Europa soll soziale Dimension verstärken  

erstellt am
07. 03. 07

Diskussion um realistische Ziele beim Klimaschutz
Wien (pk) - Der kommende Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates am 8. und 9. März wird ganz im Zeichen einer integrierten Energie- und Klimapolitik der EU einerseits und dem weiteren Vorgehen im Rahmen der Lissabon-Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa stehen. Das seien Themen, die die Menschen unmittelbar berühren, betonte Bundeskanzler Gusenbauer. Dementsprechend konzentrierte sich die Diskussion im Hauptausschuss des Nationalrates auch auf diese beiden Themen. Der Bundeskanzler fasste die aus österreichischer Perspektive wichtigen Punkte für die Schlussfolgerungen zusammen und bezeichnete in diesem Zusammenhang Bildung, Forschung und Entwicklung als die entscheidenden Wachstumsfaktoren. Er vertrat auch die Auffassung, dass Europa sein Profil in der sozialen Dimension verstärken müsse. Im Bereich des Klimaschutzes sprach er sich für möglichst verbindliche Zielsetzungen aus, um der Gefahr zu begegnen, den Klimaschutz als Argument für den Ausbau der Kernenergie zu verwenden.

Generell wurde auf die günstige wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der EU hingewiesen und betont, dass das europäische Sozialmodell noch stärker unterstrichen werden sollte. Was den Klimaschutz betrifft, so wurde seitens der Abgeordneten die Hoffnung ausgesprochen, dass sich die EU-Staaten auf verbindliche Ziele zur Erhöhung erneuerbarer Energieträger sowie zur Reduktion des CO2-Ausstoßes einigen können. Unisono bekräftigten die Ausschussmitglieder sowie der Bundeskanzler die Ablehnung der friedlichen Nutzung der Atomenergie, auch wenn, wie Gusenbauer einwarf, der Zug in Europa derzeit anders gehe. Positiv äußerten sich die Vertreter aller Fraktionen zur Besteuerung von Kerosin und Schiffsdiesel. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Molterer wiesen zwar darauf hin, dass diese Frage nicht auf der Tagesordnung des Gipfels stehe, traten aber für eine offensive Diskussion ein, und zwar im Hinblick auf Gleichbehandlung von Kraftstoffen. Man wolle damit auch die Eigenfinanzierung der EU auf eine neue Basis stellen, sagten sie. Gusenbauer wie Molterer konnten sich auch vorstellen, die Devisentransaktionen in diese Frage mit einzubeziehen. Bei diesen Überlegungen handle es sich jedoch nicht um zusätzliche Einnahmen, sondern um eine andere Form der EU-Finanzierung, bekräftigten beide. Jedenfalls werden sich die Finanzminister im Rahmen des Finanz-Reviews noch vor dem Sommer mit der Frage der Neugestaltung der EU-Eigenfinanzierung beschäftigen.

Anträge der Opposition
Die Grünen bewerteten den EU-Aktionsplan für Klimaschutz als unzureichend und brachten einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem u.a. die verbindliche Steigerung des Anteils an erneuerbaren Energien bis 2020 auf mindestens 20 % und die Reduktion der EU-Treibhausgase bis 2020 um 30 % und bis 2050 auf 80 % verlangt wird. Sie beantragten auch eine Ausschussfeststellung, in der sie dafür eintreten, die Erklärung von neun Mitgliedstaaten der EU mit dem Titel "Enhancing Social Europe" in den Schlussfolgerungen der Präsidentschaft zu berücksichtigen. Beide Anträge fanden nicht die erforderliche Mehrheit, da die Forderungen zum Klimaschutz von den übrigen Parteien als unrealistisch betrachtet wurden. Die Erklärung zu einem sozialen Europa wurde zwar als eine sinnvolle Initiative seitens des Bundeskanzlers unterstützt, er sah jedoch keine Chance, diese in den Schlussfolgerungen unterzubringen, da sie nur von einer Minderheit der EU-Staaten unterzeichnet worden ist. Auch dieser Antrag erhielt nur die Stimmen der Grünen.

Ein Antrag der Freiheitlichen betreffend die gleichberechtigte Verwendung der deutschen Sprache als Verfahrenssprache, den sie auch im Sinne von mehr Bürgernähe verstanden wissen wollten, fand ebenfalls nicht die erforderliche Mehrheit. Er wurde nur von den Abgeordneten der FPÖ und des BZÖ unterstützt. Bundeskanzler Gusenbauer bestätigte jedoch, dass die österreichischen Beamtinnen und Beamten sowie auch die Politikerinnen und Politiker auch auf EU-Ebene die deutsche Sprache pflegen und insgesamt alle aufgefordert seien, sich in Deutsch zu artikulieren.

Das europäische Sozialmodell stärken
In seiner Einleitung hielt Bundeskanzler Alfred Gusenbauer fest, die gute wirtschaftliche Lage in Europa dürfe kein Grund sein, sich zurückzulehnen. Vielmehr müsse man für ein kontinuierliches Wachstum sorgen und die soziale Dimension verstärken. Letztere habe Priorität, bemerkte der Kanzler und fügte hinzu, man dürfe die Produktivitätskraft des sozialen Zusammenhalts für die Ökonomie nicht unterschätzen. Er halte dies auch deshalb für wichtig, weil der Verfassungsvertrag unter anderem auch auf Grund des mangelnden sozialen Zusammenhalts in einigen Ländern abgelehnt worden war. Als Kernfaktoren der Lissabon-Strategie bezeichnete er Forschung und Entwicklung und breit gestreute Bildungschancen. Es gehe aber auch um die Verstärkung des Wettbewerbs und um Innovation.

Abgeordneter Caspar Einem (S) zeigte sich außerordentlich zufrieden, dass der Begriff des europäischen Sozialmodells Eingang in die Schlussfolgerungen finden wird, da ein ausbalanciertes wirtschaftliches und soziales Modell wesentliche Bedeutung für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung darstelle. Einem sprach sich für das System der Flexicurity aus, meinte aber, hier hätten die Sozialpartner noch viel Arbeit zu leisten, da es sich um ein teures Modell handelt. Einem betonte auch die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens und merkte kritisch an, Österreich habe hier noch Nachholbedarf.

Auch Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) unterstrich die Wichtigkeit der Balance zwischen wirtschaftlicher Leistung und sozialer Dimension für eine nachhaltige Entwicklung. Nachdem Österreich das europäische Sozialmodell in die Diskussion eingebracht habe, beginne es sich langsam durchzusetzen, stellte er zufrieden fest und wies darauf hin, dass der Lissabon-Prozess nun zu greifen beginne und eine positive Entwicklung in Europa eingesetzt habe. In den letzten beiden Jahren seien sechs Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden und für die Jahre 2007/2008 prognostiziere man weitere sieben Millionen zusätzliche Arbeitsplätze. Weiters seien Forschung, Bildung, Infrastrukturinvestitionen und Energiestabilität gefragt, meinte Schüssel. Positiv bewertete er das Ziel, die internen Kostenbelastungen um 25% zu reduzieren, eine Forderung, die bei der Subsidiaritätskonferenz des Vorjahres noch nicht konsensfähig gewesen sei.

Ähnlich äußerte sich der Zweite Präsident des Nationalrates, Michael Spindelegger (V), der das Ziel, die Verwaltungslasten bis 2012 um 25 % zu reduzieren, als einen positiven Ansatz für die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere für die Klein- und Mittelbetriebe, erachtete. In diesem Zusammenhang appellierte er auch, die Subsidiarität mit Leben zu erfüllen.

Für Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) waren die Vorschläge für die Schlussfolgerungen zur Lissabon-Strategie und zum europäischen Sozialmodell zu wenig. Es gehe nicht nur um die Modernisierung des Modells, sondern um dessen Stärkung, sagte sie, weshalb sie es für notwendig erachte, die Erklärung "Enhancing Social Europe" in die Schlussfolgerungen aufzunehmen.

Auch Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) bezeichnete die Erklärungen zur Lissabon-Strategie als eher zahnlos und trat dafür ein, Punkte einzubringen, die man auch genau überprüfen kann. Abgeordneter Heinz-Christian Strache (ebenfalls F) machte aus seiner Sicht darauf aufmerksam, dass die soziale Dimension staatspolitische Verantwortung bleiben müsse und nicht auf die EU abgewälzt werden dürfe.

In seiner Antwort bestätigte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer die positive wirtschaftliche Entwicklung in allen Ländern der EU, nicht nur in den neuen Mitgliedstaaten.

Auch Vizekanzler Wilhelm Molterer machte darauf aufmerksam, dass sowohl die Kommission als auch die Europäische Zentralbank, die in ihren Wachstumsprognosen ein Plus von 2,7 % vorsehen, von einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung und von soliden Perspektiven für Wachstum, Beschäftigung und öffentliche Haushalte ausgehen. Dennoch sei im Hinblick auf Wachstum und Beschäftigung noch einiges zu tun, betonte Molterer und unterstrich insbesondere die Qualität der öffentlichen Finanzierung. Es gehe darum, wofür Geld ausgegeben werde, meinte er, und Priorität hätten Bildung, Forschung und Infrastruktur. Molterer sprach sich auch dafür aus, die Steuerpolitik als einen Teil des Binnenmarktes zu verstehen, er räumte aber gleichzeitig ein, dass es in einigen wenigen Staaten große Widerstände gegen Harmonisierungsbemühungen gebe. Derzeit werde etwa über eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlage sowie der Mehrwertsteuer diskutiert; einen Schwerpunkt stelle auch die Bekämpfung des Steuerbetrugs dar. Ein weiteres wichtiges Thema sei die Anpassungsfähigkeit der Märkte, insbesondere trat Molterer für mehr Transparenz bei den Hedge-Fonds ein. Auch Flexicurity, Beschäftigungsinitiativen für Klein- und Mittelbetriebe und "less and better regulations", wie Molterer unterstrich, hätten Vorrang.

EP-Abgeordneter Othmar Karas wertete die so genannte Lissabon-Strategie als ein klassisches Modell der öko-sozialen Marktwirtschaft.

Abgeordnete Elisabeth Hlavac (S) bezog sich in ihrer Wortmeldung auf die Länderberichte im Fortschrittbericht und thematisierte die Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Kinderbetreuungseinrichtungen. Hier habe Österreich noch einen Nachholbedarf, stellte sie fest.

Auch Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) griff diese Thematik auf und bemängelte, dass in den Schlussfolgerungen die Frage der Chancengleichheit nicht vorkomme. Sie forderte das Gender-Budgeting auch auf EU-Ebene ein und schlug vor, alle EU-Gesetzesvorhaben auf ihre sozialen Auswirkungen überprüfen zu lassen.

Selbstverständlich sei Kinderbetreuung ein Teil der wirtschaftlichen Strategie, antwortet darauf Bundeskanzler Gusenbauer, die Probleme gestalteten sich jedoch in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich. So stelle sich beispielsweise diese Frage in Frankreich und in den skandinavischen Ländern nicht. Jedenfalls habe sich die Strategie der quantifizierbaren Ziele als sinnvoll erwiesen. Gegenüber Abgeordneter Lunacek verteidigte er den Entwurf für sie Schlussfolgerungen, denn diese enthielten einen deutlichen Hinweis auf Chancengleichheit. Vizekanzler Molterer versprach, das Gender-Budgeting in die Diskussion auf EU-Ebene einzuwerfen.
   

Klimaschutz: Europa sucht gemeinsame Strategie
Zum Thema Klimaschutz stellte Bundeskanzler Gusenbauer fest, Österreich wolle die Vorreiterrolle beibehalten. Angestrebt werde eine globale Reduktion der Treibhausgase um 30 % bis 2020 und eine Reduktion innerhalb der EU von mindestens 20 %. Darüber hinaus wolle man den Anteil erneuerbarer Energien innerhalb der EU auf 20 % bis 2020 anheben, wobei es strittig sei, dieses Ziel verbindlich festzulegen. Geplant sei darüber hinaus, einen mindestens 10 %-igen Anteil von Biokraftstoffen zu erreichen. Der Bundeskanzler machte eindringlich darauf aufmerksam, dass die Reduktion von CO2 allein nicht genügen werde, sondern man nur in Kombination mit der Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien den Bestrebungen der Befürworter von Kernenergie etwas entgegensetzen könne. Außenministerin Ursula Plassnik hob die energiepolitische Dimension des Klimaschutzes in den Außenbeziehungen hervor und unterstrich die Notwendigkeit eines Vorgehens auf internationaler Ebene.

Abgeordneter Caspar Einem (S) sprach die Erfahrungen Österreichs auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Technologien an und forderte Rahmenbedingungen ein, die eine sichere Versorgung garantieren. Vor dem Hintergrund einer tendenziellen Oligarchisierung auf dem Energiesektor habe der europäische Binnenmarkt noch einiges nachzubessern, stellte Einem fest. Abgeordneter Andreas Schieder (S) merkte zum Thema Energiepolitik an, Investitionen zur Erhöhung der Netzkapazitäten seien unbedingt erforderlich. Gleichzeitig wandte er sich dagegen, die Trennung zwischen Energieanbietern und Netzbetreibern ("unbundling") im Eigentumsbereich zwingend vorzuschreiben.

Das Bemühen um eine verbindliche Festlegung der Ziele zum Klimaschutz wurde auch von Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) unterstützt. Den Zeitrahmen bis 2020, in dem der Anteil von Biotreibstoff auf 10 % erhöht werden soll, hielt er für zu lange. Vehement sprach sich Schüssel für die Besteuerung von Kerosin und Schiffsdiesel aus und begründete dies nicht nur mit dem Argument des Klimaschutzes, sondern auch mit dem Argument, hier mehr Gerechtigkeit walten zu lassen. Die Besteuerung von Treibstoff zur stärkeren Eigenfinanzierung der EU heranzuziehen, wurde von Schüssel befürwortet. Präsident Michael Spindelegger (V) wandte sich gegen die, wie er sagte, unrealistischen Forderungen der Grünen, und warf ihnen Aktionismus vor.

Unter Hinweis auf den Bericht der UNO bedauerte die Dritte Präsidentin des Nationalrates, Eva Glawischnig-Piesczek (G), die aus ihrer Sicht mangelhaften Klimaschutzziele der EU. Die Argumente einiger Wirtschaftszweige wollte sie nicht gelten lassen, zumal sich Klimaschutz sehr gut mit innovativer Wirtschaftspolitik vereinen lasse, meinte Glawischnig-Piesczek. Mit einer klugen Klimastrategie könne man durchaus viele Jobs schaffen. Handle man nicht, so werde es einen enormen Wohlstandsverlust geben, zitierte Glawischnig-Piesczek den UNO-Bericht. Sie kritisierte in diesem Zusammenhang scharf einige Wirtschaftszweige, die so tun, als ob sie die gesamte Wirtschaft verträten.

Wie ihre Klubkollegin Ulrike Lunacek trat sie für die Besteuerung von Kerosin und Schiffsdiesel ein und verlieh ihrer Sorge um die zunehmende Befürwortung der Atomenergie Ausdruck. Lunacek wollte in diese Diskussion auch die Besteuerung der Devisentransaktionen einbeziehen. Im Gegensatz zur Regierung, die damit die EU-Eigenfinanzierung auf eine neue Basis stellen möchte, trat aber Lunacek dafür ein, die Gelder je zur Hälfte auf die EU und auf die Entwicklungszusammenarbeit aufzuteilen.

Klubobmann Alexander Van der Bellen (G) warb wie zuvor auch Präsidentin Glawischnig-Piesczek für den Antrag der Grünen betreffend Klimaschutz. Es gehe um die Verbindlichkeit und um die Quantität der Ziele der EU, bekräftigte er und gab zu bedenken, dass ohne Einbindung des Verkehrs und ohne eine Einbeziehung der Bauwirtschaft jede Klimapolitik zum Scheitern verurteilt sei. Der Industrie gestand Van der Bellen zu, bereits viel zur Reduktion der CO2-Emissionen unternommen zu haben. Explizite Kritik übte er allerdings an der deutschen Autoindustrie, die bezüglich des CO2-Ausstoßes der von ihr produzierten Fahrzeuge die eigenen Vorgaben nicht erreicht habe.

Die Tatsache, dass die Atomindustrie wieder Morgenluft verspürt, wurde auch von den Abgeordneten Reinhard Eugen Bösch (F) und Veit Schalle (B) beklagt. Bösch forderte eine stärkere Förderung erneuerbarer Energieträger in Österreich. Abgeordnete Barbara Rosenkranz (F) machte geltend, dass Klimaschutzmaßnahmen ohne eine Einbeziehung der Verkehrspolitik ungenügend seien. So lange es sich rentiere, Schlachttiere von Estland nach Österreich zu führen und wieder zurück, stimme etwas nicht, meinte sie.

Veit Schalle setzte sich vehement für eine verbindliche Festsetzung von Klimaschutzzielen ein und meinte, dass man bei einfachen Dingen wie Isolierung von Häusern und richtigen Heizungssystemen anfangen müsse. Auch dies würde den Arbeitsmarkt beleben. Veit Schalle vertrat den Standpunkt, dass ein so wichtiges Thema wie Klimaschutz Chefsache sein müsse. Einen eigenen Umweltbeauftragten lehnte er kategorisch ab.

Bundeskanzler Gusenbauer reagierte auf diese Diskussion mit der Feststellung, dass die Selbstverpflichtung, die Treibhausgase um 20 % zu reduzieren, zwar für viele nicht ausreichend sei, man könne aber sinnvoll nur solche Ziele festlegen, die man auch umsetzen könne und bei deren Realisierung man sich nicht selbst aus dem Markt hinauskatapultiere. Er räumte aber ein, dass die Reduktion von Treibhausgasen sicherlich auch Druck auf die Industrie ausübe, technisch neue Wege zu beschreiten. Die europäische Autoindustrie habe vieles verschlafen, Österreich habe aber viele Zulieferbetriebe, weshalb man darauf Rücksicht nehmen müsse, warb Gusenbauer für Verständnis. Europa allein werde die Welt nicht retten, meinte er und trat dafür ein, sich auf zwei Punkte zu konzentrieren, nämlich sich gegen die verstärkte Hinwendung zur Atomenergie zu wenden und die Reduktion der Treibhausgase um 20 % als verbindliches Ziel festzuschreiben. Er sprach sich nochmals für die Besteuerung von Kerosin und Schiffsdiesel aus.

Nachdem Abgeordneter Veit Schalle (B) die Förderung von Atomkraft in Rumänien hinterfragt hatte, antwortete Bundeskanzler Gusenbauer, dabei handle es sich um einen Kredit der EU-Investitionsbank und es gehe um mehr Sicherheit des Atomkraftwerks. Darüber hinaus gebe es ein Gerücht über ein Förderungsansuchen für ein bulgarisches AKW, worüber die Kommission selbständig entscheiden könne. Österreich werde diese Frage ansprechen, versprach der Bundeskanzler.

Wie geht es mit dem Verfassungsvertrag weiter?
In der Diskussion wurden neben Lissabon-Strategie und Klimaschutz auch andere Themen angesprochen. So thematisierten die Abgeordneten Reinhard Eugen Bösch, Barbara Rosenkranz und Heinz-Christian Strache (alle F) sowie Klubobmann Alexander Van der Bellen (G) den Verfassungsvertrag. Die F-Abgeordneten hielten den Vertrag nach den negativen Volksabstimmungen im Grunde genommen für obsolet und meinten, eine Wiederbelebung bedeute eine neue Verfassungsdiskussion, an deren Ende eine verpflichtende Volksabstimmung stehen müsse. Rosenkranz meinte, sei es nicht möglich, das Ja Österreichs mit dem Nein Frankreichs gleichzusetzen.

Van der Bellen zeigte sich "beunruhigt", dass die Parlamente aus dem Prozess "draußen sind". Er wünsche sich, so der Abgeordnete, dass ein Land aus dem EURATOM-Vertrag aussteigen könne, ohne die EU-Mitgliedschaft aufgeben zu müssen.

Bundeskanzler Gusenbauer betrachtete den Verfassungsvertrag keineswegs als tot, zumal bereits eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten diesen ratifiziert habe. Ein völliges Aufschnüren würde kein besseres Ergebnis bringen, meinte er, ganz im Gegenteil, denn dadurch würden sämtliche Grundsatzdiskussionen wieder aufleben. Er unterstütze daher die Bemühungen der deutschen Präsidentschaft, einen Großteil des Verfassungsvertrags zu retten und einen Zeitplan zu erstellen. Grundsätzlich hätte sich Gusenbauer eine gesamteuropäische Abstimmung gewünscht, aber dafür habe es keine Voraussetzungen gegeben.

Abgeordneter Andreas Schieder (S) stimmte Bundeskanzler Gusenbauer zu, wonach es "vollkommen falsch" wäre, den Verfassungsvertrag frühzeitig "zu begraben". Es gelte so viel wie möglich von der Verfassung zu retten, betonte er und zeigte sich überzeugt, dass sich die EU mit einer Verfassung in vielen Politikbereichen leichter tun würde.

EP-Abgeordneter Othmar Karas (V) zeigte sich über das breite Bekenntnis zum Österreichischen Verfassungsvertrag erfreut. Er machte geltend, dass immerhin bereits 18 Länder den Vertrag ratifiziert hätten und dieser von sämtlichen Staats- und Regierungschefs der EU unterschrieben worden sei. Auch in Frankreich und den Niederlanden gehe man davon aus, dass der Prozess fortgesetzt werde, sagte er.

Naher Osten, Raketenbasen in EU-Staaten und Türkei
Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) und Ulrike Lunacek (G) thematisierten den Konfliktherd Palästina sowie Iran und Irak. Dazu erläuterte Bundesministerin Ursula Plassnik, dass für 10. März eine Irak-Konferenz geplant sei. Es gebe Bemühungen, aus der Gewaltspirale herauszukommen. Wie Abgeordnete Lunacek befürwortete sie eine internationale Nahost-Konferenz, aber man sei noch nicht so weit. Seitens der EU gebe es große Bemühungen und man könne etwas Bewegung feststellen. Im Zusammenhang mit dem Libanon sieht die Außenministerin auch konstruktive Ansätze auf Initiative Saudi Arabiens, den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten zu lösen. Javier Solana werde auch nach Saudi Arabien und Syrien reisen.

Die Iran-Strategie der USA werde von Europa unterstützt, denn man müsse alle Anstrengungen unternehmen, um eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden. Plassnik ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass es am Iran liege, Vertrauen aufzubauen und die UNO-Resolution zu erfüllen.

Auch die Stationierung von Raketen in Polen, der Tschechischen Republik und in der Slowakei war Thema im Ausschuss. Wie Klubobmann Schüssel (V) betonte, sei dies zwar eine bilaterale Frage und rechtlich kein Thema für die EU, dennoch betreffe diese Frage die Sicherheit im europäischen Raum und damit alle EU-Länder. Kritisch äußerte sich Schüssel in diesem Zusammenhang zur Rede des russischen Präsidenten Putin in München. Im Gegensatz dazu zeigte Heinz-Christian Strache (F) Verständnis für die Worte Putins, denn solche Stationierungen müssten seiner Meinung nach mit der EU abgesprochen werden.

Bundesministerin Ursula Plassnik berichtete, dass sie das Thema in der EU angesprochen habe, auch wenn es dazu keine formale Zuständigkeit gebe. Sie habe aber vor allem die Sorgen der Bevölkerung im Hinterkopf gehabt. Die Verhandlungen zu den Raketenbasen seien in einem sehr frühen Stadium, sagte Plassnik, es dürfe aber nicht sein, dass die EU Kalkül einer Strategie der einen oder der anderen Seite werde. Notwendig sei ein multilateraler Ansatz, und es dürfe kein neues Wettrüsten geben.

Erfreut äußerte sich Van der Bellen über die Thematisierung der amerikanischen Raktenbasen in Tschechien und Polen durch Außenministerin Plassnik auf EU-Ebene. Die österreichischen Interessen seien hier – abseits von Zuständigkeiten – sehr wohl betroffen, erklärte er.

Abgeordneter Heinz-Christian Strache (F) forderte schließlich, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden. Zu Plänen des zuständigen EU-Kommissars, die Einwanderungsbestimmungen der EU-Länder zu harmonisieren, bemerkte seine Klubkollegin Barbara Rosenkranz, die Letztentscheidung in dieser Frage müsste den Nationalstaaten vorbehalten bleiben.
 
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