Reaktionen auf das "Nein" Irlands zum EU-Vertrag  

erstellt am
19. 06. 08

 Gusenbauer: Ein Land ins Abseits drängen wäre unfair und unklug
Keine Alternative zu gemeinsamen Vorgehen aller EU-Länder - Inflation: EU muss seine Verantwortung wahrnehmen
Wien (sk) - Auf "dezidierte Ablehnung" stoßen bei Bundeskanzler Alfred Gusenbauer Forderungen nach einem Ratifikationsstopps des EU-Reformvertrags nach dem Nein der Iren. "Dass hieße doch, dass der Europäische Rat oder andere Mitgliedsstaaten jetzt anderen Staaten Vorschriften machen wollen, wie die sich verhalten sollen. Das wäre ein völlig undemokratischer und unüblicher Vorgang", so der Bundeskanzler am 18.06. in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Außenministerin Plassnik im Vorfeld des EU-Gipfels von Brüssel.

Österreich habe dem EU-Reformvertrag "aus guten Gründen zugestimmt - und wird bleiben dabei", erklärte Gusenbauer. Denn dadurch würde Österreich mehr Rechte bekommen, und die EU werde demokratischer und effizienter. "Und so, wie wir uns von niemand anderem etwas dreinreden lassen, darf man auch nicht den Hochmut und die Arroganz haben zu glauben, wir könnten anderen etwas dreinreden." Es gebe keine Alternative dazu den Weg gemeinsam zu gehen, nämlich von allen 27 Mitgliedsstaaten gemeinsam. "Da jetzt ein Land ins Abseits drängen zu wollen, ist unfair und unklug in gleichem Ausmaß", sagte der Kanzler.

Bei aller Kritik habe sich in den letzten Monaten auch gezeigt, dass die EU gut funktioniert. Als Beispiel nannte Gusenbauer die internationale Finanzkrise, von der die Europäische Union aufgrund der Wirtschafts- und Währungsunion relativ wenig betroffen war. Was die Bürgerinnen und Bürger aber stark zu spüren kommen haben, sei die enorme Belastung durch die hohe Teuerung. Eie außergewöhnliche und unangenehme Situation, da dadurch viele Menschen nichts von Lohnerhöhungen hatten und "um die Früchte ihrer Arbeit gebrachtwurden".

Angesichts dieser Entwicklung sei es wichtig, dass diese Woche beim EU-Gipfel auch die Frage diskutiert wird, welchen Beitrag die Union leisten kann, damit es entweder zu einer Einschränkung dieser Preislawine kommt oder dass man zumindest die Folgen für die Bevölkerung lindern kann. Österreich gehöre zu den Ländern, die am aller stärksten auf die aktuelle Teuerungsentwicklung reagiert haben. Gusenbauer nannte dabei die Erhöhung von Pendlerpauschale und Kilometergeld sowie die große Entlastung für kleine Einkommen. "Und ich bin gern bereit, hier in einen Beautycontest mit der policy-performance in anderen Staaten Europas einzutreten."

"Wir sind aber der Meinung, dass nicht nur die Nationalstaaten etwas zu tun haben, sondern auch Europa soll dort wo es möglich ist, die Verantwortung wahrnehmen", hielt fest Gusenbauer. Österreich habe daher als Vorschlag in die Diskussion eingebracht, Spekulationen mit Erdöl zu besteuern. Gusenbauer hofft, dass Vorschläge wie diese aufgegriffen werden, denn damit würde die EU zeigen, dass sie die Sorgen der Menschen ernst nimmt.

Die nun zum Teil geäußerten Wünsche nach einem Kerneuropa sind für Gusenbauer "kein Ausweg aus der gegenwärtigen Situation" und keine Antwort auf die Herausforderungen. Er habe den Eindruck, dass diese Debatte "eine Flucht nach vorne ist - aber keine Antwort auf die anstehenden Probleme", so der Bundeskanzler. Gusenbauer tritt dafür ein, dass der erfolgreiche Integrationsprozess der EU-27 fortgesetzt wird und auch die Beitrittsperspektiven der Länder am Balkan weiter verfolgt werden. "Denn eines hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte gezeigt: Mit der Europäischen Union wurden die Wunden des 2. Weltkriegs, die Wunden des Kalten Krieges und die Wunder der Kriege im ehemaligen Jugoslawien geheilt. Und das sind Meilensteine, die ich nicht missen möchte."

 

 Plassnik: "Jetzt ist europäischer Teamgeist gefragt"
Außenministerin vor EU-Gipfel in Brüssel, irisches Referendum kein Foul an Europa
Wien (bmeia) - "Ich erwarte zwei Signale von diesem Europäischen Rat: ein Signal des europäischen Teamgeists gegenüber Irland und ein Signal der ergebnisorientierten Themenarbeit", umriss heute Außenministerin Ursula Plassnik ihre Erwartungshaltung an den kommenden Europäischen Rat am 19./20.06. in Brüssel.

Plassnik: "Jetzt ist europäischer Teamgeist gefragt. Druck auf Irland auszuüben oder Versuche, die Iren ins Eck zu drängen, bringen uns nicht weiter. Das irische Referendum war kein Foul an Europa. Es gibt daher keinen Grund, den Iren die gelbe oder gar die rote Karte zu zeigen."

"Ebenso muss aber klar sein, dass es aus dieser Situation heraus keine Extrawürstel oder Zuckerln für Irland geben kann" erklärte Plassnik. Sie verwies auf Eurobarometer-Umfragen, wonach eine Mehrheit der Iren glaubten, durch eine Ablehnung des EU-Vertrags Nachverhandlungen erreichen zu können. "Ich persönlich halte es für hochgradig unwahrscheinlich, dass an diesem nach so vielen Mühen erreichten EU-Reformvertrag noch Änderungen vorgenommen werden."

Der EU-Gipfel werde eine Etappe in der jetzt beginnenden Debatte sein. "Es ist nicht mit einer Entscheidung in den nächsten zwei Tagen auf europäischer Ebene zu rechnen. Jetzt gilt es, sich die Zeit zu nehmen, um gemeinsam mit unseren irischen Freunden die Lage zu analysieren. Keine vernünftige Therapie ohne genaue Diagnose", so Plassnik. Zugleich stellte die Ministerin fest, dass die EU bis zu den Europawahlen im Juni 2009 Klarheit und konkrete Resultate brauche.

Eine Absage erteilte die Ministerin neuerlich den Vorstellungen eines Kerneuropa. "Ein solches "Kerneuropa" wäre keine Lösung für das irische Thema", betonte sie. "Es ist wichtig, die Europäische Union gerade in institutionellen Fragen als eine Union der 27 zu verstehen - da kann es keine Sub- oder Teilgruppen geben. Die EU bezieht ihre Kraft aus dem Zusammenführen und Zusammenhalten, nicht aus Spaltungsversuchen."

Entscheidend sei jetzt, die Arbeit an der EU-Agenda engagiert voranzutreiben. "Ergebnisorientierte Themenarbeit ist das, was sich die Bürger von Europa erwarten. Das "Europa der Resultate" darf nicht wegen der Arbeit auf der institutionellen Baustelle beeinträchtigt oder vernachlässigt werden", so Plassnik, die unter anderem auf die Themen Teuerungswelle, Klimaschutz, Migration verwies. "Zugleich warne ich aber vor überzogene Erwartungen an die EU. Wir tun weder uns noch der europäischen Sache einen Dienst, wenn wir Erwartungen erwecken, die wir nicht halten können." Dies gelte etwa auch für das Thema "soziales Europa". Gerade hier müsse man sich im klaren sein, was auf welcher Ebene sinnvollerweise geleistet werden könne - von der Gemeindeebene bis zur EU.

Klare Worte fand Plassnik auch zur Beitrittsperspektive für die Balkanstaaten: "Kroatien wird nicht Opfer des irischen Referendums sein. Es gibt keinen Grund, hier Zweifel aufkommen zu lassen. Die Europäische Union wird weiterhin konsequent an der EU-Perspektive für unsere Nachbarn am Balkan festhalten", so Plassnik, die darauf verwies, dass der EU-Gipfel die Thessaloniki-Agenda und die Salzburger Erklärung von 2006 bekräftigen wird.

 

 Mölzer: Bei EU-Gipfel darf nicht Diskriminierung Irlands im Mittelpunkt stehen
Bürger erwarten sich Maßnahmen gegen den Anstieg von Lebensmittel- und Treibstoffpreisen - Solidarbeitrag der internationalen Spekulanten wäre sinnvoll
Wien (fpd) - Beim in Brüssel beginnenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten müsse wie ursprünglich geplant die allgemeine Teuerungswelle im Mittelpunkt der Beratungen stehen, forderte der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer. "Der horrende Preisanstieg bei Nahrungsmitteln und Treibstoffen ist etwas, was die Menschen quer durch Europa hart trifft. Hier wollen sie Maßnahmen sehen, damit die Inflation nicht die Realeinkommen auffrisst", so Mölzer weiter.

Kein Verständnis hätten hingegen die Bürger, so der freiheitliche EU-Mandatar, für Tricksereien, um den in Irland gescheiterten Vertrag von Lissabon in Kraft setzen zu können. "Außer einer selbstherrlichen politischen Pseudo-Elite will so gut wie niemand den Lissabon-Vertrag, wie die EU-Verfassung nun genannt wird. Wenn die EU-Granden ein Stück Bürgernähe zeigen wollen, dann können sie das mit einem einfachen Satz tun: ‚Der Vertrag von Lissabon ist tot'. Alles andere wäre nur ein weiterer Schlag ins Gesicht der Bürger, die von der Arroganz der Brüsseler Polit-Nomenklatura die Nase voll haben", betonte Mölzer.

Schließlich wies Mölzer auf die Notwendigkeit hin, dass sich die EU endlich um die wahren Anliegen der Bürger kümmere. So wäre es wünschenswert, wenn beim EU-Gipfel Maßnahmen gegen das internationale Spekulantentum getroffen würden. "Die Spekulanten sind zu einem erheblichen Teil für den Anstieg der Lebensmittel- und Treibstoffpreise verantwortlich. Daher wäre es gerecht und billig, von ihnen Solidarbeitrag zu verlangen", schloss der freiheitliche Europaparlamentarier.

 

 Westenthaler: Gusenbauer pfeift auf Meinung des Volkes
Forderung des SPÖ-Bundeskanzler nach zweiter Irland-Abstimmung skandalös
Wien (bzö) - Heftige Kritik an den skandalösen Aussagen von SPÖ-Bundeskanzler Gusenbauer wenige Tage nach dem klaren Nein der Iren zum EU-Vertrag, wonach die Iren ein zweites Mal abstimmen sollen, übte BZÖ-Chef Klubobmann Peter Westenthaler. "Gusenbauer pfeift auf die Meinung des Volkes und reiht sich in die Demokratieverweigerer innerhalb der EU ein."

Statt endlich klarzustellen, dass der demokratiefeindliche Vertrag von den Iren ins politische Nirwana gejagt wurde, hintergehe Gusenbauer einmal mehr auch die österreichische Bevölkerung. "Zuerst verbietet Gusenbauer den Österreicherinnen und Österreichern eine Abstimmung über den EU-Vertrag und jetzt will er Irland einfach negieren und so tun als wäre nichts passiert. Dabei sind auch in Österreich 80 Prozent der Bevölkerung für eine Volksabstimmung und eine überwiegende Mehrheit gegen den EU-Vertrag", betonte Westenthaler.

"Gusenbauer setzt sich nicht nur immer mehr von seiner eigenen Partei ab, sondern zunehmend von der Bevölkerung. Daher wäre es besser, wenn der Anti-Volkskanzler seinen Hut nimmt und die politische Bühne endgültig verlässt. Wer so über die Menschen drüberfährt und abgehoben ist, hat in einem solchen Amt nichts verloren", so Westenthaler abschließend.

 

 Tumpel: Nein der Iren zum EU-Vertrag ernst nehmen
AK Präsident Tumpel fordert Staats- und Regierungschef auf, den Startschuss für eine Sozialunion zu setzen
Wien (ak) - "Jetzt ist es klar: So kann die EU nicht weiter machen", sagt AK Präsident Herbert Tumpel in Richtung des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der EU. Denn: "Das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag muss man ernst nehmen. Es zeigt die große Kluft zwischen der EU und den Menschen", so Tumpel. Der Europäische Rat muss die wachsende EU-Skepsis ernst nehmen und sich mit den Defiziten der europäischen Integration auseinandersetzen. Was Europa jetzt braucht ist eine Kehrtwende in Richtung Sozialunion. "Ich fordere die Staats- und Regierungschefs auf: Nehmen Sie die wachsende EU-Skepsis ernst. Wir brauchen auf europäischer Ebene endlich wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und gegen Sozial- und Steuerdumping, sonst werden sich die Menschen weiter von der EU abwenden", sagt Tumpel.

Die soziale Dimension Europas gerät immer stärker unter Druck. Beispielhaft dafür sind einige EuGH-Urteile der letzten Monate und die Tatsache, dass der Europäische Rat heute die jüngste Einigung zur Arbeitszeit-Richtlinie begrüßen wird, obwohl sie sämtliche Kernforderungen des Europäischen Gewerkschaftsbundes und die Position des Europäischen Parlaments in allen wichtigen Punkten ignoriert. "Auf diese Art kann man nicht verhindern, dass sich immer mehr Menschen von der EU abwenden. Was Europa jetzt braucht, ist eine Kehrtwendung in Richtung Sozialunion" so Tumpel.

Die Ablehnung des Reformvertrags durch die irischen BürgerInnen müsse als Chance für eine Grundsatzdebatte über ein sozialeres Europa genützt werden. Tumpel: "Die Menschen verlangen, dass das soziale Europa endlich in den Mittelpunkt gestellt wird. Sie wollen, dass auf europäischer Ebene endlich wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Armut ergriffen werden können. Und sie wollen wirksame Maßnahmen gegen Sozial- und Steuerdumping in der EU. Sie wollen, dass die EU etwas gegen die steigenden Rohstoff- und Energiepreise unternimmt und die Spekulation auf den Finanzmärkten eindämmt." Tumpel weiter: "Ich fordere die Staats- und Regierungschefs auf: Nehmen Sie die wachsende EU-Skepsis ernst, setzen Sie sich mit den Defiziten der europäischen Integration auseinander. Geben Sie in den Startschuss für eine Sozialunion!".

In einer Sozialunion:

  • müssen Vollbeschäftigung, sozialer Fortschritt und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit als gleichrangige Ziele verfolgt werden,
  • muss die Sozialpolitik als wichtiges Instrument zur Verbesserung der Lebensbedingungen gesehen werden,
  • müssen die Mitgliedstaaten ausreichend budgetären Spielraum für wachstums- und beschäftigungsfördernde Ausgaben haben, was eine Änderung des Stabilitätspakts erfordert,
  • müssen effektive Maßnahmen gegen einen schädlichen Steuerwettbewerb möglich sein,
  • muss die Geldpolitik der EZB mehr Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung übernehmen,
  • muss der Schutz der öffentlichen Dienstleistungen gewährleistet sein.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

 
zurück