Filmschau: Die verworfene Avantgarde  

erstellt am
14. 03. 07

Bruchstücke zu einer österreichischen Filmgeschichte der 1970er-Jahre von 15.3. bis 3.4.2007 im Wiener Metro Kino
Wien (filmarchiv) - Die Einladung ist ausgesprochen, die Pfade des Bekannten zu verlassen und Entdeckungen zu machen. Neugierde, soziale Wachsamkeit, die Lust an der Unterscheidung und die Liebe zum Kino dienen dabei als Navigatoren. Ein Aufbruch ist vonnöten. Er führt in das österreichische Kino der siebziger Jahre. Er umschreibt eine aufregende Zeit, die bislang in ihren komplexen Angeboten filmhistorisch wenig Beachtung fand. Er führt zu zerklüfteten Werken von Filmemachern und Kinoobsessiven wie Herbert Holba, Antonis Lepeniotis oder Mansur Madavi. Ihre Namen klingen in der österreichischen Filmlandschaft vage bekannt, ahnungsvoll und viel versprechend; ihre Filme waren allerdings kaum sichtbar, lagerten im Windschatten der Geschichte.

Jeder Aufbruch braucht ein Umfeld, in dem er sich ereignen kann. In den siebziger Jahren entstanden Impulse, Inspirationen und Ideen, die ein anderes, ein gewagteres Kino auszeichneten, aus der Durchlässigkeit der Künste. Pakte mit dem Theater, der Literatur, der Malerei oder auch der beginnenden Performance-Kunst wurden mit Selbstverständlichkeit eingegangen. Der Grieche Lepeniotis stammte aus einer theaterbegeisterten Familie, die Umgang mit Jean Cocteau pflegte. Ein prägendes Erlebnis, wie Lepeniotis selbst festhält. Der in Aserbaidschan geborene Madavi, studierte zunächst an der Wiener Akademie der bildenden Künste Grafik, bevor er zum Film wechselte und 1979 ein Zentralwerk der persischen Literatur als Ausgangsmaterial für den Film DIE BLINDE EULE wählte. Der Wiener Holba war in jeder Faser seiner vielschichtigen Tätigkeiten ein homme du cinéma. Die Filmgeschichte in ihrer ganzen Breite war sein Zuhause, und die wenigen Filme, die er realisierte, zeugen davon. Sie bilden zugleich ein Zentrum der "verworfenen Avantgarde", das auch als Filmarchiv-Austria-Special während der Diagonale 2007 gezeigt wird.

Der eigene Anspruch an die Filme war damals hoch und erfreulich unbescheiden. Nicht das Geld zählte, das an der Kinokasse zu machen war - auch in diesem Sinne war Opas Kino tot -, vielmehr eine Politik der Autorenschaft, ein künstlerischer Ausdruck, die Genauigkeit und Originalität des Blicks. Manchem galt eine solche Haltung als unprofessionell, d. h. kaum marktgerecht. Doch die Strategie, gegenüber den Professionellen des Kinos mit dem Status eines Amateurs aufzutreten, gab Freiheit und Unabhängigkeit. Es galt, nicht vorgegebenen Kinoregeln zu folgen, sondern eigenen auf die Spur zu kommen. Experimente konnten gewagt, andere Ausdrucksweisen erprobt und die Augen auf die Wirklichkeit gerichtet werden, so brüchig sich diese auch geben mochte. Dieser Zugang, der Individualität und Improvisation Raum lässt, spiegelt sich auch in der Finanzierung der Filme wieder. Budgets waren Stückwerk. Man hangelte sich von einem Finanzierungstopf zu einem weiteren, nicht selten unter großzügiger Selbstausbeutung. Wilhelm Pellert, der mit JESUS VON OTTAKRING ein Kernwerk des Siebziger-Jahre-Kinos vorlegte, erinnert sich in einem Gespräch an diese finanztechnisch hoch fragile Produktionsform. Sein Kollege Georg Lhotsky, dessen Film MOOS AUF DEN STEINEN 1968 einen gänzlich anderen, subtileren Tonfall in das österreichische Kino brachte, erzählt hingegen von seinen Grenzgängen zwischen den Medien Film und Fernsehen.

Die Wegbereitung in das Gelände des Aufbruchs hat Olaf Möller übernommen. Nach ersten Erkundungen und Markierungen hält Möller, der selbst unbestritten ein Zögling des Kinos ist, fest: "Die siebziger Jahre gelten als Zwischenzeit des österreichischen Kinos: die Altindustrie röchelte ihre letzten Züge, alldieweil in Ermangelung einer Filmförderung eine Österreichische Neue Welle allein im Fernsehen stattfand. Im Kino wurde unterdessen -- experimentiert. Man kann diese 70er nämlich auch als eines der freiesten wie mutigsten, reichsten wie tolldreistesten Jahrzehnte des österreichischen Kinos begreifen, eine Zeit, wo alles möglich schien und sehr, sehr viel gemacht wurde, eine Epoche des Aufbruchs wie der Brüche."
 
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