Tirols letzter Turmwächter   

erstellt am
06. 12. 07

Unterwegs mit Heinrich Unterrader, einem Mann, der zur Adventszeit die vergessene Arbeit des mittelalterlichen Nachtwächters wieder aufleben lässt.
Rattenberg (alpbachtal) - Eingehüllt in ein derbes Lodengewand entzündet er die Fackel, die an diesem Tag sein Begleiter durch die Straßen Rattenbergs sein wird. Das kurze helle Aufflackern der Flamme hüllt sein kantiges Gesicht einen Moment lang in ein warmes Licht. Der Türmer von Rattenberg hat es an manchen Tagen schwer wenn er über die schmalen und steilen Stufen aufwärts steigt. „Ja, es ist eben ein Turm und kein gewöhnliches Einfamilienhaus“, meint der 82 Jährige Heinrich Unterrader wenn er an den Adventsamstagen nach getaner Arbeit in seinen Turm zurückkehrt.

Der „Türmer“, wie Heinrich von vielen genannt wird, wohnt seit über 30 Jahren in einem alten Wachturm, der auf der kleinsten bebauten Grundfläche Rattenbergs steht. Bis ins 19. Jahrhundert stellte der Turm das nördliche Stadttor zum benachbarten Ort Kramsach dar. Das Leben in dem Wachturm inspirierte den alten Herrn, der längst vergessenen Arbeit des mittelalterlichen Nachtwächters wieder nachzugehen.

Mit der Fackel durch die Stadt
Die Dunkelheit hat sich über die Stadt breit gemacht. Das Kinderprogramm des Rattenberger Advents hat bereits begonnen. Der Türmer macht sich auf den Weg, um den schmalen Gassen – ganz im Stillen – das wärmespendende Licht zu geben.

Entlang der Bienerstraße stehen Kinder, die ihre Fäuste dicht ans Gesicht gepresst halten um ihren kalten Fingern einen Hauch von Wärme zu geben. Sie lauschen gebannt der Sterntalergeschichte, die in das Kinderprogramm eingebettet ist. Fast unbemerkt und lautlos entzündet Heinrich die Laterne. Vorbei an der Hauptbühne, auf der bereits die Kinder der Musikhauptschule etwas nervös auf ihren Auftritt von einem Bein aufs andere treten und ihre Texte vor die roten Wangen halten, erhellt Heinrichs Feuer auch ihre Gesichter.

Antwort auf die hektische Vorweihnachtszeit

Weihnachtliche Düfte machen sich in den engen Gassen breit. Der Schein der Fackel wirft einen langen Schatten und zeichnen die Konturen des alten Mannes auf den Häuserfassaden, der mit konstanten, zügigen Schritten von einer Laterne zur nächsten geht.

Vor den Nagelschmiedhäusern macht Heinrich halt. Sein Blick schweift über die Mauern der mit Efeu bewachsenen Häuser. „Das sind die ältesten Häuser der Stadt, sie wurden im 12. Jahrhundert von Bergknappen in den Felsen geschlagen“ erzählt er, der Rattenberg wie kein anderer kennt. Vor dem geschichtsträchtigen Hintergrund geht gerade die Herbergssuche vonstatten, die von engagierten Darstellerinnen liebevoll inszeniert wird. Der Rattenberger Advent ist die stille Antwort auf die oftmals hektische Vorweihnachtszeit.

Zwei Jahre Arbeit für 40 Laternen
„Die Laternen habe ich selbst geschmiedet, das war gar nicht so einfach. Sie müssen Wind und Wetter aushalten, einfach und schnell befestigt und abgebaut werden und sollen dabei auch noch nach was ausschauen. Gut, dafür habe ich auch fast zwei Jahre an 40 Laternen herumgetüftelt“ verrät Heinrich und betrachtet stolz eine seiner Laternen, die hoch über den Köpfen der Besucher hängt. Er blickt sich um und meint „es ist immer wieder schön, wenn sich die Leute an dieser einmaligen Atmosphäre erfreuen. Die Bläser, die Kinder, die alten Weisen und die vielen Lichter – der Rattenberger Advent ist doch eine einzigartige Einstimmung auf das nahe Weihnachtsfest.“

Bevor das Adventsprogramm seinem Höhepunkt, dem Ave Maria entgegengeht, sind alle Lichter entzündet und die mittelalterliche Stadt erstrahlt ohne jedes Kunstlicht im warmen Glanz des Feuers.

Erst wenn die Straßen wieder leer sind, die Besucher heimgegangen, und die gewohnte Ruhe und Stille in dem Städtchen eingezogen ist, löscht Heinrich, der letzte Turmwächter, die Fackeln und steigt wieder die steilen und schmalen Treppen in seinen Turm hinauf.

Informationen: http://www.rattenberg.at
 
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