acht Volkswirten aus acht europäischen Ländern. Den derzeitigen Vorsitz hat Lars Calmfors (Universität Stockholm). Die Mitglieder sind, Giancarlo Corsetti (European University Institute, Florenz), Michael P. Devereux (University of Oxford), Gilles Saint-Paul (Universität Toulouse, stellv. Vorsitzender), Seppo Honkapohja (Universität Cambridge), Jan-Egbert Sturm (ETH, Zürich), Xavier Vives (IESE Business School, Barcelona) und Hans-Werner Sinn (ifo Institut und Universität München.

 
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