Unterwegs zu einer neuen europäischen Energiepolitik  

erstellt am
29. 05. 07

Der Bericht der Energie-Control 2006 liegt dem Parlament vor
Wien (pk) - Das Thema Energiepolitik stand im Jahr 2006 in der EU und ihren Mitgliedsländern im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und rückte auf der politischen Prioritätenliste weit nach vorne. Detaillierte Informationen über die Ereignisse und Entwicklungen in Europa und in Österreich gibt der Tätigkeitsbericht 2006 des österreichischen Strom- und Gasmarktregulators Energie-Control, den Energieminister Martin Bartenstein dem Parlament kürzlich vorgelegt hat (III-58 d.B.). Das Dokument fasst die Ergebnisse der Strom- und Gas-Branchenuntersuchungen von Seiten der EU-Kommission sowie der parallel dazu durchgeführten Branchenuntersuchung über Strom und Gas in Österreich zusammen.

Eine raschere Entwicklung des EU-Energiebinnenmarktes werde durch die ungenügende Entflechtung ("Unbundling") ehemaliger Monopolunternehmen, durch Unternehmenszusammenschlüsse und durch zu geringen grenzüberschreitenden Wettbewerb wegen nicht ausreichender Leitungskapazitäten gebremst. Österreich sei als europäischer Vorreiter erfolgreich in die Energiemarktöffnung gestartet, wovon zunächst alle Verbrauchergruppen profitiert haben, schreibt E-Control-Geschäftsführer Walter Boltz, lasse bei der Entwicklung des Wettbewerbs auf den Energiemärkten aber ebenfalls Mängel erkennen. Der Regulator hofft auf die Wirkung zahlreicher gesetzlicher Verbesserungen der letzten Zeit sowie auf der Umsetzung des mit der E-Wirtschaft vereinbarten Wettbewerbsbelebungspakets. Auch mit der Gaswirtschaft, wo ebenfalls noch Wettbewerbsprobleme bestehen, will Boltz Gespräche über den Wettbewerb fördernde Maßnahmen führen.

Angeheizt wurde die energiepolitische Debatte in Europa und in Österreich 2006 aber nicht nur von Kritik an Wettbewerbsdefiziten und Verzögerungen bei der Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes. Am Beginn des Vorjahres führte ein Gaspreisstreit zwischen Russland und der Ukraine zu einem kurzfristigen Engpass beim Gasimport der EU aus dem Osten.

Dieses Ereignis hinterließ deutliche Spuren in der Energiepolitik der Union. Die Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten aus Drittländern wurde bewusst, zusätzlich zum Klimaschutz rückte das Thema Versorgungssicherheit in das Zentrum der Energiepolitik. Mit einem Mal war klar, dass die Europäische Union eine neue Energiepolitik braucht, die mehrere Ziele integriert: Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes, mehr Wettbewerb, Versorgungssicherheit, höhere Energieeffizienz, Investitionen in Netz- und Produktionskapazitäten, Nutzung erneuerbarer Energieträger und eine gemeinsame Energieaußenpolitik.

Umrisse einer integrierten gemeinsamen Energiepolitik der EU
Der E-Control-Bericht dokumentiert die Fakten und absehbaren Entwicklungen, die eine neue Energiepolitik für Europa verlangen: Während der weltweite Energieverbrauch bis 2030 um 60 % steigt, werden die europäischen Ressourcen abnehmen. Die EU, die heute 50 % ihrer Primärenergien importiert, wird dann 70 % einführen müssen - bei Öl über 90 % und bei Gas über 80 %. Der in den letzten sieben Jahren versechsfachte Ölpreis wird wegen steigender Förderkosten weiter steigen, in der Folge auch die Preise anderer Energieträger.

Abhilfe soll eine gemeinsame integrierte europäische Energiepolitik schaffen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europa erhält, umweltpolitische Ziele erreicht und die Energieversorgung sichert. Voraussetzung dafür ist die Vollendung des Energiebinnenmarktes mit einem europäischen Netz für Strom und Gas, auf dem Wettbewerb und technologische Innovationen genützt werden, um die Energieeffizienz zu steigern und die Nachhaltigkeit durch den Einsatz erneuerbare Energiequellen zu sichern. Aktuelles Kerninstrument der neuen EU-Energiepolitik ist das Energiepaket, ausgearbeitet während der österreichischen Ratspräsidentschaft.

Ebenfalls 2006 hat die EU-Kommission ihr Grünbuch "Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie" vorgelegt. Die Stichwörter lauten auch hier: Vollendung der europäischen Binnenmärkte für Strom und Gas, Ausbau der grenzüberschreitenden Leitungsverbindungen, Investitionen in Stromerzeugungsanlagen und gleiche Wettbewerbsbedingungen durch ausreichende Entflechtung vertikal integrierter Strom- und Gasunternehmen. Die Kommission hat angekündigt, alle wettbewerbsrechtlichen und regulatorischen Kompetenzen auszuschöpfen und gegebenenfalls auch zu stärken, um Wettbewerbshindernisse auf dem Energiebinnenmarkt zu beseitigen.

Weichen in Richtung einer gemeinsamen EU-Energieaußenpolitik waen auf den EU-Gipfeln in Hampton Court (Oktober 2005) und Lahti (November 2006) gesetzt worden. Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) wurden gemeinsam mit einzelnen Ländern oder Regionen Aktionspläne zur Harmonisierung des Energierechts, Integration und Ausbau der Energienetze, Energieeffizienz, erneuerbare Energiequellen und nukleare Sicherheit ausgearbeitet. Dazu kommen verstärkte regionale, bilaterale und internationale Kooperationen (Baku, Südosteuropa; China, Indien, Norwegen, Russland, Ukraine, Moldawien, Aserbeidschan, Kasachstan; USA, IEA, G8, OPEC).

Österreich engagiert sich vorrangig beim Projekt südosteuropäischer Energiebinnenmarkt, der nach EU-Muster geschaffen und in die EU integriert werden soll. Die E-Control unterstützt die südosteuropäischen Länder bei der Energiemarktliberalisierung durch Regulierungsexpertise.

Die E-Control berichtet auch über ihre Aktivitäten als Mitglied der beiden Regulierungsgremien CEER (Council of European Energy Regulators) und ERGEG (European Regulators’ Group for Electricity and Gas). Im Jahr 2006 starteten die europäischen Regulatoren die "Electricity Regional Initiative (ERI)" – bestehend aus sieben regionalen Märkten – und im April 2006 die "Gas Regional Initiative (GRI)", bestehend aus vier regionalen Märkten. Diese Initiativen dienen der Aufdeckung und Beseitigung von Hindernissen für die Marktintegration. Weiters wurden Transparenzvorgaben für den Gasmarkt zur Vereinheitlichung von Ausgleichsenergiemärkten und Leitlinien für Transparenz (Guidelines of Good Practice for Information Management and Transparency) auf dem Stromgroßhandelsmarkt sowie für das Strom- und Gas-Engpassmanagements ausgearbeitet. Denn beim grenzüberschreitenden Gastransport in den Mitgliedstaaten sind Transparenz, Netzzugang und Gleichbehandlung von Speichernutzern unbefriedigend entwickelt.

Dazu kamen 2006 Leitlinien für das buchhalterische, funktionale und managementmäßige Unbundling sowie Vorschläge für den Schutz der Konsumenten durch transparente Rechnungen, Preisvergleiche und Preisausweisung sowie für Vertragsgestaltung und Lieferantenwechsel.

Die Strom- und Gasmärkte in Österreich
Fünf Jahre nach der Liberalisierung des Strommarktes und vier Jahre nach der Liberalisierung des Gasmarktes zieht der Geschäftsführer der Energie-Control Walter Boltz eine differenzierte Bilanz. In der ersten Phase der Liberalisierung haben alle Kundengruppen von der Liberalisierung profitiert, schreibt er, Preissteigerungen seien trotz enormer Primärenergiepreiserhöhungen moderater ausgefallen als in den meisten anderen EU-Ländern.

Seit zwei Jahren habe sich die Situation aber verschlechtert. Europäische Unternehmenszusammenschlüsse und die unzureichende Umsetzung der EU-Richtlinien wirkten sich auch in Österreich aus, klagt Boltz, der einmal mehr an das Erfolgsrezept der Energiemarktliberalisierung erinnert: lebendiger und intensiver Wettbewerb um Endkunden. Dieser Wettbewerb sei aber nach wie vor schwach ausgeprägt. Die Marktdominanz ehemals monopolistischer Versorger werde durch Unternehmenszusammenschlüsse begünstigt. Dem von Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und E-Control ausgearbeiteten "Wettbewerbsbelebungspaket" habe die organisierte E-Wirtschaft nur teilweise zugestimmt. Für die Umsetzung verlangen E-Control und BWB eine wirksame Überwachung durch die Behörden nach strengen Maßstäben und eine Evaluierung der wettbewerbsbelebenden Maßnahmen.

Im Detail informiert der Bericht der Energie-Control über die zahlreichen rechtlichen Fortschritte, die das Jahr 2006 auf dem Energiesektor gebracht hat: das Energie-Versorgungssicherheitsgesetz, mit dem EU-Richtlinien zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung umgesetzt und der E-Control eine zentrale Rolle bei der Krisenvorsorge übertragen wurde. An dieser Stelle lobt Energieminister Bartenstein das leistungsfähige Krisenmanagement des Marktregulators bei den Gas-Lieferengpässen Anfang 2006.

Mit der Ökostrom-Gesetz-Novelle 2006 wurde eine Budgetbegrenzung eingezogen, die Aufbringung der Budgetmittel auf eine Zählpunktpauschale umgestellt, eine Ökostromabwicklungsstelle geschaffen und neue KWK-Anlagen sowie Wasserkraftwerke mit einer Leistung zwischen 10 und 20 MW in das Förderungsregime aufgenommen.

Auf die im Zwischenbericht zur Branchenuntersuchung Gas festgestellten Probleme bei der Entwicklung des Wettbewerbs am Gasmarkt - ungleiche Wettbewerbsbedingungen, zögerliche Entwicklung des kurzfristigen Gashandels am Hub Baumgarten, erschwerter Zugang zu Transportkapazitäten im Transitbereich, Marktabschottung durch langfristige Verträge und Markteintrittsbarrieren am Endkundenmarkt - hat der Gesetzgeber mit einer Novellierung des Gaswirtschaftsgesetzes reagiert, die die Vorlage der Lieferbedingungen und den getrennten Ausweis des Energiepreises vorschreibt, den Netzzugang beim grenzüberschreitendem Gastransport reguliert und Standards für Sicherheit, Zuverlässigkeit und Konsumentenschutz verankert.

Im Sinne der Entflechtung der österreichischen Gaswirtschaft beurteilt die E-Control die im September 2006 erfolgten Veränderungen der Importverträge positiv und begrüßt das Ausscheiden der OMV Gas als Nachfrager auf dem Großhandelsmarkt und als Anbieter für große Weiterverteiler. Gut entwickelt sich laut E-Control auch der Handel am zentraleuropäischen Gas Hub Baumgarten. Veröffentlichungen des Betreibers dienen der Transparenz und senken die Transaktionskosten der Gashändler. Die E-Control drängt auf Weiterführung dieser Maßnahmen in Abstimmung mit den Gashändlern - der Gashub soll sich zu einem regionalen Handelsplatz weiterentwickeln.

Der Wettbewerb auf dem Gasmarkt wird durch Langfristverträge mit restriktiven Klauseln behindert, analysiert die E-Control weiter. 83 % des gesamten Bezugs lokaler Weiterverteiler (2,2 Mrd. m3) wurden 2004 von einem Anbieter auf der Basis langfristiger (unbefristeter) Verträge mit Mindestabnahmeverpflichtungen von 80 % gedeckt. Es handelt sich um Quasi-Gesamtbedarfsdeckungsverträge, die den Markt abschotten und den Wettbewerb behindern. Eine kartellrechtskonforme Anpassung der Verträge müsste die Laufzeit verringern und die Mindestabnahmeverpflichtung streichen oder deutlich senken. Im Endkundenmarkt besteht das Problem langfristiger Bindung der Kunden nicht, heißt es im Bericht.

Daten und Prognosen zum österreichischen Elektrizitätsmarkt
Der Strom-Endverbrauch nahm im Jahr 2005 um 0,8 Terawattstunden (TWh) oder 1,4 % auf insgesamt 60,2 TWh zu. Davon stammten aus dem öffentlichen Netz 52,2 TWh, was einem Zuwachs von 0,6 TWh oder 1,1 % entspricht. Der aus Eigenerzeugung abgedeckte Stromverbrauch der Großabnehmer nahm 2005 deutlich stärker zu als der Bezug aus dem öffentlichen Netz. Mit Netz- und Umwandlungsverlusten nahm der Stromverbrauch im zehnjährigen Mittel um 2,3 % insgesamt sowie um 2,5 % im öffentlichen Netz zu, beschleunigte sich zuletzt weiter - für 2006 wird die Zunahme der Abgabe im öffentlichen Netz auf 3,2 % geschätzt.

Seit dem Inkrafttreten des Ökostromgesetzes 2003 ist die Entwicklung bei den erneuerbaren Energieträgern durch die Errichtung neuer Windkraft-, Biomasse-, Biogas- und Photovoltaikanlagen geprägt. Mitte 2006 waren Anlagen mit folgenden Leistungen in Betrieb: 959,89 MW Windkraft, 234,75 MW Biomasse und 57,06 MW Biogas. Am 31. März 2006 waren bereits 992,63 MW Windkraft (171 Windparks mit 641 Windrädern), 403,03 MW Biomasse fest (166 Anlagen) sowie 81,06 MW Biogas (325 Anlagen) genehmigt. Dazu kommen 2.421 Kleinwasserkraftanlagen (bis zu 10 MW Engpassleistung) mit einer Gesamtleistung von 1.149 MW (1.986 bestehende Anlagen mit 954 MW zuzüglich 214 neue Anlagen mit 129 MW zuzüglich 221 revitalisierte Anlagen mit 66 MW). Da diese Kraftwerke im freien Stromverkauf teilweise höhere Erlöse als mit verordneten Einspeisetarifen erzielen, sind viele dieser Kleinwasserkraftanlagen nicht mehr im Förderungsregime der Ökobilanzgruppen enthalten.

Auch wenn man den jährlichen Gesamtenergieverbrauch bis 2020 durch Nutzung möglicher Effizienzpotentiale um rund 100 PJ (28 TWh) senkt, wird der energetische Endverbrauch um 170 PJ (47 TWh) höher sein als 2004. Der Stromendverbrauch wird bis 2020 auf 320 PJ (89 TWh) im Jahr 2020 steigen. Mit Effizienzmaßnahmen könnte man den jährlichen Endverbrauch elektrischer Energie bis 2020 um rund 30 PJ (8 TWh) senken, dennoch läge der Endverbrauch im Jahr 2020 um 75 PJ (21TWh) höher als im Jahr 2004.

Für eine realistische Einschätzung der Potenziale erneuerbarer Energieträger genügt es laut E-Control nicht, technische und theoretische Maximalpotenziale darzustellen, ökonomische Machbarkeit und Umweltverträglichkeit sind in die Bewertung einzubeziehen. Als Richtwert für die zusätzliche Nutzung erneuerbarer Energieträger nennt die E-Control bis 2020 68 Petajoule (PJ). Damit kann nur ein Teil der Steigerung des Gesamtenergiebedarfs) von 1.080 PJ im Jahr 2004 auf zumindest 1.250 PJ im Jahr 2020 abgedeckt werden. Ähnliches gilt für die zusätzliche Nutzung erneuerbarer Energieträger in der Stromversorgung. Von ihr sind 19 PJ (5TWh) bis 2020 zu erwarten. Da der Endverbrauch von 215 PJ (60 TWh) im Jahr 2004 auf 290 PJ (81 TWh) steigen wird, ist klar, dass erneuerbare Energieträger den Anstieg des Strombedarfs bis 2020 nur zum Teil kompensieren können.
 
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