Urologie: Injektion statt Operation  

erstellt am
26. 06. 07

Ein Meilenstein bei der Behandlung von Blasenfunktionsstörungen – Botulinum Toxin A: Zulassung in der Urologie rückt in greifbare Nähe
Düsseldorf (Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V) - Als Faltenkiller hat es unter Prominenten längst Karriere gemacht: Botulinum Toxin – das stärkste aller bekannten Gifte. Nun hält es auch Einzug in die Urologie. Blasenfunktionsstörungen und die gutartige Prostatavergrößerung stehen im Blickpunkt der Mediziner. Für Erstgenannte rückt die amtliche Zulassung von Botulinum Toxin A in Deutschland bereits in greifbare Nähe.

Zwei gehäufte Teelöffel der Reinsubstanz Botulinum Toxin könnten die gesamte Bevölkerung Deutschlands vernichten. Extrem verdünnt wird das Gift, das von dem Bakterium Clostridium botulinum gebildet wird, in der Medizin verwendet. In der Urologie ist der unter dem Handelsnamen Botox, Dysport und Xeomin bekannte Wirkstoff Botulinum Toxin A bei der Behandlung von Blasenfunktionsstörungen erfolgreich und gilt als großer Hoffnungsträger bei der gutartigen Prostatavergrößerung. Beides sind millionenfach verbreitete Krankheitsbilder.

Blasenfunktionsstörungen mit einhergehender Inkontinenz schränken die Betroffenen erheblich in ihrer Lebensqualität ein und sind mit herkömmlichen Substanzen mitunter nicht behandelbar. Eine Operation kann dann unumgänglich sein. „Mit Botulinum Toxin A steht uns heute ein potenter Wirkstoff zur Verfügung, der die therapeutische Lücke zwischen Tabletten und Operation schließt“, sagt Privatdozent Dr. Christoph Seif von der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel.

„Ein Meilenstein bei der Behandlung von Blasenfunktionsstörungen!“, so Privatdozent Dr. Arndt van Ophoven, Urologische Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Münster. „Botulinum Toxin A kann unter örtlicher Betäubung direkt in die Harnblase gespritzt werden und bewirkt eine Lähmung der Blasenmuskulatur. Symptome wie häufiger und unwillkürlicher Harndrang werden bis zu acht Monate lang reduziert oder völlig unterbunden“. Die überaktive Blase, auch neurogener Ursache, zum Beispiel nach Querschnittlähmungen oder bei Multipler Sklerose sind häufige Indikationen. Bei chronisch schmerzhaften Blasenerkrankungen wie der interstitiellen Cystitis wird Botulinum Toxin A ebenfalls eingesetzt. Zurzeit
erfolgt dies im so genannten Off-Label-Gebrauch, da die amtliche Zulassung des Medikaments in der Urologie noch aussteht. „Der Off-Label-Einsatz von Botulinum Toxin A ist bei neurogenen Blasenfunktionsstörungen an ausgewiesenen Zentren möglich, weil es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt und es keine vergleichbare Therapiealternative gibt“, so Dr. Seif. An den weltweiten Zulassungsstudien ist auch die Kieler Urologie beteilt. Privatdozent Dr. Seif: „Die amtliche Zulassung wird für 2009 erwartet“. Bis dahin erfolgt in der Regel keine Kostenübernahme der etwa 1000 Euro teuren Injektion durch die Krankenkassen.

Injektion statt Operation: Die Behandlung der gutartigen Prostatavergrößerung (BPH) mit Botulinum Toxin A sei ein vielversprechender Therapieansatz, so der Münsteraner Urologe Priv.-Doz. Dr. van Ophoven. Mehr als die Hälfte aller über 50-jährigen Männer in Deutschland sind von diesem quälenden Männerleiden betroffen. Mit zunehmendem Alter beginnt das Prostatagewebe zu wuchern, das Drüsenorgan vergrößert sich und die Harnröhre wird mehr und mehr eingeklemmt. Zu den Symptomen gehören ein abgeschwächter Harnstrahl und das Gefühl ständig urinieren zu müssen. Die Blase kann nicht vollständig entleert werden. Häufig kommt es zu Entzündungen der Blase und der Nieren. Medikamente und letztlich Operationen, vornehmlich die transurethrale Ausschälung der Prostata, der derzeitige Goldstandard, aber auch Eingriffe, die Mikrowellen, Hochfrequenz-Strom, Laser oder Ultraschall einsetzen, sind aktuelle Therapieoptionen.

Jüngste Studien aus den USA und Italien berichten nun, dass Botulinum Toxin-Injektionen die Prostata erfolgreich schrumpfen lasse. „Der Wirkstoff wird ultraschallgestützt direkt in die Vorsteherdrüse gespritzt und löst dort durch die so genannte Apoptose ein eingeleitetes Zellsterben aus“, sagt Priv.-Doz. Dr. van Ophoven. In der Folge nimmt das Prostatavolumen ab und die Restharnmenge verringert sich bei verbessertem Harnstrahl. Im Rahmen weltweiter Studien werden valide Daten zu dieser potentiellen neuen Therapie erhoben. Auch in der Kieler Urologie: „Neben klinischen und tierexperimentellen Studien geht es uns vor allem um Grundlagenforschung zum Einsatz von Botulinum Toxin A.“, sagt Priv.-Doz. Dr. Christoph Seif, dessen Forschungen aktuell mit einem Betrag von 200 000 Euro von der Deutschen Forschungsgesellschaft unterstützt werden.

An der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau, wo im Jahr 1998 zum ersten Mal auf der Welt durch Professor Manfred Stöhrer Botulinum Toxin in den Blasenmuskel injiziert worden war, ist 2005 von seinem Nachfolger, Dr. Dieter Löchner-Ernst, erstmalig in Deutschland ein Patient mit vergrößerter Prostata und entsprechender Behinderung des Harnabflusses durch Injektion von Botulinum Toxin direkt in die Prostata behandelt worden. „Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Wirkung ist nach ein bis vier Wochen zu erwarten, die Wirkdauer beträgt ungefähr neun Monate. Die Prostata schrumpft und die Abflussbehinderung verschwindet rasch“, sagt der leitende Arzt der Urologie Dr. Löchner-Ernst. „Gerade bei älteren, hinfälligen Patienten ist Botulinum Toxin A eine schonende Therapiealternative, um eine eventuell belastende Operation zu umgehen.“
 
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