Fünfter Jugendbericht befasst sich mit außerschulischer Jugendarbeit   

erstellt am
24. 01. 08

Bewusstsein für Genderfragen in Jugendorganisationen unterschiedlich
Wien (pk) - Das Bewusstsein für Genderfragen bei Jugendverbänden, Jugendorganisationen und Jugendeinrichtungen ist sehr unterschiedlich. Oft sind es einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass diesem Thema verstärkt Augenmerk gewidmet wird. Das ist eines der Ergebnisse des fünften Jugendberichts, der vor kurzem von Familienministerin Andrea Kdolsky dem Nationalrat vorgelegt wurde. Um die Situation zu verbessern, wird seitens des Forschungsteams ein ganzes Maßnahmenbündel vorgeschlagen, es reicht von der Einrichtung einer bundesweiten Informations- und Koordnierungsstelle für Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Ansätze in der außerschulischen Jugendarbeit bis hin zu Steuerungsmaßnahmen über Förderungen. Der Einbeziehung der Geschlechterperspektive in alle Planungs- und Entscheidungsschritte seitens der einzelnen Einrichtungen und spezifischen Angeboten für Mädchen und Buben wird jedenfalls große Bedeutung beigemessen.

Für den fünften Jugendbericht hat die "L&R Sozialforschung" im Auftrag des Familienministeriums Jugendorganisationen und andere Jugendeinrichtungen unter die Lupe genommen, um nachzuforschen, welchen Stellenwert "Gender Mainstreaming" im Allgemeinen und geschlechtssensible Angebote im Speziellen in der außerschulischen Jugendarbeit haben. Dafür wurde nicht nur eine Fragebogenerhebung durchgeführt, sondern auch eine Reihe von FunktionärInnen und MitarbeiterInnen von Jugendorganisationen und Jugendeinrichtungen anhand von Interviewleitfäden befragt. Gleichzeitig wurden Jugendliche zu Gruppendiskussionen eingeladen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden auf mehr als 300 Seiten zusammengefasst, wobei sich einige allgemeine Feststellungen treffen lassen:

Die Themen "Gender Mainstreaming" und geschlechtssensible Jugendarbeit werden von einer deutlichen Mehrheit der Einrichtungen als sehr wichtig bzw. eher wichtig eingestuft, allerdings ist das konkrete Wissen zu diesen Themen oft beschränkt und die Umsetzung häufig vom Engagement einzelner MitarbeiterInnen abhängig.

Offene Jugendarbeit (z.B. Jugendzentren, mobile Jugendarbeit, kommunale und regionale Jugendinitiativen) ist für die Genderthematik grundsätzlich aufgeschlossener als verbandliche Jugendorganisationen, deren Strukturen oftmals die Implementierung innovativer Ansätze erschweren. So können sich etwa männerdominierte Vorstände, die mitunter ein sehr traditionelles Rollenbild haben, als Hindernis für die Verankerung konkreter Gleichstellungsperspektiven erweisen.

Zur tatsächlichen Verankerung von Gender Mainstreaming in einer Einrichtung braucht es die Unterstützung der Führungsebene, klare Verpflichtungen, schriftliche Festlegungen und die Bereitstellung finanzieller und personeller Ressourcen. Ohne entsprechende zuständige Person kann die Implementierung von Gender Mainstreaming kaum funktionieren, heißt es im Bericht. Auch der Frage der Vernetzung wird eine nicht geringe Bedeutung beigemessen.

Zu den Hindernissen der Implementierung gehören hingegen neben unzureichendem Wissen etwa mangelndes Interesse, Vorurteile gegen das Thema, fehlende Akzeptanz und männliche Abwehrhaltungen. Auch fürchten manche Einrichtungen, dass es mit der Einführung von Gender Mainstreaming zu einer Kürzung frauen- und mädchenspezifischer Angebote bei gleichzeitiger Verlagerung hin zu Jungenprojekten kommen könnte.

Jugendeinrichtungen, die Gender Mainstreaming umsetzen, haben einen wesentlich höheren Frauenanteil unter den MitarbeiterInnen als Jugendeinrichtungen, die Gender Mainstreaming nicht umsetzen. Das gilt auch für die Führungsebene. Allerdings ist die "gläserne Decke" für Frauen überall spürbar: Auch in gendersensiblen Einrichtungen der außerschulischen Jugendarbeit entspricht der Frauenanteil in der Führungsebene nicht dem Frauenanteil unter den Beschäftigten insgesamt.

Auswirkungen auf die Verankerung von Gender Mainstreaming in einer Jugendeinrichtung hat auch die Anzahl der bezahlten MitarbeiterInnen. Einrichtungen mit vielen bezahlten MitarbeiterInnen sind deutlich aufgeschlossener als Organisationen mit überwiegend ehrenamtlichen MitarbeiterInnen.

59 % der Einrichtungen, die Gender Mainstreaming implementiert haben, berichten, dass sich die Qualität der Projekte verbessert hat, 40 % sehen ein verbessertes Arbeitsklima, 20 % berichten von effizienteren und transparenteren Entscheidungsstrukturen. Drei Viertel der Einrichtungen geben an, dass sie durch geschlechtssensible Angebote für weibliche Jugendliche attraktiver geworden sind.

Reine Mädchenangebote werden weitaus häufiger angeboten als Angebote nur für Burschen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass männliche Jugendliche in der Regel etablierte Angebote von Jugendeinrichtungen dominieren und aus diesem Grund weniger Interesse an geschlechtshomogenen Angeboten zeigen. Allerdings warnen die AutorInnen generell davor, die Wünsche der Jugendlichen zum alleinigen Maßstab für die Erarbeitung von Projekten zu nehmen – oft kommt die Nachfrage erst mit dem Angebot. Für geschlechtergetrennte Auseinandersetzungen spricht zum Beispiel die Erfahrung, dass Mädchen und junge Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen ihre eigenen Bedürfnisse oft nicht äußern oder zugunsten der männlichen Jugendlichen darauf verzichten.

Im Bericht wird aber auch auf die Notwendigkeit geschlechtssensibler Jugendarbeit in gemischtgeschlechtlichen Gruppen hingewiesen, um geschlechtsspezifische Rollenmuster und Rollenvorstellungen aufzugreifen und kritisch zu hinterfragen und andere Handlungsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Gemischtgeschlechtliche Gruppen sollten dabei grundsätzlich von einem gemischtgeschlechtlichen Team betreut werden.

Ausdrücklich hält der Bericht fest, dass dem Gender-Mainstreaming-Prinzip zufolge auch Männer Akteure der Gleichstellungspolitik sind. Speziell im Bereich der Jugendarbeit kommt der Einbeziehung der Männer in den Gender-Mainstreaming-Umsetzungsprozess eine besondere Bedeutung zu, da diese im pädagogischen Bereich Vorbildfunktion haben, betonen die AutorInnen. Allerdings klagen die Einrichtungen häufig über einen Mangel an männlichen Mitarbeitern.

Generell wird auch die fehlende Bereitschaft von MitarbeiterInnen, die eigenen Rollenvorstellungen über Mann und Frau zu hinterfragen und zu reflektieren, als konkretes Hindernis für die Einführung geschlechtssensibler Angebote genannt.

Die Ergebnisse aus den durchgeführten Workshops mit Jugendlichen zeigen, dass vor allem in jenen Einrichtungen, die geschlechtssensibel agieren oder Gender Mainstreaming umsetzen, eine wesentlich höhere Sensibilität bei Jugendlichen in Genderfragen zu beobachten ist als in jenen Einrichtungen, die kein dahingehendes Angebot haben. Zudem erleben Einrichtungen, die sich auf ein geschlechtssensibles Angebot eingelassen haben, sehr schnell eine hohe Zufriedenheit und positive Rückmeldungen von Jugendlichen zu diesen Angeboten, vor allem wenn sie die konkrete Lebenswelt der Jugendlichen zum Ausgangspunkt der Angebote gemacht haben.

Zur Forcierung von Gender Mainstreaming und zur Ausweitung geschlechtssensibler Angebote in der außerschulischen Jugendarbeit schlagen die AutorInnen einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vor. Unter anderem urgieren sie eine bundesweit anerkannte Ausbildung zum Jugendarbeiter bzw. zur Jugendarbeiterin sowie eine bessere Bezahlung der Betroffenen, um das Berufsfeld "Jugendarbeit" attraktiver zu machen und auch mehr Männer für den Arbeitsbereich zu rekrutieren.

Um Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Ansätze in der Jugendarbeit nachhaltig zu verankern, könnte man dem Bericht zufolge bei den Jugendreferaten der Gemeinden ansetzen. Gleichzeitig wird vorgeschlagen, zumindest einen Teil der Förderungen von der Berücksichtigung des Gleichstellungsansatzes abhängig zu machen und eigene Fördertöpfe für Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Ansätze einzurichten.

Zu den weiteren Vorschlägen gehören: regelmäßige öffentliche Kampagnen zu den Themen Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Ansätze, die Erstellung einer "Gender-Box" mit praxisadäquatem Informationsmaterial, die Einrichtung einer bundesweiten Informations- und Koordinierungsstelle, die Einrichtung einer eigenen Website zum Thema Gender Mainstreaming, die Bereitstellung von "Flying Experts" auf Bundes- bzw. Länderebene, der Ausbau von Schulungs- und Weiterbildungsangeboten sowohl für hauptamtliche als auch für ehrenamtliche MitarbeiterInnen.

Für die Implementierung von Gender Mainstreaming könnten sich laut Bericht unter anderem folgende Fragestellungen anbieten: Wie sieht die Zusammensetzung der MitarbeiterInnen bzw. der Leitungsebene aus? Wie gestaltet sich der Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten? Wie sieht die Zusammensetzung der Zielgruppe aus bzw. wer hat an meinen Projekten teilgenommen? Tragen die geplanten Maßnahmen zu Chancengleichheit bei?

Teil des fünften Jugendberichts sind auch zehn Einzeldarstellungen von Jugendeinrichtungen (Fallstudien), eine umfangreiche Literaturanalyse inkl. Literaturliste und eine detaillierte Darstellung der Fragebogenerhebungen und der Interviews.
 
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