63. Jahrestages der Wiedererrichtung
der Republik Österreich
 
 

erstellt am
29. 04. 08

Rede des Herrn Bundskanzlers anlässlich des 63. Jahrestages der Wiedererrichtung der Republik Österreich am 27. April 1945

Sehr geehrte Damen und Herren.

Die Erinnerung an die Wiedererrichtung der Republik Österreich am 27. April 1945 erfolgt 2008 in einem besonderen Jahr. Dieses Gedenkjahr ist unter anderem geprägt durch die Bezugnahme auf die Errichtung der Republik Österreich vor 90 Jahren sowie auf den vor 70 Jahren erfolgten so genannten Ausschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich.

Die Unabhängigkeitserklärung steht in engem sachlichem Zusammenhang zu den beiden historischen Daten. Nach der sieben Jahre dauernden nationalsozialistischen Diktatur in Österreich wurde die demokratische Republik wieder hergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 eingerichtet.

So wollten die Gründungsväter der Zweiten Republik Karl Renner, Adolf Schärf, Leopold Kunschak und Johann Koplenig für unseren Staat die Lehre aus seiner verhängnisvollen Geschichte ziehen. Im Geiste der Zusammenarbeit wollte man, wie Leopold Figl sagte, keinesfalls „eine Wiederholung von 1933, noch von 1938“.

Es war für die damals Handelnden klar, dass man ab der Geburtsstunde des neuen Österreich jene sozialen Spannungen vermeiden wollte, die die Erste Republik zerstört und den Boden für alles Spätere aufbereitet hatten.

Im Gefolge der Unabhängigkeitserklärung ging es darum, die völlige Eigenständigkeit der Regierung Renner sicher zu stellen. Es galt das zweifellos vorhandene Misstrauen der USA auszuräumen, als Erfüllungsgehilfe der Sowjetunion zu handeln. Dies ist der Regierung in einer guten Art und Weise gelungen, die auch die beiden machtpolitischen Pole in Betracht zog, zwischen denen man zu agieren hatte. Diese machtpolitischen Pole, zwischen denen sich Österreich in den nächsten zehn Jahren hauptsächlich zu bewegen hatte und in deren Spannungsfeld es endgültig Freiheit, Unabhängigkeit und Neutralität errag, waren für die ersten Jahre bestimmend.

Österreich war im Jahr 1945 ein Staat, der nur auf dem Papier bestand und der durch die Kraft und den Willen seiner Bevölkerung Wirklichkeit wurde. Aus der Wiedererrichtung der unabhängigen Republik entstand auch die Idee, was dieses Österreich ausmacht.

Es ging darum, den Staat als Antithese zum nationalsozialistischen Verbrechensregime zu konstituieren.

Es ging darum, eine Zusammenarbeit aller politisch relevanten Kräfte zu verwirklichen, die in der Sozialpartnerschaft ihren bedeutsamen Ausdruck findet, wenn es darum geht, durch eine gemeinsame Kraftanstrengung das Beste für unser Land zu erreichen.

Es ging darum, allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Chancen nach sozialem Aufstieg einzuräumen.

Diese Ideen des Miteinander, des Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit sind bis heute wirkungsmächtig geblieben.

Es ist eine der bewundernswertesten Leistungen in der Geschichte unseres Volkes, dass unsere Vorfahren, unsere Großeltern und Eltern, an dieses Land und seine Zukunft nicht nur geglaubt, sondern ihren Glauben, ihre Hoffnung, ihre Zuversicht auch in die Tat umgesetzt haben.

Das wachsende Selbstbewusstsein Österreichs gründete sich jedoch nicht nur auf diese Leistungen, sondern auch auf ein über die Jahre hinweg zunehmend klar bezeichnetes Wissen darum, was ihnen vorangegangen war.

So berechtigt unser Stolz, so berechtigt unsere Dankbarkeit auch sein mögen, so groß sollte auch unsere Demut vor denen sein, die als Opfer eines barbarischen Regimes die Befreiung und das neue Österreich nicht mehr erleben durften. Gesundes Selbstbewusstsein schöpft nicht nur aus den Glanztaten der Geschichte einer Nation, sondern ist sich stets auch ihrer dunklen Seiten bewusst.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir mit dem durchaus nicht unproblematischen Erbe der Gründergeneration gewissenhaft verfahren. Ja, wir haben aus der Geschichte gelernt und werden auch weiter trachten, die diffizil zu bedienenden Instrumente des Macht- und Interessensausgleichs zu verfeinern und den Herausforderungen unserer Zeit anzupassen.

Die ersten Jahrzehnte der Sozialpartnerschaft nach dem Krieg haben uns zum Wohl aller Bürgerinnen und Bürger vor Augen geführt, dass eine Gesellschaft in sich nur dann stabil und wachstumsfähig bleibt, wenn sie den erarbeiteten Wohlstand möglichst gerecht verteilt.

Wir haben zudem gelernt, dass Frieden und Freiheit nicht aus dem Wollen und Können einer einzelnen Gesellschaft oder eines einzelnen Staates entstehen und gedeihen, sondern nachhaltig nur in einem Staatenverband mit gemeinsamen Interessen, Grundwerten und Zielen zu verwirklichen sind.

Deshalb ist gerade Österreich mit seiner wechselhaften Geschichte als gleichberechtigter starker Partner im Friedensprojekt der Europäischen Union mehr als nur gut aufgehoben. Gerade am heutigen Tag, da wir uns unserer Ursprünge als moderne Demokratie erinnern, sollten wir die Augen vor den Herausforderungen der Zukunft nicht verschließen. Wir müssen das strapazierte Wort von unserer globalisierten Welt und ihren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufenden wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen nicht weiter bemühen, um den Sinn und die Berechtigung supranationaler Interessensgebilde zu begründen.

Wer die Europäische Union als bloßes Bollwerk gegen die Herausforderungen der Globalisierung betrachtet, verkennt ihre strukturelle Bedeutung und missdeutet die Absicht ihrer integrativen Bemühungen sowie den Kern ihrer politischen Idee.

Die EU hat, und das müssen auch ihre Kritiker einräumen, zumindest damit begonnen, das soziale und wirtschaftliche Gefälle innerhalb eines geografischen Raumes abzubauen, der in seiner Jahrtausende alten Geschichte immer wieder von Kriegen - auch ausgelöst durch soziale Revolten - verwüstet worden war. Die EU tut viel, sehr viel, um ihren Bürgern eine Zukunftsperspektive jenseits der Armutsschwelle zu bieten, die in weniger entwickelten Staatengebilden der so genannten zweiten und dritten Welt dem Großteil der Bevölkerung den Weg zu einem besseren Leben versperrt.

Gerade wir in Österreich sollten im Hinblick auf unsere Geschichte der letzten Jahrzehnte verstehen, dass die Stabilität und Souveränität eines Staates von seinem sozialen Frieden, seiner möglichst breiten Streuung des Wohlstandes, abhängt.

Einzelne Staaten können diese Problemfelder für sich alleine nicht mehr bewältigen, sondern bestenfalls die zu erwartenden Folgen hintanhalten. Vor diesen Aufgaben scheint mir das Bedürfnis mancher Interessensgruppen verwerflich, aus vorhandenen Ängsten und fehlgeleiteten Ressentiments politisches Kleingeld schlagen zu wollen. Wir sind daher in unserer Verantwortung als Regierende aufgefordert, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern noch deutlicher als bisher – und zugleich so differenziert wie möglich – zu vermitteln, worum es der Europäischen Union in diesem globalen Kontext wirklich geht.

Die Verträge, die ihre Mitgliedsstaaten untereinander abschließen, dienen nicht der Bevormundung der Bürger. Sie schaffen vielmehr einen verbindlichen Rechtsrahmen, innerhalb dessen sich die Mitgliedsstaaten auf Maßnahmen zum Wohle ihrer Bevölkerungen verständigen können.

Das ist die Botschaft, die jede verantwortliche und an die Zukunft denkende Regierung Europas den Menschen heute vermitteln muss. Unabhängigkeit bedeutet, den größtmöglichen Gestaltungsspielraum für unser Land zu erreichen. Dieser Gestaltungsspielraum bietet sich für uns in der Europäischen Union und nicht in einem Abseits stehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

In den Grundlagenentwürfen zur Europäischen Union war der Gedanke der friedvollen gemeinsamen Entwicklung und Solidarität ebenso mitgedacht und festgelegt wie in den Prinzipien der österreichischen Sozialpartnerschaft. Hier wie dort geht es dem Wesen nach darum, Solidarität und Leistung in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Denn Leistung bleibt auf die Dauer ohne Solidarität substanzlos – und Solidarität braucht Leistung.
Gerade in Zeiten einer sich abzeichnenden internationalen Krise geht es darum, der Bevölkerung durch unser aktives politisches Handeln Sicherheit zu geben, was etwa die Absicherung unseres Bildungssystems oder unseres Gesundheitssystems betrifft.

Wir sind es sowohl der Aufbaugeneration dieses Landes als auch unseren Kindern schuldig, die vielfältigen Möglichkeiten, die uns an die Hand gegeben wurden, nicht ungenützt liegen zu lassen.

Diese Bundesregierung hat sich entschlossen, die Bildungsmöglichkeiten der jungen Generation zu sichern und zu vertiefen.

Diese Bundesregierung garantiert den älteren Menschen einen sicheren Lebensabend.

Diese Bundesregierung setzt auf Leistung und gibt die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen vor, um Wirtschaftswachstum und Prosperität zu fördern.

Diese Bundesregierung wird alles tun, um eines der besten Gesundheitssysteme der Welt allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zugänglich und vor allem leistbar zu erhalten.
Solange wir einig sind im Wissen um unsere Stärken und gemeinsam bereit, auch unsere Schwächen zu erkennen, möge für uns und Europa gelten, was unsere Bundeshymne als ewig gültiges Programm empfiehlt: Mutig in die neuen Zeiten!
 
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