Kreisky-Preis geht an Tony Judt  

erstellt am
14. 06. 07

Gusenbauer würdigt "außerordentlich großes Werk" – Swoboda: Österreich "wichtiger Ausgangspunkt" von Judts Thesen
Wien (sk) - Tony Judt habe ein "außerordentlich großes Werk" veröffentlicht, das sechs wechselvolle Jahrzehnte der europäischen Geschichte umfassend erschließe. Er kenne "kein anderes Werk, das sowohl die langen Schatten, die die Zeit vor 1945 bis heute wirft, als auch die Lügen und Tabus der Nachkriegsepoche sowie deren oft schmerzhafte Aufarbeitung so plastisch und plausibel darstellt" wie Judts Buch, so Bundeskanzler Alfred Gusenbauer am Abend des 13.06. in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises für das politische Buch 2006 an den britischen Historiker Tony Judt. Ein wichtiger "Ausgangspunkt der Thesen von Judts Buch ist Österreich und seine Bedeutung am Schnittpunkt zwischen Ost und West", betonte der Vorsitzende der Jury, SPÖ-EU-Abgeordneter Hannes Swoboda mit Verweis auf den Beitrag, den Österreich leisten kann, um das neue Europa zu gestalten.

Den Preisträger zeichne große Courage aus, seine "Rolle als öffentlicher Intellektueller" werde nicht zuletzt auch durch "Intervenieren und Provozieren" bestimmt: "Freilich nicht um der Provokation selbst willen, sondern um eine politische Öffentlichkeit zu erzeugen, in der wesentliche Fragen unserer Zeit kontrovers zur Diskussion gestellt werden", so der Präsident des Renner-Instituts, Bundeskanzler Alfred Gusenbauer in seiner Festrede. Das Buch - ein "monumentales Unterfangen" - sei deshalb "faszinierend, weil es wesentliche Zusammenhänge der Entstehung von Nachkriegseuropa herausarbeitet". Gusenbauer unterstrich weiters die Wichtigkeit der Judt'schen These, wonach das neue Europa stets seiner Vergangenheit verpflichtet bleiben müsse: Zeitgeschichtliche Forschung müsse die Vergangenheit stets erneut vermitteln und darstellen, "worin die Wurzeln gelegen sind". In Richtung Judt und Publikum erklärte Gusenbauer: "Sie haben sich den Preis wirklich verdient. Das Buch lohnt gelesen zu werden."

Grusa, Duffek und Swoboda würdigen Tony Judt
Er habe das 1.024 Seiten "dicke Buch mit Begeisterung zu Ende gelesen", so der Direktor der Diplomatischen Akademie Wien, Jiri Grusa, der ebenso wie Karl Duffek, Direktor des Renner-Instituts, die besondere Bedeutung des von Judt vorgelegten Geschichtsbuches unterstrich. "Wien ist nach wie vor ein guter Ort, um über Europa nachzudenken", so Swoboda, der hier daran erinnerte, dass Tony Judt schreibt, dass ihm die Idee zu seinem Buch 1989 in Wien gekommen sei, weil das "Wien von 1989 ein hervorragender Ort zum Nachdenken über Europa" gewesen sei. Swoboda verwies darüber hinaus auf die vergangene und zukünftige Rolle Österreichs beim Aufbau des großen Projekts Europa. Daneben gebe es in Judts Buch auch einen quasi-sozialdemokratischen Ansatz zu verzeichnen: Dort nämlich, wo Judt die Bedeutung des Wohlfahrtsstaates als wesentliches Element des neuen Europa herausarbeitet. Swoboda stellte hier klar, dass der Wohlfahrtsstaat bei aller Notwendigkeit von Veränderungen nicht überholt sei.

Von zentraler Bedeutung sei schließlich auch Judts Beschäftigung mit den Elementen Erinnern und Vergessen. So hätte Europa - nachdem es sich freilich seiner schrecklichen Vergangenheit und des Holocaust erinnert hat - auch vergessen müssen, um ein neues Europa aufbauen zu können, hielt Swoboda zu einer Kernthese Judts fest, in der sich der Historiker mit der Entwicklung Europas im Spannungsfeld zwischen Erinnern und Vergessen auseinander setzt. Er hoffe, dass das baldige Zustandekommen einer EU-Verfassung ein wenig auch die Möglichkeit eröffne, der von Judt beschriebenen Vision eines Europa näher zu rücken, das der Welt mit maßvollen Ratschlägen dabei helfen könne, eigene Fehler nicht zu wiederholen.

Judt: "Freue mich sehr, den Preis zu erhalten, der den Namen Kreiskys trägt"
Es freue ihn sehr, "heute den Preis zu erhalten, der den Namen Bruno Kreiskys trägt", machte Tony Judt in seiner Dankesrede klar. Judt erinnerte hier neben der Rolle Kreiskys in Bezug auf den Wohlfahrtsstaat auch an die Bedeutung des aktiven Außenpolitikers Kreisky, der nicht nur Österreich, sondern stets auch Europa im Auge gehabt habe. Judt zeigte sich abschließend darüber erfreut, wieder einmal in Wien zu sein - und damit in jener Stadt, in der ihm erstmals die Idee zum heute ausgezeichneten Werk in den Sinn gekommen sei.
 
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