Die EU soll demokratischer werden und handlungsfähig bleiben   

erstellt am
29. 01. 08

EU-Reformvertrag im Parlament eingelangt
Wien (pk) - Die Regierung hat dem Nationalrat vor kurzem den Vertrag von Lissabon, besser bekannt unter der Bezeichnung EU-Reformvertrag, zur Ratifikation vorgelegt. Der Vertrag soll die bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheiterte EU-Verfassung ersetzen und muss vor dem geplanten Inkrafttreten am 1. Jänner 2009 von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert werden. Ziel des Vertrags ist es, die demokratische Legitimation der EU zu stärken und gleichzeitig sicherzustellen, dass auch die nunmehr erweiterte Union handlungsfähig bleibt und Entscheidungen effizient treffen kann.

Zu den wichtigsten Inhalten des Vertrags von Lissabon gehören eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten, die Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente im EU-Gesetzgebungsverfahren, die Aufwertung des Europäischen Parlaments, die Vereinfachung der Verträge, die rechtsverbindliche Verankerung der Grundrechte-Charta und die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen auf EU-Ebene. Gleichzeitig wird die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Union beträchtlich erhöht und die soziale Dimension der EU stärker betont. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten die Möglichkeit, durch eine europaweite Bürgerinitiative Rechtssetzungsaktivitäten der EU anzuregen.

Der Vertrag von Lissabon übernimmt damit große Teile jener Neuerungen, die bereits im EU-Verfassungsvertrag verankert waren. Allerdings unterscheiden sich die beiden Verträge in einigen Punkten doch wesentlich voneinander. So wird EU-Recht nicht mehr explizit Vorrang vor nationalem Verfassungsrecht eingeräumt, zudem wird auf Begriffe wie "Europäischer Außenminister" und "Europäisches Gesetz" verzichtet. Auch die Symbole der EU – etwa die blaue Europaflagge mit den zwölf goldenen Sternen und die Europahymne – wurden aus dem Vertrag gestrichen. Anstelle einer einheitlichen Rechtsgrundlage, der EU-Verfassung, bleiben die Verträge der Europäischen Union bestehen: der EUV und der künftig in Vertrag über die Arbeitsweise der Union (AEUV) umbenannte EGV.

Nationale Parlamente werden zu "Wächtern" des Subsidiaritätsprinzips
Die nationalen Parlamente werden mit dem Vertrag von Lissabon zu "Wächtern" des so genannten Subsidiaritätsprinzips. Dieses besagt, dass Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union so nahe am Bürger wie möglich getroffen werden sollen. Die EU darf demnach nur dann aktiv werden, wenn die angestrebten Ziele nicht von den Mitgliedstaaten selbst bzw. auf regionaler Ebene erreicht werden können. Zudem müssen die von der EU vorgeschlagenen Maßnahmen verhältnismäßig sein und dürfen nicht über das Ziel hinausschießen.

Konkret sieht der Vertrag von Lissabon die Einrichtung einer Art "Frühwarnmechanismus" vor. Die nationalen Parlamente haben demnach acht Wochen Zeit, um Rechtssetzungsvorschläge der EU-Kommission und andere Legislativvorhaben auf EU-Ebene auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu prüfen. Dabei hat jedes Parlament zwei Stimmen, die sich in Zweikammersystemen wie Österreich auf die beiden Kammern (im Fall Österreichs Nationalrat und Bundesrat) aufteilen.

Bei einer ausreichenden Zahl von Einwänden seitens der Parlamente – grundsätzlich ein Drittel; im Bereich Justiz und Inneres ein Viertel der Gesamtstimmen – muss die EU-Kommission ihren Vorschlag überprüfen und, wenn sie dennoch dabei bleibt, umfassend begründen ("gelbe Karte"). Macht eine Mehrheit der Parlamente Subsidiaritätsbedenken geltend ("orange Karte"), kann das Legislativvorhaben in weiterer Folge durch eine einfache Mehrheit im Europäischen Parlament bzw. von 55 % der Mitglieder des Rates, dem Gremium der zuständigen Minister, gestoppt werden.

Um die nationalen Parlamente in die Lage zu versetzen, ihre Mitwirkungsrechte effektiv auszuüben, ist die EU-Kommission verpflichtet, die Parlamente über alle Vorhaben der Union zu informieren und ihnen unverzüglich alle Legislativvorschläge zu übermitteln. Außerdem muss die Kommission ihre Gesetzgebungsvorschläge im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit umfassend begründen, vor der Vorlage eines Gesetzgebungsakts umfangreiche Anhörungen durchführen sowie den finanziellen Auswirkungen eines Vorschlags und den damit verursachten Verwaltungsaufwand ein besonderes Augenmerk widmen.

Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments
Aufgewertet wird aber nicht nur die Rolle der nationalen Parlamente, auch das Europäische Parlament bekommt mehr Rechte. So wird das derzeitige Mitentscheidungsverfahren, bei dem ein Vorschlag sowohl vom Rat als auch vom Europäischen Parlament gebilligt werden muss, zum Regelfall in der Gesetzgebung der EU (ordentliches Gesetzgebungsverfahren). Lediglich in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sind andere Entscheidungsprozesse vorgesehen.

Darüber hinaus erhält das Europäische Parlament mehr Mitwirkungsrechte bei der Erstellung des EU-Budgets und kann künftig den Präsidenten der EU-Kommission – auf Vorschlag des Europäischen Rates – wählen. Im Fall eines Misstrauensvotums des Europäischen Parlaments ist die gesamte EU-Kommission verpflichtet zurückzutreten, wobei für einen solchen Beschluss zwei Drittel der abgegebenen Stimmen und eine absolute Mehrheit aller Abgeordneten zum Europäischen Parlament notwendig ist.

Änderungen gibt es auch bei der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments. Durch das System der degressiven Proportionalität werden kleinere Staaten bevorzugt, wobei ein Mitgliedstaat mindestens 6 und höchstens 96 Sitze erhält. Die Höchstzahl der Abgeordneten wird mit 751 festgelegt. Österreich wird in der Wahlperiode 2009 - 2014 mit 19 Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sein, das ist ein Abgeordneter mehr als derzeit.

Wesentlich mehr qualifizierte Mehrheitsentscheidungen
Die Gesetzgebungsbefugnisse auf EU-Ebene werden weiter gemeinsam vom Europäischen Parlament und vom Rat, dem Gremium der jeweils zuständigen MinisterInnen der EU-Mitgliedsländer, ausgeübt. Um die EU handlungsfähiger zu machen, ist vorgesehen, in einer Reihe von Politikbereichen das bisher geltende Einstimmigkeitsprinzip im Rat durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zu ersetzen. Für einige besonders sensible Politikbereiche, neben der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik etwa für Teile des Strafrechtsbereichs und der Polizeikooperation, im Steuerbereich sowie in der Frage der Wasserressourcen, bleibt das Einstimmigkeitsprinzip und damit die Vetomöglichkeit eines einzelnen EU-Staates allerdings weiterhin erhalten.

Ab November 2014 wird für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen ein neuer Modus, das System der doppelten Mehrheit, eingeführt. Für einen Beschluss sind dann mindestens 55 % der Mitgliedsstaaten (15 EU-Länder), die zumindest 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, erforderlich. Gleichzeitig braucht es für die Verhinderung eines Beschlusses mindestens vier EU-Staaten – drei große Länder können auch dann keine Entscheidung blockieren, wenn sie mehr als 35 % der EU-Bevölkerung vertreten. Erfolgt ein Beschluss nicht auf Grundlage eines Vorschlages der Europäischen Kommission ist ein erhöhtes Staatenquorum von 72 % bei einem gleich bleibenden Bevölkerungsquorum von 65 % erforderlich.

Auf Drängen Polens verlängert bzw. in der Anwendung sogar erleichtert wird der so genannte "Ioannina-Mechanismus". Demnach müssen nach der Einführung des Systems der doppelten Mehrheit die Verhandlungen über einen Rechtsakt dann weitergeführt werden, wenn dieser von einer bestimmten Zahl von Mitgliedstaaten ausdrücklich abgelehnt wird. In den ersten Jahren nach 2014 bedarf es für die Auslösung des Ioannina-Mechanismus dabei mindestens 75 % der Mitgliedstaaten, die für eine Sperrminorität erforderlich sind, bzw. so vieler Mitgliedstaaten, dass mindestens 75 % der für eine Sperrminorität notwendigen Bevölkerung erreicht werden. Ab April 2017 sinkt der Wert jeweils auf 55 %.

Das System der doppelten Mehrheit löst das bestehende System der Stimmgewichtung ab, bei dem die einzelnen EU-Staaten je nach Bevölkerungszahl unterschiedlich viele Stimmen haben (Österreich z.B. 10 von 345).

Sonderformationen des Rates bleiben der Rat "Allgemeine Angelegenheiten", der unter anderem für die Vorbereitung der Tagungen des Europäischen Rates verantwortlich ist, und der Rat "Auswärtige Angelegenheiten", der vom neuen "Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik" geleitet wird (siehe unten).

Ausdrücklich festgelegt wird, dass der Rat künftig öffentlich tagt, wenn die MinisterInnen Gesetzgebungsvorschläge beraten und beschließen.

Der Vorsitz im Rat wird nicht mehr alle sechs Monate alternierend von einem anderen EU-Mitgliedstaat geführt, vielmehr werden künftig jeweils drei aufeinanderfolgende Mitgliedstaaten gemeinsam für eineinhalb Jahre eine Teampräsidentschaft bilden.
   

Gemeinsame Werte und Ziele der EU
Als gemeinsame Werte und Ziele der EU werden im Vertrag von Lissabon unter anderem die Förderung des Friedens, die Achtung der Menschenwürde, die Wahrung der Menschenrechte, die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und die Wahrung des Reichtums der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der Union definiert. Aber auch die Errichtung eines Binnenmarktes, die nachhaltige Entwicklung Europas, eine auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt ausgerichtete soziale Marktwirtschaft sowie die Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts gehören zum Zielekatalog.

Darüber hinaus erhalten die Grundrechte auf EU-Ebene entschieden mehr Gewicht. Durch die künftige Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta, einer der modernsten Grundrechtekataloge, können die dort angeführten Grundrechte in Verfahren vor dem EuGH sowie vor nationalen Gerichten bei der Umsetzung und Anwendung von Unionsrecht geltend gemacht werden. In Polen und in Großbritannien gibt es in Bezug auf die Durchsetzbarkeit der Rechte aufgrund eines "Opt Out" allerdings Schranken.

Klare Kompetenzverteilung und Schärfung des sozialen Profils der EU
Eines der zentralen Ziele des Vertrags von Lissabon ist eine klare Kompetenzfestlegung. Neben dem Subsidiaritätsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kommt dabei dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung eine maßgebliche Rolle zu. Dieses besagt, dass alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Überdies erhalten die Mitgliedstaaten als "Herren der Verträge" ausdrücklich das Recht, an die EU übertragene Kompetenzen wieder an die Mitgliedstaaten zurückzuverlagern.

Ausschließliche Zuständigkeiten hat die Union laut Vertrag von Lissabon etwa bei der Zollpolitik, der gemeinsamen Handelspolitik, der Festlegung von Wettbewerbsregeln und der Währungspolitik für die Euro-Länder. In anderen Bereichen, z.B. dem Binnenmarkt, der Sozialpolitik, der Landwirtschaft, der Umweltpolitik, dem Verbraucherschutz, dem Verkehr, der Energiepolitik und der Sicherheitspolitik, teilt sie sich die Zuständigkeiten mit den EU-Mitgliedsländern. Darüber hinaus kann die EU in manchen Bereichen, etwa der Kulturpolitik und im Bildungsbereich, unterstützend und koordinierend tätig werden.

Neue Kompetenzen erhält die EU unter anderem bei der Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren, in der Energiepolitik, in der Raumfahrt, im Tourismus und im Sport. Außerdem wurde in das Umweltkapitel auf Initiative Österreichs ein Hinweis auf die besondere Bedeutung des Klimaschutzes aufgenommen und eine Tierschutzklausel in den Vertrag eingefügt. Im Bereich Inneres und Justiz ist die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft in Aussicht genommen, sie soll sich um die Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union kümmern.

Ein wesentlicher Aspekt im Vertrag von Lissabon ist die Schärfung des sozialen Profils der EU. Das manifestiert sich nicht nur in den neu formulierten Zielen der Union, in die Begriffe wie soziale Marktwirtschaft, soziale Gerechtigkeit und Vollbeschäftigung Eingang gefunden haben, sondern etwa auch in der ausdrücklichen Ermächtigung der EU, Initiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten zu ergreifen. Dabei wird die Sozialpolitik erstmals gemeinsam mit der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik in einer Bestimmung erwähnt und so deren Bedeutung unterstrichen.

Ebenso wird der besondere Stellenwert der so genannten "Daseinsvorsorge", also etwa die Wasserversorgung, der Personen-Nahverkehr, die Müllentsorgung und andere Dienste von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, hervorgehoben und dabei die wichtige Rolle sowie der weite Ermessensspielraum von nationalen, regionalen und lokalen Behörden bei der Bereitstellung und Organisation dieser Dienste betont.

Technisch gesehen kommt es zu einer Abschaffung der mit dem Vertrag von Maastricht 1993 eingeführten Säulenstruktur der Europäischen Union. Das heißt, dass für alle Politikbereiche, die in die Zuständigkeit der EU fallen, grundsätzlich ein einheitlicher rechtlicher und institutioneller Rahmen gilt, auch wenn auf manchen Gebieten, insbesondere bei der Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz spezielle Vorschriften und Verfahren zur Anwendung gelangen.

Verbindliche Rechtsakte kann die EU in Form von Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen setzen, als nicht verbindliche Rechtsinstrumente stehen ihr Empfehlungen und Stellungnahmen zur Verfügung.

Was die EU-Finanzen betrifft, will der Vertrag von Lissabon eine Verstärkung der Haushaltsdisziplin durch die Einführung eines mehrjährigen Finanzrahmens bewirken. Neu ist auch der ausdrückliche Hinweis, dass der Rat in der Verordnung über das Eigenmittelsystem neue Kategorien von Eigenmitteln der EU einführen und bestehende abschaffen kann.

In Bezug auf die Währungsunion erhalten die Euro-Staaten ein stärkeres Mitspracherecht bei der Aufnahme neuer Mitglieder in die Euro-Zone.

Für Dänemark, Großbritannien und Irland gibt es für die Bereiche Inneres und Justiz weitreichende Opt-Out-Regelungen, allerdings verbunden mit der Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt das geltende Gemeinschaftsrecht zu übernehmen.

EU-Kommission wird ab 2014 verkleinert
Motor der Europäischen Union bleibt die EU-Kommission, die weiter das Initiativmonopol für Gesetzgebungsvorschläge inne hat. Ausnahmen bilden hier allerdings der Bereich Inneres und Justiz, wo es – wie schon bisher – ein paralleles Initiativrecht eines Viertels der Mitgliedstaaten geben wird, sowie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP).

Ab 2014 – und nicht wie ursprünglich vorgesehen bereits ab 2009 – soll die EU-Kommission verkleinert werden. Dann werden, sofern der Europäische Rat bis dahin nichts Gegenteiliges beschließt, nur noch jeweils zwei Drittel der EU-Mitgliedstaaten einen Kommissar bzw. eine Kommissarin stellen können. Die Gleichberechtigung der Staaten wird durch ein striktes Rotationssystem bei der Auswahl der Kommissionsmitglieder gewährleistet.

Entscheidungen werden von der Kommission grundsätzlich mit Mehrheit getroffen. Einzelne Mitglieder müssen auf Verlangen des Kommissionspräsidenten zurücktreten.

Der neue Europäische Rat
Der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer, wird in ein Unionsorgan umgewandelt und erhält einen Präsidenten bzw. eine Präsidentin. Dieser Präsident wird für jeweils zweieinhalb Jahre von den Staats- und Regierungschefs gewählt und kann insgesamt zwei Amtsperioden tätig sein.

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Um ein einheitliches Auftreten der Europäischen Union nach außen zu forcieren, wird das Amt eines "Hohen Vertreters der Union für Außen und Sicherheitspolitik" geschaffen. Dieser Vertreter wird sowohl als Vizepräsident der EU-Kommission fungieren als auch den Rat für Auswärtige Angelegenheiten leiten. Seine Aufgaben werden unter anderem sein, Vorschläge für eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU zu machen, die EU nach außen zu vertreten und Verhandlungen für die EU über internationale Abkommen zu führen.

Entscheidungen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik müssen auch künftig von den EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich einstimmig getroffen werden. Dem Europäischen Parlament kommt dabei, anders als in den anderen Politikbereichen, lediglich ein Anhörungsrecht zu. Initiativen im Bereich der GASP können sowohl die Mitgliedstaaten als auch der "Hohe Vertreter" setzen.

Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedstaat sind die anderen EU-Länder laut Vertrag von Lissabon prinzipiell zum Beistand verpflichtet. Allerdings wird durch die gewählte Formulierung der Hilfeleistungspflicht sichergestellt, dass Österreich auch im Krisenfall seine Neutralität nicht aufgeben muss und über die Art und Weise seiner Unterstützung selbst entscheiden kann. Auch bei einem terroristischen Angriff, einer Naturkatastrophe oder einer von Menschen verursachten Katastrophe sind die Mitgliedstaaten aufgrund einer Solidaritätsklausel zur Hilfe angehalten.

Möglichkeiten einer "verstärkten Zusammenarbeit" einzelner EU-Länder
Eine verstärkte Zusammenarbeit einzelner EU-Länder in manchen Politikbereichen ist weiter möglich, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. So müssen sich mindestens neun EU-Mitgliedstaaten daran beteiligen (bisher acht), außerdem muss ein entsprechender Vorschlag der EU-Kommission und die Zustimmung des Europäischen Parlaments vorliegen. Besonders wird auch der Grundsatz der Offenheit der verstärkten Zusammenarbeit unterstrichen und in diesem Sinn die spätere Teilnahme weiterer Mitgliedstaaten an der verstärkten Zusammenarbeit auf einem bestimmten Gebiet erleichtert.

Erstmals geregelt sind auch die Modalitäten für einen freiwilligen Austritt aus der Europäischen Union.

Das Instrument der Bürgerinitiative
"Einfachen" Bürgerinnen und Bürgern steht in Zukunft das Instrument der Bürgerinitiative zur Verfügung, wenn sie in einem bestimmten Bereich EU-weiten Regelungsbedarf sehen. Die EU-Kommission muss aktiv werden, wenn eine solche Bürgerinitiative von mindestens einer Million EU-BürgerInnen unterstützt wird und diese, wie es wörtlich heißt, aus einer "erheblichen" Zahl von Mitgliedstaaten kommen. Damit wird erstmals ein Instrument der direkten Demokratie in den EU-Verträgen verankert. Gleichzeitig wird EU-BürgerInnen ein höherer individueller Rechtsschutz vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingeräumt, wie auch insgesamt der sachliche Zuständigkeitsbereich des EuGH ausgeweitet wird.

Von der Zuständigkeit des EuGH ausgenommen bleiben im Wesentlichen nur Teile der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die Überprüfung der Gültigkeit und Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedsstaates sowie die Überprüfung von Maßnahmen in einem Mitgliedstaat zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit.

Schließlich ist neu, dass die Europäische Union künftig eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und als solche Verträge abschließen kann. Damit ist auch der angestrebte Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention möglich. In einer Erklärung zum Vertrag wird allerdings ausdrücklich festgehalten, dass der Umstand der Rechtspersönlichkeit die Union keinesfalls ermächtigt, über die ihr von den Mitgliedstaaten in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten hinaus gesetzgeberisch tätig zu sein oder über diese Zuständigkeiten hinaus zu handeln.

Österreich hat – gemeinsam mit 15 anderen Mitgliedstaaten – überdies eine Erklärung unterzeichnet, wonach die blaue EU-Flagge mit den 12 goldenen Sternen, die Hymne aus der "Ode an die Freude" der Neunten Symphonie von Ludwig van Beethoven, der Leitspruch "in Vielfalt geeint", der Euro als Währung und der Europatag am 9. Mai als Symbole für die Zusammengehörigkeit der Menschen in der Europäischen Union betrachtet werden. In einer weiteren Erklärung drängt Österreich gemeinsam mit Deutschland, Irland, Ungarn und Schweden auf eine Aktualisierung des Euratom-Vertrags.

Insgesamt umfasst der Vertrag von Lissabon in der deutschen Sprachfassung samt Protokollen, Anhang, Schlussakte und Erklärungen 323 Seiten.

In den detaillierten Erläuterungen dazu geht die Regierung auch ausführlich auf das Ratifikationsverfahren in Österreich ein, wobei davon ausgegangen wird, dass die vorgesehenen Änderungen des Unionsrechts "die Grenze zu einer Gesamtänderung der Bundesverfassung nicht überschreiten".
 
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