Der Widerstand - ein verschütteter Erinnerungsort der II. Republik  

erstellt am
04. 05. 07

Oliver Rathkolbs Referat zum Widerstand gegen das NS-Regime
Wien (pk) - Nach der Rede von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus befasste sich der Zeithistoriker Universitätsdozent Oliver Rathkolb in einem einleitenden Referat mit dem Widerstand gegen das NS-Regime und mit der Bedeutung des Widerstandes für die Zweiten Republik:

Sehr geehrte Festversammlung!

Gerne habe ich die Einladung von Frau Präsidentin Barbara Prammer angenommen und werde eine kurze Analyse der Debatten und der Rezeption des österreichischen Widerstandes gegen das NS-Terrorregime seit 1945 präsentieren, aber gleichzeitig immer wieder in die NS-Zeit zurückblenden.

Den Widerstandsbegriff verwende ich in Anlehnung an die Typologie, wie sie zuletzt Gerhard Botz, während des Widerstands-Symposions im Jänner 2005 in diesem Haus entwickelt hat: D.h. sowohl politisch/ideologisch organisierte Widerstandshandlungen mit Sabotageaktivitäten gegen das NS-Regime werden unter dieser Definition subsumiert, als auch Formen des alltäglichen Resistenzverhaltens in der Gesellschaft auf der Basis von öffentlicher und nicht-öffentlicher Nicht-Anpassung an das NS-Regime – bis hin zu Schwarzhören von verbotenen ausländischen Rundfunksendern oder den oppositionellen Lebenswelten Jugendlicher, die sich damit gegen das herrschende Regime exponierten.

Im Zentrum des heutigen Gedenkens werden jene Menschen stehen, die als Widerstandsaktivisten und -aktivistinnen zu titulieren sind, die aber letztlich von Resistenz-Milieus getragen wurden, ohne deren Unterstützung sie nicht hätten agieren können.

Die zwei bekanntesten historischen Bundeskanzler der II. Republik, Leopold Figl und Bruno Kreisky, werden meist – alle Umfragen zeigen dies – mit Staatsvertrag 1955 bzw. mit internationaler Politik und Vollbeschäftigung in Verbindung gebracht. Wenige Österreicherinnen und Österreicher verbinden mit diesen beiden Leitfiguren unserer Geschichte die Tatsache, dass Leopold Figl 1938 sofort verhaftet wurde und bis 1943 im KZ Dachau inhaftiert blieb. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 wurde er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Der Einmarsch der Roten Armee verhinderte seine Hinrichtung. Bruno Kreisky wiederum war bereits im Schuschnigg-Regime Ende Jänner 1935 verhaftet worden und bis Mai 1936 inhaftiert geblieben. Die Gestapo verhaftete ihn ebenfalls 1938 und zwang ihn nach seiner Freilassung im September ins Exil nach Schweden.

Wer die politische Kultur der frühen Zweiten Republik reflektiert, wird aber in den ersten Monaten nach der Befreiung 1945 mit einer hohen Relevanz von Widerstandsaktivisten und -aktivistinnen in der Öffentlichkeit konfrontiert. Symbolisiert und zum morgigen Befreiungstag des Konzentrationslagers Mauthausen passend eine kurze Referenz auf das erste politische Memorandum des "Österreichischen Nationalausschusses ehemaliger Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen an die Provisorische Regierung Österreichs", unterzeichnet von:

Ludwig Soswinski (KPÖ), späterer Generalrat in der Oesterreichischen Nationalbank, Hans Becker (ÖVP), ehemaliger Propagandaleiter der Vaterländischen Front und Gründer der O-5-Widerstandsgruppe, der 1948 von einem verzweifelten staatenlosen Exilanten als österreichischer Gesandter in Rio de Janeiro erschossen wurde, Alfred Migsch (SPÖ), späterer Bundesminister für Elektrifizierung und Energiewirtschaft und Abgeordneter zum Nationalrat, Heinrich Dürmayer, (KPÖ), späterer Leiter der Wiener Staatspolizei, Hans August von Hammerstein-Equord, 1936 Justizminister und Präsident des Roten Kreuzes, Hans Marschalek, langjähriger Obmann der späteren Lagergemeinschaft Mauthausen und wichtiger Publizist und Bruno Schmitz (ÖVP), Sohn des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Richard Schmitz während des autoritären Dollfuß-Schuschnigg-Regimes.

Gemeinsam plädierten sie engagiert für einen neuen demokratischen politischen Beginn, der sowohl den Anschluss an Deutschland als auch eine Rückkehr zu den Konflikten während des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes 1933/1934-1938 verhindern sollte. Offiziell werden 1946 nur noch kurz die Leistungen des Widerstandes in einem offiziellen Rot-Weiß-Rot-Buch gewürdigt – vor allem vor dem Hintergrund der Bringschuld der Moskauer Deklaration der Alliierten vom 1. November 1943, in der Österreich als erstes Opfer der Hitleraggression bezeichnet wurde, aber gleichzeitig wegen der Mitverantwortung am Zweiten Weltkrieg zum Widerstand aufgerufen wurde. Nach 1945 sollte dieser eigene Beitrag zur Befreiung "bewertet" werden.

Zunehmend überdeckt überdies ab 1947 und 1948 eine gesamtgesellschaftliche Opferdoktrin die Suche nach einem historischen Narrativ für die Zweite Republik. Im Zentrum der Politik stehen Wiederaufbau, Staatsvertragsverhandlungen und die Integration der Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft sowie von heftigen öffentlichen und privaten Diskussionen begleitet, die umfassende Amnestierung und Integration der rund 540.000 erfassten ehemaligen NSDAP-Mitglieder, aber auch vieler in Volksgerichts- und Kriegsverbrecherprozessen Angeklagten bzw. Verurteilten, im Werben um neue WählerInnen für die Nationalratswahlen 1949 wurde der Widerstand endgültig marginalisiert. Manche Aktivisten berichteten bereits 1948 "Niemandem würde es mehr einfallen, das KZ-Abzeichen zu tragen, weil es nur ein Nachteil ist..." – dies obwohl im ersten gewählten Nationalrat nach den Novemberwahlen 1945, bei denen ehemalige NSDAP-Mitglieder vom Wahlrecht ausgeschlossen waren, von den 165 Nationalratsabgeordneten zumindest 45 % in Gefängnissen und KZs der Nationalsozialisten inhaftiert oder im Exil gewesen waren.

Rasch zerbricht aber auch das unsichtbare – und höchst fragmentarische - Band der Erinnerung an die "Lagerstraße" im Kalten Krieg und gemeinsame KZ-Verbände und Widerstands-Veteranenorganisisationen zerfallen entlang parteipolitischer Linien.

Zu einer bemerkenswerten "Wiederentdeckung" des Widerstandes und auch zur Etablierung von Forschungsinstitutionen zu diesem Thema kam es Anfang der 1960er Jahre. Auf Antrag des damaligen Außenministers Bruno Kreisky am 27. Februar 1962 wurde ein Ministerkomitee für die Herausgabe einer geschichtlichen Darstellung über den Beitrag von ÖsterreicherInnen zur Befreiung im Sinne der Moskauer Deklaration eingesetzt, an dem auch ÖVP-Unterrichtsminister Heinrich Drimmel und SPÖ- Justizminister Christian Broda federführend mitwirkten.

Hier sollte Geschichtspolitik gemacht werden – offensiv in Richtung der Stärkung der österreichischen Identität in Abgrenzung von (West)Deutschland. – Wir ÖsterreicherInnen sind die besseren Widerstandskämpfer gewesen – defensiv in der Abwehr der Auseinandersetzung mit der Täter- und Mittäterrolle von Österreicherinnen und Österreichern.

Zwar gelang die überparteiliche Gründung des Österreichischen Dokumentationsarchivs der Widerstandsbewegung am 11. Februar 1963 – unter der Leitung von Herbert Steiner. Letztlich scheiterte aber die offiziöse Edition von HistorikerInnen aus allen politischen Lagern - von KPÖ, ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und ÖVP- und SPÖ-Mitgliedern getragen - an der Frage der politischen Zuordnung der Widerstandsaktivisten. Zu Recht hatte Alfred Ströer, den Sie heute noch hören werden, damals festgehalten, dass "es nicht gut ist, wenn man von Haus aus die Widerstandskämpfer in 'Rote' und 'Schwarze' einteilt … eine ... Einteilung, die etwa gelesen werden könnte wie meine Toten, deine Toten."

Erst 1968 fanden die drei politischen Verbände wieder eine gemeinsame Basis in der "Arbeitsgemeinschaft der KZ-Verbände und Widerstandskämpfer Österreichs", nachdem sie bereits in der Opferfürsorgekommission und im Dokumentationsarchiv informell kooperiert hatten.

Die 1960er Jahre sind aus der geschichtspolitischen Perspektive gesehen eine umstrittene Dekade – geprägt von Freisprüchen von angeklagten Kriegsverbrechern in Geschworenen¬gerichtsverfahren, der Taras Borodajkewycz-Affäre, einer Auseinandersetzung, die zu Straßenschlachten in der Wiener Innenstadt führte, und auch ein Todesopfer, den Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger, forderte.

Ich muss diese Analyse hier aus Zeitgründen abbrechen – eine komplette Zusammenstellung würde aber zeigen, dass zwar relativ viel bereits Mitte der 1970er Jahre in ExpertInnenmilieus über alle Formen des Widerstandes bekannt war, aber die Akzeptanz dieses Wissens in der Öffentlichkeit, in den Schulen und Schulbüchern blieb marginalisiert und hatte häufig nur temporäre Konjunkturen um die Jahrestage des Kriegsendes 1945 und des "Anschlusses" 1938.

Mitte der 1980er Jahre deutete sich ein mehrfacher Paradigmenwechsel aufgrund internationaler geschichtspolitischer Entwicklungen und auch eines Neuverhandelns von Geschichte zwischen den Generationen an – bisher kaum wahrgenommenen Gruppen des Widerstandes – so beispielsweise wurden der Anteil von Frauen im Widerstand und die verschiedenen Widerstandsformen wissenschaftlich aufgearbeitet.

Mit der Debatte über die Kriegsvergangenheit des späteren Bundespräsidenten Kurt Waldheim 1986 beginnt eine – weit über den Anlassfall hinausgehend und tief in die Gesellschaft wirkende - heftige Neubewertung der Rolle von Österreichern im II. Weltkrieg und der Shoa. Wie auch in ganz Europa (Stichwort Vichy-Syndrom) – die Reflexion über den Widerstand in den Hintergrund, und die Auseinandersetzung mit Fragen wie Kollaboration und die Rolle von Tätern in das Zentrum der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte rückt.

Die jüdischen Opfer, die lange auch in Österreich anonymisiert wurden, erhalten zunehmend eine Stimme – auch hier war lange das Thema jüdischer Widerstand kaum präsent. Andere lange marginalisierte Opfergruppen wie Roma und Sinti, Bibelforscher, Homosexuelle und transgender Gruppen, aber auch Wehrmachtsdeserteure erhalten allmählich und sehr zögerlich gesellschaftliche Öffentlichkeit. Immer wieder diskutierte auch das Parlament Fragen der Opferdefinition und Fragen der Entschädigung – zuletzt im Zusammenhang mit ausländischen Zwangs- und SklavenarbeiterInnen und Entschädigung für "Vermögensentzug" in der NS-Zeit.

Die heutige Veranstaltung ist – wie auch alle vorangegangenen - ein weiterer Versuch, in Fortsetzung der oben genannten wesentlichen und wichtigen Perspektivenwechsel jene wieder in Erinnerung zu rufen, die für uns alle einen Beitrag zur Befreiung und Systemdestabilisierung geleistet haben - wobei natürlich der Hauptanteil an der militräischen Zerschlagung des NS-Regimes bei den Alliierten Armeen liegt. Bis heute übrigens werden jene österreichischen Exilanten kaum wahrgenommen, es sind rund 10.000 gewesen, die in den Alliierten Armeen gedient hatten, auch über deren Anzahl gibt es nur Schätzungen und viele dokumentierte Einzelschicksale.

Auch jene 2.700 Frauen und Männer, die in Gerichtsverfahren als Widerstandsaktivisten zum Tode verurteilt wurden und die dem Widerstand und den Resistenzmilieus zugezählt werden können, sind nicht wirklich fester Bestandteil unserer österreichischen Basiserzählung, unseres Geschichtekanons geworden, und das, obwohl ca. 65.000 österreichische Jüdinnen und Juden in den NS-Vernichtungslagern und KZs ermordet wurden, rund 130.000 nur im Exil überlebten und 33.000 Widerstandsaktivisten dem nationalsozialistischen Terrorsystem zum Opfer gefallen sind.

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und das Karl von Vogelsang-Institut arbeiten derzeit an einer namentlichen Erfassung der Opfer politischer Verfolgung in Österreich vom 11. März 1938 bis zum 8. Mai 1945, sowohl bezüglich der präventiv Verhafteten als auch der Opfer des Widerstandes.

Die symbolische Anerkennung durch die II. Republik sollte bis 1977 dauern, bis der damalige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger – auf der Basis eines schon 1946 beschlossenen Bundesgesetzes – die ersten Auszeichnungen "für Verdienste um die Befreiung der Republik Österreich von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" verlieh. Bis Ende 2004 haben rund 4.500 Personen dieses Ehrenzeichen der Republik Österreich erhalten. Allein diese Verzögerung und manche Debatten um die zur Auszeichnung vorgeschlagenen Personen seit 1977 dokumentieren die Tatsache, dass Widerstand noch lange ein umstrittener Erinnerungsort in der II. Republik war – und in manchen Bereichen noch ist – unter den Ausgezeichneten die langjährige Nationalratsabgeordnete Rosa Jochmann, 1939 verhaftet und 1940-1945 im KZ Ravensbrück gequält, und die 1943 hingerichtete Ordensfrau Schwester Restituta. Sie werden jetzt noch einen kurzen Film zu beiden Frauen sehen, den dankenswerter Weise der ORF zusammengestellt hat.

Überdies wird unmittelbar an die Übertragung des Festaktes aus dem Parlament in ORF 2 die Dokumentation "Agnes Primocic - Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht" gezeigt. Die Widerstandskämpferin ist vor wenigen Wochen im Alter von 102 Jahren in Hallein verstorben.

Vielleicht gelingt es nach der heutigen Veranstaltung, den Gender Gap in der Erinnerung zu reduzieren und Anträge für die Befreiungsmedaille – unter besonderer Berücksichtigung von Frauen - zu stellen. Dies wäre eine doppelte symbolische Geste, die dem meist nur in kleinen Ausstellungen oder engagierten Publikationen thematisierten Widerstand von Frauen einen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung verschaffen könnte.

Um es klar zu stellen – es geht hier nicht um Auf- oder Gegenrechnungen zwischen Opfern, TäterInnen, MittäterInnen und ZuschauerInnen – es geht um ein Gedenken an Opfer.

Demokratiepolitisch ist der Stellenwert der historischen Einschätzung von Widerstand gegen ein totalitäres System durchaus ein Indikator für die Resistenzbereitschaft gegen autoritäre Trends in einem demokratischen System, ohne hier die beiden Verhaltensweisen auch nur annähernd auf eine Stufe stellen zu wollen, denn selbst privates Resistenzverhalten konnte in der NS-Zeit den Tod oder zumindest brutale Haft oder Einsatz in einem Strafbataillon der Wehrmacht bedeuten.

Wenn wir eines Tages im Stande sein werden, unsere Schulbücher durch eine stärkere europäische und internationale Kontextualisierung zu erweitern, dann wird die vergleichende Auseinandersetzung mit Widerstand in Europa während des Nationalsozialismus helfen, die unterschiedlichen nationalen Traumata und politischen Kulturen besser zu verstehen – gerade vor kurzem wurde eine neue Internetplattform European Resistance Archives vorgestellt, an der auch die Grünalternative Jugend Österreichs beteiligt ist.

Auseinandersetzung mit Widerstand und Resistenz sollte aber keineswegs von der kritischen Reflexion über die Täter, Mittäter und Zuschauer ablenken, sondern ganz im Gegenteil vertiefen und in Lebensschicksalen erfassbar machen – ohne neue Mythen zu schaffen. Auch Widerstandsaktivistinnen und –aktivisten sind Menschen – mit all Ihren Stärken und Schwächen.

Lassen Sie uns heute gemeinsam – der nachfolgende Film und das Zeitzeugengespräch werden dies wesentlich anschaulicher machen, als ich es tun konnte – einige Lebenskarten aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus dem Dunkel der Geschichte hervorholen und diesen Menschen jene Erinnerung zuteil werden, die ihnen zusteht und die Teil jeder demokratischen Erinnerung werden sollte. Auch der österreichischen. "Jede Stimme, die sich gegen die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie auflehnte, zählt für die demokratische Zukunft!"
 
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