steirischer herbst 02/10   

erstellt am
20. 08. 08

Strategien zur Unglücksvermeidung
Graz (steirischerherbst) - Listen schreiben: Das tut man, wenn die Verhältnisse unübersichtlich geworden sind. Wenn man Handlungsoptionen sortieren oder Ordnung in ein Chaos bringen möchte. Die Suche nach „Strategien zur Unglücksvermeidung“ (das Leitmotiv des diesjährigen Festivals) erzeugte eine solche Liste. Der Bogen von 100 Begriffen spannt sich von A wie Abschalten bis hin zu Z wie Zusammenrücken. Im Wesen von Listen liegt es, dass sie zuweilen paradox erscheinen. Auch diese wirkt zunächst wie spontan auf einen Bierdeckel gekritzelt – und ist doch anwendbar auf viele Sphären des Daseins.

Auch das Programm versammelt große und kleine Ansätze, Interventionen, kreative Optionen – überall finden sich Anlässe, über Handlungsmomente nachzudenken oder selbst zum Handelnden zu werden: Christoph Steinbrener und Rainer Dempf etwa machen die herbst-Eröffnung selbst, als gesellschaftliches Ereignis, mitsamt allen Gästen zum Thema. Die Künstlerarchitekten von raumlaborberlin greifen für das Festivalzentrum 2008 den Gedanken der Katastrophe auf und bauen ihre ganz eigene Explosionsversion vor und in das leerstehende Museumsgebäude Joanneum – in dem, neben vielen anderen Projekten, das Künstlerduo SIGNA ein psychiatrisches Krankenhaus aus den fünfziger Jahren entstehen lässt.

Neben dem französischen Theaterkünstler Michel Schweizer, der ungarischen Choreografin Eszter Salamon, dem Nature Theater of Oklahoma, der Theatergruppe BADco. aus Zagreb, der belgischen Künstlergruppe Berlin und der jungen Regisseurin Gisèle Vienne ist mit Meg Stuart eine der bedeutendsten gegenwärtigen Choreografinnen erstmals in Graz zu Gast: Gemeinsam mit ihrer Kompanie entwickelt sie eine Arbeit für einen Ort, der kein konventioneller Theaterraum ist: die große, leere Helmut-List-Halle.

Die diesjährige herbst-Ausstellung „Common Affairs“ nähert sich den Möglichkeiten des Handelns eher skeptisch, während sich der amerikanische Künstler Noah Fischer mit seiner Installation „Pop Ark“ auf die Suche nach einem anregenden Ansatz für das Leben nach der globalen Erwärmung begibt, und Janez Janša, Janez Janša und Janez Janša radikal handeln und ihren Namen ändern. Das Leitmotiv zieht sich auch durch die Ausstellungen des Festivals, die gemeinsam mit Grazer Institutionen wie dem Grazer Kunstverein, der Neuen Galerie Graz, dem Haus der Architektur Graz oder dem Kunstverein Medienturm und vielen anderen entstehen. In der Camera Austria etwa wird Elke Krystufek „Für das Glück zuständig“ sein.

Die Walking Conference flaniert, aufgeteilt in Walks zu unglücksvermeidenden Themen wie „Gold suchen“ oder „Perspektive wechseln“, durch die Stadt – ebenso wie die Akteure des Wiener Theaterkollektivs Fritzpunkt, die sich mit dem Werk der steirischen Autorin Marianne Fritz auseinander setzen: in Form einer elftägigen Dauerlesung im Medienkunstlabor und im Stadtraum. Im Rahmen des musikprotokolls schließlich wird Graz Teil des Projekts „European Cities of Advanced Sound“ (ECAS).

Das Final-Wochenende bringt das Leitmotiv noch einmal auf den Punkt: Johannes Schrettle, Lukas Bärfuss und Ivana Sajko haben zum Thema „Welt retten“, als Extremmetapher für den bewusst naiven Glauben an die Möglichkeiten des Handelns, kurze Theatertexte verfasst, die von jungen, internationalen Theatermachern inszeniert werden. Seinen Abschluss schließlich findet der steirische herbst mit der Oper „Melancholia“ von Georg Friedrich Haas und Jon Fosse.

Informationen: http://www.steirischerherbst.at
 
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