Temelin-Hearing: Die Stimmen der ExpertInnen  

erstellt am
22. 03. 07

Ein Großteil der Zielsetzungen ist noch immer offen
Wien (pk) - Tenor der ExperteInnnrunde im Rahmen des Temelin-Hearings am 21.03. war, dass der Großteil der Ziele des Melker Protokolls vom Dezember 2000 und der Brüsseler Vereinbarung vom November 2001 noch offen sind. Zur Bewertung wurden vier Kategorien von A bis D definiert. Dr. Helmut Hirsch, wissenschaftlicher Konsulent, meinte zwar, dass es keinen Punkt gebe, der in die Kategorie A falle, dessen Ziel also nachweislich nicht erreicht wurde. Dennoch müsse man einräumen, dass 55 % aller Zielsetzungen noch offen geblieben seien, und man auf weitere Informationen warte, das heißt, der Kategorie B zuzurechnen seien. 45 % würden in die Bewertungskategorien C und D fallen. Dies bedeute einerseits, es sei noch offen, ob die Ziele erreicht würden, man wisse aber, dass entsprechende Arbeiten bereits laufen, und andererseits, dass ein Ziel nachweislich erreicht wurde. Dieser letzte Punkt D betrifft nach Aussagen von Dr. Viktor Karg, Leiter der Abteilung Strahlenschutz im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umweltschutz und Wasserwirtschaft, den Informationsaustausch.

Höchste Priorität in Sicherheitsfragen sah Hirsch bei drei Punkten gegeben: Kontrollstäbe und Schädigung des Brennstoffs, die 28,8 Meterbühne und die hochenergetischen Rohrleitungen und schließlich die Frage der Reaktordruckbehälter.

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Kromp vom Institut für Risikoforschung der Universität Wien ging daraufhin auf die hochenergetischen Rohrleitungen und die 28,8 Meterbühne ein und wies darauf hin, dass bei einem Bruch einer solchen Leitung ein Dominoeffekt entstehen könnte, was einen nicht beherrschbaren Störfall zur Folge hätte. Notwendig sei daher eine weitgehende physische Trennung dieser Leitungen, was bei Temelin nicht der Fall sei. Die angebotenen Ersatzlösungen bewertete Kromp zwar als sinnvoll, jedoch in keiner Weise ausreichend. In diesem Fall sei das Erreichen des entsprechenden Ziels der Brüsseler Vereinbarung nicht einmal absehbar, sagte er. Was die Qualifizierung der Ventile betrifft, deren Schadhaftigkeit ebenfalls schwere Konsequenzen für die Umwelt haben könnte, so fehle hier die Zertifizierung des Funktionsnachweises. Somit habe Tschechien das Ziel der Qualifikationsmaßnahmen nur teilweise erfüllt, es sei jedoch erreichbar, so seine Einschätzung.

Von höchster Sicherheitsrelevanz sei die Reaktordruckbehälterintegrität und die Schockbelastung unter Temperatur und Druck einzustufen, betonte Kromp. Ein Versagen würde zu einem schweren Unfall führen, eine vorbetriebliche Thermoschock-Analyse sei leider nicht vorgenommen worden. Zusammenfassend stellte er fest, dass die Tschechische Republik derzeit aber über ein vorbildliches Überwachungsprogramm verfüge und während des Betriebs nun eine Thermoschock-Analyse vorgenommen werde, die Gesamtsicherheitsreserve sei jedoch als nicht ausreichend anzusehen. Auch bei der Stahlsorte sei die Neutronenbeständigkeit zu wenig bekannt, was schwer wiege. Die Verringerung des Sicherheitsdefizits habe man seitens der Kernkraftwerksbetreiber nicht plausibel machen können, und somit sei das Ziel nicht erreicht worden. Die Umsetzung hält Kromp jedoch für möglich. Ein weiteres Risiko sah der Experte in der Kontrollfunktionsbehinderung durch Brennstoffschäden und in Undichtigkeiten des Reaktordruckbehälters. Das häufige Auftreten von Leckagen machen technische und administrative Maßnahmen unbedingt notwendig, unterstrich Kromp.

DI Bojan Tomic von Enconet Consulting Ges.m.b.H. sah hingegen in Bezug auf die Integrität des Primärkreislaufs und die Qualifizierung von Sicherheitskomponenten kein kritisches Sicherheitsproblem. Verbesserungen seien jedoch empfehlenswert, bemerkte er. Für ihn besteht auch eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass es zu schweren Unfällen kommt, da die Tschechische Republik das Problem erkannt habe und diesbezügliche Fortschritte sichtbar seien. Jedenfalls hält Tomic weitere Aktivitäten für erforderlich.

Fortschritte in Bezug auf die Erdbebensicherheit stellte auch DI Dr. Helmut Wenzel von VCE Holding GmbH Austria fest. Die Frage stehe nach wie vor auf der Agenda der IAEA, und eine Neubewertung werde ab 2008 in die Reporte eingearbeitet. Positiv zum bilateralen Informationsaustausch äußerte sich Dr. Viktor Karg, von der Abteilung Strahlenschutz des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Er bezeichnete die Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe als erfolgreich, da der Erfahrungs- und Informationsaustausch intensiv sei. Die Datenkoppelung und der Datenaustausch funktionierten klaglos, und man könne sich darauf verlassen, dass im Notfall alle notwendigen Informationen zur Verfügung stehen. Man habe auch vereinbart, informierte Karg, ein Programm zur bilateralen und regionalen Zusammenarbeit zu erstellen.

Kritisch beurteilte Univ.-Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb (Expertin der SPÖ) die vorgenommene Einteilung der Zielerreichung. Ihrer Ansicht nach müsste man die Kategorie A streichen, denn wenn noch etwas offen sei, sei das Ziel nicht erreicht. Sie bedauerte auch den Spielraum für Interpretationen aufgrund des Melker Protokolls und des Brüsseler Abkommens, und meinte, dass man als technische Basis für die Interpretationen das Schwarzbuch heranziehen müsse. Österreich müsse jedenfalls den Prozess fortsetzen, denn davon hänge die Entwicklung der Sicherheitskultur ab.

Radko Pavlovec (Experte der Grünen) konzentrierte sich auf die 28,8-Meterbühne und bezeichnete das Bruchausschlusskonzept der Tschechischen Republik als völlig verfehlt und ein technisches Märchen. Seiner Meinung nach stellt auch die Deformation der Brennelemente ein schwerwiegendes Problem in Temelin dar. Er forderte seitens Österreich eine klare Mitteilung an Tschechien bei gleichzeitiger Übermittlung des Expertenberichts.

Dietrich Wertz (Experte der FPÖ) hielt das Melker Protokoll für unzureichend und hielt aus seiner Sicht fest, dass über weite Bereiche keine Sicherheitsgarantien vorliegen. Er kritisierte auch den Import von Atomstrom, was seiner Meinung nach verfassungsmäßig verboten werden sollte. Andreas Reimer (Experte des BZÖ) verlangte, vehement gegen Tschechien aufzutreten und eine Völkerrechtsklage einzubringen, zumal Tschechien den Vertrag einseitig gebrochen habe. von der Interparlamentarischen Kommission hält er nichts, da diese laut seinen Worten zehn Schritte zurück führe.
 
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