Kann Faschismus wieder passieren?   

erstellt am
05. 03. 08

Barbara Prammer und Ron Jones diskutieren über "Die Welle"
Wien (pk) - "Bei uns kann das nicht vorkommen", hörte der Geschichtsprofessor Ron Jones aus Kalifornien immer wieder, als er mit seiner Klasse über den Nationalsozialismus sprach. Um seinen Schülern das Gegenteil zu beweisen, führte er mit ihnen das Experiment "The Third Wave" durch, bei dem die Jugendlichen eine straff organisierte Gemeinschaft mit zugeteilten Rollen, Verhaltensnormen und Zwängen gründeten. Das Experiment aus dem Jahr 1967, das schnell aus dem Ruder lief und von Jones abgebrochen werden musste, gilt heute als legendär und diente als Vorlage für einen Roman und einen Film. Eine Neubearbeitung des deutschen

Regisseurs Dennis Gansel, der die Handlung in das heutige Deutschland überträgt, kommt demnächst in die heimischen Kinos.

Anlässlich der Premiere des Films "Die Welle" setzten sich heute Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, Ron Jones und SchülerInnen des Wiener Haydn-Gymnasiums in einer gemeinsamen Pressekonferenz unter dem Motto "Demokratie lernen und leben" mit der Frage auseinander, "ob das bei uns wieder passieren kann".

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer meinte, als Erwachsene und Politikerin habe sie der Film sehr nachdenklich gestimmt. Gerade das Gedenken an den Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland vor 70 Jahren stelle einen unmittelbaren Bezug her und werfe die Frage auf, inwieweit sich Geschichte wiederholen kann. Der Umstand, dass, wie eine Studie erhoben hatte, das Demokratievertrauen unter den Jüngeren nur 63 % beträgt, sei jedenfalls sehr beunruhigend, gab Prammer zu bedenken. Für sie persönlich bedeute dies, dass es gilt, die Herausforderung anzunehmen und den eigenen Zugang zur Politik im Rahmen des demokratischen Gefüges immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und mit der Jugend in Dialog zu treten. Als guten Ansatz und kleinen Baustein bezeichnete Prammer in diesem Zusammenhang die Demokratiewerkstätte des Parlaments, bei der Kinder und Jugendliche einen Einblick in die demokratischen Spielregeln gewinnen können. Klar war für Prammer, dass Demokratie dann funktioniert, wenn es Kontrolle und Transparenz, die Partizipation aller und die Berücksichtigung von Minderheiten gibt und wenn niemand ausgegrenzt wird.

Besorgt äußerte sich Prammer über Tendenzen in der Gesellschaft, Politik schlechthin abzulehnen. So sei der Vorschlag, Politiker durch unabhängige Experten zu ersetzen, "atemberaubend". Kein Mensch könne überzeugungslos leben, eine Gesellschaft bestehe aus unterschiedlichen Interessen und Individuen und komme nicht ohne Konflikte aus. Es gehe deshalb nicht an, sagte Prammer, diese Konflikte als billige Streitereien abzutun. Vielmehr bedürfe es einer Streitkultur, die es erlaubt, die Themen in ihrer Kompliziertheit auf den Tisch zu legen und sich damit auseinanderzusetzen. Die vielfach geforderten schnellen Lösungen seien keine demokratischen Lösungen, stand für Prammer fest.

Ron Jones berichtete über seine Erfahrung mit "The Third Wave", und meinte, die Tragödie sei dabei gewesen, dass ihm das Experiment mit all seiner Disziplin und Ordnung gefallen habe, er sei also selbst ein Opfer der "Welle" gewesen. Auf die Frage, ob sich Derartiges auch heute noch ereignen könne, meinte Jones, Faschismus gebe es nach wie vor, auch in den USA. So sei er entsetzt darüber, dass die US-Regierung Folter, Eingriffe in die Privatsphäre, Krieg im Namen von Angst und Patriotismus akzeptiert. Faschismus gebe es aber auch in den eigenen vier Wänden, in den Kirchen, Tempeln und am Arbeitsplatz. Wenn man aus dem Experiment Lehren ziehen könne, dann wohl jene, dass wir alle sowohl zum Guten als auch zum Bösen fähig sind, betonte Jones. Gerade deshalb gebe es ja "Checks and Balances" in der Demokratie, die uns helfen, ein Gleichgewicht zwischen Recht und Ordnung, Disziplin und Freiheit zu finden. Die Entscheidung zwischen Gut und Böse liege aber letztlich bei jedem Einzelnen. So einfach sei es jedenfalls nicht, demokratisch und frei zu sein, lautete seine Schlussfolgerung.

Betroffen von dem Film, den sie ebenso wie Barbara Prammer vorab gesehen hatten, zeigten sich auch die Schülerinnen und Schüler des Haydn-Gymnasiums. Ein Jugendlicher brachte den Eindruck auf den Punkt, indem er sagte, wir glauben, wir wären ausreichend aufgeklärt, in Wirklichkeit habe sich aber nur die Landschaft verändert, wir hingegen stehen immer noch da, wo wir vor 70 Jahren gestanden sind.
 
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